9. Medien im Alltagsfluss – zwischen Ortsbezug und Mobilität

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Die Notwendigkeit (beziehungsweise die Möglichkeit oder der Wunsch), mobil zu sein, die Relevanz von Orten für Handlungen und schließlich der persönlichen Gestaltungsspielraum zeigten sich, wie beschrieben, als wesentliche Strukturen des Alltages. Ebenso wurde deutlich, dass Mediennutzung in und vor allen Dingen zwischen diesen Bereichen eine grundlegende Rolle spielt. Denn in der tagtäglichen Anstrengung, diese Elemente in einem Handlungsfluss zusammenzuführen, also einen funktionierenden Alltag zu gestalten, waren Medien unabdingbar. Die Möglichkeit, durch Medien Orte in ihrer Beständigkeit und der persönlichen Ausgestaltung zu definieren, ist ebenso ein Aspekt, der aufgedeckt wurde, wie die Prägung entfernter Orte und Situationen von unterwegs. Der Alltag erscheint dabei als eine Vielzahl einzelner Handlungen, die in ihrem Zusammenspiel und ihrer Entwicklung zu Handlungssträngen das Aushandeln einer Person zwischen Ort und Mobilität beschreiben. Wie ich im Folgenden darlege, wurde in meiner Untersuchung trotz des beschriebenen hohen Stellenwertes von Mobilität für die Strukturierung des Alltages, weder die Tendenz zu einer völligen Auflösung der Ortsbezüge noch zu einer Zergliederung des Alltages durch Mobilität, wie es etwa Sennett (1998a) beschreibt, erkennbar. Dieser

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„spricht von einer »Drift«, in der sich die kapitalistische Gesellschaft am Ende des 20. Jahrhunderts befände. Vor dem Hintergrund wachsender Flexibilisierungs- und Mobilitätszwänge werde das Individuum wertlos, könne sich nicht mehr auf feste Strukturen verlassen und verliere gleichsam die Gerichtetheit seiner Entwicklung. Das völlig freigesetzte Individuum könne sich nicht mehr zur stabilen Persönlichkeit entwickeln. Statt dessen stelle sich angesichts mangelnder Verläßlichkeit unausweichlich eine zunehmend anomische Situation ein, deren Bewältigung individuell schwierig und langfristig vielleicht sogar völlig unmöglich sein wird.“ (Bonß/Kesselring 1999: 46)

Die Folgen der Mobilisierung erscheinen in dieser Betrachtungsweise drastisch, sowohl in individueller, als auch in gesellschaftlicher Hinsicht: Das Verschwinden von Verbindlichkeiten und damit einhergehend „the corrosion of character“ (Sennett 1998a) führen schließlich, so die Logik der Drift, zu einem Scheitern individueller Integration von Individuen. Der von Bonß/Kesselring verwendete Begriff der Anomie (vgl. Durkheim 1973, zuerst franz. 1897) betont dabei deutlich das Wegbrechen von Sicherheit und Beständigkeit im Leben von Menschen.51 Nicht zuletzt spricht Durkheim von anomischem Selbstmord als Folge dieser Entwicklung (vgl. ebd.: 273ff).

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Statt solche Verunsicherungen und die daraus folgende Fragmentierung des Alltagsflusses zu finden, wurde der Blick durch die empirischen Erkenntnisse auf Prozesse zur Integration von Mobilität in beständige Strukturen des Tages gelenkt. Also auf Handlungen und Arrangements, durch die trotz steigender Mobilitätsanforderungen Raum für die Gestaltung des Tages blieb beziehungsweise eingeräumt wurde. Dass Instabilitäten durch neue Mobilität gerade in der Bewegung wieder ausgeglichen werden können, führt auch Plant mit Blick auf mobile Kommunikation an: „The mobile encourages such movements, and helps to repair the connections they may break“ (dies. 2001: 76).

Denn es hat sich in den untersuchten Alltagshandlungen gezeigt, dass Mobilität im Alltag nicht nur eine Phase der Raumüberwindung ist, die in leeren Orten des Transits stattfindet (vgl. Augé 1994). Vielmehr wurden die Zeit und der Raum des Unterwegsseins für Aushandlungen mit anderen genutzt und persönlich ausgestaltet. Zudem zeigte sich die Bedeutung lokaler Strukturen auch in einem mobilen Alltag deutlich. Ohne die Berücksichtigung dieser weiterhin großen Phasen der alltäglichen Ortsbezogenheit konnte die Einbettung alltäglicher Mobilität nicht vollständig verstanden werden. Bei einer ausschließlichen Konzentration auf Phasen der Mobilität verliert man deren Beziehung zu und Verankerung in Handlungen an Orten aus den Augen (vgl. Moores 2006). Denn eine zentrale Anstrengung der Alltagshandlungen war gerade die Verbindung mobilen und ortsgebundenen Handelns. Die Untersuchung legte bei dieser Integration von Mobilität in die Alltagsgestaltung den stützenden und leitenden Stellenwert von Medien bei solchen Aushandlungsprozessen offen.

Denn Medien betreffen in unserer Gesellschaft den gesamten Alltag. Menschen befinden sich an Orten. Und benutzen Medien. Menschen sind unterwegs. Und nutzen Medien. Der Alltag – ein Fluss von mobilen und lokalen Handlungsrahmen – ist, so wurde offensichtlich, auch ein Fluss der Mediensituationen. Mobiles und Statisches bedingen einander, gehen ineinander über. Medienverwendung ist daher als Handlung zu begreifen, die zwar entweder unterwegs oder an festen Orten stattfindet, aber in den jeweils anderen Bereich übergreifen kann. Schon mit dem Festnetztelefon wurden physische Begrenzungen verlassen, indem durch Kommunikation Raum überwunden wurde (vgl. beispielhaft Wilke 2004; Feldhaus 2004: 15ff; s. auch Kapitel 3). Beide Gesprächsteilnehmer sind dabei jedoch an ihren Ort gebunden. Unterwegssein konnte über diesen Weg zwar eingeleitet werden – einmal in Bewegung war die weitere Aushandlung jedoch nicht mehr möglich, bis man sich getroffen hat.

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Mobile Kommunikation ändert dies grundsätzlich. Auch die Zeit des Unterwegsseins ist eine Phase des medialen Kommunizierens geworden (vgl. Hulme 2004). Abstimmungen sind bis zum letzten Moment vor einem Zusammentreffen, gewissermaßen bis man sich schließlich sieht und auflegt, möglich (vgl. Höflich et al. 2007). Und so ist das Aushandeln des alltäglichen Handlungsflusses eben auch mobil möglich. Die Konsequenz ist tiefgehend: Der Raum der Bewegung ist nicht leer – er wurde spätestens mit mobilen Medien zu einer Gestaltungsphase des Alltages. Und es findet sich auch nicht das von Bonß/Kesselring beschriebene „völlig freigesetzte Individuum“ (dies. 1999: 46), sondern vielmehr ein kommunikativ eingebundenes und somit vielfach sozial eingebettetes Individuum. Zeiten, die zuvor maßgeblich der Verbindung von Räumen dienten, sind durch mobile Kommunikation zu tiefgehenden Phasen der Gestaltung des alltäglichen Handlungsflusses geworden. In den Daten hat sich dies deutlich gezeigt: Unterwegs zu kommunizieren oder Personen, die unterwegs sind, zu erreichen, ist eine ganz selbstverständliche Handlung. In der Bewegung zwischen Orten sind so neue Räume des Aushandelns und Gestaltens entstanden, wie es sich auch in dem zuvor beschriebenen Konzept der Zwischen-Räume (Hulme/Truch 2006) wiederfindet.

