16 Curriculum und teilnehmende Beobachtung

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Gegenstand dieses Kapitel sind die tatsächlich durchgenommen Inhalte der im Zusammenhang mit dieser Dissertation durchgeführten und evaluierten Fortbildung. Die einzelnen Bausteine werden näher erläutert, und als Hauptforscher teile ich meine Bemerkungen und Sicht zu ihrer Durchführung mit. Die teilnehmende Beobachtung dient neben der Dokumentation des Curriculums v.a. dem Nachweis reflektierter Subjektivität während der Durchführung der Fortbildung als Bewertungskriteriums qualitativer Forschung. Teil der reflexiven Betrachtung durch den Hauptforscher können z.B. Selbstbeobachtung, Gruppenreaktionen oder Vermutungen über Auswirkungen des Seminarverlaufs auf die Thesenüberprüfung sein. Die Darstellung des Curriculums zielt außerdem darauf ab, Stimmigkeit zwischen Curriculum und bisherigen Ausführungen (Kap.6 bis 11) nachzuweisen. Und schließlich ist die Darstellung des Curriculum auch deshalb nötig, weil die späteren Auswertungsinterviews auch Erklärungen und Bewertungen der Teilnehmer über die Wirksamkeit des Curriculums bzw. seiner Bausteine beinhalten können.

Zunächst bietet dieses Kapitel einen Überblick über das durchgeführte Curriculum der Lehrer-Fortbildung zur systemisch-konstruktivistischen Pädagogik und Beratung in Schule (Kap. 16.1) bevor die einzelnen Themen inkl. der teilnehmenden Beobachtungen vorgestellt werden (Kap. 16.2 bis 16.12). Abschließende, auswertende Betrachtungen (Kap. 16.13) beschließen dieses Kapitel zum konkreten Fortbildungscurriculum und seiner teilnehmenden Beobachtung durch den Hauptforscher.

16.1 Überblick über das durchgeführte Curriculum

Die hier dargestellte Fortbildungsreihe zur systemisch-konstruktivistischen Pädagogik und Beratung in Schule umfasste insgesamt 120 Einheiten à 45 Minuten, d.h. einen Umfang, der Schwerpunktsetzungen unvermeidbar macht. Auch wurde, wie bei Jäpelt (2004a, 132,286), davon ausgegangen, dass ein Curriculum zeitlich-räumlich begrenzt ist und keine ‚fertige Lösungen’ erbringen kann. Zu Beginn der Veranstaltung wurden deshalb die Teilnehmer zunächst gebeten, sich über eigene individuelle Ziele und Wünsche Klarheit zu verschaffen (vgl. Eingangsreflexionen, Kap. 15), dann wurden mögliche Themen der Fortbildungsreihe aufgezeigt, anschließend wurde die Gruppe nach Feedback und Ergänzungswünschen befragt, bevor von ihr - über das Verteilen von Punkten - sowohl Schwerpunktsetzungen als auch unerwünschte Themen gekennzeichnet wurden (vgl. Kap.1 des Anhangs). Außerdem hatte der Hauptforscher vorher angekündigt, dass – wenngleich im genauen Umfang noch gemeinsam zu bestimmen - theoretische Grundlagen auf alle Fälle behandelt werden würden ebenso wie die zwei Kontexte der Pädagogik, Fragen im Umgang mit Verantwortung und Beratungsmethoden (entsprechend der Ausschreibung zur Veranstaltung). Gerade die letzten, eher praktischen Themen hatten sich in vielfältigen, vom Seminarleiter bereits früher durchgeführten kürzeren oder längeren Fortbildungen gemäß den Teilnehmerfeedbacks bewährt.

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Als Schwerpunktsetzungen wurden in der hier untersuchten Fortbildungsreihe von den Teilnehmern insb. gewünscht: Selbstwahrnehmung inkl. Umgang mit eigenen Resonanzen; Beziehungsgestaltung (dort v.a. das Lehrer-Schüler-Verhältnis), strategische (kontextorientierte) und authentische Kommunikation, Gesprächsformen und Machtarten in Schule, Beratung mit Schülern und Eltern (insb. syst. Methoden), Schulentwicklungsprozesse und Kooperationsfragen. Als eher unerwünscht wurden diverse Aspekte der Konfliktbearbeitung genannt. Neben Mediationsaspekten wurde insb. die Behandlung von Feedback-Regeln als überflüssig (weil zu redundant angesichts des Vorwissens) bewertet. Auch das von einigen Teilnehmern gewünschte, damals in Hessen aktuelle Thema der Jahresmitarbeitergespräche wurde von vielen Mitforschenden als nicht erheblich oder eher nebenbei abzuhandeln betrachtet. Eine detaillierte Abschrift der Schwerpunktsetzungen und der eher als unnützlich betrachteten Punkte durch die Teilnehmer befindet sich im Anhang (Kap.1).

Aus der Auswertung dieser Wünsche sowie aus weiteren Klärungen im Seminarverlauf ergab sich das konkrete Curriculum, das auf die 15 Seminartage verteilt wurde bei einem Schwerpunkt für Fragen der schulischen Beratung im weiteren Sinne und der Gesprächsführung (gemäß der Ausschreibung und Infoveranstaltung). Hier nun die zentralen Bestandteile des Curriculums in chronologischer Reihenfolge.

