[Seite 77↓] 

4. Einzelanalysen

In dem nun folgenden dritten Teil dieser Arbeit sollen die bisher dargestellten theoretischen und methodischen Überlegungen detailliert an einem ausgewählten historischen Grammatiktext, der “Teutschen Grammatica” des Valentin Ickelsamer, exemplifiziert werden. Ziel jenes Unternehmens ist es, mit dem Grammatikverständnis einen Teil des Sprachbewusstseins dieses Grammatikographen zu erschließen. Im Anschluss an diese detaillierte Anwendung der theoretischen und methodischen Grundlagen soll mittels einer Analyseskizze zu Laurentius Albertus* “Teutsch Grammatick oder Sprach-Kunst” zum einen die Fruchtbarkeit des vorgestellten Sprachbewusstseinsansatzes für einen weiteren Text überprüft werden, zum anderen aber auch die Ergebnisse zu Ickelsamers Grammatikverständnis in einen vergleichenden Bezug zu dem eines anderen Grammatikographen des 16. Jahrhunderts gesetzt werden.

4.1. Das Grammatikverständnis von Valentin Ickelsamer

Unter dem Titel:

Teutsche // Grammatica // Darauß ainer von jm selbs mag // lesen lernen / mit allem dem / so zum Teutsch‘ lesen vnnd desselben // Orthographian mangel // vn überfluß / auch anderm vil mehr / zů wis- // sen gehört. // Auch ettwas von der rechten art // vnd Etymologia der teütschen sprach // vnd woerter / vnnd wie man die // Teütschen woerter in jre sil- // ben taylen / vnd zůs- // amen Bůchsta- // ben soll.// 137

erschien zu Beginn der dreißiger Jahre des 16. Jahrhunderts eine Schrift138, die in  [Seite 78↓]  der Forschungsliteratur übereinstimmend als erste Konzeption einer Grammatik der deutschen Sprache betrachtet wird, die sich selbst auch als solche bezeichnet.139Valentin Ickelsamers “Teutsche Grammatica” (TG) präsentiert sich, im Gegensatz zu den in der Frühen Neuzeit häufiger vertretenen Orthographie- und Leselehren, in ihrem Anspruch als Grammatik der deutschen Sprache und bleibt in ihrer deutschsprachigen Ausführung nach der heutigen Quellenkenntnis singulär im 16. Jahrhundert, da die übrigen im Druck vorliegenden Grammatiken der deutschen Sprache lateinisch verfasst worden sind.

Eben gerade aufgrund der exponierten Stellung Ickelsamers in dieser Frühphase der deutschen Grammatikschreibung erscheint es von besonderem Interesse, sich auf Grundlage der Analyse seines Grammatiktextes genauer mit dem Grammatikverständnis Ickelsamers als Teil seines Sprachbewusstseins auseinander zu setzen, um so herausarbeiten zu können, welche spezifischen Elemente sein Grammatikverständnis beinhaltet und wie diese seine uns vorliegende Grammatikkonzeption leiteten.

4.1.1. Forschungsstand

Innerhalb der Forschungsliteratur zur TG ist die Schrift bisher im Rahmen dreier Traditionslinien untersucht worden140. Zum einen betrifft dies die Tradition des Deutschunterrichts und die der Leselehren, zum anderen die der Grammatikschreibung selbst. Da diese Untersuchung sich auf Ickelsamers Grammatikverständnis und die Fundamente desselben konzentriert, müssen alle in der TG berührten Traditionslinien beachtet werden, weil diese für die Rekonstruktion der inhaltlichen Positionierung und Motivation der  [Seite 79↓]  Grammatikkonzeption unerlässlich sind.

Zudem soll ein besonderes Augenmerk auf die in ihrer konkreten Auswirkung auf einzelne sprachtheoretische und grammatikographische Positionen bisher wenig untersuchte religiöse Ausrichtung des Ickelsamerschen Grammatikverständnisses gerichtet werden. In der Mehrzahl der Forschungsarbeiten wurde bislang lediglich im Allgemeinen auf die ideologischen Positionen Ickelsamers verwiesen, ohne aber auf deren konkreten Einfluss auf sein grammatikographisches Projekt einzugehen.141 Heinrich Noll hat dagegen in seiner Dissertationsschrift aus dem Jahr 1935 die TG besonders im Hinblick auf die religiöse Sprachauffassung Ickelsamers im Umfeld anderer religiöser Sprachtheorien untersucht. Diese Studie kommt dabei zu sehr interessanten Ergebnissen, die auch in diese Analyse eingebunden werden sollen. Da Noll wegen der politischen Rahmenbedingungen der Entstehungszeit seiner Dissertation in die Bewertung der Leistung Ickelsamers auch völkisches Gedankengut einfließen ließ, ist aber ein kritischer Umgang mit seiner Veröffentlichung angeraten.

Der im Folgenden zu exemplifizierende Sprachbewusstseinsansatz versteht sich in seiner Ausrichtung auf die im Text erschließbaren Elemente des Ickelsamerschen Grammatikverständnisses und deren Hintergründe als Möglichkeit, unter Einbezug, Überprüfung und Erweiterung vorliegender Forschungsergebnisse die Vielschichtigkeit der TG im Zusammenhang ihres historischen Kontextes und ihrer jeweiligen inhaltlichen Gewichtung vollständiger darzulegen, als es den auf einzelne Aspekte der TG konzentrierten Forschungsarbeiten möglich ist.

Gerade die Grammatik Valentin Ickelsamers, dessen Leben in hohem Maß von den Vorgängen innerhalb der „reformatorischen Öffenlichkeit“142 geprägt war und der sich aktiv an den Debatten seiner Zeit beteiligte, ist ohne Berücksichtigung der komplexen kontextuellen Verankerung des Autors in ihrer Konzeption und Umsetzung nur schwer einzuschätzen.


 [Seite 80↓] 

4.1.2. Quellenkritische Vorbemerkung

Es sind insgesamt vier Ausgaben der TG bekannt, von denen nur eine Titelangaben zum Druckort und -jahr enthält.143 Diese Nürnberger Ausgabe von 1537 weist zu der bei Müller transkribierten Ausgabe (ohne Ort und ohne Jahr) nur geringfügige Abweichungen auf, wogegen die sich ebenfalls untereinander kaum unterscheidenden anderen beiden Ausgaben deutliche inhaltliche und quantitative Differenzen zu den beiden erstgenannten Ausgaben aufzeigen. Der Hauptunterschied zwischen den Texten besteht in der Zugabe eines kurzen christlichen Lesestücks und verschiedener theologisch-ideologischer Anmerkungen in der Nürnberger und der bei Müller transkribierten Ausgabe, welche die anderen Quellen nicht aufweisen.144

Bei der sich anschließenden Analyse wird unter Beachtung von Abweichungen in den anderen Ausgaben die von Johannes Müller herausgegebene Ausgabe als Untersuchungsbasis herangezogen. Sie ist untergliedert in eine ungekennzeichnete Vorrede, die Blatt A 1b–A 6b einnimmt, und in einen grammatikographischen Darstellungsteil. Dieser enthält Kapitel zu phonetischen, orthographischen, etymologischen, lese- und schreibdidaktischen Fragen sowie Hinweise zur Silbentrennung und zur Interpunktion145. Zwischen dem Kapitel zur Orthographie

und dem über die Interpunktion ist das “kurtz lese bůchlin” (Bl. E ijb–E vb; S. 156f.) eingefügt, anhand dessen das Lesen geübt werden kann und welches zugleich eine christliche Tugendermahnung darstellt.

Bemerkenswerterweise beschäftigen sich die neueren Forschungsarbeiten zu Ickelsamers TG meist mit den Ausgaben, in denen die theologisch-ideologischen Anmerkungen eingeschränkt sind, mit der Begründung, dass man in diesen  [Seite 81↓]  Quellen den rein grammatikographischen Aspekt deutlicher fassen könne.146Michael Giesecke schätzt diese Ausgaben als überarbeitete und gekürzte Fassungen der ersten umfangreicheren Texte ein, wobei er im Folgenden das Argument anführt, dass mit der Zurücknahme der ideologischen Programmatik eine gesteigerte wissenschaftliche Arbeitsweise Ickelsamers in den Vordergrund rückt.

