3. (Mobile) Medien im Alltag 

3.1. Mediatisierung der Alltagswelt

▼ 26 (fortgesetzt)

Die Bedeutung und Berücksichtigung des alltäglichen Handelns in den Kommunikationswissenschaften betonen aktuell insbesondere Hartmann/Hepp (2010) mit Blick auf Die Mediatisierung der Alltagswelt, Linke (2010) bei der Untersuchung von Medien im Alltag von Paaren, Höflich et al. (2010) hinsichtlich Mobile Media and the Change of Everyday Life und Röser/Thomas/Peil (2010a) in ihrem Sammelband Alltag in den Medien – Medien im Alltag. Letztgenannte führen zur Aktualität des Themas an:

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„Seit einigen Jahren ist die hohe Relevanz von Fragen nach der Bedeutung von Alltag in den Medien und Medien im Alltag auch über Fächergrenzen hinaus nicht mehr begründungsbedürftig.“ (dies. 2010b: 9, Hervorhebungen im Original)

Alltag und Medien werden hierbei in vielfältigen Studien in ihrer wechselseitigen Beziehung erforscht. Gerade in der Kommunikationswissenschaft hierzulande sahen Röser/Thomas/Peil bei der expliziten Verbindung der Untersuchungsfelder Alltag und Medien bislang jedoch noch Defizite:

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„In der deutschsprachigen Kommunikations- und Medienwissenschaft wurden Alltagsbezüge […] lange Zeit marginalisiert, nur selten standen sie im Zentrum der Betrachtung.“ (ebd.: 9)

Führt man sich Publikationen zum Medien- und Gesellschaftswandel hinsichtlich des Alltagshandelns (vgl. Hartmann/Rössler/Höflich 2008; Höflich 2003; Höflich/Gebhardt 2003; Höflich/Hartmann 2006) und zur Mediatisierung des Alltages (Hepp 2008; Krotz 2001a, 2007; Mikos 2004, 2005) vor Augen, lassen sich zumindest für die letzten zehn Jahre durchaus Gegenbeispiele zu dieser Annahme finden. Der Kontext des Alltages wird hier in der kommunikationswissenschaftlichen Forschung berücksichtigt, Medien im Alltag werden explizit zum Thema gemacht (vgl. auch Boehnke/Döring 2001; Gebhardt 2008; Röser 2007; Voß/Holly/Boehnke 2000).

Die Erforschung von Medien im Kontext des Alltages ist dabei ein naheliegendes Thema, gerade in einer umfassend von Medien geprägten Gesellschaft. Mediennutzung ist ebenso wie anderes Handeln selbstverständlicher Teil des Alltages. Es fällt nicht als besonderes Handeln aus dem Rahmen des alltäglich Normalen (vgl. Voß 2000: 48). Die Mediatisierung des Alltages beschreibt eben diese Durchdringung aller Bereiche alltäglichen Handelns durch Medien. „Konzepte wie »Mediengesellschaft«, »Medienwandel« oder auch »Mediatisierung«“, so merkt Krotz an,

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„behaupten auf der Mikroebene des Alltags und des Handelns der Menschen, dass Medien und Mediennutzung von zunehmender Bedeutung sind, weil Arbeit und Freizeit, soziale Beziehungen der Menschen und ihre Identität, aber auch Kompetenzen und Wissen vom Wandel der Medien nicht mehr getrennt werden können.“ (ders. 2007: 48)

Die Aneignung von Medien und der Umgang mit ihnen stehen dabei nicht für sich alleine, sondern sind mit anderen Handlungen verbunden. Mediennutzung ist daher

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„immer auch Alltagshandeln und somit verknüpft mit nicht-medienbezogenen Praktiken […]. Mediengebrauch ist immer in das soziale Gefüge des häuslichen Zusammenlebens und weiterer Kontexte integriert, wo er ganz unterschiedliche Bedeutungen entfalten kann.“ (Röser/Thomas/Peil 2010b: 9)

