7 Porträts und Kommentare: Berufsbiographien von Religionslehrerinnen an Regelschulen in Thüringen

▼ 102 (fortgesetzt)

Dieses Kapitel umfasst die Dokumentation und die Einzelauswertung der Gespräche mit den Religionslehrerinnen, die vollständige Transkription der Interviews findet sich im Anhang. Jedes Gespräch ist zunächst zusammenfassend dokumentiert. Diese Kurzfassungen sind von den Gesprächspartnerinnen jeweils gegengelesen und korrigiert worden. Anschließend folgt jeweils ein auswertender Kommentar, in dem Aspekte benannt, Vergleiche angestellt und weitere Hypothesen entwickelt werden. Der Text selbst wird grob strukturiert durch die Erkenntnis leitenden Faktoren: Berufsbiographie in Thüringen, Gender und Schulform. Diese Struktur ist allerdings nicht ohne Bewegung zu verstehen, sondern als offene Orientierung.

7.1 Frau A

Frau A ist Lehrerin seit 1979 und Religionslehrerin seit 1992. Religion unterrichtete sie zum Zeitpunkt des Interviews an zwei Schulen.

7.1.1 Zusammenfassung des Gesprächs mit Frau A

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Es war vor allem der Wunsch ihrer Eltern, berichtet Frau A, dass sie Lehrerin wurde. Ihr Vater hatte guten Kontakt zu ihrem Klassenlehrer, ihre Mutter hatte selbst Erfahrungen als Lehrerin. Die Eltern verknüpften mit diesem Wunsch die Hoffnung, dass Frau A auf alle Fälle eine Arbeit finden und in der Nähe bleiben könne. Sie entschied sich für Sprachen als Fachrichtung, auch wenn der Wunsch, Englisch zu studieren, nicht erfüllt werden konnte, weil sie dafür an eine weiter entfernte Universität hätte gehen müssen. Die Möglichkeit, regelmäßig heimzufahren, war ihr wichtig und so studierte sie Deutsch und Russisch.

Mit der Geburt des ersten Kindes begann sie zunächst, als Erzieherin in einer Internatsschule für Gehörlose zu arbeiten. Gezwungenermaßen musste sie nach der Wende aber zurück in den Schuldienst. Zunächst arbeitete sie an einer Berufsschule mit lernschwachen SchülerInnen, aber bald wurde ihr klar, dass sie dort nicht bleiben wollte. Die Arbeit in der Gehörlosenschule hätte sie gerne vertieft, allerdings bot sich vor Ort keine Ausbildungsmöglichkeit. Ein Ausweg bot sich, als sie durch einen Kollegen von der Möglichkeit erfuhr, sich als Religionslehrerin ausbilden zu lassen. Attraktiv daran war, dass die Ausbildung vor Ort stattfinden sollte, so dass alles mit inzwischen drei kleinen Kindern im Hintergrund machbar erschien. Auch ihr Mann unterstützte sie in diesem Vorhaben. Zwei Jahre später erhielt Frau A die Unterrichtserlaubnis für das Fach Evangelische Religionslehre. Auf ein weiteres Jahr in der Nachbarstadt verzichtete sie, da die Ausbildung an den Wochenenden viel Zeit kostete und die Aussichten auf eine Stelle sich dadurch ihrer Ansicht nach nicht sonderlich verbesserten. Stattdessen forderte Frau A beim Schulamt ein, nun in dem neuen Fach arbeiten zu können, und bekam eine Stelle an der Regelschule, an der sie seither hauptsächlich arbeitet.

Frau A ist heute gerne Religionslehrerin, obwohl das, so meint sie, damals nicht absehbar war. Attraktiv schien ihr damals neben der Verbesserung ihrer beruflichen Situation, nämlich der Wechsel von der Berufs- zur Regelschule, noch einmal etwas ganz Anderes und Neues zu machen. Dass sich das Fach Religion von den anderen Fächern unterscheiden würde, darauf sei sie schon in der Ausbildung vorbereitet worden, im Schulalltag spiegele sich das vor allem in der Wahlmöglichkeit zwischen Religion und Ethik wider, erzählt sie. Als Lehrerin fühlt sich Frau A deshalb einem hohen Erwartungsdruck von Seiten der Schülerinnen und Schüler ausgesetzt, da diese ihre Entscheidung für dieses Fach häufig an der jeweiligen Lehrkraft festmachten. So kämen viele Kinder und Jugendliche zu ihr, weil diese sie aus einem anderen Fach kennen würden, häufig auch die „Oberstörer.“ Nur wenige kämen, weil die Eltern es wünschten.

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Frau A bedauert, dass der Religionsunterricht nur wenig Rückendeckung bekommt, im Gegenteil, die Eltern würden ihr Kind bei der kleinsten Schwierigkeit abmelden und zum Alternativfach Ethik schicken. Es habe sich gezeigt, dass Eltern an der Vorstellung des Faches in der Klasse fünf häufig kaum Interesse hätten. Sie seien unzureichend informiert und wüssten nichts über den Lehrplan. Da Religionslehrende sich überwiegend ablehnenden Haltungen gegenüber sähen, würden die Informationsveranstaltungen für Eltern sehr viel Mut von Seiten der Lehrerinnen und Lehrer erfordern, berichtet Frau A von ihren Erfahrungen. Auch sei immer wieder zu hören, dass kirchlicher Unterricht doch genüge. Allerdings unterscheide sich Religionsunterricht, hebt Frau A hervor, von der Christenlehre oder dem Konfirmandenunterricht, da die Gewichtung eine andere sei. Der Religionsunterricht baue über die Konfirmation hinaus auf dem kirchlichen Unterricht auf. Frau A wünscht sich vor allem mehr Kinder mit christlicher Sozialisation, da sie auf einer solchen Grundlage intensiver unterrichten könne. Vor allem in dieser Hinsicht erhofft sich Frau A mehr Unterstützung von Seiten der Kirche und erinnert in diesem Zusammenhang, dass Eltern bei der Taufe das Versprechen gäben, ihr Kind christlich zu erziehen.

Frau A unterrichtet in zwei Schulen Religion und versucht bis zur zehnten Klasse ihren Schülerinnen und Schülern einen Überblick über die wichtigsten kirchlichen Feste, das Neue Testament und die fünf Weltreligionen zu vermitteln. Ethische (Konflikt-)Themen wie Schwangerschaftsabbruch orientiert sie an der Situation der Jugendlichen. Schwierigkeiten hat sie mit Themen wie Leid und Tod, die für sie selbst viele unbeantwortete Fragen enthalten.

Ähnlich ergehe es ihr mit sehr kirchenbezogenen Themen wie Gemeinde und Ökumene. Für diese seien die Kinder und Jugendlichen nur schwer zu begeistern, weil sie zu wenig Vorwissen mitbrächten, schildert Frau A. Die Kirchen vor Ort – evangelisch und katholisch –kennen zu lernen, das ermöglicht Frau A ihren Klassen durch Besuche vor Ort. In dieser Hinsicht hat sie gute Erfahrung der Zusammenarbeit mit den Kirchen gemacht. Sie nutzt dabei auch ihre persönlichen Kontakte in die Gemeinde, in der sie selbst aktiv mitarbeitet. Kosten- und Zeitaufwand behindern allerdings ihrer Erfahrung nach den Ausbau dieses Unterrichts außerhalb der Schule. Ansonsten versuche sie auch immer wieder auf die Wünsche der Schülerinnen und Schüler einzugehen, besonders auch, wenn es sich um aktuelle Themen handele. So habe sie auch schon mit ihren Religionskursen für Menschen in schwierigen Situationen gebetet. Gerade solche Situationen machen, nach Frau As Erfahrung, den Religionsunterricht zu einem besonderen Fach.

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Für Frau A ist der Religionsunterricht neben der Wissensvermittlung ein Stück Lebensweg, auf dem sie die Kinder und Jugendlichen begleitet. Es gehört für sie dazu, zum Geburtstag zu gratulieren und auf Abschlussfeiern dabei zu sein. Einen Unterschied zwischen Frauen und Männern im Lehrberuf sieht sie in der Regel nicht, allerdings würden Frauen im Fach Religion ihr Einfühlungsvermögen und ihre Fürsorglichkeit zu Gute kommen. Der Religionsunterricht leide ihrer Meinung nach unter dem Image, dass dort nur „Papierflieger gefaltet“ würden. Mehr Unterstützung wünscht sich Frau A deshalb strukturell für das Fach Religion. Dies betrifft einerseits den Stundenausfall sowie andererseits die Terminierung der Stunden. Ihrer Meinung nach sei es wünschenswert, dass Stunden nicht dauernd ausfallen müssten, denn fiele der Ethikunterricht weg, träfe es auch häufig den Religionsunterricht, da womöglich eine wichtige andere Stunde zur Vertretung in diese Zeit gelegt werde. Außerdem läge der Religionsunterricht häufig in den unattraktiven Nachmittagsstunden.

Das Fach Religion bleibt im Kollegium nicht unkommentiert und Frau A muss auch dort Rede und Antwort stehen. Über die Jahre sei das Verhältnis jedoch offener geworden, man bleibe aber Einzelkämpferin, es sei denn, andere Fachlehrende stärkten die eigene Position, beschreibt Frau A ihre Situation. Das Fach Ethik nicht als Konkurrenz zu begreifen und eine Zusammenarbeit zu ermöglichen, entscheide sich mit der Person. Ein Austausch von Materialien oder auch eine Zusammenarbeit im Unterricht könne bei einer guten Beziehung fruchtbar sein. In anderen Fällen hat Frau A nur Spott geerntet, dann sieht sie von einer Zusammenarbeit ab. Leider registriert Frau A diese spottende Haltung teilweise auch zwischen Ethik- und Religionsschülern und -schülerinnen.

Vor allem die eigene Glaubwürdigkeit sei neben der fachlichen Qualifikation entscheidend, betont Frau A, nicht nur in Situationen, in denen die Berechtigung des Faches Religion angezweifelt würde. Für sie heißt das auch, die Inhalte der Bibel ein Stück vorzuleben. Die Kinder und Jugendlichen forderten Stellungnahmen von ihr ein, berichtet sie, erzählten allerdings auch von sich ganz andere Dinge. Im Religionsunterricht sei das Lehrer-Schüler-Verhältnis so von Nähe geprägt, so Frau A. Immer neu wägt sie als Lehrerin ab, wieweit sie sich öffnen kann und wo sie sich besser schützt, und befindet sich so auf einer ständigen Gratwanderung.

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Frau A bereut die Entscheidung, Religion zu unterrichten, nicht. Sie hat ungeahnte Möglichkeiten in diesem Fach entdeckt, die ihren Schülerinnen und Schülern im Unterricht der anderen Fächer entgangen wären, nämlich die Wirklichkeit ein Stück anders wahrzunehmen. Außerdem fühlt sie sich durch ihren Glauben bestätigt. Das Studium und der Unterricht habe sie auskunftsfähiger gemacht, so dass sie nun freier und mutiger für ihre Glaubensposition eintritt. Die Zukunft sieht sie eher pessimistisch, anlässlich sinkender Schülerzahlen und dem allgemeinen Desinteresse am Christentum, weil unsere Gesellschaft immer deutlicher pluralistisch geprägt sei. So seien Menschen eher an anderen Religionen als an ihrer eigenen interessiert, kritisiert Frau A. Das könne auch auf ihre berufliche Situation Auswirkungen haben, beispielsweise durch Stundenkürzungen. Ihren Religionsunterricht hält sie für alle Konfessionen und Religionen offen, sie lässt die Schülerinnen und Schüler dabei jeweils ihre eigenen Wege gehen. Nur so könnte ein solides Allgemein- und kulturelles Wissen erworben werden, unterstreicht Frau A.

7.1.2 Kommentierungen zum beruflichen Kontext von Frau A

Berufsbiographischer Kontext: Frau A nahm als Mutter die in der DDR bestehende Möglichkeit wahr, statt an der Schule als Erzieherin zu arbeiten. Ihre Arbeitssituation war insofern besonders, als dass sie mit Gehörlosen arbeitete. Sie war durch diese berufliche Situation schon zur DDR-Zeit mit erzieherischen Situationen jenseits des allgemeinen Bildungsweges konfrontiert. Durch die Wende wechselte sie – eher gezwungenermaßen – zurück ins Lehramt. Durch den Erwerb der Fakultas in Evangelischer Religionslehre konnte sie – nach ihren Empfindungen – ihre berufliche Situation verbessern. Religion zu unterrichten hat nach ihrer Meinung ihre Berufszufriedenheit positiv beeinflusst, einerseits konnte sie als Religionslehrerin etwas Neues, Anderes aufbauen, andererseits konnte sie ihre Religiosität weiterentwickeln und stärken. Gerne hätte sie allerdings Englisch studiert oder als Erzieherin weiter mit Gehörlosen gearbeitet – Frau A erzählt also auch vom ungelebten Leben. Durch die mehrfachen Wendungen weist diese Berufsgeschichte Kriterien einer beruflichen Patchwork-Biographie auf.

In ihrer beruflichen Zufriedenheit leidet Frau A jedoch unter der Unkenntnis und dem Desinteresse der Schülerinnen und Schüler, der Eltern und der Gesellschaft. Religionsunterricht ist, wie in Kapitel 4 dargestellt, in den neuen Bundesländern auch für christliche Elternhäuser keine Selbstverständlichkeit und die Kenntnis über das, was Religionsunterricht an der Schule soll, unbekannt. Religionsunterricht wendet sich nach dem Verständnis von Frau A zuerst an Kinder und Jugendliche mit christlichem Erfahrungshintergrund. Für das Desinteresse an der Kirche, das auch von anderen Gesprächsteilnehmerinnen im vorliegenden Sample angesprochen wird und laut ihrer Aussagen in der Regelschule besonders zum Tragen komme, zieht sie ähnlich wie Frau B und Frau E vor allem die Eltern zur Verantwortung. Sie ist jedoch die Einzige in diesem Sample, die dezidiert Wahrnehmung von Verantwortung und Unterstützung von Seiten der christlichen Eltern und der Kirche einfordert. Am Religionsunterricht teilzunehmen ist für sie genauso wie Religion zu unterrichten ein Bekenntnis zum Christentum.

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Geschlechtsspezifischer Kontext: Im Vordergrund ihrer Berufswahl – auch bezüglich der späteren Entscheidung, Religionslehrerin zu werden – stand immer die örtliche Nähe zu ihrer Familie. Damit erfüllte Frau A den Wunsch ihrer Eltern. Charakteristisch erscheint der Umstand, dass sie ihre Berufentscheidungen auch später immer von der familiären Situation abhängig machte. Sie gestaltet also ihr Leben in der Doppelperspektive von beruflichen und familiären Aufgaben, wie sie in Kapitel 3 dargestellt wurde. Vermutlich sind ihr auch aufgrund dieser Erfahrungen integrative und erzieherische Handlungsvollzüge im Unterricht wichtig. Ihr religionspädagogischer Ansatz gewährleistet, dass sie ihre erzieherischen Fähigkeiten neben ihrem Fachwissen für sich selbst zufriedenstellend einbringen kann. Dieser Ansatz ist einerseits wissensorientiert, andererseits vertritt er die Vorstellung vom Religionsunterricht, ein Stück Lebensbegleitung zu sein. In dieser Hinsicht bedeuten ihr Fürsorglichkeit und Einfühlsamkeit viel, die sie mehr bei Lehrerinnen als bei Lehrern zu entdecken meint.

Schulformspezifischer Kontext: Frau A fordert im Gespräch sehr konkret gelebte Religion bzw. eine Auseinandersetzung darüber von SchülerInnen und ihren Eltern. Sie versteht gelehrte Religion in diesem Zusammenhang als Auseinandersetzungsebene für erlebte Religion, auf die der Religionsunterricht mit Wissen aufbauen kann. Problematisch ist für sie folglich das fehlende religiöse Leben der Kinder und Jugendlichen.

Frau A hält sich im Unterricht an die persönlichen Fragen der SchülerInnen und lebt dann Religiosität gelegentlich auch durch gemeinsames Gebet vor. Dadurch wird ihr Religionsunterricht ungewöhnlich und besonders, da es für viele nicht in den werteneutralen schulischen Kontext passt. Ihre Glaubwürdigkeit als Religionslehrerin ist ihr sehr wichtig. In diesem Zusammenhang zeigt sich, wie sie ihre eigene gelebte Religion mit dem Auftrag verbindet, Religion zu lehren.

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Den Eindruck, dass allgemein im Kollegium und in der Schülerschaft Religionsunterricht nicht selbstverständlich ist, teilt sie mit anderen Gesprächsteilnehmerinnen des Samples. Aber sie beobachtet auch eine Entwicklung zu mehr Offenheit dem Fach Religion gegenüber. Insofern versteht Frau A sich auch als Gesprächspartnerin für ihre Kolleginnen und Kollegen, so lange diese interessiert sind. Aufschlussreich scheint mir allerdings auch, dass sie darauf hinweist, dass die „Oberstörer“ sich häufig für Religion entscheiden würden. Ansprechend sind hier vielleicht die kleineren Gruppen und Frau As Haltung, die von den SchülerInnen als zugewandt wahrgenommen wird.