Kritisch ist diesbezüglich anzumerken, dass bei einer solchen Argumentationsweise die Gefahr besteht, zugunsten eines neuzeitlichen Wissenschaftsverständnisses von Grammatik und Grammatikschreibung über die vielschichtigen Intentionen des Autors der TG und die frühneuzeitliche Spezifik seines Grammatikverständnisses hinwegzugehen. Dies gilt besonders dann, wenn – wie Giesecke selbst bemerkt – die ideologische Selbstbeschränkung auch mit der städtischen Zensurpraxis in Augsburg, wo Ickelsamer zur Zeit der Veröffentlichung der betreffenden Ausgaben als “teutscher Schulmeister” tätig war, im Zusammenhang stehen könnte.147

Die hier vorliegende Untersuchung der TG versucht dagegen, alle mittels des Textes zugänglichen Elemente des Ickelsamerschen Grammatikverständnisses zu erschließen, indem sie auch die für die heutige Grammatiktheorie *fremden+ Sprachreflexionen in die Analyse mit einbezieht, um auf diese Weise eine historisch objektive Einschätzung der “Teutschen Grammatica” und des Grammatikverständnisses Ickelsamers vornehmen zu können.

4.1.3. Biographischer Hintergrund

An dieser Stelle soll zunächst Valentin Ickelsamers Lebensweg skizziert werden, da die Kenntnis wichtiger Abschnitte desselben entscheidende Rückschlüsse auf einzelne Bildungs- und Erfahrungshintergründe seines Sprachbewusstseins ermöglicht.


 [Seite 82↓] 

Geboren148 um 1500 in der Gegend um Rothenburg ob der Tauber149, studierte Ickelsamer, nachdem er in Rothenburg eine Lateinschule besucht hatte, ab 1518 an der Universität Erfurt. Dort legte er 1520 das Examen zum Bakkalaureus ab und ist als solcher in der “Matricula baculariorum (et Magistrorum) Erfordiensium” vermerkt.150 Zu der Zeit, als er die Universität besuchte, befand sich diese unter starkem Einfluss der Humanisten151, so dass auch Valentin Ickelsamer eine humanistisch orientierte Ausbildung erfahren haben wird.

Ickelsamer, der von seinen Zeitgenossen als vir doctissimus und vir humanissimus bezeichnet wurde152, interessierte sich jedoch zunehmend für das Gebiet der protestantischen Theologie, so dass er nach seinem Bakkalaureat an die Universität von Wittenberg wechselte. Dort hörte er Luther, Bugenhagen und Melanchthon, wandte sich aber schließlich der Lehre Andreas Bodenstein von Karlstadts zu. Dieser vertrat in Reformationsfragen gegenüber der katholischen Kirche und ihren Besitzständen sowie in Bezug auf die Gemeindeautonomie eine radikalere und offensivere Position als Luther und führte die Wittenberger Bewegung während Luthers Aufenthalt auf der Wartburg 1521/22 an.153 Er musste schließlich auf Drängen des Weimarer Hofes Wittenberg und nach einem gescheiterten Ausgleich mit Luther 1524 Kursachsen verlassen.

Infolge der Beschäftigung mit Karlstadts Lehren schloss sich Ickelsamer dessen Positionen an und brach sein Studium bereits vor der Promotion ab, da er die Skepsis Karlstadts gegen die “etablierten gelerten Ausbildungsinstitutionen”154  [Seite 83↓]  teilte. Er beteiligte sich während seiner Tätigkeit als “teutscher” Schulmeister155 in Rothenburg, wohin er nach seiner Wittenberger Zeit zurückgekehrt war, aktiv an den Vorgängen der Reformation und des Bauernkriegs. 1525 war er Mitglied des dortigen Gemeindeausschusses und wird in den Quellen156 mehrmals als vom Rat bevollmächtigter Vermittler zwischen den aufständischen Bauern und den Interessen der Stadt Rothenburg genannt, wobei er sich in diesem Unterfangen als gemäßigt und ausgleichssuchend zeigte.

In Rothenburg kam es auch zu erneuten Kontakten zwischen Karlstadt157 und Ickelsamer. In der Folge einiger Treffen mit Karlstadt und mehreren Glaubensbrüdern veröffentlichte Ickelsamer 1525 die Flugschrift “Clag etlicher brüder”158. Sie richtet sich vor allem gegen die Haltung Luthers gegenüber Karlstadt und gegen Luthers Ansichten in einzelnen Religionsfragen. So sieht Ickelsamer Einfachheit und Armut als unumgehbare Grundbedingung des wahren Christentums an:

Weil man auff dem pfůlmen sitzt in den gemalten stüblein (dann du [gemeint ist Luther – Anm. d. Verf.] wilt ye gemalten götzische bildniß bei dir haben) würd mans nit recht treffen / eyn nidriger vnd zerschlagener christ (welcher alleyn eyn christ ist) würd freilich auch nit silbere oder güldene spangen auff dem gürtel tragen / vnd auff der taschen / noch grosse sack ermel von kostlichem tůch an den röcken tragen.159

Ickelsamer verteidigt Karlstadts „christliche demütigkeyt“, die sich gerade darin zeige, dass dieser den grauen Rock der „eynfeltigen vnd armen bauren“160 trage,  [Seite 84↓]  woran Luther in seiner Schrift „Wider die himmlischen Propheten“ Kritik geübt hatte.

Im Zusammenhang mit den weiteren Vorgängen in Rothenburg und der Radikalisierung der Bauernaufstände scheint sich Ickelsamer jedoch von Karlstadt distanziert und “aus der aktiven Gemeindepolitik zurückgezogen zu haben.”161 Wegen des Scheiterns der Bauernbewegung und der sich daran anschließenden Bestrafung der Revolutionäre durch den Markgrafen von Brandenburg musste aber auch Ickelsamer Rothenburg verlassen. In der Folgezeit hielt er sich in Erfurt auf, wo auch die “Rechte weis auf kürtzist lesen zu lernen” veröffentlicht wurde.162 Doch auch eine weitere Beschäftigung mit religiösen Themen lässt sich verzeichnen, in deren Zuge Ickelsamer eine weitere ideologische Schrift verfasste. Des Weiteren nahm er wohl in Arnstadt erneut die Stelle eines Schulmeisters ein, was sich in den Quellen jedoch nicht eindeutig belegen lässt. Die Verbindung von religiösem Eifer und pädagogischen Ambitionen stieß jedoch recht bald auf das Missfallen der Obrigkeit, so dass bereits während Ickelsamers Aufenthalt in Erfurt Graf Günther von Schwarzberg durch den Kurfürsten Johann von Sachsen vor diesem gewarnt wurde, da er sich neben seiner früheren Verbindung zu Karlstadt besonders durch die Hinwendung zu den Ideen der Wiedertäufer als Aufrührer verdächtig gemacht hatte. Als die Lage sich zuspitzte, Ickelsamer verhaftet und hinsichtlich seines Glaubensbekenntnisses examiniert werden sollte, setzte sich dieser aus Thüringen ab und hielt sich anschließend wahrscheinlich zunächst im Haus des Humanisten Wolfgang Capito in Straßburg auf.163Dort traf er vermutlich auch auf den Schwärmer Kaspar Schwenckfeldt von Ossig, der ihm zu einer neuen geistlichen Leitautorität geworden zu sein scheint:

Schwenckfeldts Ansichten kamen Ickelsamer dabei in vielem näher als Karlstadts. Die inneren Stimmen, die (mystische) Liebe und das Leiden als Tor zur Erkenntnis Gottes, diese Anschauungen lassen sich schon aus den älteren Werken Ickelsamers herauslesen.164

Die Verbindung zwischen beiden vertiefte sich in besonderem Maß, als  [Seite 85↓]  Schwenckfeldt dem von einer langen und schweren Krankheit betroffenen Ickelsamer einen “christlichen Trostbrief”165 schrieb, den dieser wiederum aus Dankbarkeit mit einer eigenen Vorrede drucken ließ.

Die letzten Jahre seines Lebens, zumindest seit dem Jahr 1533, hielt sich Ickelsamer in der freien Reichsstadt Augsburg auf, wo er als Privatlehrer und später als Leiter einer “teutschen Schule” tätig gewesen sein soll.166 Das Todesjahr Ickelsamers ist nicht bekannt, es scheint in den 40er Jahren des 16. Jahrhunderts zu liegen.

Aus den wenigen überlieferten Quellen ergibt sich das Bild eines vielseitig ambitionierten und politisch aktiven Menschen, dessen Leben von den gesellschaftlichen und geistesgeschichtlichen Entwicklungen des Reformationszeitalters geprägt war.167 Vor allem im Zusammentreffen mit Karlstadt, aber noch mehr durch den späteren Kontakt mit Schwenckfeldt168 entwickelten sich wichtige Elemente seines religiösen Weltbilds, das sich besonders an den Stellen der TG als Hintergrund seines Grammatikverständnisses aufzeigt, in denen es, ausgehend von Ickelsamers erkenntnistheoretischen Positionen, um inhaltliche Fragen der Beschäftigung mit der deutschen Sprache geht.

