7. Zehn Wege durch den Alltag

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Das Begleiten von Personen durch Ihren Alltag war ein eindringliches Erlebnis. Die Fülle der Eindrücke, die ich während dieser Tage gesammelt habe und die Vielzahl der Geschehnisse, bei denen ich mit dabei gewesen bin, lieferten ein lebendiges Bild davon, wie diese Personen ihren Alltag gestalten. Und dies setzte sich in den Befragungen fort: Entlang der Fotografien, die den Alltag aus der Perspektive der Teilnehmer illustrierten, entwickelten sich tiefgehende Gespräche, aus denen der alltägliche Handlungsfluss deutlich wurde.

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Das Kodieren ermöglichte eine Organisation der vielschichtigen Daten und somit einen Zugang zu den Personen- und Ereignisfällen. Es entstand zunächst ein deutliches Bild der jeweiligen individuellen Alltagsgestaltung, bevor wie beschrieben in der weiteren Analyse fallübergreifende Zusammenhänge offensichtlich wurden. Im Folgenden werde ich zunächst auf die einzelnen Personenfälle eingehen, um die Dichte der Ergebnisse und die jeweiligen Besonderheiten der Alltagsentwürfe aufzuzeigen. Daran anschließend werden fallübergreifende Konzepte erörtert. Diese Darstellung spiegelt die zunehmende Abstraktion im Analyseprozess wider.

Bei den Befragungen wie auch bei den begleitenden Untersuchungen zeigten sich die Teilnehmer in den nachbereitenden Gesprächen oft sehr erstaunt darüber, dass ihr Alltag für andere von Interesse sei. Vielfach merkten Teilnehmer an, in ihrem Alltag sei doch alles ganz normal, es passiere doch nichts Besonderes (vgl. auch Kapitel 2.2). Die Hausfrau Frau Kraus betonte etwa, dass sie gerne teilgenommen habe, mich ihr Alltag aber sicherlich langweilen werde: „Es ist ja kein für Sie jetzt sagen wir mal kein interessanter Tag, ja?“ (Frau Kraus/Interview). Die selbstständige Unternehmerin Karin stellt nach dem Go-Along fest, dass sie ja nur die ganze Zeit am Schreibtisch gesessen habe und es deshalb bestimmt sehr wenig für mich zu beobachten gewesen sei. Die Kellnerin Beate fragt ebenso wie Frau Schmitz, was es denn alles zu notieren gab. Es sei doch den Tag über gar nicht so viel passiert.

Diese Einschätzungen zeigen zweierlei: Zum einen ist der Alltag anderer für den Forscher schon deshalb interessant, weil er neu für ihn ist, während er für den Teilnehmer normal, eben alltäglich erscheint. Zum anderen ist die Perspektive auf das Handeln eine andere. Dem Beobachter werden Prozesse und Handlungen, die auch über die einzelne Situation hinausgehen, offensichtlich, während der Teilnehmer, in sein Handeln vertieft und dieses routiniert bewältigend, davon oft nichts mitbekommt. Wenn die Teilnehmer anmerkten, dass doch nicht viel geschehen sei, so steht dem umfangreiches Datenmaterial zu den Situationen, die sich auf Mobilität im Alltag und auf kommunikative Aushandlungen bezogen, entgegen. Mag etwa für Karin das Sitzen am Schreibtisch rückblickend zentral und tagesfüllend sein, so konnte ich beobachtend feststellen, dass sie darüber hinaus einen großen Teil ihres Arbeitstages unterwegs war. Hinsichtlich einer möglichen klassischen Interviewsituation stellt sich also die Frage, wovon Karin retrospektiv berichtet hätte, wie sie also das Verhältnis von Mobilität und Lokalität wiedergegeben hätte.37 

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Dies betont noch einmal nachträglich die Wichtigkeit des Ansatzes, subjektive mit objektiven Einblicken zu verbinden. Denn die Sicht der Handelnden selbst sollte ein nicht zu unterschätzender Maßstab sein, an dem sich die eigenen Erkenntnisse bewähren müssen. Schließlich ist

„[d]as Festhalten an der subjektiven Perspektive […] die einzige, freilich auch hinreichende Garantie dafür, daß die soziale Wirklichkeit nicht durch eine fiktive, nicht existierende Welt ersetzt wird, die irgendein wissenschaftlicher Beobachter konstruiert hat.“ (Schütz/Parsons 1977: 65f) 

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Unter dem Eindruck des Neuen darf also nicht jede Handlung vom Forscher zum Besonderen erhoben werden. Eine beobachtende Perspektive wiederum schließt wichtige Prozesse des Alltages mit ein, die sich dem Handelnden entziehen. Nur auf Befragungen gestützt, entgehen unter Umständen Erkenntnisse, die die Befragten als nicht erwähnenswert erachten, weil sie ihnen eben alltäglich, uninteressant und banal erscheinen oder ihnen gar nicht bewusst werden. Als Beobachter hat man einen Zugang zu solchen Handlungen. Fuchs-Heinritz/König führen in diesem Sinne an:

„Erst wenn die Handelnden dazu aufgefordert werden, ihre Praxis zu erklären, […] neigen sie dazu, als Ursache für ihre Praxis Regeln und Regelsysteme anzunehmen […]. Denn die wirklich wirksamen Gesichtspunkte in ihrer Praxis sind ihrem Bewusstsein kaum zugänglich und können durch Reflexion auch nicht zugänglich gemacht werden.“ (dies. 2005: 118)

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Die folgenden Unterkapitel geben einen Einblick in das jeweils Besondere der Alltagsmobilität in den untersuchten Fällen – in den alltäglichen „ganz normalen Wahnsinn“ (Herr Eberle/Interview). Gemeinsamkeiten und Bezüge zu späteren Schritten der Datenanalyse werden hier an vielen Stellen bereits deutlich.

7.1. Mobil durch Immobilien

 „Alltag? Arbeit und Stress. […] Viel, viel Freude und Erfüllung.“
(Frau Schmitz/Interview)

Die Antwort von Frau Schmitz auf die einleitende Frage deutet bereits die Dynamik eines mobilen und abwechslungsreichen, aber eben auch anstrengenden Alltages an.

Frau Schmitz ist 47 Jahre alt und lebt mit ihrem Mann und zwei Töchtern in Bonn. Sie kauft, saniert und vermietet Immobilien in Bonn. Mehrere solcher Projekte laufen dabei parallel. Zudem würden auch bei den bereits abgeschlossenen Projekten immer wieder Arbeiten anfallen, wie sie schildert und wie auch in den begleitenden Beobachtungen deutlich wurde.

Immer in Bewegung

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Von allen Teilnehmern der Studie legte Frau Schmitz die insgesamt größte Distanz zurück und war zudem auch am häufigsten unterwegs. Sowohl an dem Tag des Go-Alongs, als auch an dem im Interview geschilderten Tag, pendelte sie mehrfach zwischen den verschiedenen Immobilien, fuhr zu Baumärkten oder machte andere Besorgungen. Auch auf der Hauptbaustelle selbst war sie die meiste Zeit in Bewegung und blieb nur kurz in ihrem Büro. Den zurückliegenden Tag betrachtend, fasste Frau Schmitz am Ende der begleitenden Beobachtung zusammen, was das Kriterium für einen gelungenen Arbeitsalltag ist: „Es muss immer was los sein.“ (Frau Schmitz/Go-Along) 

Eine Konstante in diesem dynamischen Arbeitsalltag seien ihre Arbeiter, die sie zum Teil seit 17 Jahren beschäftigt und die bereits an mehreren ihrer Projekte beteiligt waren. Auf diese könne sie sich verlassen, wie sie sagt. Zudem würden diese sich auch mit privaten Themen an sie wenden, so dass sie ihre Angestellten auch über die Arbeit und die fachliche Beurteilung hinaus kennt. Es wurde vielfach deutlich, dass das Funktionieren des sehr mobilen Alltages von Frau Schmitz zu großen Teilen auf der Verlässlichkeit ihrer Mitarbeiter beruhte.

Während des Go-Alongs konnte beobachtet werden, dass das Handy in nahezu allen Stationen des Alltages genutzt wurde. Sei es, dass Frau Schmitz jemanden anrief oder selbst angerufen wurde. So telefonierte sie etwa im Auto mit zwischen Kopf und Schulter geklemmtem Telefon38 oder unterbrach Gespräche abrupt, wenn ihr Mobiltelefon klingelte. Telefonate wurden in bestehende Handlungen eingebunden. So selbstverständlich ihr Umgang mit dem Mobiltelefon erscheint, so erstaunlich ist, dass Frau Schmitz erst seit wenigen Jahren eines besitzt. Sie habe sich lange nicht auf dieses Medium einlassen wollen, habe dann aber von den Bauarbeitern eines geschenkt bekommen, um für diese erreichbar zu sein. Mittlerweile sehe sie auch eine Abhängigkeit von dem Mobiltelefon: „Ich hab so ein bisschen das Gefühl, dass ich zum Sklave dieses Apparates geworden bin.“ (Frau Schmitz/Interview) Trotzdem relativierte Frau Schmitz im Interview die Bedeutung des Mobiltelefons für ihre Alltagsgestaltung. Die zusätzliche beobachtende Perspektive zeigte hingegen die Relevanz und die häufige Nutzung dieses Mediums, um Arrangements zu treffen und Handlungen voranzutreiben.

Klare Trennung der Alltagsphasen?

