6 Gestaltung der qualitativ-empirischen Untersuchung

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Dieses Kapitel schildert den Forschungsprozess der qualitativen Interviewstudie zur Situation und zum Selbstverständnis von Religionslehrerinnen an thüringischen Regelschulen und zeigt dabei erste Ergebnisse auf. Ich begründe meine Entscheidung für die Methode der Grounded Theory und beschreibe, wie die erforschten Samples und der Interviewleitfaden zustande gekommen sind. Außerdem lege ich die Gesprächssituation der Interviews, so weit es möglich ist, offen und erkläre meine Vorgehensweise bei der Auswertung.

6.1 Grounded Theory Method – eine Erschließungsmöglichkeit von Dynamiken in Professionalisierungsprozessen

Mit dem Rückgriff auf die Grounded Theory reiht sich meine Arbeit in die neuere religionspädagogische Forschung ein. Meines Erachtens ist diese Methode besonders ertragreich zur Erforschung des Religionsunterrichts, weil sie die Dynamik der vorfindlichen Beziehungen begreifbar macht. Die Wechselbeziehungen von Erfahrung und Wissen, Praxis und Theorie können mit Hilfe der Grounded Theory Method vertiefend erfasst werden.297 Abbildung 1 illustriert schematisch die Ausgangspunkte, das angestrebte Ziel sowie die Wechselbeziehung zwischen Fragestellung (Forschungsansatz) und Erhebung bzw. Auswertung innerhalb der empirischen Untersuchung (Forschungsdesign):

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Abbildung 1: Wechselbeziehungen zwischen Forschungsansatz und -design

Ich verwende die Grounded Theory Method nach Glaser / Strauss in der Weiterentwicklung nach Strauss / Corbin. Indem ich einen von den Religionslehrerinnen als Subjekten ausgehenden, vergleichenden Forschungsstil in der Erhebung der Daten und im Generieren und Reformulieren von Hypothesen bzw. relevanten Aspekten vertrete, verfolge ich diese in einer offenen Auswertungssituation weiter. Innerhalb des eingegrenzten Forschungsfeldes (staatlich angestellte, für die Schule ausgebildete Lehrerinnen an Regelschulen) strebe ich dementsprechend eine maximale Variationsbreite im Sample an, um auch divergierende Aspekte in den abschließenden theoretischen Überlegungen berücksichtigen zu können.298

Die Datenerhebung erfolgte vornehmlich in Einzelgesprächen anhand eines Interviewleitfadens. Sie wurde auf der Grundlage der Überlegungen zum Professionalisierungsprozess in drei Themenbereiche unterteilt:

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  1. Berufsbiographie,
  2. gegenwärtige berufliche Situation,
  3. Einschätzungen und Perspektiven.

Das bedeutete, dass dem Interviewleitfaden diese Bereiche zugrunde gelegt wurden und eine erste Strukturierung der Daten zur besseren Handhabung gemäß diesen Aspekten stattfand. Das Datenmaterial interpretierte ich vor dem Hintergrund der Ergebnisse der Literaturauswertung und formulierte diese Ergebnisse anhand der empirischen Daten für den thüringischen Kontext neu und spezieller. In einer abschließenden Bewertung wurden die Ergebnisse hinsichtlich einer Erweiterung des Reflexions- und Handlungsspektrums diskutiert.

In den Abschnitten 5.1.1 und 5.1.2 stelle ich zwei verschiedene Zugänge zum Forschungsfeld vor. Der achtsamen Wahrnehmung der Subjekte im Forschungsprozess und der Frage nach dem Einfluss kontextueller Bedingungen auf den beruflichen Habitus wird aus einer jeweils eigenen Perspektive Rechnung getragen. Allerdings können die Ergebnisse aufeinander bezogen werden: kommunikationsorientiert in Zusammenarbeit mit der jeweiligen Gesprächspartnerin und inhaltsorientiert mit dem Ziel, den beruflichen Kontext und das Selbstverständnis auf der Grundlage des Datenmaterials genauer zu bestimmen. Die kommunikationsorientierten Aussagen können mit den inhaltlichen Aussagen verglichen werden.

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Das Verfahren des Vergleichens nach der Methodologie der Grounded Theory Method orientiert sich am Prozess des Kodierens des vorliegenden Materials zu Kategorien, die das Selbstverständnis und die Situation der Religionslehrerinnen genauer beschreiben. Im Vergleich der Texte miteinander fungieren die gewonnenen Kategorien dann jeweils als Auswertungskategorien. Strauss und Corbin unterscheiden das offene Kodieren, durch welches das Material aufbereitet wird und erste Kategorien gewonnen werden, das axiale Kodieren, durch das im Herstellen von Zusammenhängen zwischen den Kategorien neue gewonnen werden können, und das selektive Kodieren, dem die Untersuchung abschließenden Ableiten von Kernkategorien bzw. Schlüsselkategorien.

In der Terminologie der Grounded Theory Method ausgedrückt, ist es mein Ziel, Schlüsselkategorien zu finden, die Professionalisierungsprozesse von Religionslehrerinnen an Regelschulen in Thüringen beschreibbar und bearbeitbar machen. Während das Verfahren des Kodierens vor allem in der inhaltsorientierten Darstellung meines Auswertungsverfahrens Berücksichtigung findet, greife ich aus der kommunikationsorientierten Perspektive vor allem das Sampling gemäß der Grounded Theory Methodologie auf.