4.1.4. Die Elemente des Ickelsamerschen Grammatikverständnisses

Den in der methodischen Grundlegung eingeführten Fragen zum Grammatikverständnis entsprechend169 werden im Folgenden einzelne Sprachreflexionen unter Nutzung historischer Wörterbücher und der Sekundärliteratur analysiert und hinsichtlich ihrer Bildungs- und Erfahrungshintergründe interpretiert.


 [Seite 86↓] 

4.1.4.1. Verwendungsweise von Grammatik

Indem Ickelsamer seine Schrift im Titel mit dem “formalen Leitwort”170Grammatica überschreibt, stellt er einen Bezugspunkt zur institutionalisierten Verwendungsweise des Wortes in der Tradition der Sieben Freien Künste (septem artes liberales) her, deren erstes Fach die Grammatik war. Bis zu diesem Zeitpunkt erschienen nach heutigem Kenntnisstand ausschließlich solche Schriften unter einem derartigen Sachtitel, die sich in den Dienst dieses Faches an den Lateinschulen und Universitäten stellten. Doch schon im Attribut “teutsche” liegt das Besondere des Ickelsamerschen Vorhabens, da er sich hierdurch eindeutig aus dem lateindominierten Bildungsbetrieb seiner Zeit herausbegibt und dennoch den Anspruch erhebt, für die deutsche Sprache eine Abhandlung zu präsentieren, die diesen in der Bildungstradition verankerten Titel tragen kann.171

Gleich im ersten Satz der sich an das Titelblatt anschließenden Vorrede, die nicht durch eine eigene Überschrift als solche gekennzeichnet ist, greiftIckelsamer den Titel seiner Schrift wieder auf und setzt eine Begründung für die Wahl der Namensgebung:

DIsem Buechlein hab ich ainen namen geben / Gram matica / darumb das es die besten vnd fürnemsten stuck der Grammatic handelt / Naem=lich den verstand der Bůchstaben / des lesens vnd der Teütschen woerter / (Bl. A 1b, S. 120)

Ickelsamer gebraucht Grammatica hier in zweierlei Bedeutung. Zum einen bezeichnet er damit das Buch selbst. Die Wortverwendung erfolgt somit unter praktischem Aspekt und findet sich in dieser Form noch mehrmals in der TG. Zugleich wird dabei deutlich, dass die Verwendungsweise in praktischer Hinsicht Teil des didaktisch-methodischen Aspekts ist. Wenn Ickelsamer seine Arbeit als Grammatik bezeichnet, so gibt er dem Leser gleichzeitig – wegen der üblichen Verwendung von Grammatiktexten als Unterrichtsliteratur – das Signal, dass es sich bei diesem Buch im ersten Sinn um ein Lehrwerk handelt, das sich mit  [Seite 87↓]  Fragen der didaktischen Vermittlung einzelner grammatikalischer Themen der deutschen Sprache beschäftigt.

Zum anderen verwendet Ickelsamer Grammatik nicht nur als Textbezeichnung, sondern bezieht sich damit auch auf die inhaltlichen Teile derselben. Wie aus dem oben angeführten Zitat ersichtlich wird, geht es ihm darum, die “besten vnd fürnemsten stuck der Grammatic” darzustellen. Dazu gehören “der verstand der Bůchstaben / des lesens vnd der Teütschen woerter //“.

Verstand weist im Sprachgebrauch der Frühen Neuzeit ein umfangreiches Spektrum von Bedeutungsdifferenzierungen auf.172 Es scheint aber am wahrscheinlichsten, dass Ickelsamer “verstand” hier im Sinn von das ‘verständnisvolle Erfassen einer Sache’ gebraucht, da bei dieser Verwendung des Wortes das Bezugswort in einer Genitivkonstruktion angeschlossen war. “Verstand“ konnte aber ebenso in der Bedeutung von ‘Mitteilung, Bescheid, Erklärung von einer Sache’, im Sinn von ‘jemandem etwas zu verstehen geben’ gebraucht werden, und diese Verwendungsweise kommt in Bezug auf Ickelsamers Zitat ebenfalls in Betracht. Die Dichotomie des Begriffs, zum einen der Akt der Erklärens, zum anderen der Akt des Erfassens, der in jeder didaktischen Schrift per se angelegt ist, prägt auch Ickelsamers Aussage.

Aus der von Ickelsamer propagierten Beschränkung seiner Schrift auf “de[n] verstand der Bůchstaben / des lesens vnd der Teütschen woerter //“ lässt sich eine erste Positionierung der TG im Bereich der elementaren grammatischen Bildung ableiten, zu der traditionell die Erlernung des Alphabets, des Lesens und des Schreibens gehörte.173 Dieser Bereich wurde für den Muttersprachunterricht bis zu diesem Zeitpunkt von den Leselehren abgedeckt, zu denen Ickelsamer mit seiner ”Rechte[n] weis auffs kürtzist lesen zu lernen” von 1527 einen wichtigen Beitrag geleistet hat.

Zugleich verweisen die beiden erstgenannten Inhalte über ihre Anbindung an den  [Seite 88↓]  Elementarunterricht auf zwei der vier traditionellen Gebiete der Lateingrammatikwerke, nämlich auf Lautlehre und Prosodie, die hier als Silbenlehre verstanden wird.174 Daneben zählt Ickelsamer den “verstand [...] der Teütschen woerter” zu den von ihm ausgewählten und dargestellten Teilen der Grammatik, womit er sich vor allem auf die etymologischen Abhandlungen seiner Schrift bezieht175, durch welche sich sein Buch hauptsächlich von den Inhalten der Lese- und Orthographielehren176 sowie von denen der elementaren Lateingrammatiken unterscheidet.

Über den Hinweis auf den selektiven Charakter seiner Arbeit deutet Ickelsamer aber auch an, dass er an eine vollständige Grammatik der deutschen Sprache erweiterte Forderungen stellt, die er im Folgenden ausführt:

Der aber die acht tayl der rede recht verteütschet vnd erklaeret mit jren accidentijs vnd zůgehörungen zum rechten gründtlichen verstandt der Teütschen wörter vnd rede / sampt ainer gůten teütschen Syntaxi oder Construction / das ist / gantzer versamelter vnd rechter kunstmaessiger teütscher rede / das wer auch billich ain teütsche Grammatica zůnennen / vnd es würdts villeicht auch ainmal ainer thůn (Bl. A 1b -A ija, S. 120)

Diese programmatischen Forderungen sind es letztendlich, die im Rahmen der hier vorgenommenen Untersuchung wichtige Informationen über Ickelsamers Grammatikverständnis geben und einige in dereigentlichen grammatikographischen Abhandlung bloß angedachte Punkte erklären, da er in seinem Darstellungsteil nur wenige seiner Forderungen aus der Vorrede tatsächlich umsetzt.

Seine Ansprüche an eine angemessene und vollständige deutsche Grammatik stehen auf dem Boden der lateinischen Tradition, seine Orientierung am Aufbau  [Seite 89↓]  der Ars minor des Donatus Aelius ist offensichtlich.Diese Grammatikschrift, die “bis ins 16. Jahrhundert vorwiegend unter dem Titel >Donati de octo partibus orationis ars minor< überliefert”177wurde, zählte mit ihren Bearbeitungen zur Basisliteratur des elementaren lateinischen Grammatikunterrichts. Auch Ickelsamer fordert für eine umfassende Grammatik der deutschen Sprache eine Abhandlung der acht Redeteile samt ihrer Formenbildungen.178Doch schon mit dem Verweis auf die Syntax geht er über den Bereich der elementaren Grammatikbildung hinaus, da syntaktische und stilistischeKenntnisse im Lateinunterricht den fortgeschrittenen Schülern vorbehalten waren bzw. schon in das Beschäftigungsfeld der Rhetoriker hineinreichten.

Für Ickelsamer gehört zu einer grundlegenden grammatikalischen Ausbildung in der Muttersprache neben den elementaren Lesefähigkeiten, an deren Vermittlung ihm in seiner “begrenzten” Grammatik besonders gelegen ist, und den etymologischen Überlegungen ein morphologisches und syntaktisches Wissen, das sich allerdings in hohem Maß an den Paradigmen der lateinischen Grammatikschreibung orientiert.179Damit legt er für eine vollständige Grammatik der deutschen Sprache die gleiche inhaltliche und terminologische Grundstruktur fest, wie sie in der lateinischen Tradition gegeben ist.180Es geht ihm dabei jedoch nicht um eineeinfache Übersetzung der traditionellen lateinischen Grammatik. Dies wird deutlich in der Wendung “zumrechten gründtlichen verstandt der Teütschen wörter vnd rede”. Erneut gebraucht Ickelsamer das Wort Verstand, das Besondere liegt allerdings in der Verwendung des Adjektivs “gründtlich”. Mehrfach führt Ickelsamer im Zusammenhang mit seinen Bemühungen um die deutsche Sprache dieses Wort an, was darauf hindeutet, dass es sich um ein Schlüsselwort seiner Positionen handelt.