9.1. Handlungsstränge: Überbrückung von Orten und Situationen

Einzelne Handlungen ließen sich in der Datenauswertung oft nicht auf einen Ort begrenzen, sondern überdauerten verschiedene Phasen. Bezüge zu bestimmten Personen und Aufgaben tauchten so den gesamten Tag über immer wieder auf und beeinflussten das Handeln an unterschiedlichen Orten oder über Orte hinaus. Ich möchte dies anhand eines Beispiels aus den Daten ausführlicher nachzeichnen und schematisch darstellen: Ein einzelner Handlungsstrang aus dem Alltag von Frau Schmitz wurde herausgegriffen. Es geht um eine Angelegenheit, die sie mit ihrem Statiker zu klären hat. Diese Absprache betrifft, wie unten schematisch dargestellt, unterschiedliche Zeiten, Situationen und Orte im Verlauf des begleiteten Tages.

Abb. 7: Einfluss einer kommunikativen Aushandlung auf verschiedene Orte und Zeiten im Alltag

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Den Rahmen der Darstellung bilden die zirkulär angeordneten größeren räumlichen Phasen des Alltages (vgl. Zschocke 2005: 20), verbunden durch die Bewegung zwischen ihnen. Zentral angeordnet ist der Handlungsstrang „Absprache mit dem Statiker“. Hierdurch wird betont, dass die grundsätzliche Struktur des Alltages hier hinsichtlich eines spezifischen Aspektes, der einer von vielen parallel ablaufenden Handlungen ist, beleuchtet wird. Die gestrichelten Linien stehen für die Bezugnahme dieses Handlungsthemas auf die Phasen des Unterwegsseins beziehungsweise auf die Anwesenheit an den bezeichneten Orten.

Das erste Mal erreicht der Statiker Frau Schmitz an diesem Tag um 9:06 Uhr in der Frühstückspause, die sie mit Herrn Zeit, ihrem Baustellenleiter, in dem Café eines Baumarktes verbringt. Es gibt einige Absprachen zu Unterlagen. Durch die telefonische Rücksprache kann der Statiker mit seiner Arbeit fortfahren. Seine Handlungsmöglichkeiten wurden also dadurch erweitert, dass er Informationen von Frau Schmitz erhalten konnte, während diese noch unterwegs, also außerhalb des Büros war. Doch auch die Situation im Café verändert sich durch das Telefonat. Das Gespräch mit Herrn Zeit wird für die Absprache mit dem Statiker unterbrochen:

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„9:06 – 9:08Uhr: Der Statiker ruft an. Es gibt ein paar kurze Absprachen wegen Unterlagen. Frau S. bleibt während des Telefonats am Tisch sitzen und spricht in der gleichen Lautstärke wie zuvor im Gespräch weiter. Herr Z. wartet darauf, seine Erzählung forstsetzen zu können und schaut etwas teilnahmslos vor sich hin. Nachdem Frau S. das Telefonat beendet hat, fährt er fort.“ (Frau Schmitz/Go-Along)

Auf der Fahrt zur zweiten Baustelle ruft der Anwalt von Frau Schmitz an. Thema sind erneut die Unterlagen für den Statiker. Sie telefoniert während der Fahrt und trägt, an der Baustelle angekommen, dieses Gespräch noch mit dorthin:

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„9:15-9:25 Uhr: Während der Fahrt erhält Frau S. einen Anruf von ihrem Anwalt. Sie stellt das Handy laut und fährt beim Telefonat weiter. Auch an der Baustelle angekommen telefoniert sie noch und rangiert das Auto mit nur einer Hand auf dem engen und zugestellten Baustellenparkplatz. Während des Telefonats nimmt sie auf mehrere Unterlagen, Sachverhalte und ein Fax Bezug. Die Daten sind ihr präsent.“ (Frau Schmitz/Go-Along)

Ein weiteres Mal erreicht der Statiker Frau Schmitz, als diese am frühen Nachmittag (14:24 Uhr) die zweite Baustelle verlassen will. Sie ist bereits an ihrem Auto. Der Statiker möchte sich etwas vor Ort anschauen und benötigt dazu einen Schlüssel. Frau Schmitz arrangiert, dass er diesen bei einem Arbeiter auf der Baustelle abholen kann. Sie sucht während des Telefonates einen bestimmten Handwerker und bezieht diesen so in die Aushandlung mit ein. Auch in diesem Fall wäre der Statiker ohne die Möglichkeit, Frau Schmitz mobil zu erreichen, in seinen Handlungen stark eingeschränkt gewesen.

Durch seinen Anruf verzögert sich jedoch die Abfahrt für Frau Schmitz. Sie wird ungeduldig. Der Einfluss des Anrufes auf ihre Situation und das weitere Handeln wird hier deutlich: „Ihre Abfahrt verzögert sich. Sie wird unruhig, hat offensichtlich noch einen Termin.“ (Frau Schmitz/Go-Along) Schließlich ruft der Statiker ein weiteres Mal um 14:55 Uhr an, während Frau Schmitz erneut in einem Baumarkt ist. Sie gibt ihm von dort aus den Auftrag, verschiedene Leute zu kontaktieren, um die Aufgabe abzuschließen.

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Alleine dieses eine Arrangement hat über den Tag verteilt die Handlungen an mehreren Orten, an denen sich Frau Schmitz aufgehalten hat, geprägt. Hinzu kommen die Orte, an denen sich der Statiker während der Telefonate aufhielt52 und schließlich der Ort, um den es bei dem statischen Problem ging (eine dritte Baustelle). Frau Schmitz und der Statiker sind sich dabei an diesem Tag nie direkt begegnet. Dennoch haben sie mehrfach das Handeln des anderen an dessen Ort beeinflusst: Für die Telefonate unterbrach Frau Schmitz Gespräche und Handlungen. Auch ergaben sich aus den Telefonaten neue Aushandlungen mit weiteren Personen. Und letztendlich haben beide gemeinsam das Handeln auf dem abschließenden Ort, der Baustelle, vorab gestaltet.

Der gesamte Handlungsstrang, der sich immerhin von etwa 9-15 Uhr hingezogen hat, wurde also ausschließlich medial ausgehandelt. Dabei war es für die Besprechung der Aufgaben nicht immer wesentlich, ob sich die beteiligten Personen (ständig) an bestimmten Orten aufhielten. Dennoch spielten in diesem übersituativen, mehrfach unterbrochenen und wieder aufgenommenen Handlungsstrang Ortsbezüge eine wesentliche Rolle. Die Übergabe des Schlüssels oder das gemeinsame Besprechen der Situation an der dritten Baustelle sind Beispiele hierfür. Es fand also eine Verbindung mobilen und ortsbezogenen Handelns durch mobile Kommunikation statt. Durch diese Integration der Mobilität in die Aushandlungen des Alltagsflusses wurde das Unterwegssein zu einer produktiven Phase der Alltagsgestaltung.