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In den folgenden Kapiteln werden diese Bausteine kurz erläutert. Vom Hauptforscher als wichtig erachtete Aspekte der eigenen teilnehmenden Beobachtungen werden aus der letztlich subjektiven Sicht ergänzend mitgeteilt. Letzteres dient als Nachweis reflektierter Subjektivität des Hauptforschers während der Durchführung der Fortbildung.

16.2 Thema 1: systemisch-konstruktivistische Theorie und Implikationen für Schule

Eine Fortbildung mit wissenschaftlichem Anspruch bzw. mit der Ambition, sich in ihrem Vorgehen und Angebot auf eine Theorie zu beziehen, muss die Grundlagen dieser Theorie darstellen und wichtige Implikationen für die schulische Praxis aus diesen ableiten. Viele systemische Ausbildungen geben, um dem gerade genannten Anspruch zu genügen, zu Beginn zunächst einen Überblick über theoretische Hintergründe und Grundlagen (Cecchin et al. 2005, 76). Für den schulischen Bereich sind drei Felder von zentraler Bedeutung. Erstens, Konstruktivismus und Lernen mit den Themen Radikaler Konstruktivismus, Wissens- und Wahrheitsbegriff, sozialer Konstruktionismus, Lernbegriff und ersten Konsequenzen für den Schulalltag. Zweitens aktuelle gesellschaftliche Veränderungen mit den Themen veränderte Anforderungen an Kindheit und Jugend in der Postmoderne, Schulbesuch aus Sicht der Kinder und Jugendlichen und die heutige Elterngeneration. Drittens, institutionelle Rahmung und Funktionslogiken des Schulsystems mit den Themen Rahmenbedingungen heutiger Schule, zu erwartendes Schülerverhalten, zu erwartendes Klassenverhalten und erzeugtes Lehrerverhalten. Die Vermittlung kann anhand komprimierter, vom Seminarleiter erläuterter thesenartiger Inputs erfolgen, deren Nachvollziehbarkeit und erste Alltagsrelevanz in Gruppen und Plenum bewertet werden kann. Es wurde dabei davon ausgegangen, dass die Thesen z.T. verstörend wirken könnten.

Im faktischen Ablauf wurde relativ schnell deutlich, dass die Gruppe einerseits einen hohen Diskussionsbedarf auf hohem Niveau hatte. Andererseits wurde auch schnell Unmut erkennbar, der den Hauptforscher zum Nachfragen und zur gemeinsamen Absprache des weiteren Vorgehens veranlasste. Zum Teil waren der Gruppe die Thesen eher vertraut und das Vorgehen wurde als zu wenig konkret hilfreich erlebt, für einen anderen Teil der Gruppe stellten die Thesen eher eine Überforderung im Sinne Sieberts dar (2005b, 90), der darauf hinweist, dass ein Bildungsangebot, das zu sehr Bisheriges in Frage stellt und zu sehr dekonstruiert, Schwierigkeiten in der Akzeptanz findet. Der Erarbeitung des Theorieteils geschah dann in gemeinsamer Absprache so, dass der Seminarleiter weniger erläuterte, sondern anhand der ausgeteilten Materialen/Thesen für einen vorher festgelegten Zeitraum diskutiert, eingeschätzt und bewertet wurde. Während einige Teilnehmer die theoretische Grundsteinlegung explizit willkommen hießen, fanden andere dies eher zu umfangreich und zu wenig praktisch. Dies wäre konkreter zu vermuten bzw. wahrscheinlich abzusehen gewesen, wenn die Eingangsreflexion direkt und detailliert ausgewertet worden wäre, was ich als Hauptforscher aber nicht wollte, um unbeeinflusst von ihr die Reihe durchzuführen.

16.3 Thema 2: Intervision

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Die Forderung nach Herstellung eines unmittelbaren Praxisbezugs ließ sich bei Lehrern als Mitglieder eines Ordnungssystems erwarten. Eine frühzeitige, praxisbezogene Fallarbeit und konkretes Ausprobieren legitimieren und fordern Cecchin et al. (2005, 76), da dies nicht nur dem Bedürfnis einiger Gruppen sondern auch dem Grundsatz der systemischen Respektlosigkeit entspreche. Daher wurde bereits für das erste Wochenende auch eine Einheit zur geleiteten Intervision vorgesehen.

Inhalte und Vorgehen lassen sich wie folgt beschreiben: Vorgestellt wurde eine Methode der kollegialen Fallberatung, die in sechs bis sieben Schritten arbeitet: 1. Beschreibung des Problems und Erarbeitung der Fragestellung, 2. Nachfragen, 3. Hintergründe und Identifikation mit am Fall Beteiligten, 4. Stellungnahme des Ratsuchenden, 5. Phase der Lösungssuche, 6. abschließende Stellungnahme des Ratsuchenden und ggf. 7. gemeinsame Reflexion der Gesamtgruppe. Von besonderer Wichtigkeit kann bei einigen Fällen der Perspektivwechsel (Schritt 3) sein. Inhaltlich können ganz unterschiedliche, im Zusammenhang mit Schule als konflikthaft erlebte Situationen behandelt werden, auch innere Dilemmata und Zusammenhänge bzw. Auswirkungen im privaten Bereich.531