Die einzelnen, hier vorgestellten Fälle repräsentieren jeweils eine spezifische Professionalisierung geprägt durch eine Subjektivität, die sich aufgrund von erworbenem Wissen, Handlungsoptionen und Erfahrungen entwickelt hat. Deshalb ist es Ziel der Auswertung des empirischen Datenmaterials, Selbst- und Situationseinschätzung als Orte der Professionalisierung in ihren Möglichkeiten und in ihrer Subjektivität hinsichtlich ihres Reflexionsgrades zu untersuchen. Für die Auswertung des Selbstverständnisses und der Situation im Blick auf einen professionellen – reflektiert-angemessenen – Habitus ist es notwendig, sich der Prozesshaftigkeit und Dynamik dieser Konstellation bewusst zu werden.

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Um den Auswertungsprozess selbst möglichst transparent zu gestalten, beschreibe ich in diesem Kapitel, wie ich die empirischen Daten erhoben habe und im Weiteren mit dem Material in der Auswertung verfahren bin. Ich wählte einen Dreischritt, in dessen Folge die Ergebnisse aus Kapitel 1-4 Schritt für Schritt entlang der empirischen Daten miteinander verzahnt werden. Es handelt sich dabei um

  1. eine zusammenfassende Paraphrasierung und Validierung durch die Interviewpartnerinnen;
  2. eine Kommentierung der Gespräche auf der Grundlage des eingegrenzten Forschungsfeldes (berufsbiographisch, geschlechtsspezifisch, schulformenspezifisch) und
  3. eine vertiefte Themenanalyse und Entwicklung von Kategorien im Sinne der Grounded Theory Method.

6.1.1 Kommunikationsorientiert: Interaktion mit den Gesprächspartnerinnen und Wahrnehmung der individuellen Reflexionsprozesse

In der kommunikationsorientierten Forschungshaltung folge ich einem in der Frauenforschung profiliertem Wissenschaftsverständnis, das sich mit Widersprüchen, Diskontinuitäten auseinandersetzt und die Beziehung zum Forschungsgegenstand bewusst reflektiert.299 In der Zusammenarbeit mit meinen Gesprächspartnerinnen war mir aufgrund meines Ansatzes wichtig, den persönlichen Reflexionen Raum zu lassen. Darüber hinaus war mein Ziel, in Kommunikationsprozessen meine eigene Rolle im Interview und in der Auswertung abzugleichen und zu überprüfen. Mit den Religionslehrerinnen suchte ich das Gespräch, weil ich sie aufgrund ihrer Berufserfahrungen als Expertinnen verstehe. Ein Interviewleitfaden bot mir die Möglichkeit mein Forschungsinteresse zu fokussieren und die Gespräche vergleichbar für die thematische Analyse zu halten. Dadurch grenze ich mich von einer rein narrativen Interviewtechnik ab, durch die die Befragten ihre Erzählung komplett selbst strukturieren.

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Dabei habe ich versucht, durch Offenlegung meines Anliegens Raum für die Entfaltung der eigenen Lebens- und Glaubensgeschichte, für eigene Schwerpunktsetzungen, Einschätzungen und Interpretationen zu schaffen: Zunächst wurde bei den Lehrerinnen angefragt, ob sie Interesse hätten, sich an einer Studie zum Arbeitsalltag von Religionslehrerinnen zu beteiligen. Daraufhin folgte ein Telefonat, in dem ich den Interessentinnen jeweils meinen Ansatz genauer vorstellte. Nach der Absprache eines Gesprächstermins schickte ich den Gesprächspartnerinnen den Interviewleitfaden mit der Terminbestätigung. So hatten die Religionslehrerinnen zum Gespräch ebenfalls den Leitfaden vorliegen und konnten ihn nach eigenem Ermessen als Strukturierungshilfe benutzen. Es entstanden weitgehend narrative Berichte über eigene Berufsentscheidungen, Arbeitsalltag und Einschätzungen und Perspektiven, in denen sich das eigene Verständnis widerspiegelte. Je nach Situation schloss sich zum Ende des Interviews ein Frageblock an, in dem ich Gelegenheit hatte, weitere Fragen aufgrund meiner Erkenntnisse bzw. der Erfahrungen in vorhergehenden Gesprächen zu stellen.

Anschließend wurden die Interviews transkribiert, so dass die Gespräche nachzulesen sind (s. Anhang). In der Transkription wird dabei – zugunsten der Übersichtlichkeit für die Themenanalyse – auf die exakte Wiedergabe des Gesprächsverlaufs verzichtet.300 Das in dieser Form vorliegende Material wurde zunächst, orientiert an der Struktur des Gesprächsleitfadens, diachron und synchron dokumentiert und validiert: Jede Gesprächspartnerin bekam eine Zusammenfassung des Gesprächs zugesandt mit der Bitte, diese ggf. richtig zu stellen oder zu ergänzen. Anschließend wurden in einer Gesprächsrunde, zu der alle Interviewteilnehmerinnen und weitere interessierte Religionslehrerinnen eingeladen waren, erste Ergebnisse der vergleichenden Analyse diskutiert. So versuchte ich, Religionslehrerinnen auf verschiedene Weise einzubinden. Dieser kommunikationsorientierte Ansatz erforderte spezielle Zugänge zum Forschungsfeld, die ich im nächsten Abschnitt erläutere.