Bei der Beobachtung nur einzelner Situationen dieses beispielhaften Handlungsstranges, wären dessen fortlaufende Dynamik und seine Relevanz für andere Alltagshandlungen ebenso wie die vielfache Verbindung von lokalen und mobilen Handlungen nicht deutlich geworden. Denn die einzelnen Aushandlungen standen nicht für sich, ihre Bedeutung und Bezüge konnten nicht alleine durch die Gegebenheiten einer Situation oder eines Settings verstanden werden. Die übersituative Beobachtungsweise zeigte dagegen die immer neuen Rückbezüge auf vorheriges Handeln und das Weiterführen von Handlungssträngen über die einzelne Situation hinaus. 

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So wie in diesem Beispiel reichten in allen untersuchten Fällen Handlungen über Alltagsphasen hinweg, wodurch Handeln an Orten mit Handeln in der Mobilität verbunden wurde. Ein weiteres Beispiel sind die Verabredungen mit Freunden bei Doro, die sich über verschiedene Kommunikationsmedien und Zeiten von der Schule aus bis zum Abend hinziehen. Oder die mehrfachen Absprachen und Arrangements, die Beate mit ihrem Mann über den Tag verteilt getroffen hat, um die gemeinsame Zeit zu gestalten. Auch die vielfältigen, zusammenhängenden Erledigungen, die Frau Kraus für das Funktionieren ihres Haushaltes unternahm und das Kontakthalten von Gero mit seiner Frau, das über den Tag hinweg in unterschiedlichen Situationen über verschiedene Medien bestätigt wurde, zeigen: Dies sind Handlungen, die den Tag über immer wieder in unterschiedlichem Maße zur Geltung kommen. Räume werden in der Zwischenzeit verlassen, unterschiedliche Personen einbezogen und unter Umständen weitere Medien verwendet. Eines ist solchen Handlungen gemeinsam: Sie begleiten die handelnde Person über den Tag hinweg und sind zu unterschiedlichen Zeiten relevant, werden unterbrochen und erneut aufgegriffen. Eine Vielzahl solcher Handlungsstränge durchzieht den Tag. Unterwegs zu sein und trotzdem auf Räume Bezug nehmen zu können, ja mehr noch, sie zu prägen, ohne anwesend zu sein, ermöglicht eine Koordination solcher Aushandlungen auch unterwegs.

Dieses ganz selbstverständlich ablaufende mediale Verbinden von Ort und Mobilität erschien so auch als grundlegende Strategie, einen mobilen Alltag zu bewältigen. Erst mobile Kommunikation schafft die Grundlage hierfür: Verbindungen von mobilem Handeln und Handeln am Ort über viele Stationen des Alltages hinweg wird mit mobilen Medien überhaupt erst denkbar. Viele Handlungsstränge der untersuchten Fälle wären ohne mobile Kommunikation gar nicht möglich; zum Aufrechterhalten dieser Kommunikationsflüsse wäre stattdessen eine stärkere Ortsgebundenheit nötig gewesen. Zudem hätte den Gesprächspartnern bekannt sein müssen, wann sie wen wo erreichen können. (vgl. Burkart 2007: 56ff)

Tomlinson sieht in einer beschleunigten und mediatisierten Gesellschaft die Verheißung aufkommen, mobile Kommunikation könne noch mehr, nämlich räumliche und körperliche Bindung gänzlich auflösen. Zugleich sieht er dieses Versprechen nicht eingelöst, denn der Körper sei anders als mediale Informationen weiterhin lokal eingebunden:

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„It is our bodies that mark the key difference between telemediated and other modalities of immediacy. If we want to encapsulate the prime cultural impact of new communications technologies, then, it might be fair to say that they have produced a kind of false dawn of expectations of the liberation of human beings from the constraints of both embodiment and place. […] we need only think of the gesture of frustration with which a crowd of – let´s say – train passengers simultaneously pull out their mobile phones in the instant that follows the announcement of a delay to their service. Here is the true proportionality between the mediated and the »real« discloses itself in the limitations of a technology which, while it can allow us to vent our spleen, and re-organize our schedules, can do nothing to lift us out of a situation determined by our physical being-in-place.” (ders. 2007: 105, Hervorhebungen im Original)

Doch gerade diese Möglichkeiten, sich mit anderen auszutauschen und zu arrangieren, die Tomlinson fast schon beiläufig als abreagieren und neu ausrichten abhandelt, ist den Erkenntnissen nach das Wesentliche in dem Verhältnis zwischen Ort, Person und Bewegung durch mobile Kommunikationsmedien. Es ging weniger darum, sich in bestimmten Situationen von einem Raum physisch zu lösen. Vielmehr stand die kommunikative Verbindung mit anderen Orten und Personen im Vordergrund. Die Teilnehmer haben sich, noch während sie räumlich gebunden waren, oft genug gewissermaßen medial vorausgeschickt.

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Das von Tomlinson gewählte Beispiel zeigt eben dieses enorme Potential mobiler Kommunikation, das uns mittlerweile so selbstverständlich erscheint. Stellt man sich die geschilderte Situation ohne mobile Kommunikationsmedien vor, so würde ein vor der Abfahrt ausgehandelter Tagesfluss weiter ablaufen, ohne dass die Personen darauf Einfluss hätten. Andere Menschen müssten warten, Termine könnten nicht eingehalten werden. Es gäbe keine Information über den Verbleib der erwarteten Person und den weiteren Verlauf ihres Tages. Es könnte nur spekuliert werden, wie es weitergeht. In der Untersuchung zeigte sich hingegen, wie der Alltag durch mobile Kommunikation in Bewegung gehalten wurde. Soziale und räumliche Aushandlungen wurden verschoben und konnten beeinflusst werden, auch wenn die betroffene Person in einem Raum des Transfers, also gewissermaßen in statischer Mobilität, gebunden war. So erschien den meisten Teilnehmern eine Bewältigung ihres Alltages ohne diese Medien unmöglich: „Also das Handy würd ich sagen ist das wichtigste Mittel, das ich so in meinem Alltag häufig brauche.“ (Beate/Interview) Es erscheint eben als das passende Medium einer mobilen Gesellschaft und hilft, neuen Anforderungen im Alltag gerecht zu werden. Kurz: „the mobile phone arrived to suit a new era of mobility“ (Plant 2001: 76).

9.2. Mobile Kommunikation I: Lösung vom Ort

Mit der Diskussion um die Lösung von räumlichen Bezügen durch eine zunehmende Mediatisierung und eine Steigerung dieser Unabhängigkeit vom Raum durch mobile Medien geht die Annahme einer abnehmenden Bedeutung des Ortes als Raum des Handelns beziehungsweise des steigenden Stellenwertes von leeren Orten des Transits einher (vgl. Augé 1994; Burkart 2007). Buschauer sieht eine Dominanz dieser Betrachtungsweise in der medienhistorischen Darstellung (dies. 2010: 319ff). Dies wird etwa in der These einer „singulären Zäsur der Enträumlichung“ (ebd.: 13) durch virtuelle Räume des Internets deutlich. Auch Meyrowitz sieht mit neuen elektronischen Medien einen Bedeutungsverlust physischer Orte einhergehen, wodurch räumliche Erfahrungen schwinden. Er spricht von No Sense of Place (vgl. ders. 1985) in einer mediatisierten Gesellschaft. Moores nennt diese Entwicklung den „Verlust des Ortssinns“ (ders. 2006: 197). Bedeutet die mediale Durchdringung und Mobilisierung des Alltages so auch eine schwindende Bedeutung der Orte, an denen Menschen sich den Tag über aufhalten und somit auch der direkten Kommunikation – mit der Folge einer Enträumlichung des Alltagshandelns? Geht also mit medialen Entwicklungen die Bedeutung von Orten verloren?