Im weiteren Verlauf der Veranstaltungsreihe wurden immer wieder kollegiale Fallberatungen durchgeführt, wobei der Lenkungsgrad des Seminarleiters tendenziell immer weiter abnahm (wenngleich zwischendurch noch einmal der Wunsch aufkam, ganz stringent nach Ablaufplan vorzugehen), bis schließlich andere Teilnehmer sich selbst auf dem Moderationsposten ausprobierten (erst mit Begleitung durch den Hauptforscher und später auch selbstständig, zum Teil ohne Anwesenheit des Hauptforschers, so dass in zwei Gruppen parallel gearbeitet werden konnte). Während der Phase im Seminarverlauf, in der ‚Beratungs’Gespräche anstanden, wurden weniger kollegiale Fallberatungen durchgeführt, dafür aber Systematisierungs- und Analysierungshilfen angeboten und Rollenspiele durchgeführt. Einige rechtliche Klärungen und ein Ablaufmodell aus dem förderpädagogischen Bereich wurden in diesem Zusammenhang von einem Mitforscher eingebracht. Das Instrument der kollegialen Fallberatung bietet sich deshalb an, weil es (z.B. im Vergleich zu Supervision oder Aufstellungsarbeit) relativ einfach und selbstmoderiert anwendbar ist und außerdem das Kompetenz- und Wissenspotenzial einer Gruppe schnell aktivieren kann.

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Die kollegiale Fallberatung kam, so mein Eindruck, in (fast) allen Fällen gut an, vielleicht weil sie es ermöglicht, eine Brücke zu schlagen zwischen Theorie und Praxis sowie zwischen Methoden und Grundhaltungen. Sehr früh in der Seminarreihe ergab sich anhand eines Falles, der mit eskalierenden Veränderungen beim zweiten Treffen wieder aufgegriffen wurde, die stimmige Gelegenheit, die Komplexität (Kontexte, Vernetztheiten, Interessen und strategische Kommunikation diverser Beteiligter) systemisch-konstruktivistischen Denkens zu veranschaulichen. In beeindruckender Weise wurde hier deutlich, dass eine veränderte Gesetzgebung zum versuchten ‚Absägen’ eines Klassenlehrers führen kann, wenn das Schulhaus auf die Veränderungen nicht frühzeitig so reagiert, dass es in transparenter Weise die Eltern einbindet.532

16.4 Thema 3: Pädagogische Kontexte und Verantwortungsübernahme

Die Unterscheidung von Durchsetzungs- und Angebotskontexten in Pädagogik bzw. Schule sowie wesentliche Regeln zu einem angemessen verantwortlichen Umgang mit Verantwortung stellen häufig ganz zentrale ‚Unterschiede, die Unterschiede machen,’ für schulische Pädagogen dar. Es sind zugleich essentielle Themen des Schulalltags, insofern er sich häufig als ein Spiel um die Definition von Verantwortung und Kontexten präsentiert.

Diese beiden Themen tauchten daher im Zusammenhang mit Problembeschreibungen von Teilnehmern früh in der Veranstaltung auf, insb. im Zusammenhang mit konkreten realen Fällen, wie sie z.B. in der eben besprochenen kollegialen Intervision behandelt wurden. Es boten sich zwei Wege der Arbeit mit diesen Themen an. Erstens, konnte der Seminarleiter diese Ideen im Zusammenhang von Fällen, die gerade besprochen wurden, als Vorschlag einführen und die Relevanz überprüfen lassen. Zweitens, konnte er die Theorie darstellen, erläutern und dann, auch hier, die Relevanz und weitere Beispiele v.a. in Gruppen diskutieren lassen. In der Fortbildung wurden beide Wege in ergänzender Form gegangen. Von den Teilnehmen begrüßt wurde die klare theoretische Trennung der beiden Kontexte, kritisiert hingegen, dass eine solche Klarheit im Alltag nicht (leicht) zu finden sei. Die Gruppe diskutierte von sich aus im Anschluss länger Probleme der Notengebung. Beim Thema Umgang mit Verantwortung wollte die Gruppe im Plenum diskutieren und arbeitete viel über den Austausch von persönlichen Erfahrungen/ Narrationen zum Thema.

16.5 Thema 4: Ressourcen

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Hier ist zunächst noch weniger ein Ressourcenblick auf die Schüler gemeint (der schon im Thema 1 angesprochen wurde), sondern v.a. das Bewusstsein eigener Stärken, Ressourcen und Ziele der Pädagogen. Verschiedene Übungen aus diesem Bereich bieten sich an, die zu unterschiedlichen Zeiten im Verlauf der Seminarreihe durchführbar sind. Bereits am ersten Abend wurde nach eigenen schulischen Stärken und Ressourcen gesucht (die man selbst und andere bei einem sehen). Die Teilnehmer schilderten, dass es schwierig war, diese Punkte in den Kleingruppen vor den Kollegen zu benennen, weil ein solches Verhalten im Kollegium verpönt sei (Profilierung) und überhaupt der Schwächenblick präsenter sei. Es sei ungewohnt und gut gewesen, erleichtert durch den Perspektivwechsel (‚Was finden andere an mir gut?’). In einer anderen Übung wurden Kompetenzen und Problemtäterschaften im Bereich des Stressmanagements abgerufen. Außerdem wurden Anregungen für Stressreduktion vor, während und nach der Schule in kom-primierter Form vorgestellt und in Kleingruppen auf die jeweilige Stimmig- und Brauchbarkeit hin geprüft. U.a. diskutierte die Gruppe anschließend über das Helfersyndrom und die Verantwortung von Ämtern. Eine Abklärung eigener Ziele für Schule und das Unterrichtsgeschehen war aus systemisch-konstruktivistischer Sicht ebenfalls sinnvoll, da eine instruktive Interaktion als nicht möglich angesehen wird. Auch die bei Schaarschmidt (2005,56) genannten wichtigsten Ziele (und Motive) von Lehrern533 sind zum Teil nicht in eigener Aktivität erreichbar, wie dies für eine sinnvolle Zielklärung (die ja im ‚Beratungsblock’ der Fortbildung wieder auftaucht) der Fall sein sollte.