6.1.1.1 Zugänge zum Forschungsfeld: Erstes Sample

Ausgangspunkt der Untersuchung war eine in Weiterbildungen artikulierte Unzufriedenheit mit der Situation des Religionsunterrichts. Den in diesem Rahmen bestehenden Kontakt zu Schulbeauftragten, die mich hilfsbereit unterstützten, nutzte ich, um Gesprächspartnerinnen zu gewinnen. Ich fragte Religionslehrerinnen an Regelschulen aus zwei Schulamtsbereichen an:

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  1. Schulamtsbereich Rudolstadt-Neuhaus, d. h. für Thüringen kleinstädtisches bis ländliches Milieu im südlichen Thüringer Wald an der Grenze zu Franken mit einer noch relativ hohen Kirchenmitgliedschaft301 im Bereich der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen;
  2. Schulamtsbereich Erfurt, d. h. mit Erfurt als Landeshauptstadt und schon eher großstädtischem Milieu302 im Bereich der Kirchenprovinz Sachsen.303

Eine weitere Religionslehrerin, die von meinem Projekt durch eine Kollegin erfahren hatte und in mein Sample passte, nahm ich außerdem als Gesprächspartnerin an. Auf neunzehn Anfragen meldeten sich zwölf Lehrerinnen zurück. Insgesamt führte ich acht Einzelgespräche, die alle in dieser Arbeit dokumentiert sind, und ein Gruppengespräch, auf Vermittlung einer Religionslehrerin, mit drei Fachkolleginnen einer Schule, darunter auch eine katholische Religionslehrerin. Zwei weitere Lehrerinnen, die Interesse an der Zusammenarbeit mit mir anmeldeten, bezog ich in die zweite Phase ein. Eine Lehrerin bat sich Zeit aus, zu überlegen, ob sie sich beteiligen wolle, und wollte sich dann zurückmelden, was nie geschah. Abgesehen von diesem einen Fall ist der positive Rücklauf von über 60% sehr erfreulich. Vermutlich verdankt er sich einerseits dem engen Kontakt der jeweiligen Schulbeauftragten zu den Fachlehrerinnen, andererseits signalisiert er darüber hinaus ein hohes Interesse der Lehrerinnen an der Gestaltung des Fachs, was sich in den Gesprächen bestätigte. Schon am Telefon teilten mir allerdings zwei Lehrerinnen mit, dass sie gegenwärtig kein Religion mehr unterrichteten, da der Unterricht an ihrer Schule eingestellt worden sei, was beide zutiefst bedauerten. Die eine war als Religionslehrerin in anderen Schulformen tätig, während die andere ausschließlich in ihren beiden weiteren Fächern unterrichtete.

Als Interviewerin begegnete ich meinen Gesprächspartnerinnen auf mehreren Ebenen:

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  1. als Wissenschaftlerin, die im Interesse für das Fach Evangelische Religionslehre den Arbeitsalltag der Fachlehrerinnen erforschen möchte, und
  2. als benachbarte Kollegin, die im beruflichen Gymnasium hauptsächlich Schülerinnen und Schüler mit Regelschulabschluss unterrichtet.

Dadurch ergaben sich, wie ich in der Vorbereitung und in den Gesprächen selbst feststellte, von Vornherein einige Gemeinsamkeiten: Zum Teil kannten wir uns aus gemeinsamen Fortbildungen, in denen Probleme des eigenen Unterrichts und der eigenen Schulsituation zur Sprache kamen. In der überwiegenden Zahl der Interviews, so schien mir, teilten wir jeweils die Motivation, sich die Situation des Religionsunterrichts an der Regelschule zu vergegenwärtigen, um Ansätze ggf. zu seiner Verbesserung ermitteln zu können. Das Gespräch über Schülerinnen und Schüler, über Fortbildungen und Unterrichtskonzeptionen wurde dementsprechend eher auf kollegialer Ebene geführt.

Gleichzeitig wurde ich in meiner Rolle als Wissenschaftlerin wahrgenommen. Folgende Wahrnehmungen sind mir dazu aus unserer Gesprächsbeziehung präsent: Den Religionslehrerinnen, die das Fach nach der Wende im Weiterbildungs- bzw. Ergänzungsstudium hinzugenommen hatten, galt ich als theologische und pädagogische Expertin, die auf eine intensivere eigene Religionslehrerausbildung zurückgreifen konnte. Ihre eigene Ausbildung relativierten sie vor diesem Hintergrund. Diejenigen, die über ihre Tätigkeit als Religionslehrerin hinaus für den Religionsunterricht, beispielsweise als Fachberaterinnen tätig waren, begegneten mir auch in diesen Fragen der Lehreraus- und -weiterbildung kollegial als Verbündete. Diejenige, die ihr Studium grundständig in Erfurt absolviert hatte, begegnete mir im Wissen, dass mir ihre Erfahrungen aus dem Studium nicht fremd waren. Besonderes im biographischen Teil der Erzählungen zeigte sich, dass meine Gesprächspartnerinnen mich bewusst als in eine andere Generation gehörende und in Westdeutschland ausgebildete Religionslehrerin wahrnahmen. Das zeigte sich in ungefragten genaueren Erklärungen und Bezugnahmen während des Gesprächs.

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Da für mich die Interviewsituation als Religionspädagogin unbekannt war, führte ich ein Interview zur Probe mit einer interessierten Kollegin aus der Grundschule durch, mit der ich auch die erste Auswertung des Datenmaterials erprobte. Mit dem schon erwähnten Gruppengespräch schloss ich die erste Erhebungsphase. Dieses unterschied sich insofern von den Einzelgesprächen, dass nicht nur die Fragen des Interviewleitfadens das Gespräch bestimmten, sondern ich im Verlauf des Gesprächs aus der Erfahrung der Einzelgespräche drei Hypothesen einbrachte:

  1. Religionslehrerinnen sind normale Lehrerinnen.
  2. Religion bietet als Fach besondere Chancen, wird allerdings häufig nicht ernst genommen.
  3. Der zunehmende Leistungsdruck wirkt sich auf die Unterrichtssituation in Religion aus.