Gründlich ist eine vor allem aus dem Sprachgebrauch der Mystiker entstammende  [Seite 90↓]  Vokabel, deren Verwendung erst ab dem 14. Jahrhundert in diesem Umfeld mehrfach belegt ist und sich zum Neuhochdeutschen hin weit entfaltete.

Im spezifisch mystischen Sinn konnte gründlich sowohl ‘im grunde des herzens, der seele; im innern, innerlich’; ‘bis in den grund des herzens, der seele hinein; bis in die tiefe reichend, ins innerste gehend’ als auch ‘aus dem grunde des herzens, der seele kommend’ bedeuten.181

Jenseits des spezifisch mystischen Hintergrunds steht gründlich häufig in folgender Verbindung:

spätmhd. einsetzend und nhd. reich entfaltet ist gründlich in verbindung mit begriffen, die eine irgendwie geartete geistige thätigkeit oder haltung zum ausdruck bringen, wobei gr. die qualitätsvorstellung ‘bis auf den grund, bis ins letzte, tiefgehend, nicht oberflächlich‘ beisteuert182

Es findet sich diesbezüglich oft als attributives Adjektiv oder Adverb, um den Gegensatz zu einer oberflächlichen Herangehensweise auszudrücken, nämlich im Sinne von *einer tiefgründigen, bis aufs Fundament und den Ursprung zurückgehenden intensiven Beschäftigung mit einer Sache*. Bei Adelung ist die konkrete Wendung aufgeführt als “ein gründlicher Verstand, der den ersten Gründen einer Sache nachforschet”183.

Blickt man auf die Verwendungsweise von gründlich bei Ickelsamer in “zum rechten184 gründtlichen verstandt der Teütschen wörter vnd rede”, so wird deutlich, dass es ihm um eine intensive, bis auf den Grund gehende Erfassung und Beschäftigung mit den sprachlichen Regularitäten der “Teütschen wörter vnd rede” auf der Basis einer angemessenen Übertragung des lateinischen Kategorialsystems und dessen Erklärung geht.185 In diesem Sinn beinhaltet sein  [Seite 91↓]  Grammatikverständnis trotz aller Orientierung an der grammatikographischen Tradition eine eigenständige inhaltliche Positionsbestimmung.

Für die Verwendungsweise von Grammatik bei Ickelsamer lässt sich an dieser Stelle zusammenfassend feststellen:

Praktischer Aspekt186: Ickelsamer gibt seiner Schrift den Titel “Teutsche Grammatica” und bezeichnet somit das Buch selbst als Grammatik.

Institutionalisierter Aspekt: Indem Ickelsamer das Leitwort “Grammatica” zur Benennung seiner Schrift verwendet, verweist er zugleich auf den üblichen Gebrauch dieses Titelwortes im Umfeld des institutionalisierten ersten Faches unter den septem artes liberales – der Grammatik – und erhebt damit für seinen Text einen Anspruch auf Zugehörigkeit zu dieser Tradition.

Didaktisch-methodischer Aspekt: Aufgrund der hauptsächlich pädagogischen Bindung der frühneuzeitlichen Grammatikliteratur und der didaktischen Zielrichtung auch der TG, die vor allem in ihrer Adressatenorientierung deutlich wird, lässt sich bei Ickelsamer auch eine Begriffsverwendung unter diesem Aspekt beobachten.

Inhaltlicher Aspekt: Der Gegenstand der “Teutschen Grammatica” ist die Darstellung und Vermittlung ihrer inhaltlichen Teile. Ickelsamer subsumiert darunter Themen der Laut-, Silben- und Leselehre sowie Abhandlungen zu schreibdidaktischen, orthographischen, syntaktischen und etymologischen Fragen. Über die für die TG gewählte Auswahl hinaus macht er weitere Angaben zu seinem inhaltlichen Verständnis des Grammatikbegriffs. Für eine zukünftige vollständige Darstellung des grammatischen Systems der deutschen Sprache verweist er auf die Wichtigkeit, neben den oben genannten Teilen auch noch die 8 Redeteile einschließlich der Formenlehre und Syntax in sachgerechter Form darzustellen und zu erklären. Er orientiert sich dabei am Terminologie- und  [Seite 92↓]  Ordnungssystem der lateinischen Grammatikographietradition, legt aber besonderen Wert auf eine der deutschen Sprache angemessene Übertragung der lateinischen Folie.

Worin nun die Bestandteile seines inhaltlichen Verständnisses von Grammatik im Detail bestehen und welcher Art ihre sprach- und erkenntnistheoretischen Hintergründe sind, wird in den nächsten Kapiteln zu klären sein, denn gerade hieraus ergibt sich für uns der eigentliche Blick in die verschiedenen Elemente seines Grammatikverständnisses.

4.1.4.2. Grammatikdefinition

Ickelsamer verzichtet auf eine explizite Definition desGrammatikbegriffs, einige seiner Ausführungen erinnern aber an die Grammatikdefinitionen im Anschluss an Quintilian. Hier sind zum Beispiel Phrasen wie “die kunst vnd vnterweisung / recht vnd gůt teütsch zů reden / vnd schreiben” (Bl. A 2r; Pohl [1971]) und “jn die rechten art vnd weis der teütschen woerter vnd rede” (Bl. A iijb, S. 121) zu nennen. In der “Institutio Oratoria” wird das Gebiet der Grammatik zusammengefasst als recte loquendi scientia und poetarum enarratio187, wobei sich aber die späteren Bezugnahmen auf diese Definition mehr und mehr auf den ersten Teil derselben beschränken. Sie schließen sich zudem auch der hellenistischen Tradition an und beziehen die recte scribendi scientia in die Bestimmung des Terminus ein.188

Nicht zu klären ist, ob Ickelsamer sich in Textstellen wie “zum rechten gründtlichen verstandt der Teütschen wörter und rede” (Bl. A 1b ; S. 120) auf die von Philipp Melanchthon in der “Grammatica Latina” eingeführte Grammatikdefinition “certa loquendi et scribendi ratio”189 bezieht, die von vielen lateinischen und deutschen Grammatikographen in der Folgezeit übernommen worden ist.190


 [Seite 93↓] 

Es ist bezeichnend, dass Ickelsamer sich allenfalls an bekannte lateinische Grammatikdefinitionen anlehnt, sie aber für seine Konzeption und seine Belange abwandelt. Anders als die meisten der auf ihn folgenden deutschen Grammatikographen setzt er zu Beginn seines Textes mehr eine Zusammenfassung des speziellen Inhalts seines Konzepts, denn eine tradierte und allseits anerkannte Definition. Der Grund hierfür liegt in der institutionellen Ungebundenheit des Ickelsamerschen Textes, welche eine Hauptursache für den innovativen und wenig normierten Umgang Ickelsamers mit den etablierten Text- und Grammatikmustern ist.

4.1.4.3. Grammatikkritik

Während sich die Grammatikkritik innerhalb der Vorreden der Lateingrammatiken des 15./16. Jahrhunderts in von der jeweiligen pädagogischen Richtung vorformulierten Positionsbestimmungen erschöpfte191und individuelleZüge dahinter fast verschwanden, zeigt sich im Fall der TG ein anderes Bild. Ickelsamer musste sich, wie bereits im letzten Kapitel angerissen wurde, mit seiner Schrift nicht in ein schon bestehendes Bildungsnetz einfügen, da ein solches für den Grammatikunterricht in der Muttersprache und dessen Fachliteratur noch nicht bestand. Dennoch weist auch seine Kritik gewisse an der humanistisch-rhetorischen Topik orientierte Elemente auf. An vorderster Stelle dieser “Topoi der Grammatikkritik”192 steht neben den Bescheidenheitsformeln die Vor- und Herausstellung der eigenen Methode:

Die eigene Lehrmethode wird dabei bevorzugt kontrastiv, das heißt auf dem Hintergrund anderer Lehrmethoden, dargeboten. Die Vorrede bietet ein geeignetes Forum, um sich von Lehrbüchern abzugrenzen, die als konventionell, ja als irrig abgetan werden. Mit dieser rhetorischen Strategie lassen sich der Beifall der Leser erheischen, eigene Zielvorgaben benennen und Leistung wie Methode der sich anschließenden Grammatik in ein günstiges Licht stellen.193

Auch Ickelsamer tritt in der Vorrede der TG für seinen Ansatz ein, was im Fall der  [Seite 94↓]  Beschäftigung mit der Grammatik der deutschen Sprache ein weitaus fundamentaleres Argumentieren erforderte, als dies für die in einem etablierten Feld tätigen Lateingrammatikographen nötig war.