Die stabilisierende Bedeutung bestimmter Orte für die Alltagsgestaltung, die in der Studie deutlich wurde, weist in eine andere Richtung. Denn auch das Leben in einer mobilen Gesellschaft findet an Orten statt, die Bedeutung von Orten wurde im Handeln offensichtlich. Und auch mediale Kommunikation greift räumliche Bezüge auf oder ist an sie gebunden: 

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„Dabei steht Raum den Medien nicht gegenüber, sondern […] in mehrfacher Weise in Bezug zu medialen Figurationen der Wahrnehmung, Lokalisierung, Platzierung oder der Imagination. […] Medien und somit Formen der Kommunikation interagieren – und dies nicht erst in Zeiten elektronischer Tele-Medien – mit Ordnungen, Erfahrungen und Konzeptionen des Raums.“ (Buschauer 2010: 13)

Auch Meyrowitz, dessen Thesen eine Enträumlichung postulieren, gibt zu bedenken, dass selbst in einer nahezu vollständigen Durchdringung des Alltages durch elektronische Medien, bestimmte Handlungen nicht oder zumindest schwer von Orten getrennt werden können:

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„Although electronic media undermine the relationship between social situations and physical places, distinct places obviously still exist and place remains an important determinant of many types of interaction. Physical interactions – from lovemaking to murder – are rather limited over the telephone.” (ders. 1985: 180)

In meiner Untersuchung war es oft genug gerade der Wunsch oder die Notwendigkeit, andere zu treffen, die eine Bewegung zum Ort und die Anwesenheit dort begründet haben. Dabei wurde das Unterwegssein als Mittel zum Zweck also in einem finalen Sinne verstanden: Man machte sich auf den Weg, um irgendwohin zu gelangen und bestimmte Personen zu treffen. Karin schilderte etwa, wie sie von sich aus mobil wird, um mit anderen in direkten Kontakt treten zu können. Da sie den ganzen Tag alleine im Büro sitzt, sei es ihr besonders wichtig, vor der Arbeit und in der Mittagspause zu einem Ort zu fahren, an dem sie Bekannte trifft, um sich mit ihnen zu unterhalten. Sie würde – und das wurde in der begleitenden Beobachtung deutlich – zwar den ganzen Tag über ständig mit Leuten telefonieren oder mailen, aber der direkte Kontakt sei ihr wichtig und für den müsse sie sich eben auf den Weg machen: „Ich muss dann halt auch eben mittags immer mal raus, weil man sonst irgendwie so vor sich alleine rumdümpelt“ (Karin/Interview). Sie folgt damit einem tief verankerten Bestreben, wie Katz anführt: „It seems very much the case that we are hardwired to seek social contact” (ders. 2004: 25), wobei dies über mediale Verbindungen hinausgeht.

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Giddens sieht in solcher direkten Interaktion, der „Kopräsenz“ (ders. 1992: 116f), ebenso wie in der räumlichen Bewegung Handlungen der Umwelt- und Selbstwahrnehmung. Hamedinger nimmt hierauf Bezug und führt an:

„Durch den Körper und die Körperbewegungen entstehen Bewußtseinsinhalte […], die auch für die Konstitution des Selbst ausschlaggebend sind. […] In Giddens Verständnis geht es auch um die Aufrechterhaltung der ontologischen Sicherheit des Individuums, das Vertrauen in seinen alltäglichen Handlungskontext und Sicherheit in kopräsenten Situationen in einem raumzeitlichen Interaktionsrahmen hat.“ (ders. 1998: 155) 

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Bei aller Mobilität ist also die Begegnung an Orten oder in der Bewegung ein wesentliches Element der Alltagsgestaltung und -sicherheit. Orte wurden in den Befragungen mit Personen in Verbindung gebracht, Bewegungen im Raum mit dem Ziel, andere zu treffen, begründet und die Kommunikation während des Unterwegsseins selbst als Verbindung mit Orten und Personen beschrieben.

Den letzten Punkt möchte ich hier aufgreifen: Der Weg ist im Alltag zwar nicht unbedingt das Ziel. Aber: Der Weg prägt das Ziel. Denn wie wir unterwegs sind und vor allen Dingen, was wir dabei machen, wirkt sich auf das Ziel, den zu erreichenden Ort aus. Bewegung ist also nicht nur dem Zweck des Ankommens geschuldet, sondern bereitet Orte nach und vor. Und dies funktioniert insbesondere durch mobile Medien, wie sich zeigte. Herr Eberle schildert, dass er bestimmte Anrufe unterwegs in öffentlichen Verkehrsmitteln führt, weil es vor dem Verlassen des Hauses noch zu früh für diese sei. Er benutze das

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„Handy nur [für, GFK] ich sag jetzt mal Geschäftstermine. Also private Geschäftstermine. […] Wenn ich morgens aus dem Haus gehe, morgens sind die noch nicht da. Und bis ich zu Hause bin ist fünf. Dann ist es schon zu spät. Deswegen mach ich das oft in der Bahn.“ (Herr Eberle/Interview) 

Ohne die Möglichkeit, mobil zu telefonieren, müsste er sich entscheiden, länger zu Hause zu bleiben oder auf die Gespräche zu verzichten. So hingegen ist die zeitliche Vorgabe seiner Gespräche nicht an räumliche Vorgaben gekoppelt. Karin kann sich ebenfalls durch ihr Handy von dem zentralen Ort ihres Alltages – ihrem Geschäft oder Büro – entfernen, ohne auf notwendige Kommunikationswege zu verzichten: Beim Verlassen des Ladens aktiviert sie eine Rufumleitung: „Wenn ich nicht im Büro bin, schalt ich´s aufs Handy um, damit meine Kunden mich immer erreichen können. Auch in der Mittagspause.“ (Karin/Interview) So könne sie ihrem Bedürfnis nachgehen, sich mit anderen zu treffen und sei zugleich mit dem Kommunikationsnetz ihres Geschäftes verbunden. Dadurch ließen sich die Vorteile und Nachteile ihrer Selbstständigkeit verbinden, wie sie sagt: Der Abhängigkeit von ihren Kunden und deren Vorstellung einer ständigen Erreichbarkeit steht die Möglichkeit, sich die Zeit freier als eine Angestellte einteilen zu können, gegenüber. Dass ein Zwang zur Erreichbarkeit nicht zur Fußfessel wird, wird also dadurch gesichert, dass sich Mobilität und Kommunikation eben nicht mehr ausschließen. Frau Kraus wiederum sah in der mobilen Kommunikation eine Absicherung für ihre zukünftige Mobilität, da sie mit dieser nicht aus Angst vor Notfällen zuhause bleiben muss. Das Medium brauche sie „schon aus Sicherheitsgründen, weil ich ja auch viel alleine Auto fahre.“ (Frau Kraus/Interview). Es geht hier weniger um eine ständige Erreichbarkeit durch oder für andere. Vielmehr ist das potentielle Erreichen-Können anderer der wesentliche Punkt, der das Handy zu einem wichtigen Medium für die Aufrechterhaltung eines mobilen Alltages macht. 