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Grundsätzlich seien in ihrem Alltag Arbeit und Familie klar getrennt: „[M]orgens zur Baustelle, mittags zum Essen mit immer irgendwelchen Leuten und dann nachmittags Familie. Erledigungen. Und abends mein Mann.“ (Frau Schmitz/Interview) Über ihr Zuhause erzählt Frau Schmitz auch auf Nachfrage sehr wenig. Auch hat sie als einziger Teilnehmer an der Studie hiervon keine Bilder für die Interviews angefertigt. Sie erwähnt jedoch, dass sie auch zuhause von ihren Handwerkern erreicht wird, seit sie ein Mobiltelefon besitzt. Die mehrfach betonte Trennung von Job und Privatem wird hier durch das Mobiltelefon ausgehebelt. Eine Art zweites Zuhause stellt ihr Büro auf der Baustelle dar: Es ist wie eine Wohnung ausgestattet und mit Bildern und Möbeln sehr persönlich eingerichtet. Sie nutzt diese Räume zum einen, um organisatorische Aufgaben zu erledigen und zum anderen, um zu entspannen. So schildert sie:

„Also ich muss ja auch die ganzen Verwaltungssachen machen. Und das ist ganz gut, das lässt sich hier gut vereinbaren. […] Ganz abgesehen davon, dass man auch mal hierher kommen kann, wenn man seine Ruhe einfach haben möchte.“ (Frau Schmitz/Interview)

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Solche Ruhezeiten seien jedoch nur kurz, eigentlich sei sie immer in Bewegung. Die Flexibilität und Mobilität von Frau Schmitz, so wurde vor allem in der Begleitung durch den Alltag deutlich, basierte zu einem großen Teil darauf, dass sie sich auf die Flexibilität anderer verlassen konnte. Denn sie fordert von ihren Arbeitern die gleiche Mobilität, die sie selbst an den Tag legt:

„Das ist ein Teil ihres Jobs, flexibel zu sein. Das muss aber auch gehen. Es sind so viele Häuser und wenn dann da irgendwie auf einmal das Licht im Bad nicht mehr funktioniert, ja dann muss hier der Handwerker dahin und machen. Gut is. Und ich klär das dann, ich sag, wir müssen jetzt da und da hin. Und dann kommen die. Und dann machen die. Ich hätte auch keine Lust und keine Zeit, da jetzt jedes Mal Diskussionen zu führen »Ja, aber, das ist doch nicht hier unsere Baustelle«. Das ist doch Quatsch.“ (Frau Schmitz/Interview)

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Die Möglichkeit zu Mobilität im Alltag, so wurde hier deutlich, bedurfte einer funktionierenden Infrastruktur. Neben Wegen der räumlichen Mobilität und mobiler Kommunikation bestand diese aus einem Netzwerk von Personen, die erst die Bedingungen für die Mobilität von Frau Schmitz gelegt haben (vgl. hierzu auch Adey/Bevan 2006: 56).

7.2. Den Wegen anderer folgen

„Ich weiß ja nicht, wer zu Besuch kommt. […] Das kann ich ja nicht beeinflussen.“
(Beate/Interview)

Wie unterschiedlich Mobilität in den Alltag eingebunden sein kann, zeigt sich, wenn man im Vergleich zum vorherigen Alltag die zweite Fallstudie betrachtet. Beate ist zwar auch den ganzen Tag über in Bewegung – neben der Fahrt zur Arbeit, legt sie dort viele Strecken zurück – aber eben ganz anders als Frau Schmitz. Denn während diese viele der Wege selbst bestimmen und flexibel variieren kann, ist Beate als Angestellte die meiste Zeit des Tages an ihren Arbeitsplatz und die mit ihrer Arbeit einhergehenden Wege gebunden.

Beate ist 26 Jahre alt und arbeitet bereits länger in der Gastronomie. Sie hat vor der jetzigen Anstellung bereits in mehreren Cafés gearbeitet. Ihre Arbeitszeiten sind unregelmäßig, werden jedoch jeweils für einen Monat im Voraus festgelegt. Gelegentlich muss sie auch kurzfristig einspringen. In ihren Schichten ist sie meistens alleine, so dass sie alle anfallenden Arbeiten selbst erledigt.

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Die Arbeit in dem Café erschien als das zentrale, strukturierende Element in Beates Tag. In dem Interview wurde dies deutlich, wenn sie den Tag selbst in die drei Teile „Vor der Arbeit“, „Während der Arbeit“ und „nach der Arbeit“ unterteilte. Hierbei beschränkt sich die Phase der Arbeit nicht nur auf die reine physische Betätigung und die zeitliche Begrenzung im Café. Bereits die Zeit davor war von der Ausrichtung auf das Arbeiten geprägt: Die morgendliche Fahrt mit der Bahn oder dem Fahrrad, also größere Phasen alltäglicher räumlicher Mobilität, hatte den Zweck, zur Arbeit zu gelangen. Das Unterwegssein wurde vorbereitet, indem Beate ihre Tasche gepackt und sich selbst fertig gemacht hat. Auch das Aufstehen zu einer bestimmten Zeit, die Auswahl der Kleidung und der Ablauf der morgendlichen Tätigkeiten zielten bereits auf die Phase der Arbeit hin. Die Arbeit prägte also, auch wenn sie erst viel später begann, bereits den Alltag von Beate ab dem Zeitpunkt des Aufstehens. Dies wurde auch in der Abgrenzung zu freien Tagen deutlich: „Wenn ich frei hab, muss ich ja einmal nicht dahin fahren und hab morgens mehr Zeit. Also kann ich meine Zeit anders einteilen, muss ich mich nicht sofort fertig machen.“ (Beate/Interview)

Flexibilität innerhalb des Rahmens

So sehr Beate die eigene Ausgestaltung der Arbeit betont, so sehr wird auch deutlich, dass sie sich maßgeblich nach den Vorgaben ihres Chefs und den Ansprüchen der Gäste richten muss. Die Arbeit selbst beschreibt Beate als Routine, betonte aber zugleich, dass sie die einzelnen Arbeitsschritte variiere. So wisse sie eigentlich nie, wie der Arbeitstag werden würde, auch wenn die Aufgaben eigentlich immer gleich seien: 

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„Schon abwechslungsreich, weil ich ja nie weiß, ob viel los ist im Café oder wenig. Und welche Gäste kommen. Und was so passiert. Aber von der Grundstruktur eher starr, weil ich ja hin radel, dann da arbeite, und wieder zurück radle. Das ist ja das gleiche immer.“ (Beate/Interview)

Als hauptsächliche Ursache für Veränderung macht Beate das Verhalten der Gäste aus. Diese bestimmen auch, ob sie ihrer eigenen Arbeitseinteilung folgen kann oder sich stärker anpassen muss. So beschreibt sie:

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„Ein guter Tag war, wenn viel zu tun war, aber nicht so viel, […] dass es irgendwie Chaos gibt. Und wenn viele nette Gäste da waren. Möglichst wenige Gäste, die irgendwie motzig waren.“ (Beate/Interview)

Während sie im Bereich hinter der Theke ihre Arbeitsabläufe an die Anforderungen der Gäste anpassen muss, sollen diese davon möglichst nichts mitbekommen. Für Beate erfordert das Wechseln zwischen diesen beiden Bereichen jedoch Organisationsgeschick und Flexibilität. Die Beobachtungen hierzu erinnerten an das Bild Goffmans von einer Vorderbühne als Ort des öffentlichen Handelns und einer Hinterbühne als Sphäre der Vorbereitung dieses Handelns (vgl. ders. 2009, zuerst 1969).

Medien in den unterschiedlicher Alltagsphasen

In dem Go-Along wurde deutlich, welche Medien Beate zur Organisation ihrer Arbeit nutzt. Zum einen nahm sie Gespräche für das Café entgegen, da sie auch für logistische und organisatorische Aufgaben, wie etwa Warenlieferungen und Terminanfragen, verantwortlich ist. Über das Festnetztelefon erreichte sie in dringenden Fällen auch ihren Chef, so dass Beate hier bei Absprachen als Vermittlerin fungierte. In weniger dringenden Fällen wurden die Nachrichten als Notizen festgehalten und in gesammelter Form weitergegeben, wenn der Chef vorbeikam. Beate erklärte auf diese Beobachtung angesprochen, dass sie die Wichtigkeit der Anfragen gut abschätzen könne und daher wisse, wann sie den Besitzer des Cafés direkt informieren sollte und wann sie lieber eine Notiz hinterlässt.

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Zudem spielt Musik in Bezug auf die Arbeitsphase eine große Rolle. So erzählt Beate, dass es für sie elementar sei, dass bei der Arbeit Musik läuft. Dies präge die Atmosphäre in Orten wie Cafés. Zudem falle ihr das Arbeiten mit Musik leichter: „Wenn mir die Musik gut gefällt, dann hab ich halt auch gute Laune. Und dann ja, geht´s halt besser.“ (Beate/Interview)39 Ihr Mobiltelefon spielt nach den Beobachtungen zu urteilen keine Rolle während der Arbeitszeit. Dies bestätigt sie auch in dem Interview. Das Handy sei zwar nicht lautlos gestellt, aber sie würde es ohnehin nicht hören, da es in ihrer Tasche verstaut in einem Schrank liegt.

Nach Abschluss der Arbeit war das Mobiltelefon jedoch zentral. So schildert Beate ihre erste Handlung, wenn sie die Arbeit verlässt:

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„Und wenn ich aus dem Café rausgehe, also hier auf dem Foto sieht man nochmal mein Handy, ruf ich eigentlich immer meinen Mann an und sag, dass ich jetzt fertig bin und nach Hause komme.“ (Beate/Interview)

Zudem führt sie unterwegs weitere Telefonate, damit dies erledigt sei, wenn sie zuhause ankommt. Ihre Fahrten vertreibe sie sich darüber hinaus mit der Betrachtung der Umwelt. Mehrere Plätze und Gebäude hat sie auch als Motiv für die Alltagsfotografien verwendet. Während der Fahrt mit der Bahn höre sie gelegentlich Musik mit ihrem iPod, insbesondere, wenn es ihr langweilig sei oder wenn sie Gespräche anderer nicht mitbekommen möchte. Durch Medien kann sie sich in der Öffentlichkeit so gewissermaßen einen eigenen Raum schaffen:

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„Beate erzählt, dass sie es auch nicht mag in der U-Bahn zu sitzen, da sie es oft als unangenehm empfindet, nicht in die Landschaft sehen zu können und somit krampfhaft versucht, nicht die Mitfahrer anzustarren. Um sich abzulenken nehme sie ihren iPod oder ein Buch mit.“ (Beate/Go-Along)

Da sie aus Sicherheitsgründen beim Fahrradfahren keine Musik hört, ist die Nutzung dieses Mediums von der Wahl des Transportmittels abhängig. 