Didaktisch möchte Frau A solides Grundwissen aufbauen, erfahrungsorientierte Zugänge durch Unterrichtsgänge, z. B. in Kirchen, sind ihr wichtig. Jedoch zeigt sie auch die engen organisatorischen Grenzen solcher Exkursionen auf. Wie fast alle im vorliegenden Sample klagt Frau A über die Organisation des Religionsunterrichts an der Schule: Unterrichtsausfälle, Abhängigkeit vom Fach Ethik, Unterricht in den Nachmittagsstunden. Darüber hinaus wirkt Frau A von den allgemein-schwierigen Umständen an Regelschulen verunsichert. Als religionspädagogische Probleme identifiziert Frau A die schulischen Rahmenbedingungen und den geringen religiösen Erfahrungshintergrund der Kinder und Jugendlichen und versucht diesem durch die Orientierung am Leben ihrer Schülerinnen und Schüler zu begegnen.

7.2 Frau B

Frau B ist Lehrerin seit 1985 und Religionslehrerin seit 1991. Religion unterrichtete sie zum Zeitpunkt des Interviews an einer Schule.

7.2.1 Zusammenfassung des Gesprächs mit Frau B

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Frau B wollte immer schon Lehrerin werden. Dass sie auch tatsächlich Lehrerin geworden ist, so sagt sie, verdanke sie ihren eigenen Lehrern. Lehrerin für das Fach Religion wurde sie auf Anstoß ihres Pfarrers vor Ort, da sie sich auch vor der Wende christlich engagiert hatte. Gleich nach ihrer Babypause entschied sie sich dafür, am im Kirchenkreis angebotenen Kurs zur Vokation teilzunehmen und anschließend den Aufbaukurs an der Universität mit einer anderen Kollegin zusammen zu belegen. Eindrücklich ist für Frau B die intensive Zusammenarbeit damals gewesen und sie freut sich immer, die damaligen Kollegen auf Weiterbildungen wiederzusehen.

Auch die Zusammenarbeit mit den Schülerinnen und Schülern sei viel offener und persönlicher als in ihren anderen Fächern, findet Frau B. Der Religionsunterricht sei geprägt durch die Individualität eines jeden Einzelnen. Ihr Status als Religionslehrerin gleiche dem eines Vertrauenslehrers. Diese sehr persönliche Ebene macht allerdings eine Leistungsbewertung schwer. Frau B behilft sich damit, dass sie ab und zu etwas auswendig lernen lässt, bzw. geschichtliche Hintergründe abprüft. Zum Ende eines Halbjahres habe sie aber immer zu wenige Noten, räumt sie ein.

Die ursprüngliche Schule von Frau B ist inzwischen mit einer anderen Schule zusammengelegt worden. Im Kollegium fühlt sich Frau B in jeder Hinsicht voll akzeptiert. Da sie ebenfalls die Fächer Geografie und Russisch vertritt, nehmen Kolleginnen und Kollegen sie nicht in erster Linie als Religionslehrerin wahr. Ab und zu spiele ein Kollege auf ihr Fach Religion mit einem Spruch an, aber Frau B empfindet das eher auf einer humorvollen Ebene und häufig zeige sich, dass auch echtes Interesse dahinter stecke. Insofern sei sie auch für ihre Kolleginnen und Kollegen Ansprechpartnerin in Sachen Religion, betont sie. Von ihrer derzeitigen Schulleitung fühlt sie sich sehr unterstützt, so kann sie beispielsweise über einen eigenen Raum verfügen. Es sei auch schon vorgekommen, dass es Ärger gab um Stunden, allerdings formaler Art, dann hätte die Schulleitung ein offenes Ohr. Mit vorherigen Schulleitungen habe sie jedoch auch andere Erfahrungen gemacht. Die Fächer Ethik und Religion arbeiten an ihrer Schule in gemeinsamen Projekten und Weiterbildungen. Die Intensität werde, so Frau Bs Erfahrung, hier vor allem vom persönlichen Kontakt unter den Lehrkräften bestimmt.

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Der Religionsunterricht wird nicht nur von evangelischen Kindern und Jugendlichen, sondern auch von katholischen und konfessionslosen Schülerinnen und Schülern besucht, eigenen katholischen Religionsunterricht gibt es an der Schule nicht. Eine weitere Herausforderung stelle die klassen- und jahrgangsübergreifende Gruppenzusammensetzung dar. Die unterschiedlichen Leistungsniveaus der Schülerinnen und Schüler müssten immer mitbedacht werden und Inhalte des Lehrplans sehr flexibel eingesetzt werden, schildert Frau B ihre Unterrichtssituation. Nicht einfach sei es außerdem, die noch nicht der deutschen Sprache mächtigen Aussiedlerkinder zu integrieren. Frau B bemüht sich, diese Kinder und Jugendlichen sprachlich herauszufordern, sie hält ihre eigenen Russischkenntnisse zurück, um ihnen wichtige Chancen, die Sprache zu erlernen, nicht zu nehmen.

Frau B stellt immer wieder fest, dass Eltern kaum Interesse am Religionsunterricht haben, auf Elternabenden würden fast nie Fragen gestellt. Frau B führt dieses Desinteresse und die geringe Zahl der Schülerinnen und Schüler, die den Religionsunterricht besuchen, auf die Bildungsferne der Eltern zurück und vermutet dahinter ein typisches Regelschulen-Phänomen. Außerdem sei die derzeitige Elterngeneration in der DDR groß geworden und wer keine Verbindung zur Kirche habe, schicke auch heute sein Kind nicht in den Religionsunterricht, es sei denn, der Lehrer sei als besonders sympathisch bekannt oder Freunde der Kinder würden auch gehen. Sobald der demografische Geburtenknick überwunden sei, erwartet Frau B allerdings wieder größere Gruppen.

Nicht nur als Religionslehrerin wahrgenommen zu werden, sieht Frau B als Vorteil. Sie sei für die Schüler genauso präsent durch ihre anderen Fächer. Das Wissen aus dem Religionsunterricht hilft Frau B in ihren anderen Fächern, um Hintergründe verständlich zu machen. Wichtig sei ihr, gegenüber den Schülerinnen und Schülern, die Ethik als Fach gewählt haben, zu erläutern, dass es sich dabei nicht um Religionsunterricht handele. Dies auch, damit sich Eltern nicht beschwerten. Umgekehrt fließt auch Wissen in den Religionsunterricht ein.

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Frau B unterrichtet gerne Themen, die sie erfahrungsorientiert aufarbeiten kann, die Wunder- oder die Exodusgeschichten gehören für sie in diesen Bereich. Die Bergpredigt zu unterrichten, fiele ihr schwer, erzählt sie, da ihr der theologische Hintergrund fehle. Erschwerend komme hinzu, dass die Kinder und Jugendlichen kaum etwas wüssten. Sie achte darauf, dass möglichst wenige Überschneidungen zu anderen Fächern wie Sozialkunde existierten, damit die Schülerinnen und Schüler nicht alles doppelt hören müssten. Die jüngeren Jahrgangsstufen ließen sich sehr für entdeckenden Unterricht begeistern, bei den „Großen“ werde sie dagegen hauptsächlich mit dem Wunsch konfrontiert, in Ruhe gelassen zu werden. In diesen Klassen ist sie froh, wenn es nicht zu weiteren Störungen kommt. Zwischen Frauen und Männern im Lehrberuf sieht sie keinen Unterschied. Jungen aus Aussiedlerfamilien würden allerdings schon anders auf Frauen reagieren, da hätte ein Mann mehr zu sagen. Ein Mann hätte vielleicht manchmal mehr Autorität z.B. auf dem Schulhof, vermutet Frau B.

Verglichen mit den Ideen und Idealen zu Beginn ihrer Tätigkeit als Religionslehrerin, empfindet Frau B sich selbst als ernüchtert. Viele Dinge, die man in der Aufbruchssituation damals machen konnte, gingen heute nicht mehr so, da die Kinder und Jugendlichen anders geworden seien. Wähle man besondere Unterrichtsmethoden, solle man sorgfältig vorher überprüfen, ob die Lerngruppe wirklich bereit sei mitzumachen. Sie vermutet, dass im Unterricht am Gymnasium methodisch mehr möglich sei als in der Regelschule.

Verbessert habe sich inzwischen, meint Frau B, dass sie weniger jahrgangsübergreifende Kurse unterrichten müsse bzw. die Gruppen eher klein seien. Nach wie vor unterrichte sie gerne Religion, weil es ganz anderer Unterricht sei, nämlich im Stuhlkreis und wesentlich ruhiger, lockerer und persönlicher. Druck und Stress fehlten im Religionsunterricht. Frau B hebt hervor, sie könne ganz andere Seiten der Schülerinnen und Schüler kennen lernen.

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Frau B wünscht sich vor allem intensivere Fortbildung vor Ort, um nicht so weit fahren zu müssen. Sie wünscht sich auch gezielte Materialempfehlungen und intensivere Stundenvorbereitungen auf Fortbildungen. Beispielsweise würde sie das Thema Bergpredigt ungern unterrichten, weil ihr der Wissenshintergrund eines Theologiestudiums fehle. Die Erarbeitung neuer Methoden ist für sie weniger bedeutsam, denn ihr ist eine gezielte Anwendung von Methoden wichtiger als Methodenvielfalt, die man doch nicht für die Lerngruppen in der Regelschule brauche.

Frau B hätte sich auch vorstellen können in den alten Bundesländern zu unterrichten, aber sie ist inzwischen mit Haus, Garten und Familie in Thüringen daheim und würde ihre Heimat nicht gerne verlassen. Gerne würde sie mit ihren SchülerInnen nach Israel ins Heilige Land reisen, damit sie alles vor Ort erleben könnten. Ein Traum, der aber ihrer Meinung nach nicht in Erfüllung gehen kann. Es bleiben kleinere Exkursionen zu Kirchen und Ausstellungen.

7.2.2 Kommentierungen zum beruflichen Kontext von Frau B

Berufsbiographischer Kontext: Dass Frau B ihren Berufswunsch, Lehrerin zu werden verwirklichen konnte, verdanke sie ihren eigenen Lehrern. Inwiefern, das lässt sie offen. Auf die Initiative ihres Gemeindepfarrers hin und aufgrund ihres christlich-politischen Engagements in der DDR wurde sie Religionslehrerin. Aus ihrer Ausbildungszeit sind ihr – wie den Gesprächspartnerinnen dieses Samples mehrheitlich – vor allem die Fachkolleginnen, mit denen sie studierte, in der intensiven Zusammenarbeit wichtig geworden. Durch ihre beiden anderen Fächer ist sie nicht, wie andere im Sample, im Kollegium belächelt oder als „Exotin“, wie Frau F es beispielsweise ausdrückt, behandelt worden. Explizit betont sie jedoch, gerne als Fachfrau für Religion zur Verfügung zu stehen. Aufbruchsstimmung, Methodenvielfalt und Experimentierfreudigkeit des Religionsunterrichts haben sie in den ersten Jahren begeistert, Ernüchterung kam für sie mit der abnehmenden Neugier und den größeren Vorbehalten der SchülerInnen gegen neue Methoden auf. Ihre Darstellung zeigt, dass ein wichtiges Motiv ihrer beruflichen Lebensgeschichte der Anstoß durch andere und die Freude über neue Erfahrungen in der Gemeinschaft ist, ob mit Kolleginnen und Kollegen oder Schülerinnen und Schülern.

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Geschlechtsspezifischer Kontext: In Thüringen ist Frau B aufgrund ihrer Familie verwurzelt, ansonsten ist aus ihren Schilderungen Unternehmungslust herauszulesen, die in mancher Hinsicht ungelebt bleibt. Als Beispiel mag hier der Traum stehen, mit einem Religionskurs nach Israel zu reisen. Stattdessen lebt sie mit und für andere. Beide Aspekte sind charakteristische Merkmale für Frauenbiographien (vgl. Kapitel 3). Ihre Arbeit als Religionslehrerin begreift sie als beziehungsorientiert, geprägt durch jede einzelne Schülerin, jeden einzelnen Schüler und das Vertrauen zueinander. Diese Auffassung teilt sie im Detail vor allem mit Frau H, darüber hinaus aber mit den meisten anderen im Sample.

Für Frau B steht die Beziehung zu den Kindern und Jugendlichen, die sie als sehr persönlich empfindet, im Kontrast zur Leistungsbewertung im Unterricht. Die Pflicht, ihre SchülerInnen zu beurteilen – etwas, das sie als selektierend empfindet – zeigt die große Bedeutung, die integrative und soziale Handlungsoptionen für Frau B haben. Ihr Verständnis als Religionslehrerin ergibt sich aus den gelebten Beziehungen. Geschlechterrollen misst sie keine größere Bedeutung bei. Diese Einschätzung schränkt sie allerdings durch ihre Erfahrungen im Umgang mit Schülern aus Aussiedlerfamilien ein und spricht vorsichtig Männern mehr natürliche Autorität zu. Diese Auffassung teilt sie mit anderen im Sample.

Schulformenspezifischer Kontext: Für das Schrumpfen der Religionskurse sieht sie die Verantwortung vor allem in der religionslosen Elterngeneration sowie im allgemeinen Geburtenrückgang. Langfristig schätzt sie die Situation des Religionsunterrichts positiv ein. Frau B kommt zum gleichen Befund wie Frau A, dass der Besuch des Religionsunterrichts vor allem vom Einfluss der Eltern abhängt, nimmt ihn jedoch als gegeben hin und versucht ihn zu analysieren. Dadurch unterscheidet sich ihre Haltung, die geringen Kursstärken als vorübergehendes Phänomen hinzunehmen, von der Haltung von Frau A, die Verantwortung besonders von Seiten der christlichen Elternhäuser einfordert. Ebenfalls wie Frau E hält Frau B die Bildungsferne der Elternhäuser für einen Grund, warum Religion so wenig anerkannt ist. Aufschlussreich erscheint es, dass sie diesen Umstand als typisches Regelschulphänomen klassifiziert. Dies steht im Kontrast zur Interpretation von Wermke, dargestellt in Kapitel 4.1.2.

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Unterstützend empfindet Frau B ihre Schulleitung und den ihr zur Verfügung stehenden Fachraum. Dass sie dieses betont, zeigt, dass sie diese Unterstützung nicht für selbstverständlich hält. Mehr noch als Frau A, die zusätzlich den Wissenserwerb herausstreicht, setzt sie auf eine erfahrungsorientierte Didaktik und eine vertraute Atmosphäre im Kurs. Letzteres ist vor dem Hintergrund von jahrgangsübergreifenden Unterricht und sowieso sehr heterogenen Lernvoraussetzungen eine große Herausforderung. Auf Wissensorientierung setzt sie, um Leistungen bewerten zu können. Ihr Bemühen, Überschneidungen mit anderen sozialwissenschaftlichen Fächern auszuschließen, deutet darauf hin, dass es ihr an der Profilierung des Fachs Religion auch im Wissenserwerb gelegen ist. Ihr Wunsch nach aufbereitetem Wissen zeigt, dass sie in diesem Bereich unsicher ist, was sie auch beispielsweise in Bezug auf das Thema Bergpredigt gesteht. Ihre eigene pädagogische Kapazität nutzt sie eher für die Anbahnung von Sozial- und Selbstkompetenz der Schülerinnen und Schüler. In ihren anderen Fächern versucht sie allerdings auch, das eigene religiöse Wissen zu nutzen. Als Regelschulphänomen stuft sie auch die Vorbehalte der Kinder und Jugendlichen gegen neue Methoden ein. In einer gezielten Methodik sieht Frau B den Schlüssel, Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichsten religiösen Voraussetzungen im Religionsunterricht zu motivieren. Das zeigt auch ihr Wunsch, gerade in diesem Bereich durch Fort- und Weiterbildung unterstützt zu werden.

7.3 Frau C

Frau C ist Lehrerin seit 1969 und Religionslehrerin seit 1994. Religion unterrichtete sie zum Zeitpunkt des Interviews an einer Schule.

7.3.1 Zusammenfassung des Gesprächs mit Frau C

Frau C hat einen bedeutenden Teil ihrer Tätigkeit als Lehrerin in der DDR verbracht. Nach dem Abitur machte sie eine Lehre in der Bekleidungsindustrie und studierte die Fächer Musik und Geschichte. Seit ihrer Kindheit musiziert Frau C mit anderen und spielt Theater. Sie erinnert sich gerne daran, wie sie schon in ihrer Kindheit „Schule“ gespielt habe. In ihrer Mutter, die sich für schwache Schülerinnen und Schüler engagierte, hatte sie ein Vorbild. Diese Zeit habe sie sehr geprägt, betont sie rückblickend.