Die für den letzten Nachmittag geplante Übungen konnten nicht wie gedacht durchgeführt werden, da einige Teilnehmer sich (nach dem Mittagessen) dagegen sträubten. Das gegenseitige Geben eines StärkenprofilFeedbacks wollte ich nicht gegen den Willen einiger Beteiligter durchführen. Es wurde von einigen Teilnehmern (später) angedeutet, dass es aufgrund der ungleichen Gruppenzusammensetzung (5-6 Teilnehmer einer Schule, die viel Zeit in und außerhalb von Gruppenarbeiten miteinander verbrachten, versus Einzelteilnehmer) schwierig sei, entsprechende Rückmeldungen zu geben. Eine mögliche Erklärung könnte also sein, dass gegen Ende ein Gruppenkonflikt offen zutage getreten sein könnte, der vorher trotz Nachfragen des Leiters eher unbestätigt und unterschwellig (weiter?) schwelte. In der letzten geplanten Übung sollten die Teilnehmer und Mitforscher für sich im Rück- und Ausblick festhalten, was sie - jeder für sich - an Stärkung, Bewusstwerdung und Neuem mitnehmen könnten. Dies sollte in Kleingruppen geschehen. Teile der Gruppe drängten aber aufs Plenum und zeitliche Reduktion, wofür sich die Gruppe als ganzes schließlich entschied. Hier mischte sich dann bei einigen Mitforschern die eigentlich geplante Übung mit für die Schlussrunde geplanten evaluativen Elementen zur Seminarreihe und dem systemischen Ansatz. Einige der in diesem Zusammenhang gefallenen Äußerungen der entsprechenden Teilnehmer habe ich ihnen dann in den abschließenden Interviews in den drei Wochen nach Seminarende zur genaueren Erläuterung wieder angeboten (vgl. Anhang).

16.6 Thema 5: Gesprächsformen und Positionierung

Dieses Themengebiet gehört sowohl zur Beziehungsgestaltung als auch zur Kommunikation. Es wurden verschiedene Themen behandelt. Schultypische ‚Einladungen’ bzw. Fallen wurden von den Teilnehmern gesammelt, präsentiert und im weiteren Verlauf des Seminars von ihnen immer wieder angesprochen. Auftragsklärung wurde vorgestellt, eingeübt und war ebenfalls immer wieder Thema. Das gleiche gilt für die Unterscheidung von Auftragsarten/ Interaktionsangeboten, insb. beim Thema der Gewinnung von Klagenden und Besuchern zur Kooperation.

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Positionierungen bzw. Gesprächsformen in der Schule wurden ebenfalls ausführlich behandelt, teilweise aber auch in ihrer relativen Vielfalt von Teilnehmern als verwirrender erlebt als die bloße Unterscheidung der beiden Kontexte der Pädagogik (Durchsetzung und Angebot). Die Unterscheidung zweier Machtarten - formale und psychische Macht – schien am ehesten in Momenten wichtig, wenn deutlich wurde, dass Lehrer zu sehr etwas von Schülern oder Eltern wollten, ohne über die entsprechenden Einflussmöglichkeiten zu verfügen.

16.7 Thema 6: Situationsanalyse und Eigenposition

Mithilfe eines systemischen Porträts, eigene oder (auf Wunsch auch vom Seminarleiter vorgegebene) Situationen zu analysieren und visualisieren, ist eine Systematisierungshilfe, die der Gesprächsvorbereitung dient. Die Teilnehmer empfanden die Möglichkeit, anhand einer Vielzahl von Fragen zu verschiedenen Gebieten sich notfalls im Schullalltag gerade auch allein orientieren und vorbereiten zu können, überwiegend als hilfreich. In Kleingruppen bearbeiteten sie Fälle, die sie im Plenum in visualisierter Form präsentierten. Auf diese Weise konnten Eigenpositionen für reale, ‚laufende’ Fälle genauer erfasst und anschließend umgesetzt werden. Im Plenum kamen noch einmal wichtige Nachfragen und eigene Erfahrungen anderer Teilnehmer zu ähnlichen Themen zur Sprache.

