1. Einleitung

„Der Mensch will immer, daß alles anders wird,
und gleichzeitig will er, daß alles beim alten bleibt.“
(Paulo Coelho 2001: 41)

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Alltag ist durch das Wechselspiel zwischen Routinen und Dynamiken eine vielschichtige Angelegenheit. Aushandlungen zwischen Veränderungen und Konstanz prägen diesen ganz unmittelbaren Bereich des menschlichen Handelns. So wichtig Sicherheiten und Regelmäßigkeiten für das Funktionieren des Alltagshandelns sind, so sehr finden sich Menschen Tag für Tag in einem Fluss von Veränderungen wieder.

Die Mobilität in unserer Gesellschaft ist ein wiederkehrend aktuelles Thema in der Wissenschaft und in der Berichterstattung. Sie betrifft mittelbar wie auch unmittelbar den Alltag von Menschen: Größere Mobilität kann alltägliche Strukturen grundlegend verändern. Aber auch im Kleinen prägen neue Mobilitätsanforderungen die Alltagsgestaltung und somit das alltägliche Handeln.

Ganz selbstverständlich sind dabei Medien in den Alltag eingebunden. Sie finden sich in den routinierten kommunikativen Handlungen wieder. Medienvermittelte Kommunikation und Mobilität haben sich dabei immer stärker verbunden. Es wurden neue Kommunikationswege eröffnet und so weitere Bereiche des Alltagshandelns erschlossen und verändert.

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Ist durch die Mobilisierung der Gesellschaft sowie eine permanente kommunikative Einbindung das Bild eines beständigen Alltages überhaupt noch zeitgemäß? Betrachtet man die aktuellen Diskurse hierzu, kann oft genug eine Lösung von diesem Gedanken festgestellt werden. Meist wird die Veränderung und mit ihr das Zergliedernde hervorgehoben. Denn:

„Gefragt ist das »mobile Subjekt«“

wie Schneider/Limmer/Ruckdeschel anmerken. Dieses Mitglied der Gesellschaft ist ein „Mensch, der möglichst frei ist von privaten Bindungen und Obligationen und bereit, sich offen und flexibel auf immer neue Anforderungen einzustellen“ (dies. 2002: 13). Sennett (1998a) sieht ebenso wie Augé (1994) durch solche Loslösungen eine Entwertung von Orten als persönlichkeitsstiftende Bezüge im Alltag. Gestiegene Mobilität und eine Uniformität der Räume des Unterwegsseins behindern demnach die Bildung einer gefestigten Persönlichkeit.

Dennoch: Alltag ist in der Vielzahl der Fälle immer noch von festen, bestimmten Wegen und täglich wieder aufgesuchten Orten geprägt (vgl. Giddens 1995a: 100ff). Der Arbeitstag oder Haushaltstag mit seinen Orten und Wegen ist der gesellschaftliche Normalfall (vgl. Kramer 2004), der moderne Nomade bisher die Ausnahme (vgl. Triebel 2010).

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Die folgende Arbeit setzt sich mit eben diesen beiden Perspektiven auseinander, also damit, wie sich Alltag zwischen Mobilität und Beständigkeit gestaltet. Dass in einer mediatisierten Gesellschaft mediales Handeln hinsichtlich beider Aspekte eine wesentliche Rolle spielt, wird dabei angenommen, erörtert und empirisch begründet.

Die einzelnen Schritte der Annäherung an das Thema, der methodischen Anlage und Umsetzung sowie der Auswertung und Einordnung der empirischen Erkenntnisse werden in der folgenden Gliederung vorgestellt.

Gliederung

Zunächst wird auf die zentralen Begriffe der Arbeit eingegangen. Kapitel 2 beschäftigt sich dabei mit der wissenschaftlichen Betrachtung von Mobilität und Alltag. Denn Handeln findet den Tag über in unterschiedlichen, wechselnden Situationen, Orten und Rahmen statt. Eine Konsequenz der Mobilisierung der Gesellschaft ist, dass sich Menschen zunehmend auch zwischen solchen Orten befinden. Sei es, weil die zu bewältigenden Strecken länger oder häufiger werden. Meist kommt beides zusammen. (Kapitel 2.1) Durch die alltägliche Mobilität werden so Alltag und Handeln geprägt. Zugleich erscheint Alltag als ein grundsätzlich stabiler und zugleich variabler Rahmen des Handelns (Kapitel 2.2). In Kapitel 2.3 wird das Zusammenspiel von Alltag und Mobilität kurz zusammengefasst.