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Bevor Frau C sich für den Lehrerinnenberuf interessierte, war sie Leistungssportlerin. Nach einem Sportunfall wechselte sie auf eine Oberschule mit neusprachlichem Schwerpunkt und betont, welche beeindruckenden, profilierten Lehrer sie gehabt habe. Ebenso schwärmt sie von ihrem Musik- und Geschichtsstudium und den Professoren, einerseits fachlich, andererseits von ihrer persönlichen Glaubwürdigkeit, denn fast das ganze wissenschaftliche Personal, so berichtet sie, sei christlich gewesen und auch für den christlichen Glauben eingetreten. Das wissenschaftliche Arbeiten und Forschen habe ihr viel Freude gemacht und sie erinnert sich gerne an ihre eigenen Arbeiten und interessiert sich dementsprechend auch für die umfangreicheren Facharbeiten ihrer Schüler. Ihre Fächer verknüpft sie gerne miteinander und sie freut sich, dass diese sich wunderbar ergänzen würden.

Ihr drittes Studienjahr verbrachte sie in einer Dorfschule. Aus heutiger Sicht, so Frau C, habe sie damals noch keine Ahnung von Erziehung gehabt. Pädagogisch sinnvoller wäre es ihrer Meinung gewesen, ein Schulpraktikum in einer weniger behüteten Gegend zu absolvieren. Um für ihre Mutter zu sorgen, ergab sich die Möglichkeit, nach Thüringen zurückzukommen. Sie erlebte ihren Einstieg als eine eigentlich freundliche Entzauberung. Organisationsfragen wichen den vielen Ideen. In der dritten und vierten Klasse, in der sie damals gezwungenermaßen eingesetzt war, würde sie heute gerne noch einmal unterrichten. Erzieherisches Eingreifen wurde für sie in einigen Situationen notwenig und sie habe in dieser Zeit erkennen müssen, dass einige Schülerinnen und Schüler nicht von vornherein begeistert seien, schildert sie ihren Berufseinstieg. 35 Jahre war sie so an zwei Schulen tätig, zwischenzeitlich kamen sogar noch zwei weitere Schulen für eine begrenzte Zeit hinzu.

Auch über den Unterricht hinaus hat Frau C viel Zeit in der Schule verbracht. Rückblickend sagt sie, habe sie sich immer mehr mit der Schule „verheiratet.“ Als Musiklehrerin war sie bei den Schulfeiern engagiert und heute zehrt sie von dieser umfassenden Erfahrung. Bitter stimmt sie zum Teil die politischen Beeinträchtigungen, die sie immer wieder erleben musste. Die Schulleiter beider Schulen seien politisch um das Ansehen ihrer Schulen besorgt gewesen und hätten sehr auf Treue zum SED-Staat geachtet, erzählt Frau C. Weil sie kein Mitglied der SED war und in der Kirche, wurde sie immer wieder unter Druck gesetzt, indem sie zur Teilnahme an fast jedem offiziellen Treffen und zu jeder Feierlichkeit verpflichtet wurde. Sie bedauert, dass ihr Kind deswegen oft allein bleiben musste und diesem später auch das Abitur durch ihren Schulleiter verweigert wurde. Die ganze Klasse ihres Sohnes sei aber zur Konfirmation gegangen, dahingehend hätten sie als Elternschaft zusammengehalten.

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Im Kollegenkreis war sie gut angesehen, weil sie ihre Überzeugungen verteidigte und sich nicht verbiegen ließ, beschreibt Frau C ihre Beziehung zu anderen Kolleginnen und Kollegen. Auch den Kindern und Jugendlichen half sie, eigene Wege zu gehen und fand für religiöse Schülerinnen und Schüler Alternativen, wenn Bekenntnisse zum sozialistischen Staat abgefordert wurden. Nach der Wende wurde Frau C mit der Begründung, dass sie doch immer in der Kirche gewesen sei, angetragen, das Fach Religion oder Ethik zu übernehmen. Nach einigem Zögern entschied sie sich für die Ausbildung. In dieser Zeit, in die auch private Krisen fielen, erlebte sie sich bestätigt und gestärkt durch ihren Glauben und stürzte sich engagiert in die Arbeit. Stolz kann sie auch heute noch auf diese Ausbildungszeit zurückblicken, die sie – trotz aller privaten Widrigkeiten – bewältigte.

Die ersten Jahre als Religionslehrerin erlebt sie als eine Aufbruchszeit mit neuen Ideen und viel Interesse von Schülerseite. Mit Eltern, die sie auch durch politische Aktivitäten im Dorf kannten, habe sie in diesen Jahren viel ausprobiert und zusammengearbeitet, berichtet sie. Sie betont, dass es sich sehr positiv auf das Lernklima auswirke, wenn die Eltern hinter der Wahl des Kindes stünden, zum Religionsunterricht zu kommen. Von der Schulleitung erwartet sie hinsichtlich solcher Projekte aus verständlichen schulorganisatorischen Gründen wenig Unterstützung, da sie wegen den wenigen Religionsschülerinnen und -schülern nicht ihre anderen Stunden ausfallen lassen könne.

Heute empfänden Kinder und Jugendlichen viele kreative Methoden als Albernheit und seien nicht mehr bereit, Zeit neben der Schule zu investieren. Konfessionsgebundene wie Konfessionslose besuchten ihren Unterricht, von Bedeutung aber sei, dass den Schülerinnen und Schülern die Begeisterung für die Sache des Religionsunterrichts fehle, analysiert sie. Sie zweifelt jedoch auch an sich selbst und schiebt es auf ihr Alter, warum sie die heutigen Kinder und Jugendlichen nicht mehr so erreichen und begeistern könne. Auch wenn sie immer gerne Lehrerin gewesen sei, fiele es ihr nun zunehmend schwerer. Einige Konflikte mit Jugendlichen und Eltern hätten sie sehr frustriert, erzählt sie.

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Auf der anderen Seite hat sie nichts von ihrem Engagement verloren, Ausnahmen bestätigen die Regel: Immer wieder habe sie auch Kurse, mit denen sie – z. B. über das gemeinsame Musikmachen – schöne Dinge teile. Ehemalige Schülerinnen und Schüler hielten über die Schulzeit hinaus Kontakt zu ihr. Dann ist Frau C auch oft noch bereit, ihre Freizeit zu opfern, um mit Schülern ein Projekt oder eine Exkursion auf die Beine zu stellen.

7.3.2 Kommentierungen zum beruflichen Kontext von Frau C

Berufsbiographischer Kontext: Frau Cs spezielle Förderung als Leistungssportlerin ist charakteristisch für eine Berufsgeschichte im DDR-System. Erst nach einer Lehre in der Bekleidungsindustrie kam Frau C zum Lehramt, ob ein direktes Abitur wegen ihrer kirchlichen Bindung nicht möglich war, lässt sie offen. Mit der Wahl des Fachs Musik konnte sie neben der Begeisterung für den Sport eine andere Begabung weiterentwickeln, die sie aus ihrer Kindheit mitbrachte.

Ihre Religiosität ist vor allem über die Musik und durch das Bekenntnis zur Kirche an sich bestimmt worden. Bezüglich ihrer religiösen Sozialisation hebt Frau C als einzige im Sample hervor, dass ihr während des Lehramtstudiums Ausbilderinnen und Ausbilder durch ihr christliches Bekenntnis Vorbild waren. Sie berichtet von politischen Schwierigkeiten, die sie durch ihre Weigerung in die SED einzutreten und wegen ihrer Kirchenzugehörigkeit aushalten musste. Auch das hebt sie vom Rest des Samples ab. Andere berichten zwar von Beeinträchtigung in ihrer Berufswahl, aber nicht in ihrer beruflichen Tätigkeit. Dabei betont Frau C, dass sie gerade wegen dieser persönlichen Integrität im Kollegium respektiert worden sei, während andere im Sample mehrheitlich erzählen, dass sie immer wieder belächelt werden als Religionslehrerinnen.

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Bemerkenswert ist, dass sie die Ausbildung zur Religionslehrerin vor allem persönlich als Stärkung im Glauben erfährt, also die Entscheidung für das Fach erst damit vollends innerlich bestätigt wird. Ähnlich wie Frau A erfährt sie den Religionsunterricht als persönliche Bereicherung ihres Glaubens. So wird nicht nur die gelehrte Religion durch die gelebte Religion geprägt, sondern der eigene Unterricht wirkt sich umgekehrt auch auf die eigene gelebte Religiosität aus. Sie berichtet über ihren Unterricht, indem sie von Projekten erzählt. Auffällig ist, dass sie diese fachübergreifend im Bereich Musik – Religion oder Geschichte – Religion denkt, sie erzählt nicht explizit nur vom Religionsunterricht.

Frau Cs berufliche Lebensgeschichte liest sich als von Idealen geprägtes Engagement einerseits, andererseits als große Ernüchterung, die vor allem in den Jahren nach der Wende eintrat – die Beobachtung, dass Menschen mit einflussreichen Ämtern in der DDR kaum an Macht einbüßten und dass die Aufbruchsstimmung der ersten Jahre des schulischen Religionsunterrichts langsam verflog. Die Konflikte mit Schülerinnen und Schülern nahmen zu bzw. ihre Enttäuschung über die geringe Begeisterungsfähigkeit. – Frau C selbst verweist auf ihr Alter und ist wohl in die Gruppe der Lehrkräfte einzuordnen, die lange Zeit mit höchstem Einsatz und Engagement gearbeitet haben und zum Ende ihrer Berufsbiographie eher pessimistisch in die Zukunft blicken aufgrund der Enttäuschung, nicht mehr erreicht zu haben. Trotzdem bewertet sie die Existenz des Fachs Evangelische Religion positiv. Das zeigt sich in ihrem Hinweis, immer wieder auch von Kindern und Jugendlichen positiv überrascht zu werden. Ihre berufliche Lebensgeschichte ist geprägt von Themen wie persönliche Stärke und dem Einsatz von Begabungen, aber auch von Grenzen persönlicher Kräfte.

Geschlechtsspezifischer Kontext: Ihre beruflichen Ausbildungsjahre waren nach Frau Cs Schilderungen vor allem durch besonders glaubwürdige Menschen mit Idealen geprägt, die sie überhaupt erst dazu brachten, den Lehrberuf zu ergreifen: die Mutter, die sich im persönlichen Einsatz um Kinder und Jugendliche kümmerte, kompetente, profilierte Lehrer ihrer eigenen Schulzeit und Betreuerinnen und Betreuer im Studium, die ihren Überzeugungen treu bleiben.

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Frau C gestaltet ihr Leben ganz im Sinne eines Lebens für andere, für das sie Anerkennung erhält. So kann sie ihren persönlichen Begabungen nachgehen. Intensive Beziehungen zu den Schülerinnen und Schüler bestehen augenscheinlich besonders über außerordentliche, unterrichtsunabhängige Aktivitäten im Schulleben. Die Zusammenarbeit mit den Eltern und ihre Unterstützung sind dabei Frau C ebenfalls sehr wichtig. Wie andere im Sample vermisst sie allerdings mehr und mehr Interesse von dieser Seite. Enttäuschend ist das für Frau C vor allem, weil sie Privates häufig hinten angestellt hat.

Hinsichtlich ihrer eigenen Familiensituation machte sie ambivalente Erfahrungen schon im DDR-Schulsystem: Um für ihre Mutter sorgen zu können, konnte sie eine Versetzung nach Thüringen erwirken. Aber als persönlich-politischen Druck empfand sie die Zwangsverpflichtungen zu offiziellen Feierlichkeiten, weil sie sich dadurch um ihr eigenes Kind nicht richtig kümmern konnte. Ihr berufliches Engagement und ihr Bekenntnis zu ihrer Überzeugung und ihrem Glauben, das nach ihrem Verständnis solche Art Sanktionen nach sich zog, wirken hier wie eine Verankerung, die den privaten und beruflichen Einbrüchen Sinn verleiht, die sie in der Vergangenheit bewältigen musste.

Schulformspezifischer Kontext: Kennzeichnend für eine Fachlehrerin in einem Fach wie Musik ist es, außerhalb des Unterrichts das Schulleben mitzugestalten. Dies gilt nicht nur in Thüringen an der Regelschule. Für Frau C ist dies ein einflussreicher Aspekt, der ihre berufliche Situation prägt und dem sie sich mit ihrem ganzen Engagement stellt. Auch die Rolle als Religionslehrerin zieht häufig solche Anforderungen nach sich. Frau C kann in dieser Hinsicht gut ihre Fächer Religion, Musik und Geschichte miteinander verbinden. Setzt sie sich vor allem für musikalische Projekte ein, engagieren sich andere Gesprächspartnerinnen im Sample für karitative Projekte und soziale Angebote. Kreative Projekte mit einer Außenwirkung sind auch das, was für Frau C einen erfolgreichen Religionsunterricht ausmacht.

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Schulorganisatorisch sieht sie allerdings wie andere im Sample in dieser Hinsicht Probleme und kaum Unterstützung durch die Schulleitung. Eine Priorität, die einem Projekt oder einer Exkursion in Religion vor anderen Stunden eingeräumt werden könne, erwartet sie allerdings nicht. Sie klagt also die Verantwortung der Schulleitung für den Religionsunterricht nicht im gleichen Sinne wie für andere Fächer ein. Ihrer projektorientierten Haltung kommt ein Unterricht in den Nachmittagsstunden durchaus entgegen.

Frau C bedauert ebenfalls wie beispielsweise Frau B, einen Rückgang des Interesses der Kinder und Jugendlichen, etwas kreativ auszuprobieren. Ihr gehen deshalb Perspektiven für ihr Engagement im Unterricht verloren. Vermutlich macht sich hier auch die Entwicklung der Regelschule hin zu einer Schule zweiter Wahl bemerkbar. In den Jahren nach der Wende veränderte sich das Schülerklientel zugunsten der Gymnasien. Zudem lassen die Erfahrungen ihrer Arbeit auf dem Dorf im Vergleich die Erfahrungen an der Stadtschule, an der Frau C nun unterrichtet, noch gravierender erscheinen: Sie selbst fühlt sich auf die derzeitige Situation nicht gut vorbereitet.

Hinter der fehlenden Begeisterungsfähigkeit und unterlassenen Unterstützung durch die Elternhäuser, die Frau C beobachtet, ist wahrscheinlich oftmals auch die Perspektivlosigkeit der Kinder, Jugendlichen und ihrer Eltern zu sehen. Ihr persönlicher Wunsch, um dieser Perspektivlosigkeit zu entgehen, ist, in der Grundschule zu unterrichten. Den Wechsel der Schulform als eine Möglichkeit zu sehen, sich selbst die eigene berufliche Zufriedenheit zu erhalten, teilt sie innerhalb des vorliegenden Samples zum Beispiel mit Frau H, die sich wünscht, einmal ältere Schülerinnen und Schüler zu unterrichten. Für Frau C ist besonders die Fähigkeit des Andere-begeistern-Können bzw. die Begeisterung ihrer Schülerinnen und Schüler selbst Kernstück ihrer beruflichen Zufriedenheit.

7.4 Frau D

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Frau D ist Lehrerin seit 1979 und Religionslehrerin seit 1991. Religion unterrichtete sie zum Zeitpunkt des Interviews an zwei Schulen und ist außerdem Fachberaterin für Evangelische Religionslehre.

7.4.1 Zusammenfassung des Gesprächs mit Frau D

Schon in der 8. Klasse wurde Frau D von ihrer Klassenleiterin geraten, Lehrerin zu werden. Aber ihr Traumberuf war Hebamme. Als sie schließlich das Abitur geschafft hatte, das ursprünglich als Voraussetzung für diesen Beruf galt, hatte man inzwischen diese Voraussetzungen geändert. So wurde sie Lehrerin. Ihre Lieblingsfächer Deutsch, Geschichte und Staatsbürgerkunde schienen ihr allerdings zu textorientiert. Aus einer Arbeiterfamilie kommend, so erzählt sie, orientierte sie sich an der praktisch-produktiven Begabung ihres Vaters und ihrer Brüder. Darüber hinaus war ihr Polytechniklehrer ihr großes Vorbild, der sie in dieser Richtung förderte.

Nach dem Studium habe sie sich erfolgreich gegen eine Versetzung nach Norddeutschland gewehrt. Sie hätte dann eine Stelle in ihrer Heimatstadt bekommen, berichtet Frau D. Das Fach Polytechnik zu unterrichten, habe ihr viel Freude bereitet. Nach dem ersten Kind sei sie nur kurz zu Hause geblieben, nach dem zweiten Kind allerdings zwei Jahre. Dann habe sie ein Angebot, verkürzt als Werklehrerin zu arbeiten, bekommen. Ihren Sohn habe sie im Kindergarten ihrer Tochter unterbringen können, obwohl dieser eigentlich noch keinen Anspruch auf einen Kindergartenplatz gehabt habe. Der Stundenplan sei so abgestimmt worden, dass sie angenehm die Erziehung ihrer Kinder mit ihrem Beruf verbinden konnte.

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1991 kam für sie, so Frau D, der große Umbruch. Sie wohnte inzwischen am Stadtrand und bewarb sich bei der Schule in ihrem Ortsteil. Als Problem stellte sich heraus, dass diese Schule zu viele Polytechniklehrer hatte. Nach den Vorstellungen der Schulleitung, welche Fächer in Zukunft interessant werden könnten, habe sie sich neben ihren erlernten Fächern im „neuen Gewand“ der Nachwendezeit, Wirtschaftsrecht, Wirtschaft, Umwelt und Sozialwesen, für das Fach Evangelische Religionslehre entschieden. Dies auch, da sie von der Familie eine „gewisse Vorprägung“ mitgebracht habe. Zumindest sei sie konfirmiert worden und der Sohn des Pfarrers sei in ihre Klasse gegangen, erzählt Frau D.