Durch die tiefe Verbindung medialer Kommunikation mit dem Alltagshandeln von Menschen gehen mit medialen Entwicklungen auch Veränderungen des Alltages einher. Medien finden sich als „technische Institutionen, über die bzw. mit denen Menschen kommunizieren“ (Krotz 2007: 37) in dieser Entwicklung wieder, sie „sind in ihrer jeweiligen Form Teil einer spezifischen Kultur und Epoche, insofern sie in Alltag und Gesellschaft integriert sind“ (ebd.). Sie können so als Ausdruck, Ursache und Resultat gesellschaftlicher Veränderung gesehen werden (vgl. Castells 2007; Höflich et al. 2010; Silverstone/Haddon 1996). Die rasante und umfassende Verbreitung und Akzeptanz mobiler Medien in den letzten beiden Jahrzehnten ist so zum einen ein Zeichen dafür, dass ein offensichtliches Bedürfnis nach Mobilität in unserer Gesellschaft besteht. Zum anderen wird argumentiert, dass die Mediatisierung des Alltages erst die Basis für steigende Mobilisierung gelegt und so das Bedürfnis nach medialer Mobilität geweckt hat.

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Hier zeichnet sich das Zusammenspiel gesellschaftlichen und medialen Wandels (vgl. etwa Burkart 2000; Katz 2003; Ling 2004) beziehungsweise technikzentrierter und „anthropologischer“ Medienbetrachtung (vgl. Winkler 1999) ab. In der Frage danach, welche Rolle und vor allen Dingen welchen Einfluss Medien bei der Gestaltung der Lebenswelt einer Person haben, stehen sich zwei wesentliche Postionen gegenüber. Auf der einen Seite werden die strukturierenden, technischen Vorgaben medialer Entwicklungen betont, auf der anderen Seite der aktive Prozess der Medienwahl und Medienaneignung (vgl. Burkart 2007: 23). Sinnbildlich für diese beiden Positionen stehen das Diktum Kittlers „Medien bestimmen unsere Lage“ (ders. 1986: 3) und die Perspektive auf Medienaneignung als „Prozess des »Sich-zu-eigen-Machens« von Medieninhalten“ (Hepp 2006: 246). Mikos kommt zu dem Schluss, dass eine allein technikzentrierte Betrachtungsweise der Einbindung von Medien in das alltägliche Handeln nicht gerecht werden kann. Denn diese

„vernachlässigt, dass Medien und ihre Nutzung in die alltäglichen Handlungsabläufe integriert sind. Die Bedeutung der Medien liegt nicht in ihrer technischen bzw. medialen Verfasstheit, sondern in ihrem Gebrauch, in ihrer sozialen Anwendung in spezifischen sozialen Kontexten.“ (ders. 2004: 21)

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Dabei geht die gegenseitige Bedingung von Alltag und Medien über die konkrete Nutzungsepisode oder die reine Rezeption hinaus. „Medien sind auch dann im Alltag von Bedeutung, wenn in den Handlungen der Subjekte kein offensichtlicher Medienbezug zu erkennen ist“ (ebd.). Dies ist ein deutliches Argument für eine übersituative Forschungsperspektive auf die Einbettung von Medien in den Alltag. Denn in einzelnen Beobachtungssituationen könnten sonst Bedeutungen verloren gehen, die bei einer Betrachtung des Alltages als Ganzes offensichtlich werden. So fordert Mikos, auch neben den offensichtlichen Situationen des Mediengebrauchs auf „implizite“ Hinweise der Medienverwendung in anderen Handlungen zu achten:

„Es geht m.E. vor allem darum, das Instrumentarium der sozialwissenschaftlichen Erforschung der sozialen Praktiken als alltäglicher Handlungspraxis der Individuen zu nutzen, um dabei gezielt auf der Basis von thematischen Relevanzen und theoretischen Annahmen nach Medienbezügen und Medienspuren zu suchen, wie explizit oder implizit auch immer sie in die alltäglichen Praktiken der Menschen eingegangen sind. Nur so kann die Bedeutung der Medien für die alltägliche, soziale Praxis der Menschen angemessen erforscht und in der Folge die Mediatisierung der Gesellschaft beschrieben und erklärt werden.“ (ders. 2004: 37)

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Medienbezüge auch in Phasen der Nicht-Nutzung und darüber hinaus Mobilität auch in lokalen Phasen zu berücksichtigen, war daher ein wesentlicher Anspruch an das methodische Vorgehen meiner Studie (vgl. Kapitel 5).