Es zeigte sich allerdings, dass die Diskussion anhand dieser Thesen kaum ins Rollen kam. Die Lehrerinnen waren bereit, auf meine Fragen zu antworten, der Austausch und die Diskussion untereinander blieb allerdings sehr verhalten, mit dem Verweis, dass solche Überlegungen ihre Kompetenz übersteigen würden. In dieser Situation bin ich meines Erachtens den Lehrerinnen mit falschen Erwartungen begegnet. Allgemeine Schlüsse und Reflexion von Religionsunterricht gehörten für sie auf die wissenschaftliche Ebene, die nach dem Verständnis der Lehrerinnen so nicht in ihren Kompetenzbereich fiel. Auch im Gruppengespräch mit dem zweiten Sample zeigte sich, dass die Teilnehmerinnen hauptsächlich beim Austausch konkreter Erfahrungen blieben. Zeigt sich hier ein Bruch zwischen Theorie und Praxis?

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In einer etwas anderen Variante zeigte sich dieses Phänomen ebenfalls bei der Validierung der Einzelinterviews ausgelöst durch die zusammengefassten Interviewtexte: Zurückgemeldet wurden nur kleine sachliche Korrekturen, zum Beispiel die Anzahl der Kinder betreffend. Von mehreren Seiten wurde allerdings die Lektüre selbst begeistert kommentiert. So äußerten die Religionslehrerinnen, dass ihnen erst einmal klar geworden war, was sie doch alles geschafft hätten. Diese vermittelte Wertschätzung ist mir in meinem kommunikationsorientierten Ansatz sehr wichtig geworden, so dass ich auf diesen Befund abermals im nächsten Abschnitt zurückkomme.

6.1.1.2 Zugänge zum Feld: Zweites Sample

In der zweiten Phase diskutierte ich Ausschnitte des Datenmaterials einerseits mit der schon erwähnten Grundschulkollegin, andererseits – im Rahmen einer Forschungswerkstatt – mit Verantwortlichen für den Religionsunterricht aus Kirche und Universität. Die Kollegin aus der Grundschule verwies vor allem auf die ihrer Meinung nach regelschultypischen Probleme in der Abgrenzung zur Grundschule. In diesem Zusammenhang hob sie das Problem von Glaubensfragen im Unterricht im Kontrast zum Objektivitätsanspruch in anderen Fächern hervor, außerdem die allgemein sinkenden Schülerzahlen und ihre Auswirkungen auf die sowieso schon geringe Anzahl von Schülerinnen und Schülern im Religionsunterricht sowie den jahrgangsübergreifenden Unterricht im Randstundenbereich. Ob diese Aspekte tatsächlich nur für den Regelschulbereich zutreffen, müsste in einem anderen Forschungsprojekt genauer erörtert werden. In der zweiten Diskussion im Rahmen der Forschungswerkstatt wurde herausgestellt, dass Religionslehrerinnen vor allem mit ihrem pädagogischen Handeln Religionsunterricht positiv beeinflussen würden. Hervorgehoben wurde, dass sich die Kirche mit den staatlichen Religionslehrerinnen häufig immer noch schwer täte und die Lehrerinnen womöglich zusätzlich unter dem Ansehensverlust, verglichen mit dem Lehrerinnendasein in der DDR-Gesellschaft, leiden würden. Kritisch wurde das Bedürfnis der Religionslehrerinnen nach Harmonie im Unterricht betrachtet, ohne sich auch problematischen Themen zu stellen wie etwa der Neutestamentlichen Feindesliebe. Religion, die zu einem solchen „Kuschelort“ würde, könne nicht öffentlich wirksam sein, ließe es an Alltagstauglichkeit vermissen und würde auch von den Schülerinnen und Schülern nur innerhalb der Schule akzeptiert.

Dann lud ich alle Interviewpartnerinnen und die beiden zusätzlich interessierten Religionslehrerinnen zur Diskussion über erste Ergebnisse ein. Vier der Interviewpartnerinnen und eine weitere interessierte Religionslehrerin erschienen zum Gespräch, einige hatten sich aus zeitlichen Gründen entschuldigt. Es erfolgte ein lebendiger Austausch von konkreten Erfahrungen, als ich anhand des Interviewleitfadens zentrale Befunde vorstellte, die in den Einzelgesprächen immer wieder erwähnt worden waren. Insgesamt schien das Gruppengespräch emotional bestimmt durch die Erleichterung, dass man nicht alleine mit seinen Problemen ist, aber auch durch Entrüstung über fehlende Unterstützung. Diskutiert wurden vor allem die Ergebnisse zu den Fragen „Welche Art von Unterstützung wünsche ich mir als Religionslehrerin?“ (vgl. Abbildung 2) und „Woher bekomme ich Unterstützung? Woher bekomme ich sie nicht?“ (vgl. Abbildung 3) anhand der folgenden Grafiken:

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Abbildung 2: Auswertung des Samples: Unterstützungswünsche

Abbildung 3: Auswertung des Samples: Erfahrene Unterstützung

Dabei betonten die Lehrerinnen mehr die fehlende als die vorhandene Unterstützung. So waren sie der Ansicht, dass die Unterstützung durch die Schulleitung wesentlich schlechter sei, als in der Auswertung dargestellt. Zum Gespräch waren besonders diejenigen gekommen, die sich vorwiegend nicht durch ihre Schulleitungen unterstützt sahen. Die Lehrerinnen stellten folgende Ursachen für die fehlende Unterstützung heraus:

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Die Lehrerinnen diskutierten, was Schulleitungen, die Kirchen und die Ausbildungsinstitutionen tun sollten. Daraus lässt sich schließen, dass die Religionslehrerinnen die Probleme vor allem in den nicht funktionierenden Rahmenbedingungen sehen bzw. sich nicht genügend vorbereitet fühlen. Insgesamt überwog der Eindruck, dass sich vor allem der unterrichtliche Rahmen des Fachs Religion seit den Einzelgesprächen, die ein knappes Jahr zurücklagen, verschlechtert habe. Allerdings berichtete mir eine Lehrerin im anschließenden persönlichen Gespräch, dass sie Religion zwar immer noch einstündig, aber inzwischen parallel zu Ethik im Vormittagsbereich unterrichten würde. Insgesamt erscheint das Kommunikationsverhalten der Religionslehrerinnen ambivalent trotz oder gerade in der gemeinsamen Klage. Ambivalenzen sind auch in den anderen Gesprächen zu spüren.

Anhand des Paradigmas erziehungswissenschaftlicher Biographieforschung wurde bereits gezeigt, dass es sich bei den dokumentierten Erzählungen und Berichten um diskursive Konstruktionen von Subjekten handelt, die in ihrer Argumentationsstruktur der Dynamik subjektiver Kommunikationssituationen unterworfen sind. Der „Erzählstoff [entwickelt sich] nicht allein in den Subjekten“304, aber die Ambivalenzen in der Wahrnehmung sind weniger auf unklare Absichten als auf widersprüchliche Kontexte zurückzuführen.305 Die im DDR-System einheitlichen Berufsbiographien wendeten sich je nach Umständen unterschiedlich, ob im Widerspruch oder in der Hinwendung zum Vergangenen oder in ganz andere Richtungen. Darum fehlt, laut Sabine Reh, gerade in den berufsbiographischen Texten ostdeutscher Lehrerinnen die zentrale Auswertungsperspektive.306 Es erschien mir deshalb notwendig, die Dynamik zwischen Kontext und Subjekt zu untersuchen.

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Diese Wechselbeziehung lässt sich beispielsweise an der Dynamik zwischen der Klage der Lehrerinnen und der Begeisterung und eigenen Wertschätzung angesichts ihrer Leistung verdeutlichen: Zu beobachten ist in den Gruppengesprächen mit den Religionslehrerinnen das Bedürfnis nach viel Gemeinsamem. Heiner Keupp geht davon aus, dass eigene Erzählungen und damit das Selbstverständnis in den Deutungen stets abhängig vom sozialen Leben sind, weil jeder den anderen in seiner Rolle stützt, das Machtgefüge nicht bedroht wird und sich Anerkennung einstellt. Veränderungen im System haben häufig den Effekt, dass sich Subjekte gerade durch eigene Erzählungen dagegen wehren, um Autonomie und Anerkennung zu erhalten.307 Die Begeisterung über die zu Papier gebrachte Erzählung ihrer Leistung spricht dafür. Einerseits erscheint es in unserem Beispiel so, dass die Religionslehrerinnen gemeinsam über die Situation des Religionsunterrichts klagen, um sich gegenseitig ihrer Anerkennung zu versichern. Die Frage, die sich hier stellt, ist: Gegen welche Veränderungen reden sie an? Gegen den gesellschaftlichen Transformationsprozess der Wende? Gegen die Veränderung der Bildungslandschaft durch die Politik? Gegen die neue Generation von Schülerinnen und Schülern? Andererseits scheint es, dass sie sich gerade um die Stabilisierung eines Systems und seiner Beziehungen bemühen.

Im Wesentlichen geht es wahrscheinlich um die – diskursive – (Selbst-)Anerkennung der Religionslehrerinnen. Die wissenschaftliche Reflexion kann Anstöße zur Selbstreflexion geben, die wieder neue Kräfte hervorbringen. In diesem Fall handelt es sich zunächst einmal um eine positive Einstellung zur eigenen Arbeit und damit um eine Grundlage für gelingende Professionalisierungsprozesse, da das Verharren im Klagen der Bedeutung der geleisteten Arbeit weicht. Es spielt keine Rolle, ob es sich in dieser Hinsicht nur um subjektive Konstruktionen handelt, es geht um den sich daraus entwickelnden Habitus: Mit dieser wertschätzenden Haltung können problematische Verhältnisse anders, weil professioneller bewältigt werden. Es gilt also zu fragen, wie ein solcher Habitus anzubahnen ist.

Die Ausarbeitungen in den ersten vier Kapiteln legen nahe, dass Religionslehrerinnen in widersprüchlichen Kontexten leben und arbeiten. Eine bewusste Reflexion ist auch von Außen notwendig. Ausgehend von meinen Beobachtungen liegt auch nahe zu hinterfragen, warum es den Lehrerinnen an Wertschätzung mangelt und welche Probleme ihrer berufliche Situation zu beheben sind. Wo haben Religionslehrerinnen in der Aufbausituation Einbrüche erlitten? Was haben sie geschafft? Woraus ziehen sie ihre Kraft? Antworten auf solche und ähnliche Fragen bzw. Themen, die die Religionslehrerinnen angesprochen haben, sollen in der Analyse der Einzelinterviews herausgearbeitet und in ihrer Dynamik interpretiert werden.