Ihre Ankunft zu Hause nach der Arbeit schildert Beate sehr positiv. Sie beschreibt die Wohnung als Ort, an dem sie sich wohlfühlt und an dem sie „ausruhen“ kann. Sie schildert die Begrüßungsumarmung ihres Mannes und verwendet Worte wie „geborgen“ oder „gemütlich“, wenn sie von ihrer Wohnung erzählt. Das Zusammensein nennt Beate als wichtiges Element des Zuhause-Seins: „Frühstück ist für mich sehr wichtig, ein gemeinsames. Und gemeinsames Abendessen ist für mich auch wichtig.“ (Beate/Interview) Das Medium Fernsehen hat hierbei einen festen Platz, nämlich „meistens abends. Wenn wir abendessen.“ (Beate/Interview). Den Computer benutzt Beate sowohl morgens, als auch abends, um E-Mails und Nachrichten in sozialen Netzwerken zu lesen.

7.3. Angekommen sein

„Also ich bin schon relativ oft umgezogen, aber hier bin ich eigentlich zufrieden.“ 
(Frieda/Interview)

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Frieda (24) arbeitet in Teilzeit beim Sozialen Dienst in einem Altenheim und studiert an einer Fernuniversität. Ein vorheriges Studium an einer klassischen Universität hatte sie nach drei Jahren abgebrochen.

In ihrem Job folgen die Arbeitszeiten und auch die Aufgaben, die sie auf der Station erledigen muss, einem festen Muster:

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„Also die Arbeitszeiten sind immer gleich. Und die Aktivitäten mit den Bewohnern auch. Also ich hab schon so ne Art Wochenplan, der dann eigentlich immer so gleich abläuft.“ (Frieda/Interview)

So ist ihr Arbeitsalltag durch Kontinuität und Verlässlichkeiten geprägt, nicht zuletzt aus Rücksicht auf die Bewohner des Altersheimes.

Ihre Arbeit beschreibt Frieda sehr positiv. Zudem habe sie das Studium an einer Fernuniversität gezielt deswegen gewählt, damit sie weiter ihrer Arbeit in Bonn nachgehen kann. So erzählt sie:

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„Ich […] bin dann halt zurück nach Bonn und hab dann im Altenheim angefangen zu arbeiten. Und wollte da unbedingt weiterarbeiten und da ließ sich das mit der Fern-Uni einfach gut kombinieren.“ (Frieda/Interview)

Ein weiterer Grund für ein Fern-Studium sei es gewesen, dass sie sich den Weg zum Campus so sparen kann, denn sie sei nicht sonderlich gerne unterwegs. Die Arbeit im Sozialen Dienst beschreibt sie wegen der vorab geplanten und festgelegten Abläufe als sehr strukturiert. Dank der unterschiedlichen Arbeiten, die sie jeden Tag erledigt, würde es jedoch eine gewisse Abwechslung geben. So gehören Gespräche, Bewegung und Beschäftigungstherapie zu den Aktivitäten, die Frieda mit den Senioren gestaltet. Ihre Arbeit erreicht Frieda mit dem Fahrrad in relativ kurzer Zeit. So brauche sie etwa sechs Minuten. Bei schlechtem Wetter gehe sie zu Fuß, wobei sie dann 25-30 Minuten brauche. In jedem Fall führt sie an, dass ihr die kurzen Wege zur Arbeit sehr wichtig seien. Alltägliche Erledigungen mache sie vorrangig mit dem Fahrrad und, insbesondere bei schlechterem Wetter, auch zu Fuß. Dann benutze sie unterwegs auch ihren MP3-Spieler.

Der häusliche Typ

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Online zu sein schildert Frieda als besonders wichtig, alleine schon, um ihr Studium betreiben zu können. Aber auch privat sei das Internet relevant, um per E-Mail oder über soziale Netzwerke ihre Freunde, die außerhalb von Bonn, zum Teil im Ausland wohnen, einfach erreichen zu können. Frieda nutzt gleich morgens die Frühstückszeit, um ihre Mails zu lesen und für die Universität zu arbeiten. Viele Aufgaben und Texte stünden ihr nur online zur Verfügung. Parallel zu anderen Medien und generell den Tag über nutze sie das Radio:

„Ja Radio ist für mich eigentlich zentrales Medium […] Wenn ich aufgestanden bin, mach ich´s an und das wird eigentlich nur aus gemacht, wenn ich außer Haus bin.“ (Frieda/Interview)

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Mediennutzung erscheint in den Schilderungen vor allen Dingen eine Angelegenheit zuhause zu sein. Das Mobiltelefon nutze sie nur selten, lasse es gelegentlich bewusst zuhause oder schalte es ab.

Obwohl sie die Bedeutung ihrer Arbeitsstelle mehrfach betont, nehmen die Schilderung ihrer Arbeitsaufgaben sowie der Umfang der dazu fotografierten Szenen nicht den größten Teil in ihrer Alltagsbeschreibung ein. Umfangreicher erzählt sie von der Gestaltung ihrer Zeit zuhause, besonders am Feierabend, den sie gemeinsam mit ihrem Freund verbringt: „Der kommt halt immer nach der Arbeit […] und ja, am Wochenende übernachtet er halt bei mir.“ (Frieda/Interview) Bei der alltäglichen Gestaltung dieser Zeit beschreibt Frieda regelmäßig wiederkehrende Aktivitäten, etwa gemeinsames Essen oder Spazierengehen:

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„Also das ist oben […] im Wald. Und ja das ist so einer meiner Lieblingsplätze. Eigentlich ja so ziemlich jeden Tag nach der Arbeit geh ich mit meinem Freund da halt spazieren. Und am Wochenende fahren wir Fahrrad dort.“ (Frieda/Interview)

Auch das gemeinsame Schauen von Filmen ist fester Bestandteil der abendlichen Beschäftigung. Und während tagsüber das Radio dauerhaft läuft, wird es abends, wenn der Freund zu Besuch ist, ihm zuliebe abgeschaltet, „weil er´s eigentlich nicht mag.“ (Frieda/Interview). Es hat sich so in gegenseitiger Abstimmung ein gemeinsamer Medienalltag entwickelt (vgl. Linke 2010). Das abendliche Zuhause-Sein beschreibt sie als „gemütlich“ oder „zum Abschalten“ insbesondere beim Filmegucken. Generell schätze sie es mehr, zuhause zu sein, als unterwegs. So erzählt sie, dass sie ihre Wohnung sehr möge, es ihr gefalle, wie hell diese ist und dass sie es schätze, dort Zeit mit ihrer Katze zu verbringen. Während ihr ganzer Freundeskreis verstreut über die Welt lebe, könne sie sich nicht vorstellen wegzuziehen. Erst recht nicht ins Ausland: „Also im Ausland gar nicht, ne. Ist nicht so meins“ (Frieda/Interview). Auch für Urlaubsreisen suche sie sich lieber nahe Ziele, vor allem in Deutschland.

7.4. Alltagsgestaltung in mobilen Netzwerken

„Ich find Alltag klingt immer langweilig. Aber eigentlich ist es das nicht. Also, keine Ahnung, was man halt jeden Tag so macht. Wobei das bei mir recht wechselhaft ist.“ (Doro/Interview)

Doro ist eine 18jährige Gymnasiastin, die in der Nähe von Bonn wohnt. Ihre Schule liegt etwa acht Kilometer von ihrem Zuhause entfernt. Zudem hält sie sich oft in Bonn auf, besonders um Freunde zu treffen. Bis zur Bonner Innenstadt sind es von ihrem Zuhause etwa 14 Kilometer, von ihrer Schule aus etwa zehn Kilometer. Zwischen diesen drei Orten pendelt sie in ihrem Alltag. Wie der jeweilige Tag genau aussehen wird, wisse sie oft noch nicht einmal morgens, wenn sie zur Schule fährt. Daher könne jeder Tag anders sein. Es wird jedoch auch deutlich, dass ihr Alltag trotz aller empfundenen Spontanität durch die drei genannten zentralen Orte und die Bewegung zwischen diesen einer bestimmten raum-zeitlichen Struktur unterliegt.

Das Für und Wider medialer Netzwerke

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Auf die Frage, was ihr Medien bedeuten, antwortet sie:

„Also ich glaube, ich könnte nicht mehr ohne leben. Also jetzt Fernsehen kann ich gut drauf verzichten, aber irgendwie Musik, Internet […] und dann halt auch privat, irgendwie Handys [nicht, GFK].“ (Doro/Interview)

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Onlinemedien ziehen sich durch den gesamten Alltag. Bereits für die Erledigung von Schulaufgaben sei der Zugang zum Internet nötig, denn

„mittlerweile arbeiten wir auch in der Schule superviel, also so von wegen Hausaufgaben online stellen. Und generell die ganzen Tafelbilder und sowas kann man sich runterladen“. (Doro/Interview)

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Darüber hinaus erzählt Doro, sie verwende auch privat unterschiedliche E-Mail-Adressen und sei Mitglied in mehreren sozialen Netzwerken. Neben dem Vorteil, sich schnell über die Aktivitäten anderer informieren zu können, sieht sie solche Angebote jedoch auch durchaus skeptisch. So nennt sie die Gefahr des Mobbings und des leichtfertigen Umgangs mit persönlichen Daten, den sie auch bei ihren Freunden wahrnehme. Zudem bemerke sie, dass bei intensiver Nutzung direkte Kontakte seltener und Gespräche flacher würden:

„Also weil wie gesagt, es gibt Leute, die sich wirklich nur auf solchen Social-Networking-Plattformen bewegen und sich sozusagen kaum noch mit Freunden treffen. […] Im Prinzip kommunizieren wir immer weniger dadurch, weil so ein »Hej, wie geht´s, was machst Du?«, »Ja, ich hör Musik und Du?« ist für mich keine richtige Unterhaltung.“ (Doro/Interview)