Das Lösen von Orten, das durch mobile Kommunikation ermöglicht und vorangetrieben wird, führt also nicht zwangsläufig zu einer Enträumlichung. Vielmehr wurden auch im Unterwegssein Ortsbezüge offensichtlich. Das Alltagshandeln zeigte sich so als ein Aushandlungsprozess zwischen der Möglichkeit zur Lösung von Orten und der Notwendigkeit beziehungsweise dem Wunsch zur Verbindung zu Orten. In den geschilderten Beispielen zeigte sich, dass der Vorteil, mobil sein zu können auf die potentielle mediale Verbindung zu Orten gestützt ist. Frau Kraus beispielsweise kann nur deshalb ihre Mobilität aufrechterhalten, da sie im Notfall eine Verbindung zu Orten und den Personen dort aufbauen kann. Denn durch mobile Kommunikation ist auch in der Lösung vom Ort eine Verbindung zum Ort möglich.

9.3. Mobile Kommunikation II: Verbindung zum Ort

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Während der täglichen Mobilität dienen mobile Medien also dazu auch in der Lösung von Orten auf zeitlich beziehungsweise räumlich entfernte Handlungen Bezug nehmen zu können. Das Mobiltelefon ist hierbei geradezu sinnbildlich für die mobile Mediennutzung und „zum festen Inventar des mobilen Menschen geworden: Es gehört zu all jenen Dingen, die der heutige Mensch immer bei sich trägt“ (Höflich 2005a: 190). Dies hat sich, wie beschrieben, auch in der Empirie gezeigt. Das Mitnehmen des Mobiltelefons wurde als eine selbstverständliche Handlung beschrieben. Ob und wie es dann genutzt wird, hing jedoch sehr von der persönlichen Einstellung zu dem Medium ab. In jedem Fall besaßen und benutzten alle Teilnehmer ein Mobiltelefon und schilderten dessen Stellenwert für ihren Alltag. Die Kategorie des Verbindenden war hierbei oft Thema. Auf die Frage, was ihr das Mobiltelefon bedeute, antwortet etwa Beate:

„Das ist halt meine Verbindung nachhause. Oder, ja, zu meinem Mann. Oder zu allen meinen Freunden. Und dadurch bin ich halt immer erreichbar, aber kann auch selber alle erreichen. Ja, deswegen ist es für mich sehr wichtig.“ (Beate/Interview)

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Diese Verbindung geht über die konkrete Nutzung hinaus. Denn bereits durch die Möglichkeit, in Kontakt treten zu können, also die potentielle Nutzung, stellt mobile Kommunikation eine permanente Verbindung her. Es entsteht auch während der Nicht-Nutzung ein „Perpetual Contact“ (Katz/Aakhus 2002). In den Interviews wurde dieser Gedanke formuliert und konnte in den Handlungen der Teilnehmer nachvollzogen werden. Das Mobiltelefon als persönliches Medium stellt Verbindungen her: Zwischen Personen, Orten und Mobilität. Auf diese Weise wurden Handlungen fortgeführt, die räumlich und zeitlich auseinanderlagen.

Dass eine solche potentielle Verbindung auch zu einer Abhängigkeit, gewissermaßen zu einer virtuellen „Leine“ (vgl. Feldhaus 2004: 119; vgl. auch Rötzer 2006) werden kann, die nicht nur mit Orten verbindet, sondern auch unterwegs an Orte und Personen festbindet, zeigte sich ebenso. Personen stehen auch in der Mobilität in einer Abhängigkeit von anderen, werden gewissermaßen ferngesteuert (vgl. Feldhaus 2003). Während beispielsweise für Frau Kraus die jederzeit mögliche Verbindung eine Bereicherung für ihre Alltagsgestaltung darstellt, schildert Karin, dass die ständige Erreichbarkeit zu Belastung werden kann. Ein Perpetual Contact wurde dann als lästig oder belastend beschrieben, geradezu als Versklavung, wie Frau Schmitz es nennt. Gut, wenn man sich dann der Erreichbarkeit entziehen kann: 

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„Also das [Handy, GFK] lass ich eigentlich dann sogar zu Hause, wenn wir jetzt im Wald sind oder so. […] also wirklich, dass ich jetzt sage, ok, den ganzen Kram jetzt da lassen, dass mich keiner da mehr irgendwie nerven kann.“ (Frieda/Interview)

Oft genug wurde jedoch eine Abhängigkeit von der Erreichbarkeit beschrieben. Der Vorteil mobiler Kommunikation, Handlungen über unterschiedliche Phasen des Alltages hinweg zu verbinden sowie der empfundene Nachteil der ständigen Erreichbarkeit sind wiederum ein Zeichen für die ambivalente Wirkung mobiler Kommunikation auf die Alltagsgestaltung (vgl. Burkart 2000: 217f). Wie die Möglichkeiten mobiler Kommunikation jeweils bewertet wurden, hing von der grundsätzlichen persönlichen Einstellung sowie von der jeweiligen Situation der Kommunikation ab. Als Dilemma zwischen der dazugewonnen Freiheit durch die Möglichkeit zu mehr Spontanität in der Alltagsgestaltung mit ihren Freunden und der Kontrolle durch die Eltern (vgl. Feldhaus/Logemann 2006: 33ff) empfindet etwa die Schülerin Doro die Verwendung des Mobiltelefons. So erzählt sie, dass sie es zwar immer dabei habe und auch erreichbar sein möchte: „Ist schon wichtig. Also mittlerweile überall erreichbar. Ständig, zu jeder Zeit.“ (Doro/Interview) Zum anderen würde sie ihr Handy „manchmal am liebsten in die Ecke schmeißen und sagen, ihr könnt mich alle mal.“ (Doro/Interview) Diese Eigenart des Mobiltelefons, von derselben Person sehr positiv, aber auch sehr negativ beurteilt zu werden, beschreibt Cooper folgendermaßen:

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„On the one hand being available can, in principle, be seen in a fundamentally positive light as part of the extension of transparency […] On the other hand, uninterrupted availability can be described as a potentially oppressive feature of the social effects of technology.” (ders. 2002: 27)

Und gerade in solchen negativen Bewertungen zeigte sich eines ganz deutlich: Die kommunikative Macht des Mobiltelefons, augenblickliche Handlungen mit vorherigen und zukünftigen zu verknüpfen und so die eigene Mobilität mit anderen Orten und Personen zu verbinden – sei dies nun gewünscht oder nicht.