3.2. Mobile Medien

„Mobilität ist also heute ein fester Bestandteil von Kommunikation, »mobiles Kommunizieren« wird zu etwas, das immer mehr unseren Alltag prägt. Durch die technologische Entwicklung der letzten Jahrzehnte und deren alltäglichen Aneignung ist der Zugriff auf Medienkommunikation zunehmend »in Bewegung« möglich.“ (Breiter et al. 2006: 12)

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Die enge Verwobenheit zwischen Mobilität und Medien zeigt sich insbesondere im Alltag, denn ohne die Mobilisierung von Gesellschaft und des alltäglichen Handelns wäre auch eine Mobilität von Medien nicht zwingend. Ganz konkret: Wenn Menschen nicht Tag für Tag ihr Haus verlassen würden, wäre das Bedürfnis nach mobilen Medien(inhalten) sicherlich geringer.

Mit dem alltäglichen Unterwegssein geht immer auch die Möglichkeit, ja die Unausweichlichkeit der Interaktion mit anderen einher. Menschen begegnen einander und treten in unterschiedlich tiefgehende Kommunikations- und Aushandlungsprozesse miteinander ein (vgl. Goffman 1971a, 1982). Matthias Claudius beschreibt den kommunikativen Charakter des Unterwegsseins in den einleitenden Zeilen eines Gedichtes: „Wenn Jemand eine Reise thut, so kann er was verzählen“ (ders. 1829, zuerst 1789: 113). Das Zuhause zu verlassen bedeutet einen anderen Raum der Kommunikation zu betreten. Darüber hinaus trägt sich die Erfahrung, die durch Mobilität gesammelt wird, auch zurück in nicht mobile Bereiche. Die Eindrücke sind Anknüpfungs- oder Ausgangspunkt weiterer Kommunikation. So resümiert Schmitz: „Mobilität löst Kommunikation aus“ (ders. 2005: 12).

Mit einer Mobilisierung gehen neue Herausforderungen einher, da sich alltägliche Prozesse durch zunehmende Mobilität verändern. Denn in „modernen, arbeitsteiligen Gesellschaften sind viele Handlungen mit Ortveränderungen von Personen und Gütern verbunden“ (Zängler 2000: 1). Hierdurch „ergeben sich neue Formen der Lebensgestaltung in beruflicher und privater Hinsicht. Die mobile Gesellschaft ist damit längst zur Realität geworden“ (ebd.). Eingebettet in den Alltag und somit in ein umfassendes Medienrepertoire (Bausinger 1983; Haddon 2003) macht darüber hinaus die Ubiquität mobiler Medien auch mobile Kommunikation zu einem gesamtgesellschaftlichen Phänomen; von Medien geprägte Situationen, in denen Mobilität gefordert wird, nehmen zu (vgl. Höflich/Kircher 2010a: 283).

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Personen, die sich mobile Medien und deren Potential aneignen, können in mobilen Situationen flexibler handeln. Menschen, denen dies nicht gelingt, bleibt die Teilhabe an bestimmten Bereichen einer mobilen Gesellschaft verschlossen. „Eine Mediatisierung des gesellschaftlichen Lebens kann so auch zu (neuen) sozialen Ungleichheiten führen oder bestehende verstärken“ (Höflich/Kircher 2010a: 283; vgl. auch Krotz 2007: 277ff). Eine Entwicklung, die Schroer auch in Bezug auf Mobilität sieht, denn eine „mobile Gesellschaft konstituiert ihre eigenen Gesetze von Einschluss und Ausschluss. […] Wer nicht ausgeschlossen werden, sondern dazugehören will, muss mobil sein oder doch zumindest Mobilität inszenieren können“ (ders. 2006b: 118).

Die zuvor aufgeworfene Frage nach der gegenseitigen Bedingung zwischen Mobilisierung und der Etablierung mobiler Medien lässt sich vor diesem Hintergrund aus zwei Perspektiven betrachten. Während etwa Townsend hervorhebt, dass das Medium Mobiltelefon zur passenden Zeit Einzug in die Gesellschaft gehalten hat, um auf die zunehmende Forderung nach Mobilität reagieren zu können (ders. 2002), also gewissermaßen die angemessene kommunikative Antwort auf Mobilitätsanforderungen im Alltag ist (vgl. auch Plant 2001: 74ff), sieht Burkart wiederum steigende Mobilisierung als direkte Folge der medialen Entwicklung (ders. 2000: 215ff). Mobile Kommunikationsmedien werden so einerseits als Techniken gesehen, die es überhaupt erst ermöglichen, in solch einer mobilen Gesellschaft zurande zu kommen. Andererseits gelten sie als Auslöser und Beschleuniger einer Mobilisierung der Gesellschaft, wodurch sie zu einer weiteren Zergliederung und damit zu weiterer Unverbindlichkeit in der Alltagsgestaltung führen.