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Der dritte zentrale Begriff sind die Medien (Kapitel 3). Ihre offensichtliche wie auch verdeckte Gegenwart in allen Bereichen unseres Handelns bestimmt das tägliche Leben mit. Bemerkenswert ist, dass sich zentrale Technologien, die heute nicht mehr aus dem Alltag wegzudenken sind, erst in den letzten 15 bis 20 Jahren gesellschaftlich verbreitet haben. Der Personal Computer und in der Folge das Internet wurden seit Mitte der 1990er Jahre für den privaten Nutzer interessant. In der gleichen Zeit beginnt der Aufstieg mobiler Kommunikation. Beide Technologien haben sich in einer Weise differenziert, verbunden und weiterentwickelt, dass es heutzutage für nahezu jedes kommunikative Bedürfnis eine spezifische Variante gibt. Auf Grund dieser Durchdringung erscheint die Organisation des Alltages so mehr denn je ohne Medien undenkbar (Kapitel 3.1). Sie haben neben ihrer Bedeutung in lokalen Räumen auch in der Mobilität des Alltages ihren Platz gefunden (Kapitel 3.2, 3.3).

In Kapitel 4 wird der thematische und theoretische Forschungsrahmen abgesteckt, indem die zentralen Punkte Alltag, Mobilität und Medien in Beziehung zueinander gesetzt werden. Beginnend bei der Betrachtung der grundlegenden, unmittelbar erfahrbaren räumlichen Mobilität (Kapitel 4.1) wird über die Einordnung von Mobilität in den Fluss alltäglichen Handelns (Kapitel 4.2) der Bogen zu Raum-Zeit-Konzepten (Kapitel 4.3) gespannt. Hinsichtlich dieser Konzepte werden Alltagsstrukturen und die Einbettung von Medien behandelt (Kapitel 4.4, 4.5). Die theoretischen Überlegungen zusammenfassend, werden in den Kapiteln 4.6 und 4.7 die sich ableitenden Fragestellungen und methodischen Konsequenzen für die Studie erörtert.

Das Forschungsfeld und der Untersuchungsgegenstand bringen methodologische und methodische Konsequenzen mit sich. Diese werden in Kapitel 5.1 und 5.2 vorgestellt und in Hinblick auf mein Vorgehen erörtert. Zudem wird die Auswahl der Teilnehmer beschrieben und begründet (Kapitel 5.3).

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Der Ansatz der Studie ist es gewesen, Handeln eingebettet in einen alltäglichen Fluss zu erforschen und nicht nur einzelne, wie auch immer abgrenzbare Handlungssituationen als Rahmen zu betrachten. Der Bezugspunkt meiner Empirie waren so Personen in ihren sich über den Tag hinweg entwickelnden Handlungen (Kapitel 6). Und so folgte ich Menschen auf ihren Alltagswegen: Zum einen unmittelbar physisch mittels einer begleitenden Methode (Kapitel 6.1) und zum anderen in Gesprächen anhand visueller Alltags-Zeugnisse der Personen (Kapitel 6.2). Die Auswertung der Daten aus der Feldforschung ist Thema des Kapitels 6.3. Es bildet den Übergang zu dem Ergebnisteil der Arbeit.

Dieser beginnt mit der Vorstellung und Analyse der untersuchten Alltage (Kapitel 7). Während hier individuelle Ausgestaltungen hinsichtlich alltäglicher Mobilität und Mediennutzung relevant sind, rücken mit Kapitel 8 fallübergreifende Zusammenhänge in den Mittelpunkt. Strukturierungen des Alltagshandelns durch Mobilität (Kapitel 8.1), die persönliche Ausgestaltung (Kapitel 8.2) und die Nutzung von Medien (Kapitel 8.3) sind die zentralen Aspekte, nach denen dieses Kapitel gegliedert ist.

In Kapitel 9 wird die Rolle von Medien in der Dynamik zwischen lokalen Bezügen und Mobilität im Alltag vertieft diskutiert, wobei die Bedeutung langfristiger Handlungszusammenhänge in den Vordergrund rückt (Kapitel 9.1). Mobile Kommunikation wird dabei von unterschiedlichen Seiten beleuchtet: Hinsichtlich der kommunikativen Lösung von Orten (Kapitel 9.2), der kommunikativen Verbindung zu Orten im Unterwegssein (Kapitel 9.3) und schließlich – beides berücksichtigend – hinsichtlich der Bewertung mobiler Phasen im Alltag (Kapitel 9.4 und 9.5).

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In Kapitel 10 werden Raum-Zeit-Konzepte, die sich durch die verschiedenen Phasen der Arbeit gezogen haben (Kapitel 10.1), aufgegriffen, vertieft und mit Bezug auf die empirischen Erkenntnisse erweitert (Kapitel 10.2). Mit Kapitel 11 wird schließlich der Kreis dieser Arbeit, der mit der thematischen und theoretischen Einordnung der Studie eröffnet wurde, durch eine Zusammenfassung zunächst geschlossen (Kapitel 11.1), bevor er in einem Resümee hinsichtlich zukünftiger Forschung wieder geöffnet wird (Kapitel 11.2).


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26.05.2011