Die Bewertung mobiler Kommunikation und die Art der Nutzung des Mobiltelefons erschienen dabei als Spiegel der Alltagsgestaltung selbst. Dies lässt sich anhand folgender Fälle kontrastierend veranschaulichen: Frieda ist nach eigenen Angaben eher ungern unterwegs, sowohl im Bezug auf alltägliche Mobilität, als auch im Sinne von Veränderungen, die mit einer größeren räumlichen Mobilität einhergehen. Sie schildert, dass sie das Mobiltelefon häufiger bewusst zuhause lasse und sie ginge „auch fast nie dran, wenn irgendwer anruft, wenn mir das grad nicht passt.“ (Frieda/Interview) So fasst sie ihren Bezug zu dem Medium zusammen: „Also schätze ich das eher nicht, dass ich immer erreichbar bin.“ (Frieda/Interview) Daher würde sie das Mobiltelefon auch nicht vermissen, wenn es ihr nicht mehr im Alltag zur Verfügung stünde. Sie hat sich in einem Alltag mit wenigen Mobilitätsanforderungen eingerichtet. Es wurde deutlich, dass mobile Kommunikation für sie die Gefahr birgt, diese alltägliche Sicherheit durcheinander zu bringen. Anders sieht dies insbesondere bei den selbstständigen Personen aus. Karin und Frau Schmitz schildern etwa, dass sie auch außerhalb ihrer Büros immer erreichbar sein müssten. Beide schlossen dabei auch Zeiten der Mittagspause und des Zuhause-Seins ein. In den begleitenden Beobachtungen wurde deutlich, dass beide unabhängig von der Situation über den gesamten Tag hinweg mit dem Handy telefonierten. Beim Autofahren, im Café oder eingebunden in andere Gesprächssituationen. Für sie steht die Sicherheit, für andere erreichbar zu sein beziehungsweise andere erreichen zu können, im Vordergrund. Eine vielfältige Vernetzung ihrer Mobilität mit anderen Orten und Personen ist somit wesentlich für ihre Alltagsgestaltung. Und diese Teilnehmer schilderten auch, dass Mobilität ein wesentlicher Bestandteil ihres Lebens sei und dass sie grundsätzlich gerne und viel unterwegs seien.

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Unabhängig von der persönlichen Nutzung und Bewertung der mobilen Kommunikation, wurde bei der Analyse der Nutzungsepisoden deutlich, wie selbstverständlich unterwegs kommuniziert wurde und wie alltäglich der Gedanke war, entfernte Orte unterwegs gestalten zu können. Das Mobiltelefon spannt also in den Nicht-Orten (Augé 1994) des Unterwegsseins neue Orte auf, die zur kreativen und persönlichen Alltagsgestaltung taugen. Der reflexartige Griff zum Mobiltelefon bei Veränderungen in der Tagesgestaltung, den Tomlinson beschreibt, spiegelt die grundlegende Einbettung dieser Gestaltungsmöglichkeit in das persönliche, alltägliche Handlungsrepertoire wider (vgl. erneut ders. 2007: 105).

Doch was passiert genau in den Phasen der Bewegung? Oder besser: Was macht diese Phasen überhaupt aus? Augé sieht in Verkehrsmitteln sowie in den um diese herum entstandenen Räumen Nicht-Orte, Orte des reinen Transits (vgl. ders. 1994: 93, 103), „Räume ohne eigene Identität“ (Zschocke 2005: 56). „Damit einhergehend legt sich eine Atmosphäre von Flüchtigkeit über den Raum. Der Raum verschwindet in einer Ansammlung von Nicht-Orten“ (ebd.) mit der Konsequenz, dass Orte ineinander übergehen und immer kürzere Sequenzen von Örtlichkeit und Mobilität deren Grenzen verschwinden lassen: „Wo es in der Moderne noch zwei verschiedene Orte gab und dazwischen Land und Wege, die es zu durchqueren galt, finden sich in der Postmoderne verschmelzende Orte“ (ebd.).

In solchen Betrachtungen wird das tägliche Unterwegssein als fragmentierende, inhaltsleere Phase beschrieben und daher wie in raum-zeitlichen Strukturierungsansätzen als Orte und Zeiten des reinen Transportes und der Überbrückung des Raumes betrachtet (vgl. Burkart 2007: 58). Durch die Zunahme dieser Phasen der Bewegung geht so die Bedeutung von Orten als sinn- und persönlichkeitsstiftende Räume (Giddens 1992: 170f) verloren (vgl. Zschocke 2005: 54ff).

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Hulme/Truch setzen mit ihrem empirisch begründeten Konzept der Zwischen-Räume genau hier an und gelangen zu einer gegenläufigen Erkenntnis. Mobile Medien stiften gerade diesen Orten des Unterwegsseins Inhalt, indem eine Verknüpfung zu anderen Orten und insbesondere anderen Personen möglich ist. So werden die Räume zwischen Orten zu Phasen der Persönlichkeitsbildung und zugleich Orte, die aus der Mobilität heraus erreicht werden, in ihrer Bedeutung und Gültigkeit gefestigt (vgl. Hulme 2004; Hulme/Truch 2006). Auch die Erkenntnisse dieser Studie zeigen eine Verbindung ortsbezogener Handlungen mit mobilen Handlungen, die, wenn nicht auf eine „Aufwertung“, so zumindest aber auf eine gegenseitigen Prägung und Bestärkung der jeweiligen Phasen hinweisen. Mobile Medien spielen hierbei die entscheidende Rolle – sie machen den Unterschied zwischen zergliedernden Nicht-Orten und deren verbindenden, persönlichen Nutzung als Zwischen-Räumen aus.

9.4. Mobile Kommunikation III: Bedeutungszuwachs des Unterwegsseins

Zeitungen, Bücher, Displays, Informationssysteme, der Walkman und seine digitalen Nachfolger sind seit jeher die Begleiter Reisender (vgl. Wilke 2004; Weber 2008; Völker 2010). Medien unterwegs zu nutzen, ist so seit längerer Zeit eine alltägliche Angelegenheit. Mit dem Mobiltelefon hat sich jedoch die Art mobiler Mediennutzung grundlegend geändert: Lange Zeit handelte es sich ausschließlich um massenmediale Inhalte, die dazu genutzt wurden, die Zeit des Unterwegsseins sinnvoll zu verbringen oder zumindest zu überbrücken (vgl. Hepp 2008: 82). Durch mobile Kommunikation kam die interpersonale Verbindung hinzu. Damit einhergehend wurden die Handlungsoptionen vielfältiger und die Abstimmung mit anderen komplexer, wie Höflich anführt: 

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„Während eine massenmediale Kommunikation nur Arrangements zwischen Nutzer und Anwesenden verlangt, so ist nun das Ganze in einer triadischen Relation zwischen Ego (als Empfänger/Angerufenen), Alter (als dem Sender/Anrufer) und anwesenden Dritten zu betrachten.“ (ders. 2005d: 85) 

Diese Einbindung in soziale Netzwerke durch die Möglichkeit der interpersonalen Kommunikation ermöglicht es, auf neue Anforderungen im Alltag zu reagieren. Vielfältigen Veränderungen in der Gesellschaft, nach denen sich deren Mitglieder richten müssen, steht die Möglichkeit, die Folgen dieser Entwicklungen zu bewältigen und zugleich selbst zu beeinflussen, gegenüber:

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„The mobile has taken its place in a time marked by increasing connectivity, unprecedented mobility, and the emergence of new cultures, communities and collectivities, and it is now helping to shape that new, emerging world.” (Plant 2001: 76)

Townsend sieht daher das Mobiltelefon als das Medium einer postmodernen Gesellschaft überhaupt: „It seems that the mobile telephone arrived at just the time it was needed […] by the new social systems in the postmodern world“ (ders. 2002: 74). Denn es kann, so Townsend weiter, ein wesentliches Bedürfnis, das mit steigender Mobilität einhergeht, befriedigen: Auch unterwegs den wachsenden Kommunikationsansprüchen gerecht werden zu können, um die knapper werdende Zeit an Orten um diese Aspekte zu entlasten.

Mit mobilen Kommunikationsmedien wird Bewegung selbst so zur Gestaltungsgrundlage der folgenden Räume, wie sich an den Handlungen der Teilnehmer während des Unterwegsseins zeigte. Das Planen und Aushandeln mit anderen wurde mitgenommen oder verlagert. So wie an Orten die (Vor-)Bedingungen für die Mobilität geschaffen wurden, so konnte während des Unterwegsseins auf Orte und die Personen dort zurück gewirkt werden. 