Im Vorkurs, so erinnert sie sich, mussten sie zunächst einen Fragebogen beantworten, in dem ihr Kenntnisstand überprüft wurde. Diese Grundfragen, heute Stoff der 5. Klasse, so Frau D, waren damals für sie nicht einfach zu beantworten. Die Ausbildungszeit im Vokationskurs sei ihr als wunderschöne Jahre in Erinnerung geblieben, in denen sie viel gelernt habe. Bezüglich der Vorbereitung auf den Unterricht blieb es allerdings bei kleinen Anfangsschritten, bemerkt sie rückblickend. Nach dem erfolgreichen Abschluss entschloss sie sich für ein Aufbaustudium, um weitere „Lücken zu füllen“. Durch den guten Abschluss fühlte sich Frau D in ihrer Entscheidung, Religion zu unterrichten, bestätigt. Heute sei sie zudem als Fachberaterin tätig.

Da sie nicht nur Religionslehrerin sei, sei sie nie von ihren Kolleginnen und Kollegen abstoßend behandelt worden, hebt Frau D hervor. Allerdings erfahre sie sich durchaus als begehrte Expertin für religiöse Fragen, gerade weil Religionslehrerinnen und -lehrer immer noch Mangelware seien, betont sie. So habe sie auch das Angebot angenommen, an einer weiteren Schule Religion zu unterrichten, die zuvor durch den häufigen Wechsel der Lehrenden keine guten Erfahrungen mit dem Religionsunterricht gemacht habe. Nun bemühe sie sich, an ihrer Zweitschule eine Kontinuität aufzubauen, berichtet sie. Sehr anstrengend sei es allerdings geworden, als sie – aufgrund der rückläufigen Geburtenzahlen – an drei Schulen unterrichten musste. In dieser Zeit, so erinnert sie sich, habe sie sich an keiner Schule mehr zu Hause gefühlt und sich überall „auf der Flucht“ erlebt. Auch ihr Kontakt zu den Schülerinnen und Schülern habe sehr unter dieser Situation gelitten, weil sie keine Zeit mehr für Gespräche vor und nach den Stunden gehabt habe.

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Die Zusammenarbeit mit der Kirche vor Ort gestaltete sich nicht immer leicht für sie, da es mit dem Pfarrer, der selbst als Religionslehrer tätig sei, zu Konflikten über den Religionsunterricht und die Disziplinierung von Schülern gekommen sei. Dieser Konflikt habe ihre Vorstellung, die sie von Pfarrern gehabt hätte, ins Wanken gebracht und sie habe sich nach und nach von der Mitarbeit in der Gemeinde distanziert. In den Kollegien, beschreibt Frau D ihre Erfahrung, werde sehr deutlich zwischen ihr als Pädagogin und den unterrichtenden Pfarrern unterschieden. Das herrschende Vorurteil sei, dass letztere kaum Lehrplan gerecht unterrichteten, immer wieder Probleme mit der Disziplin hätten und mit der Benotung nicht richtig umgingen.

Eltern hätten umgekehrt die Sorge, dass sie als Lehrerin die Kinder überfordern könnte. So sei es ihr mit einem neu übernommenen Kurs ergangen: Im Jahr davor waren alle Schülerinnen und Schüler mit einer „Eins“ bewertet worden. Den Konflikt zwischen Anerkennung und einer realistischen Leistungsrückmeldung habe sie versucht durch höchstmögliche Transparenz gegenüber den Schülerinnen und Schülern und Einübung von Lernmethoden zu bewältigen. So habe sie letztlich zufriedenstellende, von der Klasse und Eltern akzeptierte Ergebnisse erzielt, erzählt Frau D. Sie hebt jedoch hervor, dass Bewertung im Religionsunterricht nach wie vor und immer wieder eine schwierige Frage sei.

In ihren Kursen sitzen viele Nicht-Konfessionelle. Da Frau D an mehreren Schulen tätig ist, stellt sie fest, dass im Vergleich zur Stadt auf dem Dorf wesentlich mehr Schülerinnen und Schüler am Religionsunterricht teilnehmen. Problematisch gestalte sich der Unterricht für sie in sehr kleinen Kursen, wo kaum noch Gruppenarbeit möglich sei. Im Unterricht greife sie auch auf das Wissen ihrer anderen Fächer zurück und freue sich, wenn für die Schülerinnen und Schüler die Verbindung deutlich werden würde. Umgekehrt wiederhole sie beispielsweise in Wirtschaftsethik gerne Stoff aus Religion. Ungern behandelt sie Themen, die sie nicht mit einem Bezug zur Gegenwart verbinden könne, berichtet Frau D.

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An ihrer Schule habe es zu wenig Ethiklehrer gegeben, so dass beide Fächer eine Zeit nur einstündig unterrichtet wurden, prinzipiell würden die Fächer allerdings gleich behandelt und zu ihren Ethikkolleginnen und -kollegen habe sie ein gutes Verhältnis, schildert Frau D ihre Unterrichtssituation. Sie selbst sichte regelmäßig Unterrichtsmaterial aus dem Ethikbereich, glaubt aber, dass letztlich die Ethiklehrkräfte von ihrem Wissen als Religionslehrerin mehr profitierten, gerade wenn es um religionsgeschichtliches Wissen gehe. Unglücklich für die Zahl der Religionsschülerinnen und -schüler sei es nur, wenn das Fach Ethik im Vormittagsbereich, das Fach Religion dagegen in den Nachmittagsstunden angeboten werde. In dieser Hinsicht sei das Gelingen des Religionsunterrichts sehr von den jeweiligen Strukturen einer Schule abhängig, urteilt Frau D. Die Schülerinnen und Schüler seien mehrfach bestraft, wenn sie auf den Unterricht nachmittags warteten und dann auch noch länger bleiben müssten. Klassenlehrerinnen und -lehrer rieten in diesen Fällen, so hat Frau D erfahren, den Schülerinnen und Schülern zum Ethikunterricht.

Frau D nutzt Ausschreibungen von Wettbewerben, um in ihren Klassen projektorientiert zu unterrichten. Schon öfter hat sie so mit ihren Gruppen attraktive Preise gewonnen. Motiviert durch diese Erfolge setzt sie diese Arbeit mit viel persönlichem Engagement seit Jahren fort. Ihr Erfolg trägt auch dazu bei, dass sie von der Schulleitung bei ihren Projekten großzügig unterstützt wird. Auch von Elternseite bekommt Frau D viel Anerkennung und Unterstützung. Unter den Schülerinnen und Schülern ist ihre Arbeit sehr begehrt, die Kinder und Jugendlichen sind bereit, auch über den Unterricht hinaus Aufgaben zu übernehmen, weil sie das Gefühl haben, an sinnvollen Sachen zu arbeiten, für die sie Anerkennung erhalten.

Frau D sieht sich in dieser Rolle als Moderatorin und vor allem auch Koordinatorin, die den Überblick und die Fäden in der Hand behält. Mit Preisgeldern unterstützen ihre Religionskurse eigens ausgesuchte soziale Projekte, beispielsweise eine Schule auf Kuba, das Tierheim oder Obdachloseninitiativen. Darüber hinaus erschließt Frau D mit ihrem Religionsunterricht immer wieder neue Räume. So lässt sie die Schüler zum Beispiel das Leben in einer Kaserne wie in einem Behindertenwohnheim zum Thema „Sinn des Lebens: Wehrdienst – Zivildienst“ selbst erleben. Sie betont, dass Schülerinnen und Schüler bis heute über diese Erfahrungen reden. Für Religionslehrerinnen und -lehrer sieht sie es als Herausforderung, Lehrplanthemen projektorientiert umzuarbeiten.

7.4.2 Kommentierungen zum beruflichen Kontext von Frau D

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Berufsbiographischer Kontext: Frau D unterrichtete zur Zeit des Gesprächs zu fast 80 % Religion. Als ehemalige Polytechniklehrerin hat sie direkt in der Umstrukturierungsphase 1991 beschlossen, sich als Religionslehrerin ausbilden zu lassen. Ihre Erzählung zeigt, dass sich Frau D nicht von Beginn an sicher in ihrer Entscheidung gefühlt hat, sondern sich selbst bestätigen musste, dass sie eine gute Religionslehrerin ist: Als Hintergrund nennt sie – eher verhalten – die eigene Konfirmation und den Kontakt zur Kirche, da der Sohn des Pfarrers in ihrer Klasse gewesen sei. Guter Kontakt in die Familien war zu DDR-Zeiten eine der wichtigen Aufgaben als Klassenlehrerin, wie in Kapitel 3 und 4 beschrieben. Was ihr religiöses Wissen betrifft, hebt sie die Ernüchterung über sich selbst zu Beginn hervor wie allerdings auch Freude und Effektivität der Ausbildung zur Religionslehrerin bis hin zum guten Abschluss. Wie für andere ist auch für Frau D charakteristisch, dass sie ihre persönliche Religiosität erst durch die Ausbildung zur Religionslehrerin zu entwickeln meint.

Auch ihren Werdegang als Pädagogin in der DDR hat sie für sich Schritt für Schritt austariert, wie ihre Erzählung nahe legt: die Klassenleiterin, die sie schon früh in Richtung Lehramt lenken möchte, der persönliche Wunsch, Hebamme zu werden, was ausbildungstechnisch nach Abschluss mit Abitur doch nicht mehr in Frage kam, weil sich die Bestimmungen geändert hatten, so dass sie sich doch für ein Lehramtsstudium entschied. Sie sorgte sich, dass ihre Lieblingsfächer als Schülerin zu textorientiert für die eigene Unterrichtsbegabung seien, und betonte ihre praktischen Fähigkeiten vor dem Hintergrund, aus einer Arbeiterfamilie zu stammen, was schließlich zur Entscheidung für das Fach Polytechnik führte. In ihrer Berufsbiographie sind Motivationen der DDR-Gesellschaft zu entdecken, alte Klassenunterschiede zu überwinden, indem akademische Berufe gerade auch von Kindern aus Arbeitermilieus übernommen werden sollten. Gleichzeitig zeigt Frau Ds Fächerentscheidung allerdings auch, wie sehr die familiären Wurzeln das eigene Selbstverständnis in der Berufsausübung prägen können.

Der Erwerb der Fakultas für Religion eröffnete Frau D ein unvergleichlich neues Wissensspektrum, in dem sie sich zunächst – vor allem vor sich selbst – behaupten musste. Bestätigt in ihrer Arbeit gestaltet Frau D letztlich den Unterricht handlungsorientiert, auch hier bleibt ihre Begeisterung für das Praktische also nicht auf der Strecke. Im Gegensatz zu Frau B versucht sie explizit, Schülerinnen und Schüler auf Verbindungen zwischen den Fächern aufmerksam zu machen. Den Einsatz, den sie selbst bezüglich ihrer Ausbildung zur Religionslehrerin hervorhebt, zeigt sie auch im Engagement für die Kontinuität eines Religionsunterrichts an der Regelschule: Sie deckt den Unterricht an drei verschiedenen Schulen ab und gerne wird sie von ihren Kolleginnen und Kollegen als Expertin für religiöse Fragen herangezogen.

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In der Beziehung zur eigenen Gemeinde beschreibt sie ihr Verhältnis als eher problematisch: Dem Pfarrer gegenüber, der auch Religionslehrer ist, sieht sie sich vielmehr in einer Konkurrenzsituation, obwohl seine pädagogischen Qualitäten nicht den besten Ruf genießen. Probleme für den Religionsunterricht liegen nach Frau Ds Meinung deshalb in der doch manchmal geringen pädagogischen Qualität, für die alle Religionslehrende sich rechtfertigen müssen, sowie im Hinblick auf Teilnehmerzahlen vor allem im Rückgang der Geburten. Charakteristisch für ihre berufliche Lebensgeschichte ist ihre selbst empfundene, kontinuierliche professionelle Weiterentwicklung.

Geschlechtsspezifischer Kontext: Frau Ds beruflicher Werdegang ist geschlechtsspezifisch gesehen geprägt von ungelebten Lebenswünschen, aber auch davon, sich mit Sachzwängen zu arrangieren – auf der einen Seite Hebamme und die Lieblingsfächer im Bereich Deutsch und Sozialwissenschaften, auf der anderen Seite das Studium im polytechnischen Bereich.

Der Lehrberuf galt in der DDR als Tätigkeit, die sich gut mit den Aufgaben in der Familie vereinbaren ließ, was sich mit Frau Ds eigenen Erfahrungen deckt – kurzes Aussetzen nach dem ersten Kind, eine geplante längere Pause nach dem zweiten Kind, die aber durch das Angebot, ihre Kinder in einem Kindergarten unterzubringen zumindest partiell revidiert wurde. Sie bekam also Chancen, Kindererziehung und Berufliches gleichzeitig zu organisieren, was in der Bundesrepublik vor der Wiedervereinigung kaum möglich gewesen wäre. Andererseits lässt sich auch vermuten, dass die außerordentlichen Angebote, die sie bekam, vor allem vom Bedarf ihrer Arbeitskraft abhängig waren. Aus dem Kreis der Polytechniklehrenden war sie eine derjenigen, die sich umorientieren mussten. Dies spricht vielleicht auch für die Selbstverständlichkeit einer Haltung, die bei vorgeschriebener Gleichberechtigung doch auch einen Unterschied zwischen Frauen und Männern machte, nämlich im Grad der Verfügbarkeit für Familie, Gesellschaft und Beruf. Das Erzählte spricht dafür, dass Frau D – in ihrem Interesse, sich an neuen Inhalten zu beweisen und in ihrem Engagement bezogen auf die Schülerinnen und Schüler für das Konkrete – diese nicht immer freiwilligen Umstände ihres beruflichen Werdegangs für sich zu nutzen wusste. Insofern fügen sich unerfüllte Wünsche und der Umbruch in ihrer Berufsbiographie zu einem für sie akzeptablen – weil sinnvollen – Muster.

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Schulformspezifischer Kontext: Frau D vergleicht bewusst ihre Erfahrungen an unterschiedlichen Schulen miteinander. Sie beobachtet wie auch andere Kolleginnen des Samples, die diesen Vergleich haben, dass in ländlicher Umgebung die Anmeldezahlen für den Religionsunterricht höher liegen als im städtischen Bereich. Die Arbeit an drei verschiedenen Schulen gestaltet sich schwierig. Dabei ist hervorzuheben, dass Frau D nicht im Eigentlichen über den Wechsel zwischen den Schulen klagt, aber über die fehlende Zeit für ihre Schülerinnen und Schüler in Pausen, vor Stundenbeginn und nach Unterrichtsende. Der Zeitmangel führt dazu, dass sie ihren eigenen Ansprüchen besonders in den Beziehungen zu den Kindern und Jugendlichen kaum gerecht werden kann.

Gerade jedoch das Fach Religion lebt, wie die Gesprächsteilnehmerinnen des Samples immer wieder bestätigen, von dieser Orientierung auf und an den Schülerinnen und Schülern. Aber auch der organisatorische Rahmen mancher Schule verhindert einen kontinuierlichen Aufbau des Faches Religion, wenn der Unterricht in den Nachmittag verschoben wird, der Ethikunterricht aber am Vormittag stattfindet: Frau D stellt zu Recht eine „doppelte Bestrafung“ der Religionsschülerinnen und -schüler fest und äußert Verständnis, wenn vor diesem Hintergrund zum Fach Ethik geraten wird. Wichtig ist ihr eine angemessene Haltung der Eltern, wie das Beispiel der Leistungsbewertung zeigt. Sie steht elterlichen Befürchtungen kritisch gegenüber, dass eine „normale“ Lehrerin, die das Fach unterrichtet, im Gegensatz zur Pfarrerin oder zum Pfarrer die Kinder und Jugendlichen mit Stoff und Bewertung überfordere. In ihrer Argumentation zeigt sich, dass sie nicht nur als Religionslehrerin in diesem Bereich, sondern auch als Fachberaterin Erfahrungen gesammelt hat.

Insgesamt misst sie einem professionell-pädagogischen Umgang mit dem Fach Religion eine hohe Bedeutung zu. Das zeigt sich an ihrem Einsatz für eine gleichberechtigte Einordnung des Religionsunterrichts parallel zum Fach Ethik in der Stundentafel und für einen lehrplangerechten Unterricht mit einer angemessen Leistungsbewertung. Für sie sind pädagogische Probleme in der Disziplin oder der Benotung die Folge eines Religionsunterrichts, der nicht als ordentliches Lehrfach anerkannt wird. Dies legt der Stellenwert innerhalb der Stundentafel oder eine beliebige Stoffauswahl für sie nahe. Dass Religion als Schulfach seine ganz eigene Berechtigung hat und zu einer ganz eigenen Auseinandersetzung und Würdigung der Schülerinnen und Schüler führen kann, zeigt Frau D mit ihrer projekt- und schülerorientierten Arbeit, in der ihr es auch gelingt, Kinder und Jugendliche in ihren unterschiedlichen Startpositionen zu Gruppen zusammenzuführen und zu fördern. In dieser Hinsicht ist Frau D die einzige im vorliegenden Sample, die über zu kleine Gruppen klagt, da größere Projekte, die den Kindern und Jugendlichen und ihr selbst Bestätigung verschaffen, kaum möglich sind. Projektorientiert zu arbeiten, bedeutet für Frau D Stärkung des Religionsunterrichts, eine hohe Professionalität und berufliche Zufriedenheit.