Sofort nach den einleitenden Worten zur Namensgebung seines Buches und zu dessen inhaltlichen Prioritäten verteidigt der Autor seine Auswahl gegenüber der üblichen Praxis der Lateinlehrwerke. Denn während zu einer Lateingrammatik in ihrer Funktion als Fremdsprachengrammatik Übungen zur Deklination und Konjugation gehörten, an die sich auch Übersetzungsexerzitien anschlossen, lehnt Ickelsamer diese für eine deutsche Grammatikschrift ab, indem er behauptet, dass sie für Muttersprachler nicht notwendig seien:

Wer aber maint / es sey kain Grammatica / die nit alles kinderwerck lere / das in der Lateinischen Grammatic ist / Darzů sag ich / das der vns noch lang kain Teütsche Grammatic geben oder beschriben hatt / der ain Lateinische für sich nymbt / vnd verteütscht sy / wie ich jr ettwa wol gesehen / dann der schaft mit vil arbait wenig nutz / der die teütschen leren will / wie sy sagen vnd reden sollen / der Hans / des Hansen etc. Ich schreib ich hab geschriben etc. Das lernen die kinder besser von der můter / dann auß der Grammatic / (Bl. A 1b, S. 120)

Bereits hier bezieht Ickelsamer im Rahmen seiner Grammatikkritik Stellung. Da er mit seinem Vorhaben nicht in einem institutionalisierten und etablierten Personen- und Diskursnetz verankert ist, sondern ein nicht unumstrittenes Projekt in Angriff nimmt, nämlich das einer Grammatikabhandlung der deutschen Sprache, gilt seine Kritik zunächst der bisherigen Omnipotenz der lateinischen Grammatikographie. Es ist eine Besonderheit des Ickelsamerschen Grammatikverständnisses, dass er sich in der TG mit seinem Anspruch der dominanten Lateintradition entgegenstellt und deren absolute Autorität für die deutsche Grammatikschreibung in Frage stellt.

“Grammatica”bedeutet für Ickelsamer eben nicht mehr nur “Lateinische Grammatic”194, obwohl auch er ihr Kategorialsystem übernimmt. Indem er sich auf die Grammatikübersetzungen seiner Zeit195 bezieht und in ihnen keine  [Seite 95↓]  geeignete Form für eine grammatikographische Behandlung der deutschen Sprache sieht, da sie bloß die Grammatik der lateinischen Sprache analog ins Deutsche übertragen196, macht er einen bedeutenden Schritt hin zur Emanzipation der Muttersprache und zu einer ihr angemesseneren grammatikographischen Darstellung.

Dieser Schritt ist nicht zu unterschätzen, da der eigentliche Beginn der deutschen Grammatikschreibung eben in erster Linie in einem Prozess der langsamen und mühevollen Loslösung von den lateinischen Vorlagen zu sehen ist, welche eine Distanz zum Ziel hat, die “in einigen Fällen bis heute noch nicht vollständig erreicht ist.”197

Wie bereits in Kapitel 4.1.4.1. festgestellt, geht es Ickelsamer um eine grundlegende Erfassung des deutschen Sprachsystems auf Basis der Axiome der grammatikographischen Tradition. Besonders deutlich wird dies in seiner aus der Grammatikkritik erwachsenden Forderung an zukünftige Grammatikographen der deutschen Sprache:

Ders aber thůn will / der můß auch / (wie vom lesen im bůchlin) vermeldet) trachten nach dem grund vnd vrsprung der acht hauptwoerter der rede tayl / vnd jrer Accidentien / vnd můß die nit verteütschen wie sy in den gemainen kinder Donaeten verteütscht sein / Man můß also teütschen / das man auß grund wisse / warumb Nomen auff teütsch ain Nam / haisse ain wesenlich / selbstendig oder zůfellig ding. Pronomen / verteütscht ain fürnam / haisse ain wort das an aineswesentlichen dings stat steht. Item warumb Verbum ain werck haisse (Bl. A ija; S. 120f.)

Nicht in den Donatübersetzungen, die das lateinische Grammatiksystem vollständig für das Deutsche übernehmen, sondern in einer auf den “grund vnd vrsprung” zielenden Übertragung der acht Redeteile und ihrer Akzidentien sieht Ickelsamer eine angemessene deutsche Grammatikabhandlung. Auch hier findet  [Seite 96↓]  sich wieder die starke Akzentuierung des *bis auf den Grund gehen* bezüglich der grammatikographischen Darstellung. Er insistiert auf einer tiefgehenden Erklärung der lateinischen Termini, die sich nicht in bloßen Glossierungen erschöpfen soll. Zu einer umfassenden und nützlichen Grammatik zählt er neben den Übersetzungen der grammatischen Kategorien auch die Anzeigung ihres “rechten brauch in der rede” (Bl. A ijb; S. 121).198Am Beispiel des Partizips exemplifiziert Ickelsamer im Anschluss seine allgemeine Forderung.199

Indem Ickelsamer Wert auf eine der deutschen Sprache angemessene Übersetzung und Erklärung der für ihn universal für alle Sprachen geltenden lateinischen Termini legt, erhebt er einen frühen Anspruch auf eine “wissenschaftliche” Sprachbetrachtung des Deutschen, die sich von der bisherigen Übersetzungspraxis abgrenzt. Seine Überlegungen stehen auf dem Boden der klassischen Grammatikographie, sein besonderer Ansatz besteht jedoch in der selbstbewussten Forderung der Anwendung ihrer Methoden und Positionen auf die deutsche Sprache, wodurch er diese zu einem eigenständigen Objekt der grammatikographischen Beschreibung macht. Die von ihm geforderte deutsche Grammatik sieht sich nicht mehr als untergeordnetes unselbständiges Anhängsel oder Hilfsmittel der Lateingrammatiken, sondern als ein auf das Verständnis der Rezipienten abzielendes Lehrwerk der grammatischen Gegebenheiten der deutschen Sprache.

Zugleich kritisiert er in seinem Kapitel zur Etymologie die zeittypische Praxis des Deutschunterrichts, wie er vornehmlich an den sogenannten deutschen oder Schreibschulen üblich war:

Dann es ist ser vnrecht / das die teütschen Schůlmaister nit mehr künden oder thůn woellen / dann ainen jungen lesen / schreiben / vnd rechen leren / vnd jn dar nach nit hoeher im teütschen künden fueren oder leren / Dann was ists anders / das sich ainer auß thůt ain teütscher schůlmayster zusein / dann ainen lerer der teütschen sprach zů sein? da nit allain lesen / schreiben / vnnd rechen zůgehrt /  [Seite 97↓]  sonder ain künstlicher verstand der gantzen teütschen woerter sprach art vnnd weiß? Man solt denn erst auß dem teütschen schůler ainen Grammaticum machen / vnd jn leren alles was zů ainer teütschen Orthographia / Etymologia vnnd Sintaxi dienet / vnd das wer ser nutz / sonderlich denen die etwa gemaine schreiber solten werden / oder in den andern sprachen hernach wolten studieren / darzu sy gar leichtlich moechten kummen / wa sy zůuor jren verstand in ainer sollichen teütschen Grammatic geyebt hetten / (Bl. D 7a– D 7b, S. 151f.)

Er stellt hier einen veränderten und stark erweiterten Anspruch an einen Lehrer der deutschen Sprache. Otto Ludwig hat in seinem Artikel zur Rolle Ickelsamers für die Entwicklung des Deutschunterrichts darauf hingewiesen, dass in der TG eine völlige Neuinterpretation dessen, was ein Deutschlehrer tun sollte, angelegt ist.200 Diese Neuorientierung bezieht sich auf die Ausweitung des Elementarunterrichts hin zu einer komplexen Behandlung der deutschen Sprache, die sich eben nicht mehr auf die einfache Vermittlung von Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben und Rechnen beschränken soll. Diese Ausweitung wirkt sich entscheidend auf die Rolle des Lehrers und die Wertung des Deutschunterrichts aus, den Ickelsamer hier erst eigentlich im heutigen Sinne entwirft. Denn mit Ickelsamers Forderungen an einen “lerer der teütschen sprach” ist zugleich eine grundsätzliche Neubestimmung der Rolle der deutschen Sprache im Unterricht verbunden:

Deutsch wäre nicht nur die Sprache gewesen, in der der Unterricht vorgenommen wird. Deutsch wäre vielmehr auch zum Gegenstand von Unterricht geworden, den Fremdsprachen, die an den Pfarr-, Stadt- und Lateinschulen gelehrt wurden, dem Rang nach an die Seite zu stellen.201