6.1.2 Inhaltsorientiert: Verortung von Professionalisierungsprozessen

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In den ersten vier Kapiteln sind einerseits innere und äußere Kontexte beschrieben worden, die über die Herausforderungen und professionellen Möglichkeiten einer Religionslehrerin an thüringischen Regelschulen mitentscheiden. Einerseits handelt es sich hier beispielsweise um Sozialisation, Biographie oder Lebensphase und andererseits um Umstände wie die derzeitige momentane berufliche Situation, das Umfeld der Schule oder die Bindung zur Kirche.

In der ersten Kodierungsphase, in der die Gespräche jedes für sich aufbereitet wurden, folgte ich zunächst den von mir festgesetzten kontextbestimmenden Faktoren: berufsbiographisch, geschlechtsspezifisch und schulformenspezifisch. Im folgenden Prozess versuchte ich, gemäß der Methode der Grounded Theory, Kategorien anhand der Interviews zu entwickeln. Im Vergleich zu anderen qualitativen Auswertungsmethoden bleibt eine nach dieser Methode entwickelte Kategorie eher unscharf. Sie wird weniger als Zuordnungskriterium, sondern in ihrer Entfaltung in der Regel als dynamisch bzw. polyphon begriffen.308 Die Leistung, die von mir als Forscherin in diesem Zusammenhang erbracht werden muss, charakterisiert Barney Glaser als theoretische Sensibilität.309

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„Die theoretische Sensibilität bezieht sich auf eine persönliche Fähigkeit des Forschers bzw. der Forscherin, Feinheiten in der Bedeutung der Daten aufzudecken. Eine solche Sensibilität wird durch verschiedene Quellen gespeist: Literaturstudium, eigene berufliche Erfahrungen, eigene persönliche Erfahrungen und den Forschungsprozess selbst.“310

Mit dieser ersten Kategorisierungsphase begann ich nach der Korrektur und Ergänzung der Gesprächszusammenfassungen durch die Interviewpartnerinnen. Die entwickelten Kategorien sind in der folgenden Tabelle aufgelistet. Der Findungsprozess wurde, wie zu sehen ist, geprägt von der Auseinandersetzung mit der bearbeiteten Literatur:

Tabelle 1: Offenes Kodieren. Auswertungsergebnisse sind dokumentiert in Kapitel 6

Berufsbiographischer Kontext

Geschlechtsspezifischer Kontext

Schulformenspezifischer Kontext

- Persönliche Biographie: Elternhaus, familiäre Umstände etc.

- Gelebte und gelehrte Religion

- Persönliche Bildungsgeschichte: Ausbildung, Fächerwahl etc.

- Persönliche Begabungen

- Schulische Erfolgserlebnisse

- Persönliche und berufliche Perspektiven

- Gelebte und gelehrte Religion

- Vergesellschaftung: Erwartungen der Eltern, der Gesellschaft, der eigenen Familie

- Doppelperspektive auf Beruf und Familie

- Beruflicher Status

- Patchwork-Biographie, „ungelebtes Leben“

- Praxisbezug

- Soziale, integrative, vermittelnde Handlungsprioritäten

- Erwartungen der Gesellschaft

- Anforderungen durch Rahmenbedingungen, Lehrplan und Schülerinnen und Schüler

- Zusammenarbeit mit Schulleitung, Kollegium und Eltern

- Religiöse Sozialisation der Schülerinnen und Schüler

- Kontakt zu FachkollegInnen

- Schulische Erfolgserlebnisse, Chancen

- Schulische Konflikte

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Anhand der entwickelten Kategorien konnte ich in der Kommentierung der Interviews in Kapitel 6 erste Verbindungen und Differenzen aufzeigen. Außerdem fiel auf, dass erste Kategorien bereits für die berufsbiographische und / oder die geschlechtsspezifische und / oder die schulformenspezifische Perspektive von Bedeutung waren. Hier erschloss sich bereits ein erstes axiales Kodieren.311

Die Ergebnisse eines vertieften axialen Kodierungsprozesses werden in Kapitel 7 dargestellt, bevor im abschließenden Vergleich durch das so genannte selektive Kodieren312 vorerst abschließende Schlüsselkategorien im achten Kapitel für den Professionalisierungsprozess diskutiert werden. Auch der Prozess des axialen Kodierens orientiert sich, insofern er die Struktur der ersten Kapitel dieser Arbeit aufnimmt, an der Literaturauswertung, um eine vertiefende Interpretation anhand der Ergebnisse anderer Studien und Darstellungen zu ermöglichen.

Tabelle 2: Axiales Kodieren. Auswertungsergebnisse präsentiert Kapitel 7

Axiale Kodes gemäß der Grounded Theory Method

Pädagogische Professionalisierung

Religions-pädagogische Professionalisierung

Geschlechts-spezifischer, biographischer Kontext

Kontext Regelschule in Thüringen

Pädagogische Professionalisierung

Gelebte und gelehrte Religion;

Zusammenarbeit mit der Kirche; Kirchliche Bindung;

Aus- und Weiterbildung

Status als Lehrerin;

Doppelperspektive;

Berufsbiographie / Lebenslauf

Erfahrungen im Schulsystem der DDR;

Erfahrungen im System der Regelschule;

Zusammenarbeit mit Schulleitung, Kollegium und Eltern; Perspektiven: Konflikte und Chancen

Religionspädagogische Professionalisierung

Religiöse Sozialisation: Doppelperspektive, soziale Orientierung etc.; Weibliche Religiosität?;

Verhältnis Frauen und Kirche; Anerkennung durch die Kirchengemeinde, Pfarrerin / Pfarrer