16.8 Thema 7: angemessene Grenzsetzung und Mitteilung

Das Erkennen und Schützen eigener Grenzen, was mitunter auch klare Rückmeldungen und nichtverletzende Ärgermitteilungen (WIEF) beinhalten kann, wurde anhand diverser Bausteine thematisiert. Die Idee des eigenen Körpers als Kooperationspartner wurde von der Gruppe gut aufgenommen, die entsprechenden Übungen dazu allerdings nur in Teilen. Beim Malen und wechselseitigen Erläutern eines Körperbildes (‚Wo sind meine Alarm- und Wohlfühl-Signalstellen?’) klinkten sich einige Teilnehmer aus. Auch bei Körper- und Präsenzübungen aus dem Theaterbereich war dies phasenweise der Fall. Übungen zum Umgang mit inneren Resonanzen und zur Selbstdiagnose in Beratungsprozessen wurden von etlichen Kleingruppen zum Teil, soweit ich das mitbekommen habe und wohl eher unbewusst, in Fallübungen abgewandelt. Das wurde durchaus als fruchtbar beschrieben, war aber nicht das ursprünglich vom Seminarleiter Anvisierte. So liegt der Schluss nahe, dass den Körper beinhaltende Selbsterfahrungsarbeit für einige Teilnehmer der Gruppe wohl eher schwierig bzw. sperrig war. Dennoch gab es gerade zur Theaterarbeit534 auch einige sehr deutlich positive Rückmeldungen, explizit auch von Teilnehmern die ‚ansonsten mit Theater-Spielen nichts anfangen können’.

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Die geWIEFte Selbstmitteilung wurde in ihren modellhaft getrennten Schritten sowohl als unterstützend beschrieben (gut für eigene Klarheit, Deeskalation und Bewusstwerdung von Kommunikationsfallen), aber auch als hinderlich (wenn das Schema starr befolgt wurde, wie als erster Schritt vorgeschlagen). Der Hinweis, dass das Modell letztlich flexibel einsetzbar ist und die modellhafte Strukturierung eher der Einübung dient, schien mir bei einigen Teilnehmern nicht ausreichend anzukommen. Dieses Phänomen wiederholte sich bei Modellen zur Führung von Beratungsgesprächen. Vielleicht liegt das daran, dass Lehrer als Mitglieder von Ordnungssystemen sich nach klaren Vorgaben sehnen, deren Umsetzung aber in der pädagogischen Praxis des Einzelfalles Flexibilität erfordert. Der Hinweis auf den Übungscharakter eines schrittweisen Vorgehens wurde jedenfalls vom Seminarleiter gegeben und erläutert, die relative methodische Zweischneidigkeit und die Notwendigkeit der allmählichen Einübung und des Sich-Zeit-Lassens auch vor der Gruppe betont und anerkannt. Die Gruppe der 5 bzw. 6 Teilnehmer, die von einer Schule kamen, stellten in der Gesamtgruppe außerdem das Trainingsraumkonzept (Bründel/ Simon 2003) vor, dass sie gerade dabei waren, bei sich an der Schule umzusetzen bzw. einzurichten.

16.9 Thema 8: Methoden, Instrumente und Sprache der Beratung

Methoden, Instrumente und Sprache der Beratung in Schule bildeten einen Schwerpunkt der Fortbildung. Was Fragen der Neutralität betrifft, so mein Eindruck, war wichtiger als die Unterscheidung von Beziehungs, Veränderungs und Konstruktneutralität die Frage, wann überhaupt eine neutrale Position eher sinnvoll ist und wann eher nicht. Die Frage, wann Pädagogen als Anwälte der Institution oder des Kindes/Jugendlichen auftreten müssen, wurde ausführlich, kontrovers und für das Thema sensibilisierend diskutiert. Die Kleingruppen zum Thema arbeiteten nach eigenständigen Wünschen und Aufteilung anhand von Rollenspielen oder kollegialen Fallberatungen. Dem an manchen Stellen vom Seminarleiter vorgetragenen Wunsch, dass es noch etwas mehr Gruppenarbeit geben möge, konnten bzw. wollten sich einige Teilnehmer (vor allem aber eine Teilnehmerin) in ihrer Ambivalenz explizit häufiger nicht anschließen.535

Viel Zeit wurde auf Fragen zur Wirklichkeitskonstruktion (Auftrags und Problemkontext) und zur Möglichkeitskonstruktion (Lösungskontext) verwendet, insb. zum Einüben anhand von Rollenspielen und zu ihrer anschließenden Reflexion. Besondere Akzente wurden gelegt auf lösungs- und ressourcenorientiertes Fragen, insb. auf die Wunderfrage. Mein Eindruck war, dass die Teilnehmer bei den Übungen zur Wirklichkeits- und Möglichkeitskonstruktion viel aufnehmen konnten, dass aber eine Vertiefung im Blick auf die lösungsorientierte Frageweise und –haltung zu schnell von mir eingeleitet wurde. Auch zeigte sich in den Rückmeldungen einiger Teilnehmer, dass, anders als vom Hauptforscher ursprünglich angeboten, der selbstorganisationale Rückgriff von Teilnehmern auf eigene aktuelle Fälle für das Einüben der Frageweisen sich als nicht so günstig erwies. Die Vertiefung von Aspekten der Verwendung von Form und Stil von Sprache (das Hypothetische, Konjunktivistische, Zukunftszugewandte) kam, so mein Eindruck, (auf diesem Hintergrund?) ebenfalls nicht so an, wie ursprünglich erwünscht. Das Angebot einiger, gerade für schulische Kontexte hilfreicher Umdeutungen stieß auf geteiltes Echo; Relevanz ergab sich hier eher für Pädagogen, die vermehrt in Beratungsprozessen involviert sind. Die Wunderfrage wurde allerdings verschiedentlich als in Rollenspielen auffallend wirksam beschrieben.