7.5 Frau E

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Frau E ist Lehrerin seit 1975 und Religionslehrerin seit 1995. Religion unterrichtete sie zum Zeitpunkt des Interviews an einer Schule.

7.5.1 Zusammenfassung des Gesprächs mit Frau E

Ihr beruflicher Werdegang, schildert Frau E, sei typisch für die DDR gewesen. Religiös geprägt wurde sie durch ihr Elternhaus, ihre Eltern schickten sie in die Christenlehre und bei ihrem Onkel, der Pfarrer war, verbrachte sie gerne ihre Ferien. Ansonsten sei die Kirche für sie ein freiwilliges Angebot geblieben, erzählt sie. Echte Freunde, so stellt sie jedoch rückblickend fest, hätten christlichen Kreisen angehört und so habe sie nie den Kontakt zur Religion verloren. Heute fühle sie sich für die Kirche im eigenen Dorf sehr verantwortlich, so dass ihre Familie manchmal protestiere, allerdings sei die kirchliche Bindung nie überzogen gewesen. Diese Haltung sei ihr auch nach wie vor wichtig, zum Beispiel diskutiere sie mit ihrem zurzeit kirchenkritischen Sohn gerne „bis die Fetzen fliegen“.

Ihr Traumberuf sei Medizinerin gewesen, da ihr Vater selbständig war, hätte sie einen außerordentlichen Durchschnitt gebraucht, um diesen Weg einzuschlagen. Also sei sie umgelenkt worden auf Naturwissenschaften und sei mit diesen Fächern, Chemie und Biologie, Lehrerin geworden. Ihr Wunsch sei es dann gewesen, Lehrerin für Kinder mit Behinderungen zu werden, parallel zum Studium habe sie schon in einer solchen Einrichtung gearbeitet. Die Versetzung an eine Körperbehindertenschule sei ihr nach dem Studium jedoch nicht bewilligt worden. Wahrscheinlich auch, so vermutet Frau E, weil ihr die entsprechende Parteizugehörigkeit gefehlt habe. Als nach der Wende Religionslehrende gesucht wurden, entschied Frau E sich für das zweijährige Zusatzstudium. Durch ihren christlichen Hintergrund habe sie sich sofort angesprochen gefühlt, um Verantwortung für religiöse Schulbildung zu übernehmen. Durch die Ausbildung habe sie sich auch privat bereichert gefühlt.

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Nach wie vor, so urteilt Frau E, sei jedoch das Fach Religion im ostdeutschen Schulsystem nicht wirklich anerkannt. Nach wie vor würde das Fach von Kolleginnen und Kollegen belächelt. Trotzdem habe sie Spaß am Unterricht und arbeite zusätzlich auf Honorarbasis noch an einer Hilfsschule, um weitere Erfahrungen zu machen, erzählt sie. Religion lege, so betont sie, Wert auf zwischenmenschliche Beziehungen, Werte und Normen, die in der DDR-Gesellschaft ganz anders verstanden worden seien. Frau E empfindet es als große Herausforderung, an die Kinder heranzukommen, und sieht ihre Aufgabe darin, Wertvorstellung von Zwischenmenschlichkeit aufrecht zu halten oder überhaupt erst einmal zu aktivieren. Zusätzlich hat Frau E inzwischen noch eine zweijährige Ausbildung als Sozialpädagogin gemacht und ist nun an ihrer Schule mit sozialpädagogischen Aufgaben betraut. Schulmediation und ebenso Einzelfallbetreuung gehören zu ihren derzeitigen Aufgaben.

Von der derzeitigen Schulleitung fühlt sich Frau E unterstützt. Allerdings liege der Religionsunterricht an ihrer Schule in den späten Nachmittagsstunden. Anfangs, so erinnert sie sich, sei es für sie selbst nicht einfach gewesen, sich dann noch zu motivieren. Sie sehe sich nun in dieser Situation immer vor der Aufgabe, den Schülerinnen und Schülern etwas Besonderes bieten zu müssen. Hinzukäme die besondere Heterogenität der Religionskurse, die aus verschiedenen Klassen und Jahrgangsstufen zusammengesetzt würden. Sicherheit im Lesen und Schreiben könnte sie leider nicht allgemein voraussetzen. Das Kommen und Gehen der Schülerinnen und Schüler mache eine Kontinuität und die Arbeit nach Lehrplan kaum möglich, beschreibt Frau E ihre Unterrichtssituation. Sie versuche dieses Problem zu lösen, indem sie projektorientiert oder mit Hilfe von Freiarbeitsmaterialien unterrichte. Sie nutze gerne die Unterrichtsmaterialien, die von christlichen Vereinen und Kirchen angeboten würden.

Religion sei ein anspruchsvolles Fach, meint Frau E, da es den Kindern und Jugendlichen eine Denkweise eröffne, die sie meist überhaupt nicht gewohnt seien und über die sie, wenn sie nicht durch die eigene Familie religiös geprägt wären, kaum mit jemanden in den Familien sprechen könnten. Auch wenn der Unterricht nicht zum Glauben führen solle, sei dieser doch, so Frau E, für viele Fragestellungen und Themen die Voraussetzung. Durch Rollenspiele, zum Beispiel, wenn sie das Abendmahl behandele, versuche sie, die Aufmerksamkeit der Kinder und Jugendlichen zu gewinnen, und ihnen Türen zu dieser vertieften Denkweise zu öffnen. Vertiefte Einsichten seien nach ihrer Meinung in dieser oberflächlich und häufig primitiv bestimmten Gesellschaft schwer zu vermitteln, weil eine solche Haltung auch Ansprüche an die eigene Person stelle. So sei Religion eigentlich etwas für aufmerksame und kluge Schülerinnen und Schüler. Dass viele diese Voraussetzungen nicht erfüllen könnten, sei allerdings nicht den Kindern und Jugendlichen anzulasten, sondern den gesellschaftlichen Verhältnissen.

▼ 130 

Die Rolle als Lehrerin oder Lehrer sei, betont sie, nicht geschlechtspezifisch, aber sehr individuell geprägt. Gute Fähigkeiten seien nicht zwingend die Voraussetzung für guten Unterricht.

Frau E hält es aus ihrem christlichen Anspruch heraus für notwendig, alle Kinder so anzunehmen, wie sie sind. Die Frage der Bewertung und der Disziplinierung stelle in dieser Hinsicht ein hohes Konfliktpotential für Religionslehrerinnen und -lehrer dar, hebt sie hervor. Lieber sei es ihr eigentlich, wenn es in Religion keine Noten gäbe. Ansonsten unterscheide sich das Verhältnis zu ihren Schülerinnen und Schülern im Religionsunterricht nicht von dem ihrer anderen Fächer.

Den Kontakt zu den Eltern habe sie über ihre Funktion als Klassenlehrerin. Sie besuche ihre Schülerinnen und Schüler gleichberechtigt zur Konfirmation wie auch zur Jugendweihe. Die Teilnahme am Religionsunterricht sei für sie eine freiwillige Angelegenheit, allerdings sei es nicht richtig, wenn in ihrer Abwesenheit auf Elternabenden, die Kinder und Jugendlichen mehr in Richtung Ethik gedrängt würden. Sehr hinderlich sei es für den Religionsunterricht, wenn die Schulleitung kein Interesse an Religion habe. Auf diese Weise lande der Religionsunterricht immer wieder im Nachmittagsbereich, weiß Frau E aus Erfahrung zu berichten.

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Durch ihre anderen Fächer fühle sie sich im Allgemeinen im Kollegium anerkannt, sie sei aber auch als Fachvertreterin für Religion präsent und sei in dieser Rolle auch schon aufgefordert, sich zu rechtfertigen, und belächelt worden. Religion sei immer wieder Thema im Kollegium, erzählt Frau E, und in einer Situation wie nach den Morden am Gutenberg-Gymnasium, sei sie als Religionslehrerin aufgefordert worden, den Pfarrer zu holen. In solcher Extremsituation seien auch von Schülern und Eltern religiöse Angebote dankbar angenommen worden, die ansonsten eher ablehnend reagiert hatten.

Der Lehrerberuf sei seit der Wende sehr schwer geworden, empfindet Frau E. Lehrer hätten viel Anerkennung und Ansehen verloren, sie seien ständigen Wechseln unterworfen und gezwungen, sich immer wieder mit neuen Sachverhalten, Materialien, Büchern auseinanderzusetzen. Eine Kontinuität sowie die Möglichkeit, Wissen aufzubauen, sei auch im Allgemeinen kaum noch gegeben, bedauert Frau E.

7.5.2 Kommentierungen zum beruflichen Kontext von Frau E

Berufsbiographischer Kontext: Frau E schildert ihre Berufsbiographie als typisch für die DDR. Typisch heißt hier auch, dass die Arbeit ihres Vaters als Selbständiger Einfluss darauf hatte, dass sie ihren eigentlichen Traumberuf Medizin nicht erlernen konnte. Der Wunsch, mit Menschen umzugehen und ihnen zu helfen, mag diesen Traumberuf unterstützt haben. Ihre Berufslaufbahn zeigt, dass sie diesen Wunsch anders entfaltet hat. Ihre Sorge um die allgemeinen Kompetenzen ihrer Schülerinnen und Schüler und ihr Interesse, den Kindern und Jugendlichen neue Perspektiven zu eröffnen und diese zu vertiefen, die aufmerksame Klassenleitung und die Mediatorenausbildung zeigen ihr soziales und integratives Engagement.

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Ihre eigene Religiosität wurde ebenfalls geprägt durch Beziehungen – die Erinnerungen an ihren Onkel und ihr liberales Elternhaus. Religiös bestimmend ist für sie die Erkenntnis, dass alle ihr wichtigen Menschen christlich waren und sind. Wichtiger als Frömmigkeit ist ihr aber die Auseinandersetzung. Das wird deutlich in der Beschreibung des Verhältnisses zu ihrem zurzeit kirchenkritischen Sohn, mit dem sie viel und gerne diskutiert. Die Essenz ihrer Erfahrungen ist vor allem der Widerstand gegen oberflächliches Denken und ein hoher Anspruch an soziale Werte und Zwischenmenschlichkeit zu sein. Kritik übt sie deshalb an der gegenwärtigen Konsumhaltung der Gesellschaft, an der allgemeinen Abnahme des Respekts vor Schule und Lehrkräften. Die Verbindung ihres pädagogischen Engagement und ihrer religiösen Erfahrungen, die sie zum Nachdenken anregen und sie an wichtige Freundschaften erinnern, ist vermutlich eine bedeutende Wurzel ihres Selbstverständnisses als Religionslehrerin.

Sie schildert die geringe Anerkennung des Religionsunterrichts durch Schulleitung, Kollegium und Eltern, obwohl diese jedoch dankbar christliche Angebote in Extremsituationen annehmen würden. Frau E fordert die Würdigung religionspädagogischer Kompetenzen ein. Diejenigen innerhalb des vorliegenden Samples wie beispielsweise auch Frau A, die Religion als vornehmlich Werte vermittelndes Fach sehen, leiden einerseits wie Frau E unter dem sogenannten Werteverfall der Gesellschaft, entwickeln andererseits aber auch nach wie vor ein hohes Engagement, um dieser gesellschaftlichen Haltung etwas entgegenzusetzen. Frau E möchte ihren Schülerinnen und Schülern etwas von der ihr wichtigen „vertieften Denkweise“ vermitteln und sieht außerhalb von Familie dafür besonders den Raum im Religionsunterricht. Allerdings bleibt ihr Engagement nicht auf das Fach beschränkt: Es ist ihr als Klassenlehrerin und Mediatorin offenkundig ähnlich wichtig wie als Religionslehrerin. Die Berufsgeschichte von Frau E ist beispielhaft für eine Verbindung zwischen pädagogischer und religionspädagogischer Professionalität.

Geschlechtsspezifischer Kontext: In der Erzählung von Frau E tritt ihre Beziehungsorientierung deutlich zu Tage. Neben den beruflichen Verpflichtungen übernimmt sie außerdem Aufgaben in ihrer kirchlichen Gemeinde. So organisiert Frau E ihr Leben in einer Doppel- bzw. sogar Dreifachstruktur. Verpflichtungen auf verschiedensten Ebenen wie auch die Konflikte in der Koordination sind ihr persönlich vertraut. In der Selbstreflexion von Frau E hat Geschlechtsspezifisches als Denkkategorie keine Bedeutung. So sieht sie keinen Unterschied zwischen Lehrerinnen und Lehrer, sondern nur in der Fähigkeit zu unterrichten. Auch Fachwissen ordnet sie dieser Begabung unter.

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Wie beispielsweise Frau A ist es ihr wichtig, das Leben der Kinder und Jugendlichen zumindest durch bestimmte Gesten bzw. Aufmerksamkeiten zu begleiten. Dabei streicht sie nicht die Religiosität, sondern ihre Verantwortung für die Anerkennung ihrer gesamten Klasse heraus: Sie besucht als Klassenlehrerin Konfirmationen wie Jugendweihen der Schülerinnen und Schüler. Vermutlich zeigt sich in den Ansprüchen, die sie an sich selbst als Klassenlehrerin stellt, ihre berufliche Erfahrung als Klassenleiterin zu DDR-Zeiten. Insofern decken Frau Es Schilderungen mehrere Wurzeln ihrer sozialen Handlungsprioritäten auf.

Schulformspezifischer Kontext: Die organisatorische Unterstützung des Religionsunterrichts von Frau E lässt, wie häufig in diesem Sample, zu wünschen übrig: Die Struktur ihrer Kurse ist sehr heterogen, auf den Elternabenden wird den Eltern Ethik als Fach nahegelegt, Religion verschwindet in die Nachmittagstunden, was für Schülerinnen und Schüler oft auch ein Abmeldegrund darstellt. Um die Kinder und Jugendlichen individuell fördern zu können, greift Frau E auf Projekte und Freiarbeit zurück, um allen SchülerInnen – egal, über welches Wissen und welche Fähigkeiten sie bereits verfügen – gerecht zu werden.

Im vorliegenden Sample ist Frau E diejenige, die betont gesellschaftskritisch auf die Situation der Kinder und Jugendlichen blickt. Religion zu unterrichten sieht sie als persönlichen Bildungsauftrag. Dass sich in ihrem Anspruch gelebte und gelehrte Religion verzahnen, kann an ihren Einschätzungen nachgewiesen werden: Die Zuwendung und offene Bildung, die sie selbst erfahren hat, möchte sie weitergeben. Das Fach sei anspruchsvoll, betont sie. Voraussetzung sei eigentlich, Weiterdenken schon in der eigenen Familie gelernt zu haben. Nicht in gleicher Weise wie Frau A, aber doch ähnlich im Kern, sieht sie die Verantwortung für Religion in den Elternhäusern ihrer Schülerinnen und Schüler.

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So habe die geringe Zahl von Religionsschülerinnen und -schülern an Regelschulen auch ihren Grund in der fehlenden religiösen Sozialisation der wenig bildungsorientierten Familien. Diese Einschätzung teilt sie im Sample mit Frau B. Sich Ansprüchen zu stellen, Aufmerksamkeit und Leistungsbereitschaft sind für sie von Bedeutung. Als christliche Haltung streicht sie jedoch vor allem die unbedingte Annahme einer jeden Schülerin und eines jeden Schülers heraus. Diesem Spannungsverhältnis folgend problematisiert sie die Ausbildung einer disziplinierten Arbeitshaltung und die Leistungsbewertung im Religionsunterricht. Allerdings sieht sie nicht die Verantwortung bei der jeweiligen Schülerin oder beim jeweiligen Schüler, sondern macht vor allem die konsumorientierte Gesellschaft für den Mangel an Leistung verantwortlich.

7.6 Frau F

Frau F ist Lehrerin seit 1990 und Religionslehrerin seit 1992. Religion unterrichtete sie zum Zeitpunkt des Interviews an zwei Schulen; sie ist außerdem Fachberaterin für Evangelische Religionslehre.

7.6.1 Zusammenfassung des Gesprächs mit Frau F

Schon als Kind, erzählt Frau F, sei sie fasziniert davon gewesen, anderen etwas zu erklären. „Schule“ zu spielen, habe zu ihren Lieblingsbeschäftigungen gehört. Außerdem habe sie einige Vorbilder gehabt. Mit einer ihrer eigenen Lehrerin sei sie heute noch eng befreundet. Lehrerin sein, das habe für sie geheißen, nicht immer nur am Schreibtisch zu sitzen, sondern eine kreative Tätigkeit, im Kontakt zu Menschen und besonders mit Liebe zu Kindern auszuüben. Das habe ihren Entschluss geprägt.