Doch Ickelsamer vertritt darüber hinaus die Meinung, dass jede Bildung ihre Grundlegung auf dem Boden der Muttersprache und deren Grammatik finden muss. Sowohl der “gemaine schreiber” als auch der Schüler, der einen höheren Bildungsweg anstrebt, so appelliert Ickelsamer, sollte zunächst die deutsche “Orthographia / Etymologia vnnd Sintaxi” gründlich erlernen und verstehen, da erst auf diesem Fundament eine angemessene Ausbildung und ein Fortschreiten in  [Seite 98↓]  die höhere Bildung zu erreichen ist.202 Somit übt er Kritik am Lehrsystem der Scholastik wie auch an der Bildungsbewegung der Humanisten, die er während seiner Studienzeit in Erfurt kennengelernt hatte. Deren Fixierung auf die klassischen Sprachen unter gleichzeitiger Zurückweisung des Deutschen als Bildungssprache lehnt Ickelsamer ab.203

Die Durchdringung der Muttersprache gilt ihm als Propädeutik aller weiteren geistigen Tätigkeiten. Ickelsamers Argumentation unterscheidet sich besonders in diesen Überlegungen von den Orthographielehren der Schreiber und den Leselehren anderer Schulmeister, denen es hauptsächlich um die Vermittlung von handwerklichen Fertigkeiten ging. Er propagiert dagegen eine allgemeine Aufwertung und Verbesserung der deutschen Sprache durch eine ihr angemessene vollständige Erfassung.

Sowohl seine TG als auch jedes neu entstehende deutsche Grammatiklehrwerk bindet sich für Ickelsamer in diesem Sinne an einen solchen erweiterten Deutschunterricht, den es erst noch zu begründen gilt. Diese Position korrespondiert mit seinen inhaltlichen Forderungen an eine deutsche Grammatikographie.

In beiden Bereichen, sowohl in seinem inhaltlichen Anspruch an eine vollständige Grammatik als auch in seinem didaktischen Postulat, befindet sich Ickelsamer mit seinen Vorschlägen in einem Vakuum, da ein grundlegender und umfassender Muttersprachunterricht Ickelsamerscher Ausprägung zu Beginn des 16. Jahrhunderts in keiner Form Gegenstand der bildungspolitischen Debatte war.204


 [Seite 99↓] 

Seine Forderungen und Ansätze bezüglich der deutschen Grammatik sind vor allem methodischer Natur. Freilich setzt Ickelsamer in der TG selbst nur einen geringen Teil seiner Forderungen um, jedoch erlauben die oben angeführten Zitate eine Sicht auf sein Grammatikverständnis, welches von einer ambivalenten Positionierung zwischen schulgrammatischer Tradition und einzelsprachlich-methodischem Selbstbehauptungsanspruch geprägt ist. Ickelsamers Kritik an anderen grammatikographischen Ansätzen der Sprachbeschreibung steht im Zusammenhang mit der Propagierung seiner eigenen Überlegungen. Er verteidigt den Auswahlcharakter seiner Schrift gegen das dominante Leitbild der Lateingrammatiken und stellt zugleich heraus, dass er in der bloßen unreflektierten Übersetzung der lateinischen Muster keine geeignete Form für die grammatikographische Behandlung der Muttersprache sieht.

“Grammatica” setzt Ickelsamer nicht mehr mit “Lateinische Grammatic” gleich, sondern sieht durchaus die Notwendigkeit einer eigenständigen Betrachtung der deutschen Sprache, die zwar auf dem Boden des tradierten Grammatiksystems fußt, das Deutsche aber als gleichwertige Sprache wahrnimmt, die einer grammatikographischen Erschließung ebenso fähig ist wie die anderen Sprachen.

4.1.4.4. Grammatikographische Abhandlung

Beschäftigt man sich nun mit den grammatikographischen Darstellungskapiteln der TG, so wird schnell offenkundig, dass diese “in thematischer Beziehung zur Didaktik des Lesen- und Schreibenlernens [stehen]”.205 Der Aufbau seiner Abhandlung orientiert sich an den zentralen Themenbereichen klassischer Grammatikschriften, aus denen er aber vor allem jene auswählt und für die deutsche Sprache bearbeitet, die für die Vermittlung seines Hauptanliegens – das Lesenlernen – wichtig sind. Die Integration lesedidaktischer Überlegungen in den Gegenstandsbereich einer Grammatik ist eine Eigenheit Ickelsamers, die ihn von den auf ihn folgenden deutschen Grammatikschriften unterscheidet. Die sich aus  [Seite 100↓]  ihr ergebende inhaltliche Beschränkung führte dazu, dass die TG in der Sekundärliteratur öfter als eine um einzelne Grammatikthemen erweiterte Leselehre denn als grammatikographische Schrift im damaligen und heutigen Sinn eingeschätzt wurde.206

In der Forschungsliteratur wurde bereits ausführlich dargelegt, worin die spezifischen Elemente des lesedidaktischen Ansatzes und sein methodischer Wert bestehen.207 Zusammenfassend lässt sich bezüglich Ickelsamers Lautiermethode, die er unter gleichzeitiger Kritik an den bisher üblichen Lehrmethoden einführt, feststellen, dass diese bei der Erschließung der Laute in den Wörtern und deren artikulatorischer Beschreibung ansetzt. Erst in einem zweiten Schritt werden die Laute den Buchstaben zugeordnet und das Lesen- mit dem Schreibenlernen verknüpft. Monika Rössing-Hager hat herausgestellt, dass Ickelsamer mit dieser Methode für einen Leseunterricht einsteht, der Lernprozesse beinhaltet, die nicht “auf mechanistischer Gewöhnung beruhen – wie z.B. die bisher übliche Methodedes Lesenlernens –“, sondern die “die sinnvolle Übung der Verstandeskräfte” fördern und Einsichten “über die (Selbst-)Beobachtung [...] vermitteln.”208

Im Folgenden soll jenseits der speziellen lesedidaktischen Ausführungen der Frage nachgegangen werden, wie Ickelsamer im Darstellungsteil der TG mit den von ihm verwendeten traditionellen grammatikographischen Ordnungsmustern – auch angesichts seiner expliziten lesedidaktischen Orientierung – umgeht und wie er diese auf die deutsche Sprache anwendet.

Die grammatikographische Abhandlung setzt ein mit phonetischen Erläuterungen, die auf den Ickelsamerschen Ansatz der Lautiermethode für das Lesenlernen ausgerichtet sind. Er beschreibt unter häufiger Anführung antiker Gewährsautoren209 die artikulatorische Lautproduktion, teilweise verweist er auf Naturlaute.210 Für die Vokale stellt er fest, dass es neben den allen Sprachen  [Seite 101↓]  gemeinsamen Vokalen (a,e,i/y,o,u) auch lautliche Besonderheiten des Deutschen gibt. Er nennt die deutschen Umlaute, stellt aber zugleich heraus, dass selbst die klassischen Sprachen, er nennt hierfür lateinische und hebräische Beispiele, phonetische Eigenheiten haben. Somit sieht er in den lautlichen Besonderheiten des Deutschen keinen Mangel dieser Sprache, sondern erachtet sie als einzelsprachliche Spezifik, die auch die klassischen Sprachen aufweisen.

Ickelsamer tritt dafür ein, die Umlaute des Deutschen im Schriftbild wiederzugeben, da dies eine Voraussetzung für das erfolgreiche Lesen sei.

Die grammatikographische Behandlung der Konsonanten nimmt ebenfalls einen praktisch orientierten Bezug auf die Bedürfnisse der Leseschüler, doch zugleich zeigt sich hier in besonderem Maß, dass Ickelsamers Herangehensweise geprägt ist von seinen theoretischen Kenntnissen der klassischen grammatikographischen Tradition, die er in seine eigenen sprachlichen Beobachtungen über den Lautbestand des Deutschen einbezieht.211

Ausgangspunkt seiner Analyse scheint eine möglichst genaue Beschreibung der Phänomene gewesen zu sein, also nicht das, was er in der Tradition an Wissen vorfand. Dieses konnte Anlaß sein, eigene Beobachtungen anzustellen. Worauf es dann aber ankam, war die eigene Anschauung. In diesem Punkt erweist sich Ickelsamer als typischer Vertreter des Humanismus. Und so hat er versucht, die für die deutsche Sprache konstituierenden kleinsten Einheiten, kurz: die Laute, einmal durch die Abgrenzung voneinander zu identifizieren und dann durch eine möglichst exakte Bestimmung ihrer lautlichen Qualitäten zu beschreiben.212

Ickelsamer geht in dieser Hinsicht durchaus selbstbewusst mit der  [Seite 102↓]  deutschen Sprache um und versucht, eine dem humanistischen Wissenschaftsverständnis angemessene sprachliche Beschreibung vorzunehmen.