Telekommunikative Lösung von Räumen

„Wünschenswert aber bleibt […], daß jeder in jedem Augenblick imstande ist, einen jeden Zwecks Übermittelung einer Nachricht zu erreichen. Erst wenn das der Fall ist, hat die Menschheit völlig den Raum besiegt.“ (Fürst 1985, zuerst 1923: 229)

Fürst prognostiziert hier bereits Anfang des 20. Jahrhunderts, wie es durch Telekommunikation ermöglicht werden wird, mit anderen auch drahtlos medial in Verbindung treten zu können. Und er nimmt an, dass diese Technik allen zur Verfügung stehen wird. Selbst noch in den frühen 1980er Jahren, als die Vorläufer der individuellen mobilen Kommunikation in Ansätzen zu erahnen waren, wäre solch eine Annahme alles andere als selbstverständlich gewesen.10 

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Fürst hebt zunächst die Möglichkeiten technisch übermittelter, ortsgebundener Kommunikation für die Menschen in einem Zeitalter der Beschleunigung hervor: Sie leiste ihm „zweifellos außerordentliche Dienste in seinem Streben nach möglichst geschwinder Überwindung des Raums. Sie verschlucken nahezu restlos Entfernungen von vielen tausend Kilometern“ (ders. 1985: 229). Zugleich zeigt er die damaligen Grenzen der Technologie auf: Mediale Kommunikation ist an Orte gebunden, „die Enden der Drahtleitungen liegen fest“ und folgert: 

„Wir können uns keineswegs von jedem beliebigen Punkt mit jedem Menschen drahtlich in Verbindung setzen; sobald der Körper sich in Bewegung befindet, ist ihm diese Möglichkeit genommen.“ (ebd.)

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Da die drahtgebundene Kommunikationsmittel „noch weit davon entfernt [sind, GFK], alle unsere Ansprüche zu befriedigen“ gelangt er schließlich zu seiner „vom rein technischen Standpunkt gesehen“ erstrebenswerten Einschätzung der zukünftigen Entwicklung: Er sieht „die Menschheit“ über drahtlose Medien auch unterwegs den Raum, „gegen den sie unbewußt mit allen Kräften ankämpft“ (ebd.), kommunizierend überwinden. Vielem davon, was uns in unserer mediatisierten, mobilen Gesellschaft selbstverständlich erscheint, greift Fürst 1923 in seinem Resümee zu drahtloser Kommunikation bereits vor:

„Als Erwachsene wird die Wellentelefonie den Menschen sicherlich manches unerhoffte Göttergeschenk darreichen, vielen aber auch als die unheilbringende Pandora erscheinen. Denn einstens dürfte der Tag sein, an dem ein jeder drahtlos-telefonisch von jedem erreicht werden kann.“ (ders. 1985: 315)

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Heute befinden wir uns in ebendieser Situation, an nahezu jedem Ort mit jeder Person in Kontakt treten zu können. Mobile Kommunikation ist mediale Alltagsrealität geworden. Den rund 50 Mio. Festnetzanschlüssen in Deutschland standen 2008 107 Mio. Mobilfunkverträge gegenüber. Das entspricht im Schnitt etwa 1,3 Verträge pro Einwohner (vgl. Destatis 2009a: 698). An dem Vergleich der Zahlen zeigt sich auch die Besonderheit des Mobiltelefons, nicht nur ein mobiles, sondern besonders ein persönliches Medium zu sein (vgl. Höflich 2001). Während ein Festnetzanschluss oft von mehreren Personen, etwa einer Familie, geteilt wird, ist der mobile Anschluss in der Regel mit einer Person verbunden, wie auch Krotz/Schulz betonen: 

„In sozialer Hinsicht muss aber demgegenüber im Vordergrund stehen, dass jedes einzelne Handy mit seiner Nummer mehr oder weniger verbindlich einem Menschen fest zugeordnet ist. Denn es ist keineswegs so, dass die Menschen ihr Handy nur dann benutzen, wenn sie außer Haus sind. Es ist auch nur selten der Fall, dass jemand ihr oder sein Handy jemand anderem leiht, weil man es selbst gerade nicht braucht.“ (dies. 2006: 59)