▼ 135 

Da sie sich immer kirchlich engagiert habe, sei es nicht einfach gewesen die Voraussetzung für das Lehramt zu erlangen. In ihrem Elternhaus hätten christliche Werte eine bedeutende Rolle gespielt, sie sei zur Christenlehre, zur Konfirmation und zur jungen Gemeinde gegangen. Zur Jugendweihe habe sie zusätzlich gemusst, eine Ausnahme sei nur beim Pfarrerssohn gemacht worden. Frau F berichtet, dass Konfirmierte besonders auf staatstreues Verhalten überprüft worden seien. Der direkte Weg zum Abitur sei nur zwei Jungen aus ihrer Klasse ermöglicht worden, die sich zur Armee gemeldet hätten. Ihr sei nur der Weg über eine Berufsausbildung mit Abitur geblieben. Da sie Arbeiterkind war, wurde sie in diesem Ausbildungsgang allerdings bevorzugt. So lernte Frau F zunächst den Beruf der Anlagentechnikerin mit Abitur. Anschließend sei ihr geraten worden, in die technische Richtung weiterzugehen, aber Frau F hielt an ihrem Wunsch fest und schrieb sich für das Lehramt mit den Fächern Deutsch und Geschichte ein und wurde angenommen.

Die Entscheidung für das Fach Evangelische Religionslehre fiel nach der Wende, weil sie durch ihre Familie immer schon Interesse am Studium der christlichen Religion gehabt habe und das Fach so gut mit Geschichte und Deutsch zu kombinieren sei, berichtet Frau F rückblickend. Um ihr Wissen aus dem Kurs für die Unterrichtserlaubnis noch zu vertiefen, entschied sie sich für ein berufsbegleitendes Ergänzungsstudium. Frau F sieht in Religion bis heute ein Fach, das außergewöhnliche Chancen für Schülerinnen und Schüler zu bieten habe. Frau F betont in diesem Zusammenhang die vielen Möglichkeiten, Lebenswelten von Kinder und Jugendlichen aufzugreifen und Kultur zu vermitteln. Themen, die sich in dieser Hinsicht eigneten, seien ihrer Meinung nach die Grundgeschichten der Bibel, Personen der Kirchengeschichte oder Themen, die ganz konkret an existenziellen Fragen anknüpften wie „Wer bin ich, wo komme ich her?“. Auch ist es Frau F wichtig, religiöse Kenntnisse über Konfessionen und Weltreligionen zu vermitteln, um für ein besseres Verständnis und Weitblick zu werben. Ihren Unterricht gestalte sie gerne gruppen- oder projektorientiert.

Die kleinen Gruppen ermöglichten ein konzentriertes, individuell abgestimmtes Arbeiten. Gerade mit den jüngeren Schülerinnen und Schülern säße sie in der Regel im Stuhlkreis, um die frontale Ordnung aufzulösen. Im Religionsunterricht könne so eine Atmosphäre geschaffen werden, in der es für Kinder und Jugendliche möglich sei, ganz andere Dinge zu äußern als in anderen Fächern. Selbstverständlich sei das schon abhängig von Personen, räumt Frau F ein. Es sei ihr als Religionslehrerin nicht nur wichtig, ein offenes Ohr für die Sorgen und Fragen ihrer Schüler zu haben; manchmal, so erzählt sie, müsse sie als Klassenleiterin sogar zwischen Eltern und ihren Kindern vermitteln.

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Da die konfessionslosen Schülerinnen und Schüler in der Mehrheit seien, könne man spirituelle Formen, wie z.B. Gebete, nicht mehr so gut ansprechen und ausprobieren, berichtet sie aus ihrer Erfahrung. Das sei in der ersten Einführungsphase des Religionsunterrichts leichter gewesen. Frau F nimmt in der Haltung der Schülerinnen und Schüler einen Unterschied wahr zwischen der Dorfschule, an der sie früher unterrichtete, und der jetzigen Stadtschule. An der jetzigen Schule in der Stadt säßen nun mehr Schülerinnen und Schüler ohne religiöses Bekenntnis als mit religiösem Bekenntnis. Eltern interessierten sich ihrer Erfahrung nach kaum für Religion, es sei denn, die Noten seien schlecht. Allein durch ihr Interesse könnten Eltern aber beitragen, den Religionsunterricht zu fördern, hebt sie hervor. Als Bereicherung empfindet sie die Verbindung, die unter ihren Fächern möglich ist; Dinge des anderen Faches versuche sie für den Unterricht zu nutzen. Selbst Schüler, die ansonsten jegliche Religiosität abblockten, machten dann sehr gut mit.

Eng arbeitet Frau F mit ihrem Ortspfarrer zusammen. Sie wünscht sich auch, dass sich kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer beteiligen würden. Frau F hat an ihrer Stammschule einen weiteren Kollegen, der jedoch an eine andere Schule abgeordnet ist. Sie habe außerdem ein gutes Verhältnis zur Schulleitung und zum restlichen Kollegium. Ihr Ansehen als Religionslehrerin hänge sehr davon ab, ob sie noch andere Fächer unterrichte. An Schulen, an denen sie nur Religion unterrichtet habe, sei sie als Exotin wahrgenommen worden. In so einer Situation würde man häufig mit dem Vorurteil konfrontiert, dass Religionslehrende nicht in der Lage seien, ihre Kurse zu disziplinieren. So würden Religionslehrerinnen und -lehrer bis heute oft Ablehnung erleben. Mit den Ethiklehrkräften habe sie keine Probleme. Wenn es sich ergebe, würden sie gerne zusammenarbeiten.

Rückblickend sei die Entscheidung, Religionslehrerin zu werden, gut gewesen. Sie habe viele Menschen kennen gelernt, mit denen sie noch heute fruchtbringend zusammenarbeite, resümiert Frau F. Der Religionsunterricht sei letztlich auch fester Bestandteil an Thüringer Schulen geworden und nicht mehr von dort wegzudenken.

7.6.2 Kommentierungen zum beruflichen Kontext von Frau F

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Berufsbiographischer Kontext: Frau Fs Berufsgeschichte zeigt, dass es als Kirchenmitglied, trotz der Vorzüge Arbeiterkind zu sein, in der DDR nicht einfach war, Lehrerin zu werden. Sie nennt in diesem Zusammenhang die Jugendweihe zusätzlich zur Konfirmation und die Unmöglichkeit, auf direktem Wege das Abitur zu machen. Ihr Weg, das Abitur mit Berufsausbildung, zeigt allerdings auch, dass man sich gegen manche Lenkung durchsetzen konnte: Denn als ausgebildete Anlagentechnikerin wählte sie nicht, wie empfohlen, weiter eine technische Richtung, sondern verfolgte konsequent ihren ursprünglichen Wunsch, an der Schule in den Fächern Deutsch und Geschichte zu arbeiten. Ihr beruflicher Werdegang offenbart aber unter Umständen auch einen sich sukzessiv verändernden Umgang in der DDR hin zu mehr beruflichen Wahlmöglichkeiten. Frau F ist neben Frau G die jüngste Lehrerin im Sample und begann wie diese erst nach der Wende an der Schule zu arbeiten. Im Unterschied zu Frau G hat sie allerdings ihre Ausbildung und ihr Studium noch zu DDR-Zeiten absolviert und das Fach Evangelische Religionslehre anschließend ergänzend studiert.

Ihre Entscheidung für das Fach Religion begründet sie einerseits lebensgeschichtlich mit ihrer Beziehung zur Kirche, andererseits inhaltlich über die gute Kombinationsmöglichkeit zu Deutsch und Geschichte. Zum besseren Verständnis von kulturellen Hintergründen legt sie Wert, allen Kindern und Jugendlichen, auch in ihren anderen Fächern, Wissen über Religion zu vermitteln. Methodisch wirkt sie innovativ, indem sie versucht die eher frontalen Unterrichtssituationen anderer Fächer in Religion beispielsweise durch eine andere Sitzordnung aufzulösen. Wie Frau B sieht sie dadurch in den kleinen Religionskursen eine Chance, den Unterricht schülerorientiert und persönlich zu gestalten. Ihre Beziehung zur Kirche ist unproblematisch. Das zeigt sich in der Schilderung der Beziehung zum Pfarrer vor Ort und in dem Wunsch, die pädagogische Arbeit mit kirchlichen MitarbeiterInnen an der Schule zu intensivieren.

Ihre berufliche Lebensgeschichte erzählt sie angesichts der darin zu bewältigenden Transformationsprozesse sehr kohärent. Anders als andere Lehrerinnen im Sample ist für Frau F die Wende kein beruflicher Umbruch, sondern eine Chance. Jetzt kann sie Religion, ein Thema, das sie schon immer interessiert, zu einem dritten Fachgebiet machen. Frau F erlebt im Unterschied zu den meisten anderen in diesem Sample einen relativen Einklang zwischen gelebter Religion und der Öffentlichkeit, was sich in der Offenheit ihrer religionspädagogischen Ziele zeigt. Ihr geht es weniger um eine Abgrenzung bzw. Bestimmung einer christlichen Identität, sondern um eine neue Erfahrung gemeinsamen Lernens in der Schule durch den Religionsunterricht und die Erweiterung des Blickwinkels ihrer Schülerinnen und Schüler.

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Geschlechtsspezifischer Kontext: Wie bei Frau B reicht auch bei Frau F der Wunsch als Lehrerin zu arbeiten bis in die Kindheit zurück. Sie erinnert an „Schul“-Rollenspiele. Vorbild ist für sie eine eigene Lehrerin, mit der sie heute befreundet ist. Kontakte knüpfen und halten ist für sie ein wichtiger Aspekt innerhalb ihrer beruflichen Tätigkeit, der die Berufszufriedenheit positiv unterstützt. Sie unterstreicht ihre positive Einstellung zum Fach Religion, indem sie hervorhebt, wie viele neue Menschen ihr dadurch begegnet seien. Auch allgemein trägt sie der Kontakt zu Menschen und die Liebe zu den Kindern durch den Beruf, machen ihre Tätigkeit kreativ. Frau Fs berufliches Selbstverständnis kann als weiteres Beispiel für eine in ihrer Prioritätensetzung integrative und soziale Haltung gelten. Dieses zeigt auch ihr Bemühen um Kohärenz in der Erzählung ihrer beruflichen Entwicklung.

Schulformspezifischer Kontext: Im Gespräch mit Frau F wird deutlich, wie sehr sie die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität und ihrer Lebenswelt für Kinder und Jugendlichen im Regelschulalter für wichtig hält. Damit bestätigt sie die im Lehrplan geforderten didaktischen Ziele des Religionsunterrichts. Da Frau F sich auch als Fachberaterin engagiert, ist sie vermutlich besonders nachhaltig mit dem Lehrplan vertraut, was diese Verbindung auch erklären würde.

Wie Frau C und Frau D stellt sie im Vergleich zwischen Land- und Stadtschule Unterschiede fest. Ihr Befund unterscheidet sich von denen der beiden anderen insofern, dass ihre Gruppen in der Stadt nicht gravierend kleiner sind, aber - und dieses haben ihre Beobachtungen mit denen der anderen gemeinsam -, dass in der Stadt wesentlich weniger Kinder und Jugendliche religiös gebunden sind. Dieser veränderten Zusammensetzung ihrer Lerngruppen geschuldet spart sie spirituelle Elemente im Religionsunterricht eher aus.

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Darüber hinaus weist Frau F darauf hin, dass Disziplin ein Thema ist, bzw. der Religionsunterricht – vielleicht wegen seiner anderen Unterrichtsmethoden – häufig in dem Ruf steht disziplinlos zu sein. Dieses wird in Kollegien auch als abqualifizierendes Argument benutzt. Diese Beobachtung teilt sie mit Frau D, die – ebenfalls Fachberaterin – wie Frau F Einblick in den Religionsunterricht anderer Schulen hat. Dass Religionslehrerinnen aufgrund ihres Fachverständnisses Einfluss auf Schulleben und Schulentwicklung allgemein nehmen können, zeigt Frau Fs Bereitschaft, im Religionsunterricht, aber auch als Klassenlehrerin und darüber hinaus im Gespräch mit Eltern ein offenes Ohr für die Probleme der Kinder und Jugendlichen zu haben. Seelsorge begründet sich für sie auch allgemein-pädagogisch.

7.7 Frau G

Frau G ist Lehrerin und Religionslehrerin seit 2004. Zum Zeitpunkt des Interviews hatte sie gerade ihr Referendariat beendet. Religion unterrichtete sie an zwei Schulen.

7.7.1 Zusammenfassung des Gesprächs mit Frau G

Frau G ist Lehrerin geworden, weil sie sich immer vorgestellt habe, dass es sehr befriedigend und schön sein müsse, anderen etwas beizubringen. An das Fach Religion, meint sie, sei sie zu idealistisch herangegangen. Die Stundenvorbereitungen seien sehr aufwendig. In ihren anderen beiden Fächern Geschichte und Sozialkunde ergehe es ihr allerdings nicht viel anders. Manchmal frage sie sich, ob sie nicht lieber ans Gymnasium hätten gehen sollen, obwohl sie sich eigentlich bewusst für die Basisarbeit an der Regelschule entschieden hätte.

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Für Evangelische Religionslehre habe sie sich entschieden, erzählt Frau G, weil sie als Schülerin gerne zum Religionsunterricht gegangen sei und weil das Fach vielfältigste thematische Möglichkeiten böte. Daneben hätten sie die kleinen Lerngruppen gereizt und die beruflichen Chancen seien auch attraktiv gewesen, da ja in Thüringen ein Mangel an Religionslehrenden, besonders für den Bereich der Regelschule, bestünde. Dieses betont Frau G, auch wenn ihr im Kollegium oder im Studienseminar während des Referendariats gesagt wurde: „Das braucht doch keiner!“. Nicht zuletzt spiele ihr persönlicher Glaube eine entscheidende Rolle. Ihre Fächerkombination beeinflusse ihr Unterrichten, beispielsweise integriere sie gerne geschichtliche Aspekte und Materialien. In der Kirchengeschichte lägen auch ihre persönlichen Lieblingsthemen – in ihren Kursen, so räumt sie ein, würde sie damit allerdings wenig Interesse wecken können. Umgekehrt profitiere aber auch ihr Geschichtsunterricht von ihrem Religionswissen, beschreibt Frau G ihre Unterrichtssituation. Mit der Epoche der frühen Neuzeit beschäftige sie sich besonders gerne, erzählt sie, und damit verbände sich auch ihr Selbstverständnis als Lutheranerin.

Der Lehrberuf sei ein von Frauen dominierter Beruf, stellt Frau G heraus. Religionslehrer, von denen sie nur sehr wenige kenne, seien meistens auch Pfarrer. Ihr Eindruck ist, dass diese sich wesentlich weniger auf die Disziplinlosigkeit der Schülerinnen und Schüler einlassen und mehr auf die Inhalte des Fachs bezogen seien. Andererseits betont sie, dass sie in diesem Zusammenhang eigentlich nicht zwischen Männern und Frauen als zwischen am Fach orientierten und am Lehren orientierten Pädagoginnen und Pädagogen unterscheide. Frau G unterrichtet zurzeit an einer Regelschule und einer Förderschule für geistige Behinderung / geistige Förderung. Mit ihrer Mutter, die als Ethiklehrerin arbeitet, tausche sie Materialien aus. Ihr sei es wichtig sich mit ihren Ethikkollegen zu verstehen, betont sie. Beide Fächer müssten um die Motivation der Schülerinnen und Schüler kämpfen und das schweiße zusammen, so beschreibt sie ihre Erfahrungen. Sie höre viele Klagen über die besondere Situation des Religions- und Ethikunterrichts in geteilten Klassen. Es herrsche ein allgemeines Chaos, z. B. wäre im letzten Jahr das Fach Ethik einstündig, Religion aber zweistündig unterrichtet worden, was auch den Schülerinnen und Schülern schwer zu vermitteln gewesen sei.

Sie versuche, berichtet Frau G, mit ihren Religionskursen immer wieder etwas Besonderes zu machen, z.B. einen Religionstag, an dem sie eine Ausstellung besuchten. Ihr sei es recht, wenn die Kinder und Jugendlichen realisierten, dass sie etwas Besonderes als Religionsschülerinnen und -schüler sind. Da ihre Schulen bisher in Stadtzentren lagen, habe sie in diesem Umfeld gut Unterrichtsgänge planen können. In der Umgebung etwas zu entdecken, „Rausgehen“ aus der Schule, das sei ihr wichtig, betont sie. Sie versuche, mit der ortsansässigen Kirchengemeinde zusammenzuarbeiten. Es sei teilweise organisatorisch nicht einfach, diesen Kontakt zwischen Kirche und Schule zu koordinieren.