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So sieht sie durch elektronische Kommunikationsmedien direkte räumliche Kontakte schwinden, wie sie noch mehrfach betont, womit auch die Notwendigkeit zu Mobilität wegfalle (vgl. auch Zschocke 2005: 35). Das Mobiltelefon wiederum beschreibt sie als unerlässlich, wenn es darum geht, den Alltag zu bestreiten. Zum einen für die Koordination mit ihrem Freundeskreis, zum anderen als Kontakt nach Hause. Als organisatorisches Element sei es nicht mehr aus ihrem Alltag wegzudenken (vgl. hierzu Höflich 2007; Düvel 2008). Hierbei empfindet sie, dass die Kommunikation per SMS zunimmt, was sie selbst gerade bei Verabredungen störe. Denn diese würden durch die Kurznachrichten nicht automatisch leichter oder effizienter:

„Weil das per SMS ist irgendwie das Dämlichste überhaupt. Wenn man dann fünf SMS später fragen will, ob man Zeit hat, dann kann man genauso gut anrufen und fragen »Hej, hast Du Zeit?«. Also das find ich ist dann schon so ein kritischer Punkt. […] Also ein Freund von mir hat mich mal nach zehn SMS dann endlich gefragt, ob ich vielleicht heute Abend Zeit hätte.“ (Doro/Interview) 

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Ebenso wie beim Chatten, sieht sie in der intensiven Nutzung von Kurzmitteilungen eine Verdrängung direkter Unterhaltung. Bezogen auf die mobile Telefonie erwähnt sie gleichermaßen Vorteile, wie auch Belastungen. Sie hebt hervor, dass spontane Verabredungen und Änderungen im Tagesablauf nur möglich seien, da die Eltern sie jederzeit erreichen könnten. Andererseits könne sie so niemals richtig abschalten. Wäre sie nicht auf die Erreichbarkeit durch die Eltern angewiesen, würde sie so manchmal gerne sagen: „Ich lass es jetzt, ich nehm es jetzt nicht mit, ich will jetzt nicht erreichbar sein.“ (Doro/Interview)

7.4.1. Lokale Netzwerke

Die Schulzeit nimmt einen großen Teil in Doros Tag ein. Zentral für diese Phase des Alltages ist in ihren Schilderungen das Treffen von Freunden. Auch anhand der gewählten Motive in der Reflexiven Fotografie wurde dies deutlich: Die Fotos aus der Schule zeigten meist die Clique in unterschiedlichen Situationen. Freistunden etwa werden insbesondere zur Kommunikation untereinander genutzt: „Wenn ich irgendwie ne Freistunde habe oder sowas oder irgendwas ausfällt, dann […] sitzt man in der Regel zusammen und redet oder macht sonst irgendwas.“ (Doro/Interview) Solche direkte Kommunikation zieht sie der vermittelten vor. Gleichzeitig verliere diese bei anderen an Bedeutung, so Doros Einschätzung: 

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„Aber ich find´s einfach im Allgemeinen seltsam, dass wir mittlerweile sozusagen uns kaum noch selbst unterhalten, sondern eigentlich eher irgendwie SMS schreiben oder chatten oder sowas.“ (Doro/Interview)

Zudem sind die Schule und die direkten Kontakte dort auch Ausgangspunkt für die weitere Tagesgestaltung, da Verabredungen vor allem hier getroffen werden. Allerdings, so betont Doro, habe sie auch einen großen Freundeskreis außerhalb ihrer Klasse, etwa Studenten und Schüler aus Bonn.

Alleine durch die Trennung zwischen Wohnort und Orten, an denen sie in die sozialen Netzwerke ihres Freundeskreises eingebunden ist, wird hohe räumliche Mobilität im Alltag von Doro notwendig. Da sie in ihrem Heimatort keinen Freundeskreis hat und zudem die Verkehrsverbindungen ungünstig sind, muss sie für Treffen mit Freunden meist wieder nach Bonn:

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„Und, also ich hab´s einmal ausprobiert, da bin ich zu ner Freundin von mir gefahren, die Luftlinie ich glaub acht Kilometer von mir weg wohnt, mit öffentlichen Verkehrsmittel brauch ich anderthalb bis zwei Stunden […] Deswegen ist es wesentlich einfacher, sich dann einfach in der Stadt zu treffen.“ (Doro/Interview)

Unterwegs zu sein sei für sie jedoch nichts Unangenehmes. Die täglichen Fahrten störten sie nicht, sie sei sogar gerne unterwegs. Zur Überbrückung der Zeit höre sie meist Musik mit ihrem iPod oder telefoniere. Für die Arrangements mit ihren Freunden ist unterwegs wie beschrieben das Mobiltelefon elementar. Es hat sich, wie Schubert beschreibt, eine „Veränderung der Organisation in sozialen Netzwerken von der Fixierung auf lokale Orte zu ortsflexiblen Verabredungssystemen“ (ders. 2000: 38) entwickelt.

7.5. „Das ist absolut ritualisiert“: Die Macht der Alltagsroutine

„Also das ist so, morgens im Schalfanzug das erste: Zuerst der Kaffee, dann die Zigarette, um dann halt zu gucken, was steht heute an. […] Das ist, also das ist absolut ritualisiert.“
(Herr Eberle/Interview)

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Bei der Beschreibung davon, wie Mobilität in den Alltag von Herrn Eberle eingebunden ist, liegt das Bild eines Fahrplanes nahe. Denn er legt die Wege und Handlungen seines Alltages im Voraus fest und hält sich, wenn möglich, genau daran. Die Verinnerlichung der täglichen Routinen zeigte sich auch darin, dass Herr Eberle, obwohl er arbeitslos ist, seinen Tag wie seine früheren Arbeitstage gestaltet.

Herr Eberle ist 47 Jahre alt und hat bei verschiedenen Arbeitgebern im Marketing gearbeitet. Zurzeit ist er auf der Suche nach einer neuen Einstellung. Er wohnt alleine mit seiner Katze in einer Wohnung in Bonn. Auf die Frage danach, was Alltag für ihn bedeute, antwortet Herr Eberle folgendermaßen:

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„Nicht-Sonntag. […] Und dann halt ja so wie sagt man da? Der normale Wahnsinn sozusagen. Also aufstehen, sich fertig machen was weiß ich. Dies erledigen, jenes erledigen. Also eigentlich so erledigen.“ (Herr Eberle/Interview)

Alles nach Plan: Die Sicherheit der Routine

Insbesondere der letzte Satz ist exemplarisch dafür, wie Herr Eberle seinen Alltag grundlegend angeht. Viele Phasen seines Alltages erschienen sehr durchstrukturiert, Aufgaben wurden seinen Schilderungen nach regelrecht abgearbeitet. Er selbst beschreibt, wie sehr er sich vor allem morgens exakt an die gewohnten Abläufe halte. Bevor er aufbreche, seien seine Abläufe klar strukturiert und würden jeden Tag nahezu identisch ablaufen. Die Abfolge von Kaffeetrinken, Zigarette rauchen, Fertigmachen und dem Versorgen der Katze sei, wie er mehrfach betont, immer gleich.

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„Das wär eigentlich das erste Bild so morgens sozusagen: Die Kaffeekanne und dann die Zigaretten. Zwei, drei. Und dann kommt die Katze. Und dann eben, wenn Zigaretten, Kaffee, die Katze gefüttert ist, dann wird eben der PC angemacht, um zu gucken gibt´s E-Mails. Gibt´s was, gibt´s Nachrichten.“ (Herr Eberle/Interview)

Das Radio laufe zuhause nahezu ununterbrochen, so Herr Eberle. Vor allen Dingen höre er einen englischsprachigen Sender. Zum einen, um etwas für sein Englisch zu tun, zum anderen, „um nicht alles verstehen zu müssen“ (Herr Eberle/Interview), da ihn das immer Gleiche auf den anderen Sendern störe. Zudem nutzt Herr Eberle zuhause seinen Laptop. Dass er einen mobilen Computer gekauft hat, begründet er allerdings nicht mit der potentiellen mobilen Nutzung, sondern damit, dass ein Laptop in seiner Ein-Zimmer-Wohnung weniger Platz wegnehme und zudem schnell verstaut werden könne.

Morgens informiert er sich online vor allen Dingen auf Nachrichtenportalen. Er bemängelt jedoch bei seiner Nachrichtenrecherche, dass auch bei den großen Anbietern die Nachrichten morgens noch nicht aktualisiert seien. Außerdem erledigt er morgens sein Online-Banking und schaut nach E-Mails. Abends wiederum nutzt er den Laptop, um auf das Internetangebot des ZDF zuzugreifen und Nachrichten oder Serien zu schauen. Einen Fernseher habe er zwar auch, aber der sei mittlerweile im Schrank verstaut. So äußert sich Herr Eberle zum Fernsehgucken: „Ich bin froh, dass ich mir das abgewöhnt hab.“ (Herr Eberle/Interview) Als Begründung nennt er, dass er früher zu viel Zeit damit verbracht habe.

Außer Haus

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Herr Eberle ist den größten Teil seines Tages unterwegs, vor allen Dingen mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Den Schritt nach draußen beschreibt er dabei als einen deutlichen Wechsel: Der Aufbruch und das Verlassen des Grundstückes seien „so´n Umkehrpunkt irgendwie, no return.“ (Herr Eberle/Interview) Ein Auto besitze er für die alltäglichen Wege nicht mehr. Dies sei ihm zu teuer geworden. Auch habe ihm das Fahren in der Stadt mehr Stress als Freude bereitet. Daher betont Herr Eberle die Wichtigkeit einer guten Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel für seine tägliche Mobilität. Für die Wahl einer Wohnung sei es wesentlich, dass er fußläufig Bahnen und Busse erreichen kann.