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Die Verbreitung des Mediums Mobiltelefon kann durchaus als rasant bezeichnet werden: Gab es 1998 gerade einmal in jedem neunten Haushalt ein Mobiltelefon (11,2%), gibt es heutzutage kaum noch Haushalte ohne dieses Medium (vgl. Destatis 2009b: 9; vgl. weiter zur Diffusion des Mobiltelefons Höflich/Kircher 2010a: 281) 

Ob mit der Verbreitung dieses mobilen und persönlichen Kommunikationsmediums allerdings der Raum „besiegt“ wurde, wie Fürst es formuliert, ist eine andere Frage. In ihrem alltäglichen Handeln stehen Menschen an unterschiedlichen Orten mit Personen in Kontakt und bewegen sich zwischen diesen Orten, wobei sie weiteren Personen begegnen. Zu allen Zeiten, an allen diesen Orten und in den Phasen zwischen diesen können sie medial mit anderen in Kontakt treten. Was bedeutet das nun für die einzelnen Orte, die Tag für Tag aufgesucht werden? Verlieren diese an Bedeutung? Wird das Unterwegssein zum eigentlichen Inhalt unseres Alltages und wird in der Folge, wie bereits angeführt, die Persönlichkeit durch eine Beliebigkeit von Raum und Orten zergliedert (vgl. Sennett 1998a; Virilio 1992; Augé 1994)? Mobile Kommunikation scheint der Schlüssel zu einer Verbindung von Ort und Mobilität zu sein (vgl. Hulme 2004; Hulme/Truch 2006). Und zugleich eine Schnittstelle zwischen Orten und medialen Strömen (vgl. Moores 2006). Doch kann man von einer Integration von Mobilität durch Medien sprechen oder sind mobile Medien lediglich Vehikel oder gar treibende Kraft einer Zergliederung des Alltages (vgl. Burkart 2000, 2007) und des Verlustes von Ortsbezügen (vgl. Meyrowitz 1985)?

So wie McLuhan annimmt, dass Menschen in visuellen, linear strukturierten Gesellschaften nach (mechanischer) Ausdehnung (beispielsweise durch das physische Überwinden des Raums mittels der Eisenbahn) streben, so ziehen die elektronischen Medien seiner Ansicht nach die Menschen einer globalen Gesellschaft in eine unmittelbare Gemeinschaft zusammen (vgl. ders./Powers 1995). Auf Mobilität übertragen bedeutet dies: Auf der einen Seite steht der physisch im Raum Mobile, der von einem Ort zu einem anderen gelangt. Mag dies durch neue Transportmittel immer schneller und auf immer größere Entfernung geschehen, so ist er doch in seiner Mobilität immer nur an einem Ort zu einer Zeit. Durch die Mobilität von Informationen rücken auf der anderen Seite entfernte, medial mobile Menschen zusammen ohne sich selbst zu bewegen; die Beziehung wird trotz räumlicher Entfernung unmittelbar. 

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Diese Betrachtung betont mehr den verbindenden Aspekt medialen Handelns, als eine Zergliederung. Man ist gewissermaßen „an mehreren Orten zugleich“, denn

„Medien machen eine »Anwesenheit« an zwei Orten zugleich möglich; Orte, von denen aus eine Botschaft gesendet wird und Orte, von denen sie aus empfangen wird, werden durch ein Medium miteinander verbunden.“ (Höflich 2005b: 19) 

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Mobilität der Informationen setzt zur Überwindung von Raum zwar keine räumliche Mobilität des Nutzers voraus, schließt sie dank mobiler Kommunikationsmedien aber auch nicht aus. So kann eine Person in Bezug auf Medien in unterschiedlichen Konstellationen mobil sein: Als räumlich stationärer Nutzer, der jedoch durch Medien auch in andere Orte eingebunden ist. Als sich im Raum bewegender Nutzer, der ebenfalls durch Medien in seiner Kommunikation über den eigenen Raum hinausgeht und zudem seinen eigenen Standort wechselt. Und, wenn man mit Gergen argumentiert, als Nutzer, der sich zu Gunsten des durch die Kommunikation geschaffenen Raums aus der physischen Gegenwart herausnimmt oder zumindest der Umgebung nur eine eingeschränkte Aufmerksamkeit zukommen lässt. Der (mobile) Nutzer befindet sich in diesem Fall gegenüber anderen Anwesenden in einer „absent presence“ (vgl. Gergen 2002).