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Der Umgang mit ‚Widerstand’ in pädagogischen Arbeitsfeldern, v.a. aber in Beratungsprozessen stieß auf vergleichsweise stärkeres Interesse. Der Gruppe war eine Demonstration im Plenum wichtig und wollte keine Eigenarbeit zum Thema in Kleingruppen. Mein Impuls als Seminarleiter war, auch nach Rückfrage an die Gruppe, das Thema Beratung an dieser Stelle der Reihe nicht überzustrapazieren und zunächst Zeit für das umsetzende und selbsterprobende Üben im Praxisfeld zu geben.536 Abschließend wurden verschiedene, überwiegend bereits vorgestellte Methoden (einge)gesammelt, die der Kundengewinnung in schulischen Feldern dienen. Und es wurden von Teilnehmern gewünschte Ablaufschemata außerunterrichtlicher Gespräche eingebracht, sowohl für eher konflikthaftere wie auch für eher kooperative Gespräche.

16.10 Thema 9: Beziehungsgestaltung und Präsenz

Der Bereich der Beziehungsgestaltung beinhaltet auch weiter oben behandelte Themen wie verschiedene Positionierungen/Gesprächsformen, Machtarten u.ä.. Es lassen sich bezüglich schulischer Beziehungsgestaltung mit Schülern, Eltern, Kollegen und Schulleitung – gerade unter Aspekten von Präsenz - weitere wichtige Aspekte in den Blick nehmen. Eigene Impulse der Teilnehmer wurden durch Postkarten-Abfrage eruiert.

Die Behandlung gefährlicher Annahmen bzw. Mythen in Schule wurde den Teilnehmern als Informationsangebot gereicht, ohne dass ein weiterer Diskussionsbedarf in der Gruppe entstand (vielleicht aufgrund der Nähe zu den ausführlich behandelten ‚Einladungen’/Fallen). Anders gestaltete sich das Bild beim Thema der Formen der Beziehungsgestaltung mit Schülern. Hier entstand in Gruppen und Plenum eine heftige Diskussion insb. um die Fragen der Partnerschaft, wo wann unter welchen Umständen diese im Unterrichtsgeschehen und der Klassenführung möglich oder sinnvoll sei, wo sie vielleicht nur ein So-Tun-Als-Ob537 sei(n könne).

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Ausführungen zu pädagogischer Kraft gewannen an Plastizität in einer Sequenz von Körper- und Theaterarbeit zum Thema Präsenz, zu pädagogischer Wahrnehmung und Ausdruck. Hier konnten auch Gesichtspunkte körperlicher Präsenz, von Territorium und verbalem Verhalten anschaulich und individuell erfahren werden (V.Mosell 2003). Abschließend simulierten die Teilnehmer Klassenraumszenen unter gemeinsamer Hilfestellung und gegenseitiger Rückmeldung. Das Feedback am Seminartag war unterschiedlich, für einige Teilnehmer entstanden als (sehr) intensiv geschilderte, reiche Erfahrungen.

Im Zusammenhang mit der Thematik erfolgreicher Klassenführung stießen einige Aspekte, v.a. die Paradoxien von Führung auf Interesse. Generell schien das Thema der Klassenführung von eher geringerer Bedeutung zu sein; wichtige Teilaspekte waren schon in den vorherigen Treffen behandelt worden. Die Behandlung der Position des Klassenlehrers stellte auch einen allmählichen Übergang zum nächsten Thema dar.

16.11 Thema 10: Organisationskultur

Diversen Facetten von schulischen Organisationskulturen unter besonderer Berücksichtigung von (individuellen oder organisationskulturellen) psychosomatischen Mustern wurden vorgestellt und zum Teil anhand von Rollenspielen verdichtet und verdeutlicht. Einige Teilnehmer waren davon auf einer eher biographischen als schulorganisatorischen Ebene sehr berührt. Die Betrachtung von Schule als besonderer Organisation beinhaltete die Gegenüberstellung von pädagogischer Profession und bürokratisch-mechanischer Organisation. Ein entsprechendes Polaritätenprofil wurde mit den Teilnehmern ‚er-stellt’. Auffällig war, dass die teamartige Kooperation im Meinungsbild der Teilnehmer deutlich höhere Werte als bei Rolff (2001, 44) hatte. Insgesamt schien das Gesamtinteresse in der Gruppe geringer als bei den Beratungsfragen.

16.12 Thema 11: Schulentwicklung

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Ähnliches gilt für den Gegenstand ‚Etablierung und Arbeit von schulischen Arbeitsgruppen’. Für zentrale Aspekte von Schulentwicklungsarbeit, erste Instrumente von Schulentwicklung und Ausführungen zur Chronifizierung in Schule schienen sich eher Pädagogen zu interessieren, die selbst in Schulentwicklungsprozesse involviert sind oder von ihnen betroffen sind. Fragen kooperativer Angelegenheiten in oder von Schule fanden breiteres Interesse. Die These, dass (mehr) Kooperation ambivalent und nicht immer nötig oder besser sei, erstaunte zunächst. Verschiedene kollegiumstypische Positionen in Schulentwicklungsprozessen (Reformer, Unterstützer, Bedenkenträger, Blockierer) wurden im Rollenspiel verdichtet und verdeutlicht. Im Zusammenhang mit der Einrichtung eines Trainingsraum(konzepte)s an der Schule, von der 5-6 Teilnehmer in der Gesamtgruppe kamen, wurde auch eine Organisationsaufstellung durchgeführt.