Die Fahrten in öffentlichen Verkehrsmitteln verbringe er damit, andere Personen zu beobachten und deren Verhalten zu deuten. So beschreibt er,

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„dass man natürlich gut Leute beobachten kann in der Bahn. Wo geht der wohl hin? Studiert der? Geht der zur Arbeit? Was hat der für´n Job? Warum hat der Schlips und Sakko an? Und Laptop dabei? Oder fährt der nach Köln? Steigt der in Bonn aus? Arbeitet der? Ist der Beamter?“ (Herr Eberle/Interview)

Auch das Unterwegssein plane er vorab gründlich und halte dies in seinem Notizblock fest. So könne er sich immer wieder im Laufe des Tages daran orientieren. Vor allem nehme er sich morgens Zeit, etwa beim Taschepacken, um auf alle Eventualitäten und Aufgaben des Tages vorbereitet zu sein. Falls sich doch etwas ändert, hilft ihm sein Mobiltelefon dabei, seine Planung anzupassen. Er nutze es unterwegs allerdings nur für solche Planungen, „aber jetzt nicht so Freunde und olala und so.“ (Herr Eberle/Interview)

Das routinierte Ablaufen der alltäglichen Handlungen in unterschiedlichen Phasen zeigt zum einen die strukturierende Wirkung bestimmter Orte oder Settings (das Zuhause, die Bahn) auf das Handeln aber zugleich die persönliche Ausgestaltung, die – mit der Zeit zur Routine geworden – die jeweiligen Rahmenbedingungen mit geformt hat (vgl. Reckwitz 2007: 322f).

7.6. Selbstständig: Räumlich frei und zeitlich unabhängig?

„Dann geht im Grunde die Arbeit los. […] Erst mal ein bisschen E-Mail checken. Und ein bisschen Tagesablaufplanung, je nachdem, was in den E-Mails an Aufträgen reinkommt.“
(Karin/Interview)

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Gerade im Vergleich zu Herrn Eberles Tagesplanung, erscheint der Ablauf von Karins Tag geradezu unverbindlich. Karin (35) ist selbstständige Schmuckdesignerin und besitzt ein eigenes Geschäft in Bonn. Dieses ist zugleich ihr Büro, in dem sie auch als Auftragsarbeiten Zeichnungen in dreidimensionale Modelle am Computer umsetzt. Ihr Laden ist daher in zwei Bereiche – die Verkaufsfläche mit den eigenen Schmuckstücken und den offenen Arbeitsbereich mit dem technischen Equipment für das Computerdesign – unterteilt. Vor zwei Jahren ist Karin nach Bonn gezogen. Neben beruflichen Gründen hätten die Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung hier zu der Entscheidung für den Umzug geführt. Dass sie und ihr Mann beide selbstständig sind, habe es vereinfacht, sich den Wohn- und Arbeitsort selbst wählen zu können.

Gestaltungsfreiheit

Zu ihrem Alltag befragt, nennt Karin spontan den Begriff „Arbeit“. Auch später schildert sie, wie sich ihre Arbeit auch in die Phasen der Freizeit hineinzieht, zumal sich persönliche Interessen und Geschäftliches stark überschneiden. Zudem führt sie an, dass sie als Selbstständige neue Kontakte nahezu automatisch unter Netzwerkgesichtspunkten taxiert und sich dies auch von der Arbeit auf das Private übertrage.

Dem hohen Stellenwert der Arbeit entsprechend sticht auch ein Medium im Alltag hervor: Ihr Computer als Arbeitsgerät für ihre mediale Gestaltung. Und als Anbindung an das Internet. Denn ohne dieses und die damit verbundenen Möglichkeiten der Recherche, Datenübertragung und Kommunikationsmöglichkeiten, wäre ihr Beruf gar nicht denkbar: „Also diesen wirklich 3D-Schmuck-Bereich gibt es eigentlich erst seit zehn Jahren. Und seit dem gibt´s ja auch Internet und alles.“ (Karin/Interview)

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Karin schätzt es sehr, selbstständig zu sein, da sie so in ihrer Arbeit und der Gestaltung ihres Alltages freier sei. Auch betont sie ihren größeren Einfluss auf die persönliche Ausgestaltung des Tages. So beschreibt sie ihre Sicht auf Unterschiede im Arbeitsalltag folgendermaßen:

„Wenn man selbstständig, ist das glaub ich, hat das nen anderen Stellenwert, als […] wenn man angestellt ist. […] Alltag ist ja das, was ich mir halt selber daraus mache aus meiner Selbstständigkeit. Und dann kann ich meinen Alltag natürlich auch ein bisschen dementsprechend gestalten.“ (Karin/Interview)

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Trotzdem versuche sie, eine gewisse Regelmäßigkeit in ihren Arbeitstag zu bringen, etwa in Bezug auf Büro- und Öffnungszeiten.

Mobilität als Kontakt nach draußen

Ihre Zeit im Geschäft beziehungsweise Büro beschreibt sie als isoliert. Da sie hauptsächlich am Computer sitzt und an Grafikmodellen arbeitet, hat sie den Arbeitstag über nur wenig direkten Kontakt mit anderen Personen. Selbstverständlich führe sie Gespräche mit Kunden oder maile diesen, aber die meiste Zeit über sei sie alleine, wie auch in den Beobachtungen deutlich wurde. Deshalb sei es ihr so wichtig, regelmäßig in ihr Lieblings-Café zu fahren, um mit anderen im Kontakt zu sein. Bei der Arbeit hört sie zudem Radio, „um so ein Tagesgeschehen auch einfach mitzubekommen.“ (Karin/Interview)

Für die reine Strecke von ihrer Wohnung zu ihrem Geschäft braucht Karin weniger als zehn Minuten mit dem Fahrrad. Auf etwa der Hälfte des Weges unterbricht sie jedoch ihre Fahrt jeden Morgen, um einen Kaffee zu trinken. In dem Café liest sie zudem in der Zeitung oder unterhält sich, je nach Andrang, mit der Chefin und der Angestellten. Insgesamt brauche sie so für die Anreise zu Ihrem Geschäft etwa eine halbe Stunde. Sie beschreibt, dass sie früher die gleiche Zeit für ihre Fahrt zur Arbeit gebraucht habe, die Qualität aber eine andere gewesen ist:

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„Da bin ich immer ne halbe Stunde zur Arbeit gefahren und stand jeden Morgen im Stau. Und das ist einfach nicht schön. [lacht] Also ich find´s jetzt toll. Ich fahr jeden Tag Fahrrad und komm hier an, bin entspannt. Hab auf dem Weg nen Kaffee getrunken. […] von zu Hause bis ich hier bin geht auch ne halbe Stunde rum. Weil ich zwischendurch nen Kaffee trinke. […] Aber ich komm natürlich viel entspannter hier an, als wenn ich im Stau gestanden hab.“ (Karin/Interview)

Nahezu alle täglichen Erledigungen wie Einkäufe oder die Fahrt zum Café in der Mittagspause, erledigt sie mit dem Fahrrad. Dennoch besitzt sie ein Auto, das sie vor allem dann verwendet, wenn sie zu Kunden fährt. Hierbei betont sie vor allen Dingen den Zugewinn an Unabhängigkeit:

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„Also ich könnte zum Beispiel auf nen Auto nicht verzichten. Nicht komplett. […] Also ich versuche halt auch, meine Kunden vor Ort zu besuchen. Und dafür brauch ich einfach auch dann die Beweglichkeit, die Mobilität eines Autos, […] um nicht dann wieder auf den Zug angewiesen zu sein.“ (Karin/Interview)

Noch mehr als die Fahrt mit dem Auto zu Kunden schätze sie das Fliegen erzählt Karin. Neben den Vorteilen, die sie in der Zeit- und oft auch Kostenersparnis sieht, gefalle es ihr, die Wartezeit zu überbrücken, indem sie Leute beobachtet und sich Magazine kauft, die sie im Alltag nicht liest oder im normalen Geschäft nicht bekommt. Insgesamt sieht sie ihr Unterwegssein positiv. So resümiert sie: „Also ich bin schon gerne mobil.“ (Karin/Interview) Allerdings fände sie es erstrebenswert, wenn die Forderung nach räumlicher Mobilität im Sinne einer immer größer werdenden Distanz zum Arbeitsplatz abnehmen würde. Sie nimmt an, dass es für die meisten Menschen besser wäre, wenn Wohnung und Arbeit näher zusammenliegen.40

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Abends nutzt sie die Zeit zuhause für weitere Recherchen für ihre Arbeit, allerdings nur dann, wenn sie alleine zu Hause ist. „Und wenn der Gero da ist, dann gucken wir schon, dass wir den Abend irgendwie für uns haben.“ (Karin/Interview) In solchen Fällen, so erzählt sie, essen sie gemeinsam zu Abend und schauen DVDs, wobei Karin besonderen Wert darauf legt, dass es gemütlich ist. So beschreibt sie ihre Wohnung auch als „Ruhepol“ und Ort des Zusammenseins.

7.7. Die Familie als Taktgeber

„Also, was so ein bisschen doof ist, dass der Alltag alle Tage inklusive Urlaub ist.“
(Viktor/Interview)

Viktor ist 36 Jahre alt und arbeitet als Fachreferent. Seit etwa einem halben Jahr ist er in Elternzeit um sich um seinen mittlerweile einjährigen Sohn Carl und seinen 2 ½ jährigen Sohn Stefan zu kümmern, während seine Frau ihr Referendariat beendet. Er ist mit seiner Familie 2007 für eine neue Arbeitsstelle von Berlin nach Bonn gezogen.