Dass dieses Herausnehmen aus der Hier-und-Jetzt Situation zwar eine denkbare, aber sicherlich nicht ausschließliche Form des Raumbezugs bei mobiler Kommunikation ist, zeigen Studien zu dem Thema. So stellt Höflich heraus, dass neben der Einbeziehung in die mobile Kommunikation auch immer ein gewisser Bezug zur Umgebung bleibt, ein Gespür für das Hier-und-Jetzt, „a certain sense of place“ (vgl. Höflich 2005c). Zu der Erkenntnis, dass mobile Kommunikation in besonderen Situationen sogar die Einbindung in die gegenwärtige Situation verstärken kann und gewissermaßen eine „present presence“ entsteht, kommt eine Studie zu mobiler Kommunikation während exzeptioneller Ereignisse (vgl. Höflich et al. 2007).

Vor allem ein Medium ist geradezu sinnbildlich für mobile Medien. So steht, wie es Höflich/Gebhardt formulieren, „das Mobiltelefon geradezu exemplarisch für eine »Nomadisierung« von Medien, die sich konsequent mit einer mobilen Gesellschaft verbindet“ (dies. 2005: 7). Gesellschaftliche und mediale Entwicklungen hin zu mehr Mobilität bedingen und fördern sich so gegenseitig. Aber neben der Besonderheit der mobilen Nutzung, die das Handy bietet, und seiner Fähigkeit, Ansprüche einer mobilen Gesellschaft zu erfüllen, soll auch betrachtet werden, wie Menschen ihre eigene Vorstellungen von Mobilität auf ein Medium projizieren und das Medium so nutzen, wie es ihrem Mobilitätsbedürfnis entspricht.

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„Denn das besondere am Mobiltelefon und seiner kulturellen Nutzbarmachung durch den Menschen ist nicht, was es technisch so alles kann, sondern, dass es eine Antwort auf eine Reihe von Bedürfnissen der individualisierten und mobilisierten Gesellschaft von heute ist. Genauer muss man sagen, dass hier von den Herstellern ein Kleincomputer entwickelt und als Telefon vertrieben wurde, den die Menschen »domestiziert« (Silverstone/Haddon 1996, Röser 2005) haben, indem sie es als Potenzial in ihr Alltagshandeln integriert haben.“ (Krotz 2007: 180f)

Das Mobile an mobilen Medien liegt so nicht allein in der virtuellen Überwindung von Raum und Zeit durch die Mobilität von Daten und Informationen. Und auch der sich im Raum bewegende Nutzer ist nicht das Besondere an mobiler Kommunikation. Vielmehr ist es das Wechselspiel zwischen dem Kommunikationsraum und dem physischen Raum, das die Facetten von Mobilität deutlich macht. Beispielsweise die Möglichkeiten mobil zu sein, ohne sich zu bewegen, räumlich und virtuell zugleich mobil zu sein oder eine bestimmte Mobilitätsform zu Gunsten anderer unterordnen zu können. Zudem ist es der Nutzer selbst, der zumindest mitentscheidet, wie er die Mobilitätsangebote des Mediums in sein Handeln integriert.

3.3. Einzug in den Alltag – Mobile Medien

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Die technischen Entwicklungen zur Erweiterung räumlicher Mobilität und die Verbreitung elektronischer (und darüber hinaus mobiler) Medien sind zwei zentrale gesellschaftliche Entwicklungen, die sich begleiten und spätestens in der mobilen Kommunikation zusammenfinden. Denn mit der Zunahme von Mobilität Ende des 20. Jahrhunderts geht auch die Verbreitung mobiler Medien einher. Weber sieht diese eine Lücke schließen, denn „[m]obile elektronische Medien stehen am Schnittfeld von Transport- und Kommunikationstechniken“ (dies. 2008: 13). Auch wenn mobile Medien dabei den Anforderungen einer immer mobiler werdenden Gesellschaft Rechnung tragen, ist deren Einbindung in eine etablierte Alltagsgestaltung kein selbstverständlicher Prozess. Vielmehr sind mobile Medien „zunächst sehr wohl ungewohnt und auch umstritten“ (ebd.: 12) gewesen. Eine Restrukturierung „gesellschaftlicher Koordinaten“ (ebd.) war daher notwendig.