16.13 teilnehmende Beobachtung formaler Aspekte

Eine wesentliche Idee systemisch-konstruktivistischer Weiterbildungen liegt in der Betonung der Selbstorganisation der Teilnehmer und der relativen Offenheit des gemeinsamen Prozesses. Lehrerweiterbildung als ein dialogischer, immer wieder auszuhandelnder Prozess erfordert vom Leiter, Freiräume für Selbstverantwortung der Mitforscher zu öffnen, deren Gestaltung zu verhandeln und der Fähigkeit und dem Willen der Mitforscher zu vertrauen, dass sie ihr Potenzial in einer für sie angemessenen Form und auf eigenen Wegen entfalten (Völkel/ Völkel 2005, 238). In der Gruppe wurde der häufige Versuch, die Teilnehmer in die Seminargestaltung aktiv einzubeziehen, immer wieder nicht nur als ungewöhnlich sondern auch von etlichen Teilnehmern als eher ineffizient empfunden. Die gemeinsame Metareflexion über den Fortbildungs- und Gruppenprozess wurde manchmal als bremsend erfahren. Von ähnlichen Erfahrungen berichtet Jäpelt (2004a, 110ff). Die Vermutung liegt nahe, dass für Lehrer, die einen vollgestopften Lehrplan umzusetzen haben, ein solches Vorgehen nicht nur nicht ihrem schulischen Lehralltag entspricht, sondern dort vielleicht auch unter den aktuell gegebenen Bedingungen von Zeitdruck kaum umzusetzen ist. Auch der sanfte Umgang des Hauptforschers mit ‚Widerständen’ in der Gruppe, wurde von etlichen Teilnehmern kritisiert, die wohlmeinend zum ‚einfach Machen’ und quasi zum Anordnen aufforderten, so dass der Seminarleiter sein Vorgehen auf einer Metaebene wiederholt erläuterte, wobei er es zugleich ausdrücklich als Konstrukt, das man nicht übernehmen müsse, kennzeichnete.

Die Methoden- und Interaktionsvielfalt der Veranstaltung wurde begrüßt, teilweise aber zog die Gruppe das Plenum entgegen den intensiveren Gruppenarbeiten vor, obwohl kooperative Übungsformen durchaus auch gut geheißen wurden. Eine Teilnehmerin (d) reklamierte bis zum Schluss eine ungenügende Verbindung von Theorie und Praxis, ansonsten blieb es in der Gruppe bei unterschiedlichen Positionen zu diesem Thema. Berichte über eigene Erprobungen von behandelten Themen im Schulalltag blieben lange Zeit eher selten, wurden aber auch nicht explizit eingefordert, damit die Teilnehmer in ihrem Tempo nach ihrer eigenen Relevanz und Stimmigkeit schauen konnten. Im Verlauf der Reihe konnte ich mich als Leiter v.a. in Fallbesprechungen im Sinne von Cecchins ‚gatekeeper’ immer weiter zurückziehen sowie natürlich in Übungsformen, die in den Gruppen statt fanden.

16.14 zusammenfassende Auswertung der teilnehmenden Beobachtung

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Die Zwischenevaluationen und Feedbackschleifen während der Durchführung des Seminars verdeutlichten, dass, wie zu erwarten, verschiedene Teilnehmer unterschiedliche Interessen(Schwerpunkte) und thematischen Kenntnisstand aufwiesen. Das erforderte teilweise wiederholt gemeinsame Verhandlungsprozesse im Sinne der Auftragsklärung durch den Leiter. Großes Interesse zeigte sich (aus meiner Sicht) vor allem im Bereich der Intervision und der Beratungs- und Gesprächsführungsmethoden. Auch der Blick auf eigene Ressourcen und grundlegende Kontexte von Schule zeigte sich immer wieder als entlastend. Für einige Teilnehmer hätte der Theoriebezug, für andere Fragen der Organisation und Entwicklung von Schule (weniger umfangreich) ausfallen können. Dennoch gab es bei allen Themen immer Interessierte (sonst hätte das entsprechende Thema im Sinne der Kundenorientierung abgebrochen oder massiv gekürzt werden müssen). Vor allem gegen Ende der Reihe wurden Spannungen in der Gesamtgruppe offenbar, die mit ihrer Zusammensetzung (relative Überrepräsentanz einer Schule) zusammenhängen dürften. Insgesamt gab es von einigen wenigen Teilnehmern wiederholt widersprüchliche Forderungen bei einer deutlich vertretenen Tendenz, eher im Plenum zu bleiben – Unbehangen von anderen Teilnehmern darüber wurde zum Leiter erst gegen Ende und nur am Rande der Veranstaltung und ohne Auftrag gemeldet. Im Vergleich mit anderen Gruppen, empfand ich diese Gruppe in ihren unterschiedlichen Vorstellungen und Forderungen (und insb. zwei Teilnehmer in ihrer für mich auffälligen Widersprüchlichkeit) in Phasen als herausfordernd, andererseits bot genau dies die Möglichkeit, systemisch-konstruktivistisches Leitungsverständnis aufzuzeigen und vorzuleben. Die oben verwendeten Kategorien für die teilnehmende Beobachtung entstammen – neben Partizipation und vermutetem Interessegrad - im Wesentlichen aus den bisherigen Ausführungen dieser Dissertation.