Sich nach anderen richten müssen 

Der Alltag ist, wie Viktor schildert, stark nach den Bedürfnissen der Kinder ausgerichtet (vgl. hierzu Schneider/Limmer/Ruckdeschel 2002). So resümiert er, nachdem er den zeitlichen Tagesablauf beschrieben hat: „Also da sind wir ganz und gar um die Kinder rum gebaut.“ (Viktor/Interview). Im fortlaufenden Interview wurde deutlich, dass alle Abläufe und Planungen während des Alltages von Viktor auf die beiden kleinen Kinder ausgerichtet sind. So beschreibt er seinen Tag meist anhand der Zeiten, die die Kinder vorgeben: Angefangen beim frühen Aufstehen, über die Wege von und zu Kindergarten, Tagesmutter und Spielkameraden bis hin zum ebenfalls frühen Zubettgehen. Hinzu kommen die Zeiten für die Mittagsruhe, das gemeinsame Spielen und Essen. Den Tag immer gleich zu strukturieren, nannte er dabei eine „sehr bewusste Entscheidung. […] Also weil wir merken, dass es den Kindern mit dem immer gleichen Ablauf zeitmäßig am besten geht.“ (Viktor/Interview) Gerade wegen dieses festen Zeitplanes sieht Viktor auch keinen großen Unterschied zwischen der Alltagsgestaltung an Wochentagen und am Wochenende:

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„Das ist immer die gleiche Zeit aufstehen. Das ist immer die gleiche Zeit Mittagessen. […] Also man hat immer das gleiche Zeitfenster vormittags zwischen neun und 11:30 Uhr und nachmittags zwischen 15 Uhr und 17:30 Uhr, wo man irgendwas machen kann.“ (Viktor/Interview).

Dass dieser strikte Tagesablauf erst durch die Kinder zustande gekommen ist, betont Viktor, wenn er anführt, dass er während des Studiums flexibler gewesen sei und nebenbei in unterschiedlichen Stellen gejobbt habe. Die Zeit danach, in die das erste Kind, der Umzug nach Bonn und eine neue, feste Arbeitsstelle fielen, bezeichnet er dann auch als „Der Wechsel“.

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Aus der Wahl der Wohnlage nach den Bedürfnissen der Kinder und der Entfernung zum Arbeitsplatz ergibt sich sein tägliches Unterwegssein. So sei alles Wichtige zu Fuß oder mit dem Rad zu erreichen. Ein Auto habe die Familie daher, aber auch aus ökologischen Überlegungen nicht. Ohnehin seien längere Ausflüge mit den Kindern erst mit der Zeit und dann auch nur selten möglich. Die alltägliche Bewegung beschränkt sich so auf ein genau abgestecktes Gebiet, das von dem Kindergarten und der Innenstadt begrenzt ist. Die alltäglichen Wege hier sind fest in den Zeitplan eingebaut.

„Ja, bei YouTube gibt’s Elefanten“: Veränderung der Mediennutzung

Mit dem Wandel des Tagesablaufes und der täglichen Wege veränderten sich die Nutzung und Bewertung von Medien. Vordergründig wurden Medien, die der Organisation des Alltages mit den Kindern dienen oder zumindest mit solch einem Alltag kompatibel sind. Das Radio als „Nebenbei-Medium“ (Krotz 2007: 33; vgl. auch Schramm 2005: 67) lasse sich beispielsweise ganz gut in den Alltag einbauen, wie Viktor schildert.

In den Phasen des Unterwegsseins werde häufig mobil telefoniert, wobei auch das ältere Kind oft mit seiner Mutter spricht. Weitere Gespräche gingen meist um Verabredungen mit anderen Eltern. Das Mobiltelefon ist so zentral für die Koordination der alltäglichen Mobilität geworden. Über die physische Landkarte der Alltagswege hat sich dabei die elektronische des Mobilfunknetzes gelegt: Das Gebiet der Alltagswege entspricht, so Viktor, seiner Homezone, einem Bereich, in dem er vergünstigt telefonieren kann. Diese „deckt“ wie er zusammenfasst „sozusagen meinen täglichen Einzugsbereich ab.“ (Viktor/Interview)

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Das Festnetztelefon werde tagsüber dagegen nur selten benutzt. Viktor begründet dies damit, dass die Aufmerksamkeit für die Kinder ein längeres Gespräch ohnehin verhindern würde: „Wenn ich hier sitze und telefoniere und die Kinder sind da, also wenn die Kinder wach sind, dann kann man eigentlich nichts machen.“ Denn „die sind halt noch nicht in nem Alter, wo sie sich lange und viel alleine beschäftigen.“ (Viktor/Interview) Telefonate vom Festnetz würden daher entweder in der Mittagsruhe oder abends nach dem Zubettgehen der Kinder geführt. Ähnlich ist es mit dem Fernsehen: Da die Kinder für dieses Medium noch zu jung seien, laufe tagsüber kein Fernsehen. So beschränkt sich das gemeinsame Sehen mit seiner Frau auf abends. Filme nach 22Uhr schauten sie mittlerweile gar nicht mehr. „Um zehn muss man schlafen, sonst schaffen wir das nicht. Denn um fünf ist der Kleene oft das erste Mal wach.“ (Viktor/Interview)

Auch der Computer – zuvor zentrales Element des Berufslebens – wurde in Nischen des Alltages gedrängt. Er ist nicht mehr dezidiertes Gerät des intensiven Arbeitens, sondern dient der kurzen Kontrolle von E-Mails und dem gelegentlichen Fernsehschauen. Vor allem aber rückt die gemeinsame Beschäftigung mit den Kindern in den Mittelpunkt der Computernutzung. Neben dem Betrachten eigener Digitalfotos, schaue er sich mit seinen Kindern auch Videos an:

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Viktor (zum Kind): was gucken wir denn am Computer, Stefan?
Stefan: Utan.
Viktor: Orang-Utan, genau. Und was gibt’s noch im Computer?
Stefan: Elefant!
Viktor: [lacht] Ja, bei YouTube gibt’s Elefanten.“ (Viktor/Interview)

Für das Lesen der Zeitung bleibe hingegen im Augenblick kaum Zeit, während dies im Büro zum festen Ablauf gehört habe. Zudem wurde ihm dort ein Pressespiegel zur Verfügung gestellt. So resümiert er: „Also fühl ich mich dann schon wesentlich besser informiert, als jetzt.“ (Viktor/Interview)

Zwei Welten der Mobilität

Viktor erwähnt, dass die Elternzeit für ihn bald beendet ist, wobei er annimmt, dass zurück im Arbeitsleben „der Bürojob weniger stressig ist.“ (Viktor/Interview) Damit geht einher, dass er dann wieder häufiger unterwegs sein werde, etwa auf Dienstreise. Diesen Umstand schätz er generell, zumal er sich selbst als mobilen Menschen bezeichnet, sieht aber dennoch einen Interessenskonflikt aufkommen: „Grundsätzlich bin ich gerne unterwegs. Andererseits bin ich gerne bei den Kindern. Und das ist ein Dilemma, das die nächste Zeit erst mal bleiben wird.“ (Viktor/Interview) So schildert er, dass er der Familie wegen auf häufige Auslandsreisen verzichten möchte und zukünftig auch sonst nicht zu mobil sein wolle. Dies bezieht er auch auf seinen Wohnort. So strebt er an, mit seiner Familie eine längere Zeit in der Stadt zu bleiben, in die sie sich jetzt eingelebt hätten. Denn bei aller Freude an Mobilität und Wechseln, sei eine gewisse Beständigkeit für ihn und seine Familie jetzt erstrebenswert.

7.8. An zwei Orten zuhause?

„Alltag ist das, was sich im Grunde genommen immer wiederholt. So was nach einem gewissen Schema abläuft, was man sich für sich selber erarbeitet hat.
Oder das durch die Arbeit, die man macht bestimmt wird.“
(Gero/Interview)

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Gero (37) ist selbstständiger Heilpraktiker. Er betreibt zwei Praxen, die 70 Kilometer voneinander liegen. Hierdurch wird seine Woche grundlegend strukturiert: Da die Strecke zwischen den beiden Städten, insbesondere durch den dichten Berufsverkehr, zu lang für tägliches Pendeln ist, hat er die Woche eingeteilt. So ist er drei Tage die Woche getrennt von seiner Frau und seinem Zuhause. Wenn sich die Praxis in Bonn alleine trägt, so Gero, möchte er diesen Umstand in den kommenden Jahren ändern. Dabei sei es nicht das Pendeln selbst, das ihn stört. Die Fahrt im Auto sei sogar angenehm:

„Die Zeit unterwegs, also wenn ich jetzt im Auto sitze das empfinde ich eigentlich als relativ entspannend, doch. Ich hör viel Radio dabei oder auch Hörspiele. Also so das ist für mich im Grunde genommen ne relativ entspannende Phase.“ (Gero/Interview)

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Vielmehr vermisse er das Zuhause-Sein. „Wenn ich montags abends so meine Sachen hier zusammenpacke, dann stört mich das schon häufig.“ (Gero/Interview)

Das Pendeln bestimmt so deutlich die Struktur der Woche. Die einzelnen Tage sind in ihrem Ablauf jedoch sehr ähnlich, denn der Arbeitsalltag selbst unterscheidet sich durch die regelmäßigen Termine dabei kaum, egal in welcher der beiden Städte Gero ist: „Der Arbeitsablauf generell ist das Gleiche. Ich hab fast identische Arbeitszeiten.“ (Gero/Interview)

Medien helfen im Beruf, sollen aber nicht das Private dominieren

Medien spielen in bestimmten Phasen des Alltages eine wichtige Rolle für Gero. Insbesondere der Computer ist für seine Arbeit unerlässlich, da er über diesen seine Patientenakten verwaltet. Allerdings ist er damit auch von dem Funktionieren der Technik abhängig. Er beschreibt dieses Risiko folgendermaßen:

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„Das Problem ist, wenn du nicht mehr mit Karteikarten arbeitest, so wie wir´s früher gemacht haben, der Computer ausfällt, dann musst du im Grunde genommen blind arbeiten, weil du nicht mehr die letzten Behandlungen einsehen kannst und deine ganzen Adressen und Telefonnummern nicht dabei hast.“ (Gero/Interview)

Um sich dagegen abzusichern, benutzt Gero neben den stationären Computern in seinen beiden Praxen einen Laptop, den er auch beim Pendeln mitnimmt. Auf diesem habe er ein Backup seiner Daten. Gero erzählt, dass diese Absicherung bereits mehrfach nötig gewesen sei, wenn einer der Computer nicht richtig funktioniert hat.