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Ähnlich ergehe es ihr mit den Erwartungen der Eltern. Von einigen habe sie den Eindruck, dass diese sie jeden Sonntag im Gottesdienst erwarteten, andere hätten nur sehr diffuse Erwartungen an den Religionsunterricht, die für sie schwer einzuordnen seien. Das Spektrum der Schülerinnen und Schüler sei in dieser Hinsicht sehr vielfältig, alleine den verschiedenen kirchlichen und freikirchlichen Erfahrungen der Kinder und Jugendlichen gerecht werden zu wollen, sei eine große Herausforderung, unterstreicht Frau G. Da der Religionsunterricht etwas Besonderes sei, habe sie auch den Eindruck, dass sich die Eltern inhaltlich mehr interessierten als für andere Fächer. So habe sie schon sehr positive Rückmeldungen bekommen. Aber es herrsche auch ein ständiges Kommen und Gehen in ihrem Unterricht. Teilweise wechselten die Schülerinnen und Schüler aus reiner Neugierde zwischen Ethik und Religion.

Ihre Rolle als Religionslehrerin verortet Frau G anders als in ihren anderen Fächer: Während sie dort zur wissenschaftlichen Objektivität verpflichtet sei, spiele im Religionsunterricht auch ihr persönlicher Glaube eine Rolle, den sie authentisch vor den Kindern und Jugendlichen vertreten möchte. Ebenso sei von Bedeutung, dass Religion ein ordentliches Lehrfach sei und nur auf einer guten Basis ruhe, wenn auch eine für die Schülerinnen und Schüler nachvollziehbare Bewertung ihrer Leistungen stattfinde.

Im Kollegium habe sie die Erfahrung gemacht, dass wenn Spendenaktionen und Ähnliches anstünden, automatisch die Aufgabe an die Religionslehrende fiele, ohne dass dieses wirklich geklärt sei. Mit ihren Kenntnissen und ihrem religiösen Wissen wird Frau G auch von ihren Kolleginnen und Kollegen als Expertin herangezogen. Einerseits habe sie so erfahren, dass viele Schwierigkeiten mit Religion haben, andererseits aber interessiert zuhörten, wenn sie etwas erzähle. Darüber hinaus sei es nach ihren Erfahrungen sehr wichtig, ob und wie sich die Schulleitung hinter das Fach stelle. Letztlich beeinflusse die Schulleitung, wie ernst der Religionsunterricht an der Schule genommen würde. Frau G hat bisher gute Erfahrungen gesammelt.

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Kritisch schätzt sie den Bedarf an Religionsunterricht von Seiten der Schülerinnen und Schüler für die nächsten Jahre ein, da die Schülerzahlen sinken. Wenn dann der Unterricht in den Nachmittagsstunden liege, so schätzt Frau G, werde es kaum noch Religionskurse an Schulen geben. Auch sähe sie einen Unterschied zwischen Stadt und Land. Auf dem Land würden wesentlich mehr Schülerinnen und Schüler Religion wählen. Ungefähr die Hälfte ihrer Schüler ist konfessionslos, ansonsten besuchen Evangelische wie Katholische den evangelischen Religionsunterricht, da katholischer Religionsunterricht nur außerhalb der Schule unterrichtet werden kann aus Mangel an Lehrkräften. Es gäbe immer wieder Schülerinnen und Schüler, die von Religion zu Ethik und umgekehrt wechseln würde. Frau G erklärt diesen Umstand mit der Neugier und dem Interesse der Schülerinnen und Schüler, die Wahlmöglichkeiten zu nutzen.

Strukturell gebe es nach ihren Wünschen einiges zu verbessern. Religionsunterricht solle wöchentlich, zweistündig und möglichst nicht im Nachmittagsbereich stattfinden. Sie erfahre es als mühsam und aufwendig, zum Beispiel alle 14 Tage wieder am vorherigen Thema anknüpfen zu müssen. Unterrichtsreihen seien in der derzeitigen Situation kaum durchführbar. Grundsätzlich stehe sie allerdings zu ihren, wie sie sagt, idealistischen Entscheidungen, Arbeit für die Basis zu machen: an der Regelschule in einem Land wie Thüringen, wo Religion durch die DDR-Vergangenheit nur eine untergeordnete Rolle spiele. Sie selbst erinnere sich nämlich gerne an den eigenen Religionsunterricht, da sie zum ersten Jahrgang an ihrer Schule überhaupt gehörte und an das „Pioniergefühl“, das damit verbunden gewesen sei. Das sei genau das, was sie am Religionsunterricht in Thüringen schätze: Bis heute sei er nicht alltäglich.

Thematisch ist Frau G die Beschäftigung mit dem Menschen im Verhältnis zu seiner Religiosität besonders wichtig. Manchmal empfände sie den Lehrplan als zu einschränkend. Gerne unterrichte sie das Thema Kirche, weil sie den Schülerinnen und Schülern so viele Fakten über die Aufgaben der Gemeinde vermitteln könne. Ebenso ergehe es ihr mit dem Vergleich der verschiedenen Weltreligionen. Trotz toller Angebote täte sie sich schwer, biblische Themen zu vermitteln, weil sich die Kinder und Jugendlichen weit weg von diesen Geschichten wahrnehmen würden. Über den Sinn des Lebens zu diskutierten, gehöre für sie zu den schönsten Erfahrungen ihres Lehrerinnenlebens, hebt sie hervor.

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Als Religionslehrerin wünsche sie sich, keine Einzelkämpferin zu sein. Für die Förderschule für geistige Behinderung / geistige Förderung würden ihr allerdings nicht nur Kolleginnen und Kollegen fehlen, sondern auch die thüringischen Lehrplan-Vorgaben. Da könnten ihrer Erfahrung nach auch die Schulbeauftragten trotz guter Tipps zu wenig leisten. Das, was sie aus dem Studium mitgebracht habe, sei Fachwissen. Persönlich habe ihr das sehr viel Freude bereitet, an der Schule helfe es ihr allerdings kaum. Die Referendariatszeit sei vom Studium ausgehend ein „harter Aufprall auf den Boden“ und schwierig zu meistern gewesen, mit der geringen Erfahrung und dem wenigen Materialien, die ihr zur Verfügung standen. Auch hier fehlten Frau G die Mitstreiter, mit denen sie sich hätte austauschen können. Um mehr Muße zum Experimentieren zu habe, habe sie sich im Referendariat selbstverantwortlichen Unterricht gewünscht. Die berufliche Zufriedenheit schöpfe sie nach wie vor aus ihrem Idealismus, überlegt Frau G. Intensive Diskussionen in ihren Kursen, die etwas bei den Schülern anstoßen würden, und persönliche Rückmeldungen würden sie in ihrem Weg bestärken.

7.7.2 Kommentierungen zum beruflichen Kontext von Frau G

Berufsbiographischer Kontext: Frau G ist innerhalb des vorliegenden Samples die einzige Lehrerin, die selbst schon Religionsunterricht in Thüringen als Schülerin erlebt hat und Evangelische Religionslehre als grundständiges Fach studieren konnte. Unterscheiden sich die beiden Fachberaterinnen Frau D und Frau F dadurch von den anderen Teilnehmerinnen im Sample, dass sie einen facettenreicheren Überblick über den Religionsunterricht an Regelschulen allgemein besitzen, unterscheidet sich Frau G vom Rest des Samples durch ihre immer wieder in Bezug auf die Wissenschaft reflektierte Art. Die argumentative Kompetenz, die sie beispielsweise in der Begründung, warum Religionsunterricht auch in wenig religiös geprägten Gebieten seinen Platz habe, zeigt, dass sie aufgrund ihres Studiums auf eine professionelle Haltung als Religionspädagogin zurückgreifen kann. Allerdings hat sie selbst den Eindruck, angesichts der eigenen pädagogischen Praxis nicht viel aus dem Studium verwenden zu können. Frau G ist die eigene theoretische Leistung nicht bewusst, die aufgrund der aus ihr sich entwickelnden professionellen Haltung konkreten Einfluss auf das Gelingen ihrer praktischen Unterrichtstätigkeit hat. Diese Hypothese ist meines Erachtens für die Ausbildungspraxis genauer zu bedenken.

Anderen etwas zu vermitteln, war Frau Gs grundsätzliche Motivation, den Lehrberuf zu ergreifen. Ein pädagogisches Vorbild war dabei ihre Mutter. Das Fach Religion bietet nach ihren eigenen Erfahrungen als Schülerin und in ihrem Verständnis besonders vielfältige Vermittlungsmöglichkeiten. Sie betont explizit den eigenen Religionsunterricht und bestätigt damit andere Befragungsergebnisse, in denen Theologiestudierende diesen als ausschlaggebendes Kriterium für die Wahl ihres Studiengangs angeben. Grundlegend ist für sie allerdings der persönliche christliche Glaube. Berufsperspektivisch war für Frau G außerdem der Mangel an Religionslehrkräften an Regelschulen ein Argument für die Aufnahme ihres Studiums. Dies gerade vor dem Hintergrund, dass – durch den stetigen Rückgang der Schülerzahlen – in den letzten Jahren nur bedingt Lehrkräfte eingestellt werden konnten. Religion für die Regelschule gilt bis heute als Fach, mit dem man seine Einstellungschancen verbessern kann.

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Im Gespräch wurde deutlich, dass Frau G, die zurzeit des Interviews gerade ihre erste Lehrerinnenstelle angetreten hatte, dabei ist, ihre eigene Rolle als Religionslehrerin auszuloten. Ihr begegnet die kirchenferne, religiöse Ungebundenheit in Thüringen in unterschiedlicher Weise: einerseits im Unverständnis, die das Fach in Schulkollegien bis heute erfährt; andererseits empfindet sie selbst die Aussicht auf kleine Lerngruppen als attraktive Arbeitsbedingung. Während andere Gesprächspartnerinnen im Sample den Religionsunterricht gegenüber Ethik benachteiligt sehen, betont Frau G die gemeinsamen Schwierigkeiten. Sie legt deshalb viel Wert auf gute Zusammenarbeit mit den Ethiklehrkräften, um sich gemeinsam für eine sinnvolle Etablierung der beiden Fächer in den Stundentafeln und in der Anerkennung durch die Schülerinnen und Schüler einzusetzen. Vermitteln möchte sie Erfahrung und Wissen: Im Kollegium wird sie als Expertin für religiöse Fragen wahrgenommen, im Unterricht vermittelt sie Informationen über Kirche und Religion und lässt die Kinder und Jugendlichen eigene Sinnfragen diskutieren mit dem Ziel, dass jede und jeder ein eigenes Verhältnis zur Religion und Religiosität im religionslosen Thüringen entwickelt.

Im Gegensatz zu anderen im Sample, betont Frau G die Notwendigkeit, Leistungsbewertungen vorzunehmen, um Religion als ein ordentliches Lehrfach wie jedes andere Schulfach gelten lassen zu können. Andererseits hebt sie das Außerordentliche des Fachs hervor, das ihr aus der eigenen Erfahrung wichtig geworden ist. Religionsschülerinnen und -schüler sollen das durch besondere Unternehmungen und Methoden spüren. Dieses Hervorheben des Religionsunterrichts, das ganz andere auf der einen und als ordentliches Lehrfach auf der anderen Seite, bleibt in ihrem Selbstverständnis als spannungsreiches Verhältnis augenscheinlich. Praktisch schlägt es sich auch als Spannung zwischen den zu vermittelnden Inhalten und der Motivation der Kinder und Jugendlichen nieder. Frau G ist um ein gutes Mix bemüht, hofft auf weitere Anregungen und Material, um ihr eigenes didaktisches Konzept zu vertiefen. Durch die bewusste Öffnung des Religionsunterrichts hin zu außerschulischen Lernräumen weist Frau G auch unterrichtspraktisch darauf hin, dass das Fach Religion die schulischen Grenzen überwinden und hinter sich lassen kann. Religion bleibt auch fünfzehn Jahre nach der Einführung in Thüringen ein besonderes Fach.

Geschlechtsspezifischer Kontext: Frau G befindet sich in der Berufseinstiegsphase. Zum Zeitpunkt des Gesprächs hatte sie gerade mit ihrer ersten Lehrerinnenstelle nach dem Referendariat begonnen. Ihre berufliche Situation ist vor allem durch die Suche nach der eigenen Rolle geprägt. Dabei bringt sie auch Vorstellungen über weibliche und männliche Lehrkräfte zur Sprache. Auf den ersten Blick orientierten sich Lehrer eher an den Inhalten des Faches und ließen weniger Disziplinlosigkeit zu, während sich Lehrerinnen eher am Lehrprozess als solchen und an den Beziehungen zu den Kindern und Jugendlichen orientierten. Sich selbst verortet sie sowohl fachbezogen, indem sie herausstellt, welche Inhalte ihr persönlich wichtig sind, als auch bezogen auf ihre Schülerinnen und Schüler. Sie verzichtet allerdings nicht darauf Konflikte aufzuzeigen, die in der Spannung zwischen Orientierung am Inhalt und an den Interessen der Lerngruppen entstehen können. Im Kollegium und bezüglich Zusammenarbeit mit Fachkolleginnen und -kollegen in Fortbildungssituationen ist ihr die Beziehungsorientierung sehr wichtig; als Einzelkämpferin möchte sie sich nicht verstehen. Beispielsweise ist es für sie ein Missstand, dass sie als Einzige im Fach Religion das Referendariat bewältigen musste und nun alleine als Religionslehrerin an ihrer Schule arbeitet.

▼ 145 

Berufszufriedenheit sieht Frau G garantiert durch den eigenen Idealismus, der ihre Arbeit als Lehrerin mit den Kindern und Jugendlichen und dem zu vermittelnden Stoff inhaltlich bestimmt und an dem sie versucht festzuhalten. Dabei ist sie sich bewusst, wie viel Energien sie in diese Arbeit steckt. Als Lehrerin ist es ihr, wie beispielsweise Frau A oder Frau H im Sample, wichtig, das eigene religiöse Bekenntnis vor den Schülerinnen und Schülern nicht zu verbergen. Das heißt für sie jedoch nicht, immer mit ihrer Persönlichkeit religiös verfügbar zu sein: Gegen Erwartungen von außen – beispielsweise in ihrer Rolle als Lehrerin auch in Gottesdiensten im Umfeld der Schule oder bei allen Wohltätigkeitsprojekten beteiligt zu sein – versucht sie sich eher abzugrenzen. Die Erfahrungen, durch Eltern, Kinder und Jugendliche positiv bestätigt zu werden, sind ihr jedoch wichtig. Die Orientierung an Beziehungen und die Aufgabe, diese im Verhältnis zu sich selbst auszuloten, ist für sie bestimmend für die Qualität ihres Unterrichts.

Schulformspezifischer Kontext: Frau G ist bewusst Religionslehrerin an der Regelschule geworden. Ihr Anliegen, die Schülerinnen und Schüler im Umgang mit Religion und der eigenen Religiosität „fit“ zu machen, stößt allerdings auch auf Widerstand. Deutlich ist ihr im Vergleich zu Schulen in der Stadt, dass sich in der eher ländlichen Umgebung mehr Kinder und Jugendliche anmelden. Mit anderen im Sample teilt sie die Einschätzung, dass die Zahl derer, die am Religionsunterricht teilnehmen, weiter rückläufig sein wird. Auch sie betont die Gefahr dass der Rückgang der Teilnehmenden noch beschleunigt würde, läge der Religionsunterricht in den Nachmittagsstunden. Die Wahlmöglichkeit zwischen Ethik und Religion selbst, deutet sie, im Gegensatz zu Frau A, als konstruktive Möglichkeit für die Schülerinnen und Schüler. Wechsel von einem zum anderen Fach erklärt sie sich beispielsweise positiv durch die Neugier der Jugendlichen. Deutlich werden die großen Herausforderungen und der hohe Aufwand, der vor diesem Hintergrund besonders auch die Phase des Berufseinstiegs belastet: Einerseits froh zu sein über relativ kleine Gruppen, die das Unterrichten erleichtern, bei gleichzeitigem Wissen, dass Religionsunterricht für seine Etablierung und Entwicklung mehr Zulauf und strukturelle Unterstützung bräuchte. Fraglich ist, wie lange eine Berufseinsteigerin sich unter diesen Bedingungen ihren Idealismus bewahren kann. Im Unterschied zu den anderen Gesprächspartnerinnen im Sample beschreibt Frau G anhand von verschiedenen Aspekten wie zum Beispiel Lerngruppen-/ Lerninhaltsorientierung oder Leistungsbewertung das Spannungsverhältnis, indem sich der Religionsunterricht an der Schule bewegt. Obwohl sie viele Problemanalysen der anderen berufserfahrenen Teilnehmerinnen des Samples zur Situation bestätigt, erweist sich doch ihr Fachverständnis als besonders selbstbewusst und vertieft gegenüber Schülerinnen und Schülern und angestrebter didaktischer Ziele.

7.8 Frau H

Frau H ist Lehrerin seit 1972 und Religionslehrerin seit 1993. Zum Zeitpunkt des Gesprächs arbeitete sie an einer Schule und gab dort keinen Religionsunterricht mehr.

7.8.1 Zusammenfassung des Gesprächs mit Frau H

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Frau H erzählt, sie habe niemals einen anderen Berufswunsch gehabt, schon als Schülerin habe sie mit Jüngeren zusammengearbeitet. Auf die Fachkombination sei es ihr dabei nicht so angekommen. Deutsch habe sie gerne gemacht, letztlich sei sie dann Fachlehrerin für die Fremdsprachen Englisch und Russisch geworden. Nachdem sie als Lehrerin in die Stadt gezogen sei, habe sie nicht mehr viel Kontakt zur Kirche gehabt. Als sie aber nach der Wende in ihr Heimatdorf zurückzog, entdeckte sie ihre Wurzeln neu. So wählte Frau H Evangelische Religionslehre als drittes Fach, auch deshalb, weil es mit dem Russischunterricht immer komplizierter wurde.