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Es hat sich also gezeigt, dass Orte und Bewegung nicht nur jeweils dem anderen vorausgehen, sich also linear raum-zeitlich in Beziehung setzen lassen, wie Bayazit die übliche Darstellung in Raum-Zeit-Modellen beschreibt:

„Personen werden als Punkte dargestellt, wobei die Bewegung der Individuen durch die Zeit als Verbindungsweg dargestellt wird und die Verweildauer an einem Standort als Senkrechte. […] Die Richtung des Verbindungsweges ist positiv in der Zeit – verläuft nicht in die Vergangenheit – und zeigt daher einen Ablauf von Ereignissen, die eine Interdependenz von den Ereignissen in Bezug auf Raum und Zeit aufweisen. Jedes Ereignis und jede Aktion haben ihre Wurzeln in der vorhergegangenen Aktion.“ (ders. 2007: 133f)

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Statt solch einer strikten konsekutiven Verkettung zeigte sich vielmehr eine Art Schleife in der Alltagsgestaltung: (Aus-)Handlungen in mobilen Phasen des Alltages waren häufig mit Handlungen an anderen Orten verbunden und umgekehrt. Eine klare Segmentierung in Ort und Mobilität ist so nicht (mehr) voraussetzungslos anzunehmen. Gerade durch medienvermittelte interpersonale Kommunikation ist es in der relativ kurzen Spanne der letzten beiden Dekaden zu einer Selbstverständlichkeit geworden, Arrangements vom Ort zu lösen und in die Bewegung zu verlagern. So ist das Ziel der Bewegung nicht mehr nur das Erreichen eines vorab angestrebten Ortes. Dieser ist vielmehr während der Phase der Mobilität in seiner Gestaltung – etwa der sozialen Zusammensetzung – prädisponierbar. Zurückgelassene Räume wiederum können von unterwegs (ab-)geschlossen werden. Es muss beispielsweise nicht mehr zwangsläufig auf einen Anruf vor Ort gewartet werden.

Bewegung beginnt also bereits im Ausgangsort und Mobilität greift auf den Zielort vor. Das Gespräch folgt der Person, wie etwa im Falle Karins oder bei Frau Schmitz, die in ihrem Auto eine mobile Kopie ihres Büros herumfährt und somit ihre Kommunikation zu einem großen Teil von festen Orten lösen kann. Mobile Medien erlauben dabei einen umfassenden Vor- und Rückgriff auf Orte. Sowohl an Orten, als auch unterwegs ergeben sich durch mobile Kommunikation neue Handlungsmöglichkeiten.

Das klassische, lineare Schema Ort-Bewegung-Ort muss also erweitert werden, „an die Stelle von Linearität ist Simultanität getreten“ (Hulme/Truch 2006: 163), denn Orte sind durch kommunikative Beziehungen vielschichtiger geworden. Foucault spricht hierbei von „Gemengelagen“ (vgl. ders. 1999: 145ff), also dem Überlagern unterschiedlicher Handlungen und kommunikativer Bezüge in einer Situation. Während mediale Kommunikation grundsätzlich weitere Räume und Personen in soziale Situationen einbindet, erweitert mobile Kommunikation diese Vielschichtigkeit um die Zeiten des Unterwegsseins. Orte tragen daher immer mehr Bezüge zu Mobilität in sich, mobiles Handeln hat durch mobile Kommunikation immer mehr Einfluss auf die Orte vor- und nachher. Eine rein finale oder konsekutive Betrachtung von Mobilität verdeckt diese Entwicklung: 

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„Kommunikation und Grenzen sind wesentlich fließender geworden. Daraus folgt, dass Menschen, während sie physisch an einem Ort sind und dort eine bestimmte Rolle spielen, in demselben physischen Raum durch einen Handyanruf einer anderen Person aus einem ganz anderen Kontext in eine andere Rolle gezwungen werden können.“ (Hulme/Truch 2006: 163)

Der permanente Wechsel zwischen lokalen und mobilen Bezügen und das Verbinden dieser durch mobile Medien legt das Bild einer sich immer wieder neu bedingenden Handlungs-Schleife nahe, wie im folgenden illustriert wird.

9.5. Kontinuierliche Vermittlung zwischen Ort und Bewegung

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Der Gedanke, Auswirkungen medialer Veränderungen in Form einer Schleife zu sehen, findet sich bei Meyrowitz: Solche „Wirkungsschleifen“ stellen nicht nur die Veränderung durch neue Medien dar, sondern zeigen als „Feedback-Schleifen“ die Wechselseitigkeit solcher Entwicklungen auf (vgl. ders. 1987: 133ff). Eine solche dynamische Ort-Mobilität-Schleife, die aus den neuen kommunikativen Möglichkeiten durch mobile Kommunikation entsteht, lässt sich folgendermaßen skizzieren:

Abb. 8: Kontinuum gegenseitiger Prägung von Ort und Mobilität durch mobile Medien

Diese Schleifenbewegung stellt die gegenseitige Strukturierung und Bedingung von Ort und Mobilität in den Mittelpunkt und zeigt, wie dieser Zusammenhang durch mobile Medien zu einem permanenten Aushandlungsprozess wird. Eine Rückwirkung auf den Ort als Ausgangspunkt der Mobilität kann in Form der medialen Rückkopplung nahezu jederzeit geschehen. Auch zukünftige Orte rücken so in Reichweite des unterwegs kommunizierenden.

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Alltägliches Handeln ist so einerseits eine durch Orte und das Unterwegssein strukturierte, nahezu segmentierte Angelegenheit (vgl. Kapitel 8). Entscheidenden Prozesse, die den Alltag in Bewegung halten, weisen jedoch auf eine andere beziehungsweise weitere Ordnung des Alltages hin: Viele unterschiedliche, miteinander verbundene oder aber auch voneinander unabhängige Handlungsstränge durchziehen den Alltag (vgl. Kapitel 9.1). Die Verbindung räumlicher und mobiler Anforderungen als Grundlage für ein erfolgreiches Handeln und somit einen funktionierenden mobilen Alltag ist dabei zentral. Bedingungs-Schleifen aus Ort und Mobilitätsbezügen werden durch Medien möglich und durchziehen als Grundlage und Überbau des Handelns den alltäglichen Handlungsfluss.