Gesellschaftliche Situation;

Religiöse Sozialisation der SchülerInnen; Akzeptanz durch Eltern, im Kollegium und durch die Schulleitung; Lehrplan; Rahmenbedingungen des Religionsunterrichts; Kontakt zu FachkollegInnen

Geschlechts-spezifischer, biographischer Kontext

Erfahrungen mit Beruf und Familie in der DDR, zur Wende, gegenwärtig;

Soziale, integrative, vermittelnde Handlungsprioritäten

Kontext Regelschule in Thüringen

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Aus den Kategorien in der Matrixstruktur, dargestellt in Tabelle 2, ergibt sich ein Auswertungsmuster, das der Wechselbeziehung zwischen den Subjekten, ihrem Kapital und dem Kontext, auf deren Basis die Möglichkeiten von Professionalisierung zu bestimmen sind, Rechnung trägt. Die Einzelinterviews stellten dafür durch den ganzen Forschungsprozess hindurch die zentrale Datenquelle dar. Dementsprechend soll im folgenden Abschnitt der Gesprächsrahmen noch einmal genauer umrissen werden.

6.2 Gestaltung der Einzelinterviews

In der schon beschriebenen Vorbereitungsphase vereinbarte ich mit den Interviewpartnerinnen Zeit und Ort für das Gespräch. Die Gespräche fanden von Oktober bis Dezember 2004 statt, also nach der Einarbeitungszeit in das Schuljahr 2004 / 2005. Den Ort für das Gespräch ließ ich die Teilnehmerinnen bestimmen, einzige Bedingung war, dass er sich für die Tonbandaufnahme des Gesprächs eignete. So führte ich Interviews in meinem Büro an der Universität Erfurt (2 Gespräche), in den Räumen des Pädagogisch-Theologischen Instituts in Neudietendorf (1 Gespräch), an Schulen (1 Gespräch und das Gruppengespräch) und auch bei den Lehrerinnen zu Hause (4 Gespräche).

Mit der Terminbestätigung bekamen die Lehrerinnen die Fragen des Interviewleitfadens zur Information zugesandt, eine Vorbereitung wurde nicht eingefordert. Zu Beginn führte ich jeweils eine Kurzerhebung durch, in der ich Folgendes abfragte:

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- die spezifische Situation der Regelschule (Umfeld; besonderes Profil, persönlicher Eindruck), an der die Lehrerin arbeitete;

- das Eintrittsalter in den Lehrberuf, ihre weiteren Unterrichtsfächer und den Beginn als Fachlehrerin für Religion;

- die persönlichen Arbeitsumstände (Angewiesenheit auf volles Gehalt, sonstige Motivationen);

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- das Vorhandensein weiterer Religionslehrenden an der Schule und die durchschnittliche Größe und Zusammensetzung der Religionskurse.

Das Gespräch selbst begrenzten wir auf eine Stunde, die eigentliche Aufnahme auf 45 Minuten. Es bewährte sich, dass die Lehrerinnen frei, unter Zuhilfenahme des Interviewleitfadens, erzählten und ich ggf. vertiefend nachfragte. So sind weitgehend narrative, durch den Leitfaden vorstrukturierte Interviews entstanden.

6.2.1 Interviewleitfaden

Als Überschrift für den Interviewleitfaden entschied ich mich für „Die Situation von Religionslehrerinnen an thüringischen Regelschulen – Fragen zum Gespräch.“ Die Frage nach dem Selbstverständnis betonte ich bewusst nicht, da ich vermutete, dass dieses durch die Situationsbeschreibungen selbstverständlicher zu Sprache kommen würde. Im ersten Abschnitt ging es mir vor allem um die Beschreibungen und persönlichen Entscheidungen:

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1. Berufsbiographie

Was hat Sie bewogen Lehrerin zu werden?

Warum haben Sie sich für das Fach Evangelische Religionslehre entschieden?

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Alle meine Gesprächspartnerinnen schilderten dabei auch persönliche biographische Aspekte, was zeigt, dass die Berufsbiographie von persönlichen Umständen und Perspektiven kaum zu trennen ist. Sie griffen zum großen Teil auch auf diese biographischen Gesichtspunkte in der Beschreibung ihrer gegenwärtigen beruflichen Situation und ihrer Einschätzungen und Perspektiven zurück.

2. Berufliche Situation

Inwiefern unterscheidet sich Religion von anderen Fächern?

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Welche Bedeutung haben für Sie als Unterrichtende Kooperationspartner wie z. B. kirchliche Institutionen, das Fach Ethik (ggf. auch andere Fächer oder Projekte)?

Inwiefern interessieren sich Eltern für das Fach bzw. für Sie als Fachlehrerin?

Wie sehen Sie Ihre Rolle als (Religions-)Lehrerin im Verhältnis zu Ihren Schülerinnen und Schülern?

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Inwiefern spielt die Tatsache, dass Sie Religion unterrichten eine Rolle im Verhältnis zu Kolleginnen und Kollegen?

Die Fragen zur beruflichen Situation führten bei vielen dazu, dass sie diese kommentierten und dann Beispiele aus ihrem persönlichen Arbeitsalltag schilderten. Je nach persönlicher Zufriedenheit oder wahrgenommener Problemlagen verlagerte sich jeweils der Schwerpunkt auf einzelne oder mehrere Aspekte im Spektrum der Fragen. In ihren Einschätzungen und Perspektiven knüpften die Lehrerinnen einerseits an ihrer Situationsbeschreibung an, andererseits nutzten sie diesen dritten Abschnitt auch um einmal ganz losgelöst vom Arbeitsalltag Wünsche zu artikulieren und Prognosen zu wagen.