Der Darstellung der Eingangsreflexion (Kap.15) und der curricularen Bausteine (Kap.16) wurde einiger Platz eingeräumt, weil in der nun folgenden Darstellung der abschließenden Interviews mit den Mitforschern wieder auf diese Eingangsreflexionen der Teilnehmer, auf die Seminarinhalte und auf Kategorien, die sich aus ihnen ergeben, zurückgegriffen wird.


Fußnoten und Endnoten

531  Das ergibt sich aus dem Interdependenzpostulat der Systemik.

532  Eine Veränderung der Gesetzgebung (Schultyp-Empfehlung nunmehr wieder verbindlich durch die Lehrer und nicht mehr auf Elternwunsch) führte in einer Klasse dazu, dass drei Elternpaare, die Angst vor einer aus ihrer Sicht unangemessenen Einschätzung der Lehrer hatten, frühzeitig die Klassenlehrerin massivst unter Druck setzten, allerdings über ganz andere Wege und Themen. Aufgrund der unterschiedlichen, in der Haupt- und Realschule verwendeten Hauptfach-Bücher mussten die Eltern z.B. davon ausgehen, dass eine Einstufung in die HS erst am Ende der Klasse 9 revidierbar sein würde. Die Schule ihrerseits war zwar bereits an der Erarbeitung neuer Strukturen, hatte aber bisher versäumt, diesen Prozess den Eltern rechtzeitig und angemessen zu kommunizieren. Ein Ernstnehmen der (unausgesprochenen, aber durch in der geleiteten Intervision durch Perspektivwechsel vermuteten) Elternängste in Kombination mit einer Info-Veranstaltung der Schule für die Elternschaft über die neuen Konzepte im H&R-Bereich konnten dann relativ schnell Ruhe und eine kooperative Haltung der Beteiligten wiederherstellen. .

533  „Die „Top Ten" der von Lehrerinnen und Lehrern genannten Ziele und Motive: 1. mit Schülern freundlich umgehen, 2. mündige und selbstbewusste Menschen erziehen, 3. wünschenswerte soziale Normen vermitteln, 4. Interesse und Neugier wecken, 5. Lernerfolge erreichen, 6. selbstständig und eigenverantwortlich handeln können, 7. solides Wissen weitergeben, 8. einen gesicherten Arbeitsplatz haben, 9. den Schülern Vorbild sein, 10. bei den Schülern anerkannt und geachtet sein“ (Schaarschmidt 2005, 56). Angeführt seien noch die Rangplätze der Motive, die in den Diskussionen um einen vermeintlich privilegierten Berufsstand den Lehrern besonders gern zugeschrieben werden: 22. gut verdienen, 26. eine familienfreundliche Arbeitszeit haben, 36. längere Zeit Ferien machen können“ (Schaarschmidt 2005, 56).

534  Die verwendete Theaterarbeit benutzt stark konstruktivistische, systemische und psychologische Anteile (V.Mosell 2003; www.act-and-be.de).

535  So blieb mein Gefühl, dass ich die Gesamtgruppe manchmal gerne noch etwas häufiger in Kleingruppen aufgeteilt gesehen hätte. Dies erzwang ich aber in gelebter Kundenorientierung nicht angesichts der Tatsache, dass der Rest der Gruppe sich nicht für mehr Kleingruppenarbeit positionierte. Dass ich diesen Punkt hier deutlicher ausführe hängt damit zusammen, dass von einigen Mitforschern in der Seminarkritik in den Interviews mehr Übungssequenzen in Kleingruppen im Nachhinein gewünscht wurden. Vielleicht erklärt sich dieser Widerspruch mit möglichen Ambivalenzen, sich entscheiden zu müssen zwischen der Gefahr, sich der Verletztbarkeit des eigenen Ausprobierens in Kleingruppen auszusetzen, und der Chance, genau dadurch mehr und intensiver zu Lernen als im Plenum.

536  Darauf weise ich an dieser Stelle hin, da in den Abschlussinterviews teilweise der deutliche Wunsch aufkam, man hätte mehr Beratungssequenzen (insb. in Rollenspielen) üben sollen (vgl. auch die vorherige Fußnote).

537  Das ausgeteilte Info-Blatt war eine gegenüber der Darstellung in Kap. 9.3.2 gekürzte Version, in der ich im bereich der Partnerschaft die „Tugend der Simulation“ herausgelassen hatte, jene Fähigkeit, zusätzliche Gefühle und Intentionen zu zeigen, die man zwar nicht hat, von denen man aber möchte, dass sie einem unterstellt werden (Retzer 2004a, 72). Genau dieser Punkt wurde aber von einer Teilnehmerin sehr schnell, zielgenau und deutlich eingefordert.



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09.06.2008