Solche Skepsis gegenüber neuen Technologien ist durchaus symptomatisch. Die Warnung bayerischer Ärzte Mitte des 19. Jahrhunderts vor der Gefahr schneller räumlicher Bewegung macht dies hinsichtlich physischer Mobilität deutlich: Ein Sichtschutz „sollte wenigstens die Zuschauer vor Gesundheitsschäden bewahren, da die »Eisenbahn sowohl bei den Reisenden wie bei den Zuschauenden unfehlbar schwere Gehirnerkrankungen erzeugen« müsse“ (Traeger 2005: 175). Und auch mit der aufkommenden Mediatisierung wird ein neues Medium erst an Hand des Bekannten und Bewährten gemessen, bevor es einen Platz in unserem Alltag einnehmen und somit sein eigenes Potential entwickeln kann. Dabei „rütteln »neu« emergierte Medientechnologien immer an bisherigen Denkweisen und können insbesondere in ihren Entstehungsphasen oft zu obskuren Vorstellungen über ihren ontologischen Wert und ihre längerfristigen Effekte führen“ (Völker 2010: 10).

Ein Medien- und Gesellschaftswandel wird also 

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„nachgerade dadurch ausgelöst, wenn ein neues Medium hinzukommt. Dabei müssen sich zum einen neue Praktiken des Umgangs mit diesem Medium etablieren und zum anderen muss das Medium in das Repertoire der bisherigen Praktiken eingebaut werden – was wiederum bedeutet, dass diese dadurch verändert werden.“ (Höflich 2003: 9f)

Denn es sind nicht immer die technischen Möglichkeiten eines Mediums oder die Intentionen der Entwickler, die bestimmen, wie ein neues Medium verwendet und in den Alltag eingebettet wird. Dies wurde bereits beim Festnetztelefon deutlich, das aufgrund technischer Begrenzungen zunächst eher als Rundfunkempfänger für Inhalte wie Musik- oder Informationsdienste gesehen und genutzt wurde (vgl. Höflich 1996: 204f). Die Vermutung, Computer seien für den privaten Gebrauch untauglich, war ebenso eine populäre Fehleinschätzung13 wie die Annahme, ein Kurzmitteilungsdienst sei lediglich für operative Aufgaben im Mobilfunknetz, nicht aber für den privaten Kunden interessant (vgl. Königstorfer 2008: 14f; Königstorfer/Gröppel-Klein 2007: 849). Ein neues Medium, seine Möglichkeiten und Grenzen werden vielmehr im Zuge einer persönlichen Aneignung und sozialen Verwendung ausgetestet. Spannungen, die damit einhergehen, zeigen das Potential eines neuen Mediums und legen zugleich die Notwendigkeit von Arrangements offen. Dies ließ sich zuletzt insbesondere mit Blick auf das Mobiltelefon feststellen:

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„Das Mobiltelefon ist nun ein herausragendes Exempel für Eruptionen, die sich dann ergeben, wenn ein Medium beginnt, sich seinen Weg durch den Alltag der Menschen zu bahnen. Dabei stellt sich zugleich die Frage, ob solche Eruptionen gewissermaßen chronisch sind, d.h. die bisherige soziale Ordnung grundlegend durcheinander bringen, oder ob es sich um temporäre Störungen handelt, die in einer Übergangsphase und damit nur so lange auftreten, bis sich neue Praktiken etabliert haben.“ (Höflich/Hartmann 2007: 213)

Hinsichtlich mobiler interpersonaler Kommunikation sehen Höflich/Hartmann solch einen Prozess der Normalisierung und der Einbettung neuer Nutzungsmöglichkeiten in den Alltag: „Da Situationen mit chronischer Störung auf Dauer kaum hinzunehmen sind, verlangen sie nach Arrangements. In der Tat sind Wege hin zu solchen Arrangements bereits beschritten“ (dies. 2007: 216).

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Die rekursiven Momente zwischen Medien und Mobilität sowie die Einbettung in das alltägliche Handeln sind seit einigen Jahren Gegenstand von kommunikationswissenschaftlichen Publikationen (vgl. beispielhaft Boehnke 2000; Boehnke/Döring 2002; Höflich/Hartmann 2006). Alltag als Bezugspunkt und Untersuchungsrahmen rückte, wie zuvor beschrieben, in den Mittelpunkt. Ein zentraler Aspekt hierbei sind Grenzverschiebungen im Alltag zwischen Privatem und Öffentlichem durch mobile Kommunikation (vgl. Höflich 2005a, 2010a; Höflich/Hartmann 2007; Mikos 2004; Röser 2007; Sheller/Urry 2003; Weiß/Groebel 2002). Die Triade aus Alltag, Medien und Mobilität, also das Untersuchungsfeld eines mobilen und mediatisierten Alltages, wird hierbei von unterschiedlichen Seiten angegangen. So liegt etwa die Konzentration auf der Mobilität von Medien und deren Nutzung im öffentlichen Raum (vgl. Ling 2004, 2005; Brown/Green/Harper 2002; Oksman 2009; Burkart 2007). Und hierbei speziell auf Plätzen (vgl. Höflich 2009) oder deren Rand, etwa in Cafés (vgl. Höflich 2010a), an Orten des Transits und des Wartens (Adey/Bevan 2003; Burkart 2000; Cresswell 2006) sowie an Orten mit besonderen Restriktionen, beispielweise einer Bibliothek (Gebhardt/Höflich/Rössler 2008). 