3. Einschätzung / Perspektiven:

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Religionslehrerin werden – In welchem Licht sehen Sie diese Entscheidung heute?

Gibt es Themen im Religionsunterricht,

die Sie besonders gern / ungern unterrichten?

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die Sie für besonders wichtig / unwichtig halten?

Welche Art von Unterstützung wünschen Sie sich in Ihrer Tätigkeit als Religionslehrerin?

Die Frage nach den Themen des Religionsunterrichts stellte in diesem Abschnitt einen gewissen Bruch im Erzählfluss dar. Nach den Erfahrungen würde ich sie wahrscheinlich eher einen der beiden ersten Bereiche zuordnen. Allerdings kamen anhand dieser Frage Vorlieben, Bedenken und Verbindung zu den anderen eigenen Unterrichtsfächern zum Vorschein. Insgesamt bewährte sich die so initiierte Gesprächssituation.

6.2.2 Abschließende Fragen, Nachbesprechung

▼ 102 

Das abschließende Gespräch wurde einerseits bestimmt durch die Kommentierung der Erzählsituation. Häufig wurde der Eindruck geäußert, dass die Zeit schnell vergangen sei, zum Teil kam es zum Austausch über gemeinsame Erfahrungen in der Weiterbildung und an der Schule. Möglichst direkt versuchte ich noch, die mir aus den Erzählungen wichtig gewordenen Nachfragen zu stellen, d. h. Umstände zu klären, die ich nicht verstanden hatte. Dabei wurden wiederholt von den Lehrerinnen die gesellschaftliche bzw. religiöse Situation in Thüringen, ethische und pädagogische Prinzipien und ihre persönliche Sicht auf den Religionsunterricht thematisiert. Zum Abschluss klärte ich, ob die Interviewpartnerin für Nachfragen oder ggf. für ein weiteres Gespräch bereit sei und schilderte meine geplante weitere Vorgehensweise, u. a. kündigte ich das Gruppengespräch nach der ersten Auswertungsphase und die Bereitstellung der Gesprächszusammenfassungen an, die im Zentrum des folgenden Kapitels stehen.


Fußnoten und Endnoten

297  Günter Mey; Katja Mruck: Grounded Theory Methodologie – Bemerkungen zu einem prominenten Forschungsstil, in: Historical Social Research, Supplement No. 19, 2007, S. 11-39, besonders S. 29 und Martin Rothgangel; Judith Saup: Eine Religionsunterrichts-Stunde – nach der Grounded Theory untersucht, in: Dietlind Fischer; Volker Elsenbast; Albrecht Schöll (Hg.): Religionsunterricht erforschen. Beiträge zur empirischen Erkundung von religionsunterrichtlicher Praxis. Münster 2003, S. 85-102, besonders S. 90ff.

298  Petra Muckel: Die Entwicklung von Kategorien mit der Methode der Grounded Theory, in: Historical Social Research, Supplement No. 19, 2007, S. 216 und Uwe Flick: Qualitative Forschung. Theorien, Methoden, Anwendung in Psychologie und Sozialwissenschaften. Reinbek bei Hamburg 1998, S. 65 und S. 87

299  Vgl. Edith Franke u. a. : Frauen, Leben, Religion. Ein Handbuch empirischer Forschungsmethoden. Stuttgart 2002

300  Ulrike Froschauer; Manfred Lueger: Das qualitative Interview. Zur Praxis interpretativer Analyse sozialer Systeme. Wien 2003, S. 159

301  Wermke: Evangelischer Religionsunterricht, S. 106

302  Großstädtisches Milieu wird hier gemessen an „Thüringer Verhältnissen“, d. h. Erfurt ist mit einer Einwohnerzahl um die 200 000 mit Abstand die größte Stadt.

303  Die Landeskirchliche Ausrichtung bleibt in meiner Studie weitestgehend unberücksichtigt. Auch befinden sich beide Landeskirchen zurzeit in einer Umbruchsphase unabgeschlossener Fusionsabsichten. Ein für diese Studie relevanter Unterschied liegt für mich darin, dass die Evangelische-Lutherische Kirche in Thüringen nach landeskirchlichen Bestimmungen alle Pfarrerinnen und Pfarrer zum Religionsunterricht verpflichtet. Die Auswirkung solcher Sachlagen genauer zu bestimmen wäre meines Erachtens ein weiteres Forschungsfeld von Interesse für den Religionsunterricht in Thüringen.

304  Keupp u. a.: Identitätskonstruktionen, 1999, S. 59

305  Sabine Reh: Berufsbiographische Texte ostdeutscher Lehrer und Lehrerinnen als „Bekenntnisse“. Interpretationen und methodologische Überlegungen zur erziehungswissenschaftlichen Biographieforschung. Bad Heilbrunn 2003, S. 15f.

306  Ebd., S. 15

307  Keupp u. a.: Identitätskonstruktionen, 1999, S. 105

308  Muckel: Entwicklung, 2007, S. 215

309  Barney G. Glaser: Constructivist Grounded Theory? in: http://www.qualitative-research.net/fqs-texte/3-02/3-02glaser-e.htm, Forum Qualitative Sozialforschung / Qualitative Social Research, September 2002, S. 3; vgl. auch Muckel: Entwicklung, 2007, S. 219

310  Muckel: Entwicklung, 2007, S. 219

311  Rothgangel; Saup: Religionsunterrichts-Stunde, S. 91ff.

312  Ebd., S. 93



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15.12.2008