Im Kapitel “Vom überfluß / mangel / vnnd verwandlung vnsers A be cees / sampt ainer Regel zum lesen dienstlich.” (Bl. C ijb, S. 137ff.) wird dies besonders deutlich. Er fügt diese Abhandlung über die Angemessenheit des deutschen Alphabets ein, da sie zum einen einige Schwierigkeiten beim Lesen deutscher Texte verdeutlicht, zum anderen aber auch, da sie zu den Gegenständen der antiken und humanistischen Sprachbetrachtung zählt:

Dieweil nun Quintilianus sagt / es gehoer zů der Grammatica / zů wissen ob ettliche bůchstaben mangeln oder überfluß sein will ich dauon auch ain wenig sagen / vnd nit mehr dann souil zum teütschen lesen gehoert vnd zů wissen von noeten ist/ (Bl. Cijb – C iija, S. 137)

Ickelsamer differenziert hier wieder explizit zwischen den Anforderungen seines Anliegens und der grammatikographischen Tradition. Während er im Anschluss für das Deutsche zunächst den Sinn der Übernahme griechischer Buchstaben diskutiert, wie auch seine Leitautoritäten Quintilian, Cicero und Plinius dies für das Lateinische getan haben, so geht er in der Folge auf Einzelprobleme der mangelnden Entsprechung des übernommenen lateinischen Buchstabensystems mit den deutschen Lautwerten ein. Als Beispiele hierfür fügt er vor allem dialektale Beobachtungen ein.213 Erst am Ende des Kapitels erwähnt er das besondere Problem der uneinheitlichen Orthographie214, verweist dazu auf andere Schriften und bezweifelt die Fähigkeit der Deutschen zu Reformen in dieser Frage.215


 [Seite 103↓] 

Sein kurzer Rat an dieser Stelle eröffnet den Blick zurück auf die schon im Rahmen der Leselehre genannte Orthographieregel und darüber hinaus auf die Abhandlungen der TG, die sich jenseits des engeren lesedidaktischen Ansatzes mit weiterführenden grammatikographischen Themen beschäftigen.

So erachtet es Ickelsamer für die Rechtschreibung der deutschen Sprache als sinnvoll, neben ihrer grundsätzlichen Regelung durch den bisherigen Gebrauch, nach dem lexikalischen Prinzip vorzugehen und dieses durch das phonetische Prinzip zu ergänzen:

Ich waiß kain bessern rath darinn zůgeben / dann meine obgesetzte zwů Regel / das man in allen woertern / der oren rath hab / wie es aigentlich kling / Vnd zum andern / auff des worts rechte signification oder bedeütung dencke vnd merck / so wirdt man nitt vil vnnützer oder vnrechter bůchstaben setzen / was dann der gewonhait vnd dem gemainen brauch / welchem auch die Orthographia zeytten dienet vnd weichet / wie der Fabius sagt / nachzůlassen vnd zůgeben wer / würdt sich auch wol schicken. (Bl. C 7a ; S. 142)

Was hier hinsichtlich der Rolle der Wortbedeutung für die Orthographie angedeutet wird, führt Ickelsamer in den Kapiteln zur Silbentrennung und zur Etymologie weiter aus. Es stellt sich heraus, dass Ickelsamer die Beschäftigung mit der Etymologie als Kernpunkt der deutschen Grammatikschreibung betrachtet. Erst die Kenntnis der semantischen Zusammensetzung von Komposita ermögliche die richtige und verstehensfördernde Silbentrennung, wie er am Beispiel “bůch / stab / e”216 demonstriert.

Ickelsamer zählt die Auseinandersetzung mit der Silbentrennung zu den komplexen sprachlichen Themen. Sie hebt sich deutlich vom Gegenstands- und Leistungsbereich des Elementarunterrichts ab und verlangt die Kenntnis des Griechischen, Lateinischen und des Hebräischen, da viele der deutschen Wörter Entlehnungen aus diesen Sprachen sind.

Die Bůchstaben der woerter / recht in jre sylben abzůsetzen / ist ain hoehere kunst / dann das mans der kinder bůchstaben (wie mans inn der schůle nennet) vergleiche / Es kan niemandts dise kunst / dann dem die lateinische vnd Ghriechische sprach etwas bekannt. (Ausgabe A2, Bl. C3v – C4r; Pohl [1971])


 [Seite 104↓] 

Es zeigt sich, dass Ickelsamers Grammatikprojekt auch in seinem Darstellungsteil nicht allein auf die Vermittlung elementarer Lesefähigkeiten abzielt, sondern durchaus ambitionierte Gedanken zu einer gründlichen – gerade auch lexikalischen – Erforschung der deutschen Sprache enthält, die sich so in den Texten der lateinischen (Schul-)Grammatikographen nicht finden. In seinen Ausführungen zur Etymologie der deutschen Wörter, die sich eher an humanistischen sprachhistorischen Interessen orientieren, denn an den Paradigmen der lateinischen Grammatikschreibung217, geht es ihm um eine angemessene Wahrnehmung des Deutschen. Er kritisiert unter Anlehnung an die Ausführungen Beatus Rhenanus*218 ausdrücklich die bisherige Vernachlässigung der Volkssprache, die dazu führe, dass sich die Deutschen weder ihrer christlichen Kultur, noch ihrer nationalen Abstammung und der Bedeutung ihrer “aignen teütschen namen”219 bewusst seien. Des Weiteren fordert er die Beschäftigung mit den im Sprachgebrauch geläufigen Fremdwörtern und den Lehnwörtern, da alle Sprachen “vnter ainander vermischet”220 seien.

Er leitet aus diesem Sachverhalt ab, daß die Herkunft und ursprüngliche Bedeutung der Wörter nur aus dem Sprachenvergleich zu ermitteln sei [...] und daß die Bedeutung auch der Wörter, die dem Anschein nach deutsche Wörter sind, erst deutlich würde, wenn geklärt ist, was sie in der Sprache bedeuten, aus der sie stammen.221

Ickelsamer sieht in der bisherigen Vernachlässigung solcher Studien den Grund für ein kaum mehr ausgleichbares Defizit der deutschen Sprache. Die mangelnde Kenntnis der Wortbedeutungen verhindert ein wirkliches “Verständnis der mit den Wörtern benannten Dinge bzw. Sachverhalte.”222 Er erklärt deshalb das Studium der Etymologie zu einem wichtigen Gegenstand des deutschen  [Seite 105↓]  Grammatikunterrichts, da er die Erschließung der Wortherkunft und zugleich des Wortsinns als eine bedingte Möglichkeit erachtet, die Worte hinsichtlich ihrer ursprünglichen Bedeutung zu erklären und in ihrer Verwendung auch kritisch zu überprüfen. Es geht ihm um die Vermittlung eines bewussteren Sprachgebrauchs, der letztlich alle Sprachbenutzer zur genauen Kenntnis ihrer Muttersprache und deren Wesen befähigen soll. Denn mit dem Wissen über die Herkunft der Worte verbindet er auch die Einsicht in die sachliche Ebene des Bezeichneten. Gerade letzteres hält er für jeden Christen als unerlässlich:

Es dienet auch ainem verstendigen gottfürchtigen menschen zur besserung / als so er vom grund dises yetztgedachten worts Weinnachten / gedenckt / kan er achten dieweil noch solche stuck vnd reliquie der unglaubigen Haiden (die wir etwa gewest sein) bey vns gehafftet vnd bliben sein / das man vor zeyten / nach dem abgang der hailigen Apostel / da der hailige gayst vom weg ist kummen / schlechte vnd liederliche Christen ist worden / Nämlich halb Christen vnnd halb Haiden / (Bl. D 6b, S. 150)

Dem beschriebenen Wort haftet in der von Beatus Rhenanus vermuteten Motivation – er leitet es von “Wein” und “Nacht” her223 – immer noch der Makel des halb heidnischen Charakters an, den Ickelsamer hier stark kritisiert. Es geht ihm – unter weitgehender Vernachlässigung der durch die Vielzahl der Dialekte bedingten kommunikativen Schwierigkeiten – um eine tiefgehende Erfassung der deutschen Worte sowie ihrer Bedeutungen und die damit verbundene Annäherung an einen idealen Sprachgebrauch.