Dass sich Mobilität bereits an festen Orten entwickelt oder Teil dieser sein kann, lässt sich auch in den Überlegungen zu virtueller Mobilität durch elektronische Medien ablesen. Sei es die Vorstellung, durch das Fernsehen sozialisiert zu werden, ohne den eigenen (Kultur)Raum verlassen zu müssen (vgl. Gerbner/Gross 1976; Shanahan/Morgan 1999). Oder McLuhans Entwurf der elektronischen Welt, die Entfernungen schrumpfen und die Welt zu einem globalen Dorf eindampfen lässt. Es entsteht eine Art Hypermobilität, die zuhause zugänglich ist (vgl. McLuhan/Powers 1995). Der Gedanke, an festen Orten mobil zu sein, ist also bereits länger durch Medien etabliert. Besonders mit dem Telefon gehen solche Überbrückungen einher. Mit Wilke lässt sich dieser Gedanken zusammenfassen:

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„Die Dynamik der Mobilisierung der Kommunikation hat im 20. Jahrhundert nicht nur die Mittel der Massenkommunikation ergriffen. Unterworfen ist ihr nicht minder die Individualkommunikation. Deren Entfesselung von der räumlichen Präsenzgebundenheit wurde durch das Telefon in Gang gesetzt.“ (ders. 2004: 24)

Dass Mobilität jedoch auch den Ort und seine Gestaltung in sich trägt, ist erst durch mobile Medien möglich geworden. Und auch hier spielt das Telefon eine wesentliche Rolle. Allerdings in einer mobilen Variante. Das Mobiltelefon als ein Medium, das „um zu kommunizieren auch dann kommuniziert, wenn es nicht kommuniziert“ (Hagen 2008: 3), schafft auch an Orten eine permanente potentielle Bezugnahme zu Mobilität beziehungsweise zu Personen, die mobil sind. Vor allen Dingen schafft es jedoch unterwegs genutzt einen zusätzlichen Gestaltungsraum. So

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„bietet das Mobiltelefon parallel zur steigenden Flexibilität der Grenzen zwischen den sozialen Identitäten – einer Flexibilisierung, die durch die Handynutzung gefördert wird – auch die Möglichkeit zur Schaffung und Aufrechterhaltung solcher Grenzen. An dieser Stelle kommt der Zwischen-Raum ins Spiel; er bietet den Individuen Raum für die Organisation und Pflege ihrer Identitäten, aber auch den Raum, darüber nachzudenken, wie sie sich in der Welt präsentieren wollen.“ (Hulme/Truch 2006: 167)

War das Handeln an Orten mit (kommunikativen) Anforderungen überladen, so schilderten die Teilnehmer ihre Zeiten des Unterwegsseins auch als Phasen der persönlichen Gestaltung (vgl. Kapitel 8.3). Sich zu entspannen und Zeit für sich selbst zu haben, ist ein zentraler Aspekt des Unterwegsseins gewesen. Sei es das Hören der Lieblingsmusik, das Beobachten anderer oder die Wahl einer schönen Wegstrecke: Neben der Möglichkeit, Orte medial von Unterwegs zu erreichen und zu gestalten, wirkt auch die persönliche Entfaltung während des Unterwegsseins auf die folgenden Situationen. So macht es etwa einen Unterschied, ob man den nächsten Ort entspannt erreicht oder gestresst.

Aus vormals getrennten Bereichen ist so ein kontinuierliches Zusammenspiel geworden. Neue Möglichkeiten der Arrangements durch mobile Medien und die Selbstverständlichkeit ihrer Nutzung lassen dieses Ineinander-Gehen mobiler und ortsbezogener Handlungen zur Normalität werden. Gerade das Mobiltelefon ist daher ein Medium, das alltägliches Handeln vorantreibt. Burkart prognostiziert, dass sich durch zunehmende Nutzung mobiler Kommunikation die Bedeutung von Orten und Ortsgebundenheit auflöst und so letztendlich die Struktur des Alltages immer flexibler wird, was eine vollständige Mobilisierung zur Folge hat (vgl. ders. 2007). Die Betonung der Bedeutung einzelner Orte für das Handeln sowie die Perspektive, Bewegung als persönlichen und kreativen Handlungsraum zu betrachten, zeigen Grenzen einer solchen vollständigen Flexibilisierung auf. Die Studie legt nahe, dass mit einer Verbindung zwischen unterschiedlichen Phasen des Ortsbezuges, der alltäglichen Mobilität und dem persönlichen Bestreben nach einer gewissen Ontologie in der Alltagsgestaltung auch in einer mobilen Gesellschaft ein stabiler, verlässlicher Alltag bestehen kann. Wie weit die Nutzung der Mobilitätsphasen als neue Gestaltungsräume belastbar ist, wird sich zukünftig erweisen müssen. Können sie eine mögliche weitere Zergliederung in einem noch mobiler werdenden Alltag ausgleichen? Werden mobile Handlungsräume mit einem möglichen Bedeutungsverlust von Orten unter Umständen selbst bedeutungslos, da ihnen und den Handelnden der räumliche Bezug fehlt?

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Es hat sich jedoch auch gezeigt, dass trotz einer Verschmelzung von ortsbezogenen und mobilen Handlungen zu fortlaufenden Handlungsschleifen, eine Trennung zwischen Mobilität und Ort insbesondere auch in der Wahrnehmung der handelnden Personen weiter Bestand hat. Hierbei wurde deutlich, dass insbesondere Medien und deren Verwendung für die Gestaltung der jeweiligen Alltagsphasen und somit bei aller Mobilisierung für die Aufrechterhaltung einer gewissen Gliederung im Alltag sorgen.

Es zeigte sich insbesondere in einer Phase des Alltages das Bedürfnis, diese immer enger werdende Schleife zwischen Orten und Mobilität zu lösen: Das Zuhause-Sein am Abend (vgl. Kapitel 8.2 und 8.3) ließ den Aushandlungsfluss ausklingen. Im Feierabend zielt der Ort nicht mehr auf neue Mobilität hin – bis diese am nächsten Morgen weitergeht.

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„Ich […] will ja noch gesund bleiben und nicht irgendwie 24 Stunden arbeiten, sondern einfach auch abends zuhause sein können und Feierabend haben. […] Wenn der Gero da ist, dann gucken wir schon, dass wir den Abend irgendwie für uns haben.“ (Karin/Interview)

Bestimmte Medien, insbesondere das Fernsehen und Musik, wurden bewusst für die Entschleunigung des Alltages eingesetzt (vgl. auch Mikos 2004, 2005). Das Mobiltelefon wiederum als Symbol des Vorantreibens des Alltagsstromes wurde in solchen Phasen abgeschaltet oder ignoriert: „Manchmal, wenn ich müde bin oder nen freien Tag habe und ich keine Lust habe irgendwas zu machen, dann geh ich auch nicht dran.“ (Beate/Interview). Im Vorfeld des Feierabends spielt es jedoch eine entscheidende Rolle: Durch die zu zusätzliche Nutzung des Unterwegsseins zum Planen und Arrangieren blieb für die Abendgestaltung mehr Zeit. Organisatorisches konnte sozusagen „on the run“ (Ling 2004: 4) abgearbeitet werden, um sich freie Orte und freie Zeit schaffen zu können. 

Raum-zeitliche Strukturierungen schienen ebenso wie deren Verbindung und Überwindung durch Mobilitätsschleifen im Alltag Geltung zu haben. Wie sich die offensichtliche Einteilung des Alltages in Phasen von Orten und solchen der Mobilität mit dem übergreifenden Verbindungen dieser Phasen durch mediale Kommunikation in Einklang bringen lässt, wird im folgenden Kapitel erörtert.


Fußnoten und Endnoten

51  Beispielhaft und eindrucksvoll zeigt die aktuelle Shell-Jugendstudie, dass junge Menschen trotz aller Mobilisierung durchaus verlässliche Werte und Beständigkeit im Alltag anstreben (vgl. SHELL 2010).

52  Es wäre sicherlich interessant, auch den Alltag des Statikers parallel zu begleiten, um die Schnittpunkte der beiden Alltage von beiden Seiten betrachten zu können. In diesem Beispiel bleibt er jedoch der entfernte Alter in einer Kommunikationssituation (vgl. Höflich 2005d: 85f).



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