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Privat spielt das Musikhören eine große Rolle in seinem Leben. So bezeichnet er seine Beschäftigung mit Musik als Leidenschaft und führt an: „Also Musik wäre das, wo ich am wenigsten ohne auskommen würde.“ (Gero/Interview) Und zwar sowohl unterwegs (wie beschrieben im Auto), als auch zuhause. Zudem lese er intensiv Zeitschriften, wobei er den Spiegel, Filmzeitschriften und eben auch Musikmagazine hervorhebt. Fernsehen hingegen habe er völlig aus dem Alltag verbannt. Dies begründete er damit, dass er sich immer mehr manipuliert gefühlt habe und diesem Einfluss entgehen wollte. Insbesondere die Selbstverständlichkeit und Distanzlosigkeit, mit der man das Medium nutzt, habe ihn gestört. Sein Alltag sei früher stärker durch dieses Medium strukturiert gewesen:

„Es ist sehr einfach, wenn man nach Hause kommt einfach mal den Fernseher anzumachen und ein bisschen zu gucken so, ne. Und man konsumiert viel von der Information ganz unbewusst oder auch ungezielt und ohne da richtig Einfluss drauf zu nehmen.“ (Gero/Interview)

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Hinsichtlich des Mobiltelefons schildert er, dass er die technischen Möglichkeiten schätze, es aber oft genug nicht dabei hat. Er hebt die zunehmende Konvergenz mobiler Medien hervor und nimmt an, dass mit einem ausgereiften Smartphone auch seine persönliche Nutzung steigen würde. Von diesem erwartet er, dass es unterschiedliche Kommunikationsformen unkompliziert miteinander verbindet: „Das heißt ein portables Internet, Abspielstation für Musik, so alles in einem Programm. So diese eierlegende Woll-Milch-Sau.“ (Gero/Interview) Als Anreiz für das mobile Internet sieht er vor allem die Möglichkeit, schnell Informationen nachschlagen zu können. Er geht davon aus, dass die mediale Entwicklung dazu führt, dass ein Mensch „jederzeit, in jeder Situation seines Lebens auf alle Daten, die für ihn wichtig sind, zugreifen können“ (Gero/Interview) wird. In dieser Prognose spiegeln sich seine persönlichen Erfahrungen wider: Das Verwalten der Kontakt- und Gesundheitsdaten seiner Patienten an zwei Orten würde durch einen mobilen Zugang deutlich vereinfacht, die Alltagsorganisation effizienter. Der fehleranfällige Abgleich der Datenbanken könnte dann wegfallen.

Im Bereich der medialen Entwicklung und Mobilität vermutet er, dass er jedoch trotz seines grundsätzlichen Interesses irgendwann nicht mehr folgen werden könne:

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„Und ich glaube, dass je älter man wird, und ich bin jetzt noch keine 40, ne, aber ich weiß nicht, wie das mit 50, 60. Dann wird die Entwicklung wahrscheinlich so rasant sein, dass ich auch dann nicht mehr hinterher kommen würde. Also das ist auch ganz natürlich, dass irgendwann ein Zeitpunkt erreicht ist, wo man aus dieser Entwicklung aussteigt.“ (Gero/Interview)

Über das Pendeln hinaus mobil

Gero selbst bezeichnet sich als mobilen Mensch und unterscheidet hierbei nach bestimmten Bedeutungen der Mobilität. So sei das Auto unter der Woche ein Mittel, um zur Arbeit zu gelangen oder Einkäufe zu erledigen. In seiner Freizeit nutze er dieses zwar auch, dann aber unter anderen Vorzeichen, nämlich „um mir irgendwas Schönes anzugucken. Oder zu nem schönen Ort zu fahren.“ So sei er auch in der Freizeit viel unterwegs, „dann aber gerne anders“ (Gero/Interview).

Während er die eigenen Möglichkeiten zur Mobilität schätzt, betrachtet er die grundsätzliche Entwicklung zu mehr Mobilität in der Gesellschaft kritisch. Seiner Ansicht nach werden Menschen zunehmend zu Mobilität gezwungen oder lebten in Unsicherheit darüber, ob zukünftig Mobilität von ihnen eingefordert wird. Und dies verursache Stress, dessen Symptome er dann wiederum bei seinen Patienten feststellen könne:

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„Übermäßiger Stress führt auch zu Erkrankungen im vegetativen Nervensystem. Viele Menschen, die durch den Stress unter Verspannungen leiden, unter Störungen im Herz-Kreislauf System, unter, ja es gibt so diese vegetativen Symptomatiken wie Kopfschmerzen. Also so Sachen, die immer irgendwie wiederkommen, die keinen klaren organischen Grund haben. Die […], wenn man ein bisschen genauer nachfragt, schon daraus resultieren, dass sie einfach viel unter Stress stehen. […] Natürlich ist die Mobilität nicht alleine schuld daran. Es gibt viele Faktoren. Aber es ist ein großer Faktor.“ (Gero/Interview)41

7.9. Gewohnte Wege werden steiniger

„Ich bin ja seit die Kinder bei uns da waren, war ich nicht mehr berufstätig.
Ich war nur auf den Haushalt fixiert.“
(Frau Kraus/Interview)

Frau Kraus ist 67 Jahre alt, verheiratet und lebt mit ihrem Mann in Bonn. Sie hat zwei erwachsene Söhne (30 und 28 Jahre alt), die nicht mehr zuhause wohnen. Seit der Geburt der Söhne ist sie Hausfrau. Zuvor habe sie eine Ausbildung als medizinisch-technische Assistentin abgeschlossen. Rückblickend sieht sie in ihren täglichen Aufgaben als Hausfrau eine gewisse Eingrenzung ihrer Möglichkeiten und Mobilität. So habe es ihr „manchmal gefehlt […], mal ein bisschen rauszukommen.“ (Frau Kraus/Interview) Sie betont aber auch, dass sie in ihrer Funktion aufgeht und die Aufgaben als Hausfrau auch jetzt noch, wo die beiden Söhne schon lange aus dem Haus sind, weiterhin verinnerlicht hat. „Es hat sich halt so eingespielt“ (Frau Kraus/Interview).

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Dieser sich über die Jahre entwickelten Routine des Alltages und der Alltagswege steht jedoch eine allmählich voranschreitende Einschränkung der täglichen Mobilität gegenüber. Unterwegs zu sein ist nicht mehr so selbstverständlich, wie dies früher für Frau Kraus war. Zwar sei sie generell gerne unterwegs und führt an: „Ich fahr gerne Auto“ (Frau Kraus/Interview). Doch insbesondere größere Strecken mit dem Auto seien heute oft „Stress“. Hinzu komme, dass ihr mögliche Gefahren präsenter geworden sind, weshalb neue Möglichkeiten der Absicherung im Alltag, etwa durch mobile Telefonie, in den Blick rücken: „Es kann ja mal ein Unfall passieren und ich möchte mal gerne anrufen, es ist irgendwas, ne.“ (Frau Kraus/Interview)42

Annäherung an ein neues Medium

Frau Kraus ist nach eigenen Angaben sehr unsicher in dem Umgang mit Mobiltelefonen. Der Versuch, eines in den Alltag zu integrieren, sei bislang daran gescheitert, dass sie keinen Zugang zu diesem Medium gefunden hat:

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„Ich habe ein Handy gehabt, ein abgelegtes von Xaver, mal. Das liegt jetzt ein paar Jahre zurück. Das war während des ersten Jahres, als ich zum Golfplatz fuhr. Dann war die Batterie eigentlich nie geladen. Also ich bin kein Mensch dafür. Dann hab ich´s mir in die Schublade gelegt und dann wollte ich´s vor holen und hab mir immer gesagt, komischerweise geht es gar nicht, ich komme damit gar nicht zurecht. Bis die Söhne sagten, du bist ja völlig ungeschickt [lacht] das ist ja wieder nicht geladen Mama.“ (Frau Kraus/Interview)

Doch im Verlauf des Interviews wurde deutlich, dass sich Frau Kraus ganz explizite Vorteile von einer möglichen Nutzung verhofft, vor allen Dingen den Erhalt oder die Absicherung ihrer Mobilität: „Schon aus Sicherheitsgründen, weil ich ja auch viel alleine Auto fahre.“ (Frau Kraus/Interview). Daher wolle sie einen neuen Versuch wagen, die Anschaffung sei sogar bereits fest eingeplant: „Aber ein Handy kommt. Wir wollen mal in den Kaufhof gehen. Wollen da mal gucken. Da gibt’s so ne schöne Abteilung.“ (Frau Kraus/Interview) Trotz ihrer Skepsis bezüglich der eigenen Fähigkeiten im Umgang mit Mobiltelefonen, kann sich Frau Kraus vorstellen, mit der Zeit die Nutzung auszuweiten: 

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„Dann wär ich neugierig, wenn es dann meins ist, dass ich gut klar komme mit dem Handy, ja. Das ist ja letztlich einfach zu handhaben. Dann würd ich das auch machen, dann wollt ich auch SMS schreiben.“ (Frau Kraus/Interview)

Generell wurde im Verlauf des Interviews das Interesse von Frau Kraus an medialen Entwicklungen deutlich. Auch machte sie sich Gedanken darüber, welchen Nutzen das jeweilige Medium, etwa der Computer, für ihren eigenen Alltag haben kann:

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„Da gibt es auch Einsteiger-Kurse, ja. Ich würde gerne so Grundregeln haben. Dass ich das auch verstehe, mit dem Computer umzugehen. Man ist ja nicht blöd. Ich denke, das kann ich genauso wie andere auch. Und ich möchte auch ins Internet gehen. Ja, würd ich machen.“ (Frau Kraus/Interview) 

Und sie hat auch schon eine Vorstellung, wie ihr die Technik helfen soll: Bei der Recherche zu Informationen „wahrscheinlich was das Kochen auch anbelangt, ja.“ (Frau Kraus/Interview) 

Sich neue Medien anzueignen sieht sie dabei zwar zum einen als eine Schwierigkeit in ihrem Alter. Zum anderen sei sie aber auch davon überzeugt, dass sie mit der Entwicklung gehen muss:

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„Ist ja interessant auch. Ne, ich finde auch, es gehört dazu. Man muss ja auch ein bisschen mitschwimmen, mit der Welle. Ich finde sonst ist man ja auch hinten dran. Ja, ich seh das schon. Also ich war vielleicht auch zu phlegmatisch, man muss schon was machen. Das gehört dazu. Finde ich. Nein, hätte ich auch glaube ich Freude dran.“ (Frau Kraus/Interview)

Seit langem fest in das alltägliche Handeln integriert sind dagegen andere Medien. So hat die ausgiebige Zeitungslektüre ihren Platz in der mittäglichen Ruhepause, das Fernsehen wird abends zum Ausklang des Tages genutzt. Musik spielt bei den täglich mit dem Auto zurückgelegten Strecken eine große Rolle: „Da hör ich sehr gerne Musik. […] Das Radio schalt ich an und hab gewisse Sender und weiß genau, wo schöne Musik kommt.“ (Frau Kraus/Interview) Trotz der bisherigen Mediengewohnheiten sehe sie, so Frau Kraus, in ihrer Alltagsgestaltung jedoch durchaus noch Platz für die genannten neuen Medien.