Oft genug werden dabei ganz spezielle Aspekte mobiler Kommunikation herausgegriffen. Dies können ästhetische Gesichtspunkte (Fortunati 2005; Katz/Sugiyama 2005), außeralltäglicher Ereignisse wie Sportevents (vgl. Höflich et al. 2007) oder Terroranschläge (vgl. Cohen/Lemish/Schejter 2008; Lorente 2006) sein. Oksman (2006, 2008) stellt wie auch Kondor (2007) visuelle Aspekte mobiler Kommunikation in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung. In anderen Ansätze steht wiederum die Durchdringung des Alltages durch Medien und Kommunikationsmöglichkeiten im Vordergrund (vgl. Röser/Thomas/Peil 2010a; Mikos 2005; Krotz 2007).

Praktiken der Aneignung und Verwendung mobiler Medien im Alltag werden so nicht mehr losgelöst von anderen (medialen) Entwicklungen und bisherigen Praktiken (vgl. Höflich 2003; Höflich/Gebhardt 2003), sondern vielmehr eingebettet in ein Medienrepertoire (vgl. Bausinger 1983; Haddon 2003) und den Kontext des alltäglichen Handelns (vgl. Hepp/Hartmann 2010; Höflich et al. 2010) betrachtet. Die Integration des neuen Mediums Mobiltelefon in den Alltag wurde hierbei insbesondere bei Jugendlichen im Sinne einer „mobilen Sozialisation“ (Höflich/Kircher 2010a) vielfach untersucht (vgl. auch Düvel 2008; Höflich 2007; Lorente 2002; Oksman/Rautiainen 2003; Tully 2003). Eine nahezu natürliche Einbindung des Handys in die Netzwerke Jugendlicher und der vertraute Umgang mit dem Medium wurde bei diesen „digital natives“ (Prensky 2001) beobachtet (vgl. Schulz 2010). Feldhaus hat darüber hinaus die Funktion des Mobiltelefons im Verbund der Familie untersucht (vgl. ders. 2003, 2004; ders./Logemann 2006). Linke wiederum beschreibt die kommunikativen Arrangements und Besonderheiten der alltäglichen Mediennutzung im Alltag von Paaren (vgl. Linke 2010) und hierbei eine gewisse ontologische Stützung des Alltages durch Medien (vgl. auch Mikos 2005).

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Es zeigt sich, wie vielfältig das Untersuchungsfeld mobile Kommunikation behandelt wurde. Die Konzentration liegt dabei meist auf bestimmten räumlichen beziehungsweise sozialen Bezügen oder technischen Möglichkeiten des Mediums. Im Folgenden wird das Zusammenspiel der drei maßgeblichen Aspekte Mobilität, Alltag und Medien erörtert, um den der Forschungsrahmen meiner Studie abzustecken. Das Augenmerk liegt dabei, wie gezeigt werden wird, auf einer übersituativen Betrachtung.


Fußnoten und Endnoten

10  Selbst Mitte der 1980er Jahre war eine gesellschaftsweite Verbreitung mobiler Kommunikationsmedien schwer vorstellbar. Die durchaus von Technikaffinität geprägte Reihe Future Survey Annual prognostizierte 1984 optimistisch: „Within the first five years, the total number of non-business subscribers may be 1% to 1.5%, rising to 2% to 5% by the year 2000.” (Marien 1985: 158). Vgl. auch Burkart (2007): 24.

13  „Ich sehe keinen Grund, warum einzelne Individuen ihre eigenen Computer haben sollten.“ (Softwaremanager Ken Olson 1977, zit. nach Fink/Schlake/Siebe 2001: 44)



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26.05.2011