Im Gegensatz zu anderen Fächern sei im Religionsunterricht ihrer Erfahrung nach der ganze Mensch und damit auch der ganze Schüler gefragt. Inhalt sei nie nur Wissen, sondern immer auch eigene Überzeugungen, Meinungen und ethische Grundsätze. Frau H sieht ihre Aufgabe als Religionslehrerin darin, auf ihre Schülerinnen und Schüler in dieser Hinsicht prägend einzuwirken. Zu den Ethiklehrkräften habe sie ein gutes Verhältnis. Eine Ethikkollegin beschäftige sich im Unterricht viel mit dem Christentum, sodass manchmal Schülerinnen und Schüler schon gesagt hätten, dass sich Ethik und Religion sehr ähneln würden, berichtet Frau H. Sie ist an ihrer Schule die einzige Religionslehrerin. Zurzeit unterrichte sie das Fach gar nicht, weil es zu wenig Schülerinnen und Schüler gebe. Die wenigen würden am Unterricht einer Nachbarschule teilnehmen. Gerade wenn Schüler nachfragten, bedauere sie die momentane Situation zunehmend.

Abgesehen von diesem Sachverhalt fühle sie sich in vielerlei Hinsicht alleingelassen. Von der Schule wie von der Kirche fühle sie sich in ihrer Arbeit wenig unterstützt. Obwohl sie begonnen habe, im Gemeinderat zu arbeiten, sei sie in der Kirchengemeinde mit Vorurteilen konfrontiert worden, dass Religionslehrkräfte unprofessionell und oberflächlich seien oder Themen zu „weltlich“ behandelten. Wahrscheinlich, vermutet Frau H, wünsche sich die Kirchengemeinde mehr Einfluss auf die Inhalte des Religionsunterrichts. Im Kollegium würden Religionslehrende immer etwas „wie vom anderen Stern“ betrachtet und nicht immer ernst genommen. Andererseits sei sie oft auf ihr Fach angesprochen worden, so berichtet sie von ihren Erfahrungen.

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Frau H ist es in dieser Hinsicht wichtig, zu ihrem Glauben zu stehen. Sie sei als Religionslehrerin in der kirchlichen Gemeinde wie im Kollegium Konfrontationen ausgesetzt, einzig mit den Schülerinnen und Schülern gebe es solche Konflikte nicht. Berührt habe sie als Religionslehrerin, dass der Unterricht gerade für nicht kirchlich gebundene Schülerinnen und Schüler ein Raum werden könne, wo diese ihre Sorgen, Probleme und Nöte lassen könnten. Frau H erzählt, dass sie immer großes Vertrauen bei Kindern und Jugendlichen genossen habe. Sie sehe es als ihre Aufgabe, nach ihrem Vermögen in solchen Situationen zu helfen.

Diese Beziehung sei deshalb auch anders als in anderen Fächern, da man als Religionslehrerin für den Gegenstand des Faches, nämlich den christlichen Glauben, persönlich einstehe und diesen auch nach außen tragen solle. Vielleicht werde man dann zu Beginn von den Kindern und Jugendlichen etwas belächelt, letztlich wecke diese Haltung aber Vertrauen, weil sich auch die Lehrerin etwas traue, so berichtet Frau H aus ihrer Erfahrung. Die Religionskurse fanden jahrgangsübergreifend statt und waren sehr klein, im Gegensatz zu den Ethikkursen, in denen es oft zu Disziplinproblemen kam. Drei Jahrgangsstufen übergreifend zu unterrichten, stelle natürlich eine große Anforderung dar. Sie habe immer versucht, sich viel an Veranstaltungen wie Kirchentagen und Ähnlichem zu beteiligen. Dieser projektorientierte Unterricht mache den Kindern und Jugendlichen sehr viel Spaß.

Ihre Fächerkombination spiele insofern eine Rolle, dass sie sich auch in den Ferien in England für Religion zu interessieren begann und Broschüren mit nach Hause brachte, um sie im Religionsunterricht einzubauen. Im Englischunterricht nehme sie wiederum Themen wie beispielsweise englische Schutzheilige auf. In diesem Schuljahr arbeite sie mit ihrer eigenen Klasse an einem Mittelalterprojekt, wo sie ihr Fachwissen einbringen könne.

▼ 148 

Frau H unterrichtet nur an einer Schule und schätzt es, die Kinder von verschiedenen Seiten her zu kennen. Ihre Schule liegt in einem strukturschwachen Stadtteil, der viele soziale Probleme hat und einen hohen Anteil von Familien mit Migrationshintergrund. Einige Schülerinnen und Schüler lebten mit ihren Eltern im Obdachlosenheim, weil sie sich die Miete nicht mehr leisten könnten. Der Religionsunterricht fehle ihr, sagt Frau H, da sie gerade im Fach Religion einen Freiraum für leistungs- und sozialschwache Schülerinnen und Schüler sehe.

Rückblickend ist Frau H ernüchtert, was den Religionsunterricht betrifft. Die Ausbildung habe sie als eine sehr schöne Zeit in Erinnerung, in der sie Kontakt zu Lehrerinnen der verschiedenen Schulformen bekommen habe. Noch heute ist sie begeistert über die Gemeinschaft, die damals über den Beruf hinaus entstand. Sie betont, wie angenehm es gewesen sei, Vorurteile gegenüber anderen Schulformen abzubauen und sich gegenseitig wertzuschätzen. Nach den bestandenen Prüfungen, so erzählt Frau H, seien alle unheimlich motiviert gewesen, sich in die Arbeit zu stürzen, um „Welten zu bewegen“.

In der Rückschau sei diese Aufbruchssituation ähnlich gewesen, wie die Jahre, in denen sie davon träumte Lehrerin zu werden. Gerne würde sie jetzt das Wissen und die Erfahrung weitergeben, aber sie hege nur wenig Hoffnung, dass an ihrer Schule wieder Religionsunterricht eingerichtet würde. So lange Religionsunterricht im Randbereich des Stundenplans liege, fänden sich kaum genug Schülerinnen und Schüler ein.

▼ 149 

Frau H unterrichtet in Religion gerne Themen, die etwas mit den Kindern und Jugendlichen zu tun haben, wie Partnerschaft, Liebe, Freundschaft. Sie lasse so ein Thema selbst entdecken durch Meinungsumfragen und das Einbringen von persönlichen Erfahrungen. Wichtig sei es ihr, die Vielgestaltigkeit des Lebens zu zeigen, dazu gehöre für sie auch das Thema Tod. Dann besuche sie mit den Schülerinnen und Schülern schon mal ein Bestattungsinstitut.

Insgesamt sei es wünschenswert, mehr Männer als Lehrkräfte zu haben, einmal, weil diese doch eine andere Art hätten, mit Schülern zu kommunizieren und zum anderen, um Rollenbilder zu hinterfragen, wenn man diese auch nicht wegdenken könne.

Sehr wichtig seien ihr Weiterbildungsveranstaltungen, bei denen sie Kontakt zu anderen Kolleginnen und Kollegen aufnehmen könnte, um sich auszutauschen und gemeinsam zu entspannen. Gerne würde Frau H an einer Berufsschule unterrichten, um mit erwachsenen Schülerinnen und Schülern in Kontakt zu kommen, die eine andere Leistungsbereitschaft mitbrächten. Im Unterricht wünsche sie sich mehr Willen zum Lernen und Neugierde auf Wissen, weniger Resignation, betont sie. Letztlich könne die Umgebung an einem solchen Verhalten viel ändern. Sie habe auffällige Schülerinnen und Schüler erlebt, die bei einer ruhigen Arbeitsatmosphäre plötzlich konzentriert mitgearbeitet hätten. Einen Religionsunterricht an allen Schulen, der gefördert und unterstützt würde, das wünscht sich Frau H für die Zukunft des Faches Religion.

7.8.2 Kommentierungen zum beruflichen Kontext von Frau H

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Berufsbiographischer Kontext: Neben Frau C in diesem Sample hat auch Frau H bereits zwanzig Jahre pädagogische Erfahrung, als sich nach der Wende die Möglichkeit bietet, Religionslehrerin zu werden. Da es ihr in ihrer Berufsentscheidung grundsätzlich um die pädagogische Tätigkeit ging, arrangierte sie sich mit der für das DDR-Ausbildungssystem charakteristischen Lenkung ihrer Fächerkombination. Typisch mutet auch ihre Erfahrung an, mit dem Umzug in ein Neubaugebiet der Stadt und dem Berufseinstieg den Abstand zu vergrößern zu den eher dörflich geprägten Bindungen, die sich auf dem Land neben den Werten und Traditionen der sozialistischen Gesellschaft erhalten hatten. Dies gilt beispielsweise für eigene religiöse Wurzeln. Frau Hs Berufsbiographie legt ähnlich wie die differierenden Befunde zur Teilnahme am Religionsunterricht an Regelschulen in ländlichen im Unterschied zu städtischen Umgebungen nahe, dass kirchliche Bindungen und Traditionen eher in ländlichen Gemeinden überdauerten.

Mit der Rückkehr in ihr Heimatdorf entdeckt Frau H diese Bindungen neu. Sie erlebt eine positive Kraft im Kontrast zu ihrer städtischen Arbeitsumgebung, die prägend wird für die Motivation Religionslehrerin zu werden. Frau Hs Entscheidung für Religion beruht einerseits wie bei Frau A und Frau D im Sample auf berufsperspektivisch-pragmatischen Gründen, da Russisch nach der Wende weniger gebraucht zu werden scheint. Die persönlichen religiösen Erfahrungen, die eigene Geschichte und das positive Gefühl der Zugehörigkeit waren vermutlich jedoch ausschlaggebend. Diese Erfahrungen sind die Grundlage ihrer Unterrichtsziele, nämlich für die Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit und der Bedeutung von Gemeinschaft, die Frau H den Kindern und Jugendlichen vermitteln möchte. Persönliches und Berufliches bringt sie als Religionslehrerin zusammen, was für sie eine erhöhte Berufszufriedenheit nach sich zieht, ein Gefühl etwas verändern zu können. Das Anknüpfen an vergessene Erfahrungen gelebter Religiosität begünstigt und beeinflusst auch die Veränderung ihrer beruflichen Ziele.

Eine große berufliche Enttäuschung für Frau H ist, dass zurzeit kein Religionsunterricht mehr an ihrer Schule organisiert wird. Einen Grund sieht sie in dem nicht vorhandenen Interesse der Elternhäuser ihrer Schülerinnen und Schüler. Verantwortlich macht sie allerdings die Schulorganisation, die den Religionsunterricht nicht strukturell fördert und unterstützt. Das Verschwinden des Religionsunterrichts an ihrer Schule ist leider ein repräsentativer Fall für die allgemeine Situation: Religionsunterricht ist vom Engagement der Schulleitungen und der Eltern abhängig. Wenn weder Schulleitungen noch Eltern sich einsetzen, ist die Chance, Religion als ordentliches Lehrfach zu etablieren, äußerst gering. Religionsunterricht an Regelschulen ist nicht selbstverständlich.

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Geschlechtsspezifischer Kontext: Als Lehrerin nimmt Frau H den geschlechtsspezifischen Kontext insofern selbst wahr, dass sie eine andere Kommunikation zwischen männlichen Lehrkräften und Kindern und Jugendlichen beobachtet. Rollenbilder zu reflektieren, hält sie für wichtig, auch wenn sie geschlechtsspezifischen Unterschieden darüber hinaus keine weitere große Bedeutung beimisst.

Hervorzuheben ist allerdings, dass Frau H in ihrer Arbeit eine hohe soziale und integrative Orientierung aufweist, denn sie reflektiert sehr genau die Qualität der Beziehungen zu ihren Schülerinnen und Schülern und im Kollegium. Sie wünscht sich in dieser Hinsicht mehr Austausch mit Fachkolleginnen und -kollegen und vermisst Würdigung und Unterstützung in ihrer Kirchengemeinde. Weder von der Schule noch von ihrer Gemeinde fühlt sie sich als Religionslehrerin akzeptiert. Letzteres zeigt, dass sie an die christliche Gemeinschaft besondere Erwartungen stellt. Diese erwartete Beziehungsqualität, das Bekenntnis zum eigenen Glauben und die vertraute Gemeinschaft mit anderen ist für sie Ideal, das sie, wie auch Frau B, ihren Schülerinnen und Schülern vermitteln möchte. Das Motiv „Religiöse Bindung“ und die Bedeutung von Gemeinschaft spiegeln sich so in ihrem Unterrichtsverständnis, das geprägt ist vom Schaffen von Austauschsmöglichkeiten und Auseinandersetzung mit ethischen Grundsätzen.

Ihre berufliche Lebensgeschichte lässt vor allem bezüglich ihrer persönlichen Religiosität durchblicken, wie intensiv sie ihre Lehrtätigkeit mit ihren persönlichen Wurzeln in Verbindung bringt und begründet. Zwei getrennte biographische Räume ihres Lebens versucht sie so miteinander zu vereinen, um sie jeweils sinnvoll in ihre Lebenserzählung aufzunehmen.

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Schulformspezifischer Kontext: Innerhalb des vorliegenden Samples ist besonders das Umfeld der Schule, an der Frau H arbeitet, hervorzuheben. Das einst moderne Neubaugebiet hat sich im Laufe der neunziger Jahre zu einer strukturschwachen Plattenbau-Vorstadt verändert und beeinflusst damit auch die Situation und Perspektive der dort lebenden Kinder und Jugendliche. Warum gerade an einer Regelschule eines solchen Umfelds der Religionsunterricht nicht mehr stattfindet, ist zu hinterfragen. Begrüßenswert wäre es, sollte dieser Befund dazu anregen, genauer zu untersuchen, in welcher Umgebung Religionsunterricht an Regelschulen nicht mehr stattfindet.

Den fehlenden Religionsunterricht begreift Frau H gerade für die pubertierenden, häufig mit Leistungsproblemen und sozialen Schwierigkeiten belasteten Jugendlichen als großen Verlust. Frau H wie auch Frau A weist darauf hin, dass der Ethikunterricht diese Probleme wesentlich schwieriger auffangen könne, da die Lerngruppen zur persönlichen Auseinandersetzung mit existenziellen Fragen meistens zu groß seien. Ist damit Religion das Förder-Fach für die problematischen Schülerinnen und Schüler, die durch die Vermittlung des Wissens über Werte, wie sie im Ethikunterricht geschieht, nicht erreicht werden? Dieses entspricht nicht der Funktion, die dem Religionsunterricht von offizieller Seite zugedacht wird. Frau H sieht in dieser Situation, die eben auch als Misslage interpretiert werden kann, allerdings eine Herausforderung und wertvolle Chance für die am Religionsunterricht – aus welchen Gründen auch immer – interessierten Schülerinnen und Schüler.

Frau H sucht im Hinblick auf die Konflikte und das Umfeld der Kinder und Jugendlichen nach pädagogischen Lösungsmöglichkeiten, um Defizite zu bearbeiten und Perspektiven aufzuzeigen. Den Religionsunterricht nimmt sie als besonders ertragreichen Lernraum wahr. So gehört sie allgemein gesehen zu den Religionslehrerinnen, die ihren Unterricht vor allem problemorientiert konzipieren. Der Grund dafür liegt in der Wahrnehmung ihres Arbeitskontextes und in ihrem Selbstverständnis als Lehrerin, etwas vermitteln zu wollen: Dem als anonym erfahrenen Großstadtleben und dem inzwischen als strukturschwach wahrgenommenen Milieu versucht sie als Religionslehrerin aus pädagogischen wie persönlichen Überzeugungen heraus Werte entgegenzusetzen und Perspektiven aufzuzeigen.

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Für ihre eigene Berufszufriedenheit bedarf Frau H der Würdigung und Unterstützung ihrer Arbeit als Religionslehrerin. Da sie diese so wenig eingelöst sieht, der Wunsch aber, etwas zu verändern, in ihrem Engagement ungebrochen ist, interessiert sie sich für die Arbeit mit leistungsstärkeren Jugendlichen mit besseren Perspektiven. Dieses lässt vermuten, dass sie nach wie vor Schülerinnen und Schülern etwas mit auf den Lebensweg geben möchte. In ihrer jetzigen Situation sieht sie allerdings kaum noch persönliche Möglichkeiten, etwas zu verändern, Dies erinnert an den Wunsch, der auch Frau C innerhalb dieses Samples umtreibt. Frau H hat als Religionslehrerin ihre pädagogischen Möglichkeiten genutzt, um schülerorientiert neue Lernräume zu erschließen, es fehlt ihr an administrativer Unterstützung. In mehrerer Hinsicht spiegeln sich in der Betrachtung ihrer beruflichen Situation die pädagogischen Probleme und uneingelösten pädagogischen Bedürfnisse der Regelschule wider.


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15.12.2008