7.10.  Noch einmal neu: Ausgetretene Pfade verlassen 

„Ich war einer der letzten Chefärzte wahrscheinlich, die keinen Monitor auf dem Schreibtisch stehen hatten. Ich war noch frei davon.“
(Dr. Kraus/Interview)

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Herr Dr. Kraus (67) ist pensionierter Arzt. Seit einem Jahr ist er, nachdem er seinen Vertrag um ein Jahr verlängert hatte, schließlich im Ruhestand. Er beschreibt diese Umstellung nicht als Bruch, sondern als eine Phase, auf die er sich gut und lange vorbereitet und eingestellt hat. So sehr er sein Arbeitsleben genossen habe, so sehr freue er sich jetzt auf und über den neuen Lebensabschnitt: 

„Also es war ne bewusste Zäsur, die ich geraume Zeit vorher schon eingeplant hatte, so dass es für mich also keine Lücke oder kein Loch gibt, in das ich jetzt gefallen wäre. Sondern es war eine bewusste Entscheidung und ich muss sagen, im Rückblick war das eine wunderschöne Zeit, die ich nicht missen möchte. Die für mich ja der Lebensinhalt war über 40 Jahre. […] Aber es ist nicht so, dass ich jetzt in Trauer zurückblicke oder das Gefühl habe, etwas zu versäumen. Ich hab ja auch ein Jahr länger gearbeitet, als eigentlich es ursprünglich im Vertrag vorgesehen war. Bewusst, weil ich sagte, das macht mir noch Freude, ich mach das gerne noch ein Jahr. Aber das war dann auch in Ordnung so.“ (Dr. Kraus/Interview)

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Während sich sein Tagesablauf nach der Pensionierung grundlegend geändert hat, blieb er bei seiner Frau, wie zuvor beschrieben, auch nach diesem Wechsel im Grunde gleich.

Neuer Alltag – Zeit für neue Medien

Mit dem Wandel der Lebensumstände ging einher, dass Herr Dr. Kraus sich mit neuen Medien auseinandersetzte: Zum einen habe er nun, wie er sagt, überhaupt erst die freie Zeit, sich mit neuen medialen Entwicklungen zu beschäftigen. Und zum anderen, sehe er, dass diese ihm in seinem neuen Alltag sehr hilfreich sein können. Sich selbst mit neuen Medien und Kommunikationsformen auseinandersetzen zu müssen, wurde sogar erst mit dem Wechsel der Alltagsgestaltung notwendig:

▼ 184 

 „Ja, was ich gerne, was ich jetzt beabsichtige in Angriff zu nehmen auch, dass ich so ein bisschen mehr über Internet in der Form kommuniziere, dass ich beispielsweise E-Mails nicht nur empfange, sondern auch schreibe und so weiter und so fort. […] Also das ist grade erst im Aufbau. Da habe ich mich eigentlich in der Vergangenheit wenig drum gekümmert. […] Das war ein Zeitfaktor. Also, wenn Sie so wollen, war´s so ne gewisse Bequemlichkeit. Das hat mir alles mein Sekretariat abgenommen.“ (Dr. Kraus/Interview)

Die Informationssuche für seine neuen Beschäftigungen im Alltag steht bei der Verwendung des Computers im Mittelpunkt: „Auch grade was das Hobby betrifft, auch die Kois43 und so weiter gucken natürlich, direkt die Informationen, die aktuellen Geschichten, was es da medizinisches Neues gibt und so weiter. Behandlungsmethoden.“ Das Internet betrachtet er dabei als eine unerschöpfliche Informationsquelle. Und so betont er: „Das ist natürlich schon ein Medium, das den Horizont enorm erweitert. […] Es gibt einem ein Rüstzeug an die Hand, ein riesen Lexikon, wenn Sie so wollen, nicht wahr?“ (Dr. Kraus/Interview)

So sehr Herr Dr. Kraus erst am Anfang steht, sich „so ein bisschen in die Computergeschichte einzudenken und einzuarbeiten“ (Dr. Kraus/Interview), so sehr sieht er schon weitere Potentiale dieses Mediums für seine Alltagsgestaltung. So reize ihn der Gedanke, an diese Informationen auch unterwegs gelangen zu können, wobei er durchaus konkrete Vorstellungen von einem mobilen Zugang zum Internet hat:

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„Was ja auch immer mehr vereinfacht wird. Gerade für uns etwas ältere Menschen ist es ja auch faszinierend […] Und heute können Sie natürlich auch mit einem, mit diesen Touchscreens da, da einfach mit diesen Oberflächen arbeiten, das ist ja faszinierend, wenn man das guckt, was man da alles an Informationen reinziehen kann.“ (Dr. Kraus/Interview)

Die Mediennutzung ist von Herrn Dr. Kraus ist deutlich an bestimmte Phasen im Alltag gebunden. Morgens ist vor allen Dingen die Lektüre der Zeitung wichtig, „damit man schon mal den Überblick hat über das Tagesgeschehen, das politische Geschehen, auch über den wirtschaftlichen Teil“ (Dr. Kraus/Interview). Organisatorisches, etwa mit der Bank, laufe den Tag über per Festnetztelefon beziehungsweise Mobiltelefon ab. Musik ist wiederum mit Autofahrten verbunden. Während Herr Dr. Kraus unterwegs regelmäßig Radio hört, spielt es zuhause keine große Rolle. Hier rückt ein anderes Medium in den Mittelpunkt: „Meistens, so das Hauptmedium ist dann schon das Fernsehgerät.“ (Dr. Kraus/Interview) Wie bereits in den anderen Fällen, prägte das Fernsehen besonders die abendliche Zeit des Alltages. Während tagsüber nur selten und dann gezielt geschaut wird, erscheint die Tagessschau als eine Institution, die eine abschließende Phase des Tages einläutet44: „Das beginnt meistens bei mir, was das Fernsehgerät betrifft, dann mit den Nachrichten, so gegen entweder 19Uhr oder 20Uhr, je nachdem.“ (Dr. Kraus/Interview)

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Die Beschäftigung mit neuen Medien eröffne ihm jedoch auch eine neue Perspektive auf die Fernsehnutzung, wie Herr Dr. Kraus anführt. Da die politischen Magazine, die ihn besonders interessieren, eher spät gesendet werden, fasse er auch die Nutzung von Online-Mediatheken ins Auge:

„Das ist durchaus auch meine Absicht, das zu tun. Das wird ja immer wieder auch angeboten, grade auch, wenn man Dinge versäumt hat. Nicht wahr, aktuelle Sendungen, dass man das dann hinterher im Internet sich dann nochmal vor Augen führt.“ (Dr. Kraus/Interview)

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Nachdem sich Herr Dr. Kraus nach dem bedeutenden biographischen Wechsel in einem neuen, routinierten Alltag eingerichtet hat (vgl. beispielsweise Giddens 1995a: 101), zeigt sich auch, dass mit der Aneignung neuer Medien eine erneute Dynamik für die zukünftige Alltagsgestaltung hinzugekommen ist.


Fußnoten und Endnoten

37  In dem visuell stimulierten Interview hebt Karin hingegen die Bedeutung ihres alltäglichen Unterwegsseins hervor. Ihre Fotografien des Fahrrades und der Stationen der Alltagswege lassen ihr die mobilen Phasen des Tages im Interview präsent werden.

38  Wie in dem folgenden Beobachtungs-Memo geschildert: „Sie fährt schnell, telefoniert und die Konzentration auf den Straßenverkehr scheint gering. Habe mich schon sicherer gefühlt.“ (Memo: Frau Schmitz/Go-Along)

39  Zur Beeinflussung von Stimmungen durch Musik vgl. Schramm (2005), zur Erleichterung von Arbeit durch diese vgl. ebd.: 68.

40  Dass sich jedoch gerade diese Strecke durch Veränderungen der wirtschaftlichen Lage immer weiter vergrößert, beschreibt etwa Kramer (2004: 28).

41  vgl. zu physischen und physischen Folgen von Mobilität Schneider (2005): 118f.

42  Ling führt an, dass die Absicherung in einer möglichen Notsituation als eine der häufigsten Gründe für die Anschaffung eines Mobiltelefons genannt wird (vgl. ders. 2004: 59). So hebt er hinsichtlich des Mobiltelefons hervor: “We rely on the mobile telephone. It helps us coordinate our lives while on the run; it provides us with a sense of safety and gives us accessibility to others.” (ebd.: 4)

43  Koi-Karpfen

44  Der Redakteur Horst Jaedicke bezeichnet die Tagesschau als „Orientierungsmal einer ganzen Gesellschaft“ (ders. 2002: 66). Sie dient so auch als Gliederung des Alltages: „Vor der Tagesschau endet der Arbeitstag, mit der Tagesschau beginnt der Feierabend“ (ebd.)



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26.05.2011