Im letzten Kapitel der TG behandelt Valentin Ickelsamer die “Ordnung vnnd taylung der rede”224, worin er im Zusammenhang mit der Interpunktion auch syntaktische Fragen bespricht. Monika Rössing-Hager hat sich detailliert mit seinen diesbezüglichen grammatikographischen Positionen beschäftigt und herausgestellt, dass Ickelsamer sich an der Tradition der klassischen Periodenlehre orientiert, seine Ausführungen zur Syntax aber in einem rhetorischen Kontext versteht. Die Syntax hat für ihn “die von der Rhetorik bereitgestellten Einsichten in die Wirkung sprachlicher Mittel mitzuberücksichtigen.”225

Für den hier untersuchten Ausschnitt aus dem Sprachbewusstsein Ickelsamers  [Seite 106↓]  lässt sich anhand dieses kurzen Abrisses wichtiger Punkte seiner grammatikographischen Abhandlung folgendes feststellen:

Sein Grammatikverständnis steht auf dem Boden der grammatikographischen Tradition, weist aber in der selektiven Art des Umgangs mit ihr durchaus innovative Elemente auf. In der “Teutschen Grammatica” vereint Ickelsamer verschiedene Traditionslinien, die unter besonderer Berücksichtigung des lesedidaktischen Ansatzes als Grundlage für die grammatikographische Beschreibung der deutschen Sprache genutzt werden. Er orientiert sich sowohl an der formalen Darstellung der klassischen lateinischen Schulgrammatiken als auch an der rhetorischen de-latinitate-Grammatik Quintilians. Seine Grammatik vereint in ihrem Anspruch und teilweise ebenso in ihrer Ausführung rhetorische, grammatikalisch-formale und übergreifende sprachtheoretische Positionen. Diese sind alle Teil seines Grammatikverständnisses.

Deutsch wird von ihm als den klassischen Sprachen gleichwertig erachtet, dieselben wissenschaftlichen Kriterien, die für die alten Kultursprachen gelten, sind auch auf die Volkssprache anlegbar.

Doch Ickelsamers Anspruch erschöpft sich nicht in einer bloßen Übertragung der traditionellen Wissensbestände. Sein Grammatikverständnis ist entscheidend geprägt von der Überzeugung, dass die rein formale Kenntnis von grammatikographischen Mustern nicht genügt, sie muss ersetzt werden durch eine auf ein tieferes Verständnis abzielende Beschäftigung mit der Muttersprache, da diese das Sprachbewusstsein ihrer Sprecher entscheidend entwickelt.226

Das humanistisch geschulte Methodenbewusstsein Ickelsamers, verbunden mit seiner stark religiös motivierten Wertschätzung der Muttersprache und seinen praktischen Erfahrungen als “teutscher Schulmeister”, lassen ihn eine auch auf eigenständigen sprachlichen Beobachtungen beruhende deutsche Grammatikschreibung anstreben, die differenziert mit den grammatikographischen Traditionslinien umgeht. Dass letztlich viele seiner Positionen im Darstellungsteil der TG nur angerissen werden, hat vor allem mit seiner Konzentration auf die Thematik der Erstlesedidaktik zu tun. Ickelsamer macht aber mehr als deutlich, dass sein sprachreflektorisches Potential weit über die Vermittlung einer  [Seite 107↓]  elementaren Kulturtechnik hinausgeht.227

4.1.4.5. Terminologie

Wie bereits festgestellt, übernimmt Ickelsamer das lateinische Kategorialsystem und damit auch dessen Terminologie. Zugleich tritt er aber in seinen in der Vorrede propagierten grundsätzlichen Anforderungen an eine vollständige deutsche Grammatik für eine angemessene Übertragung und Erklärung dieser Termini für das Deutsche ein. Er führt aus, dass der Name des Terminus seine Bedeutung und Funktion schon andeuten sollte. Darüber hinaus muss das Angedeutete aber noch eingehend erläutert werden.

Man můß also teütschen / das man auß grund wisse / warumb Nomen auff teütsch ain Nam / haisse ain wesenlich / selbstendig oder zůfellig ding. Pronomen / verteütscht ain fürnam / haisse ain wort das an aines wesenlichen dings stat steht. Item warumb Verbum ain werck haisse etc. Aygentlich seind dise acht kurtze hauptwoerter mit jren dienern / gantz künstlich also genennet worden / wiewol sy dennocht auch etwas haben an jren namen / jres amts vnd bedeütung halben / das ain Grammaticus auch wissen vnnd anzaigen soll / dann so schon ainer der reden tayl mitt allen jrenAccidentijs gantz wol vnd recht teütschet / vnnd aber jrenrechten brauch in der rede nit klaerlich anzaiget / so ist sein Grammatic den teütschen wenig nütz / (Bl. A ija – A ijb, S. 120f.)

In dem Bemühen um eine angemessene Definition der Kategorien in der deutschen Sprache knüpft Ickelsamer an eine gewichtige Tradition der griechischen und lateinischen Grammatikschreibung an, denn die Auseinandersetzung mit Definitionen stellte eine Kernaufgabe aller grammatikographischen Ambitionen seit der Antike dar. “Eine grammatische Definition hatte im Lehrsystem des Altertums und Mittelalters bis hin in die Epoche der späthumanistischen Grammatik den gleichen Wert wie ein philosophischer oder mathematischer Lehrsatz.”228

Die Art der Definition, die Ickelsamer in dieser Textstelle beispielhaft und  [Seite 108↓]  abgekürzt entwirft, weist eine Orientierung an den philosophisch-semantischen Definitionen auf.229 Diese Definitionen begegnen uns z.B. bei einigen römischen Grammatikern230 und in der “Grammatica Latina” Philipp Melanchthons.231

Die angemessene Benennung und Erklärung der Termini schließt für Ickelsamer auch das Anzeigen ihres “rechten brauch in der rede” ein. Diesem Zweck dient insbesondere der Einbezug von Beispielen232 in die grammatikalische Erklärung.

Er selbst fügt seinen Erläuterungen in der TG zumeist Gebrauchsbeispiele bei, wodurch er bei den Rezipienten ein höchstmögliches Verständnis des Erklärten erreichen will.233

Entgegen seiner Forderungen an die zukünftigen Grammatikographen der deutschen Sprache verzichtet Ickelsamer jedoch in den einzelnen Darstellungskapiteln der TG auf die von ihm angestrebte Art der Definition von Termini, er nutzt aber vorwiegend Verdeutschungen, wie “Teütsche wort recht Bůchstäbisch zůschreiben oder zů reden Regule” (Bl. B iiijb; S. 131) für Orthographieregel. Wenn er lateinische oder griechische Fachworte anführt, fügt er ihnen wenigstens einmal eine Übersetzung oder Bedeutungserklärung bei.234

Hinsichtlich der verwendeten Termini lässt sich für Ickelsamer feststellen, dass er  [Seite 109↓]  ebenso wie bei den grammatikographischen Ordnungssystemen die Erkenntnisse der klassischen Grammatikographie als sprachübergreifend wahrnimmt und nutzt.

Sein Grammatikverständnis beinhaltet aber ein Wissen um die Schwierigkeiten der adäquaten terminologischen Benennung und Beschreibung grammatikalischer Kategorien in der deutschen Sprache. Es geht ihm, zumindest in seinen programmatischen Postulaten, um eine eingehende Auseinandersetzung mit der Grammatik des Deutschen, die für ihn schon bei der Setzung der Termini beginnt. Der Grammatiklehrer hat für ihn nicht die Aufgabe, ein mechanisiertes Wissen zu lehren, sondern soll um ein sachgerechtes und tiefgehendes Verständnis seiner Schüler bemüht sein.235

Worin die spezifischen sprach- und erkenntnistheoretischen Grundlagen dieser Auffassung und der das Grammatikverständnis Valentin Ickelsamers bestimmende religiöse Hintergrund liegt, soll im nächsten Kapitel besprochen werden.

4.1.4.6. Sprach- und erkenntnistheoretische Grundlagen

An dieser Stelle, an der bereits auf die wichtigsten Komponenten des Ickelsamerschen Grammatikverständnisses hingewiesen worden ist, bleibt es für eine weiter reichende Klärung und abschließende Interpretation desselben notwendig, auf die sprach- und erkenntnistheoretischen Grundlagen einzugehen, die das Sprachbewusstsein Ickelsamers prägen. Die Erschließung der Bildungs- und Erfahrungshintergründe, die in den einzelnen Sprachreflexionen aktualisiert wurden, ermöglicht es uns zudem, die verschiedenen Ansatzpunkte seiner Grammatikkonzeption besser zu verstehen und ihre jeweilige Gewichtung zu erfassen.

Ickelsamers Orientierung an der Tradition der lateinischen Grammatikographie ist schon oben angeführt worden, sie zeigt sich zum Beispiel an der Übernahme der Theorie von den acht Redeteilen, die er auch für das Deutsche als universal gültig erachtet.236 Ickelsamer nimmt im Rahmen der Anwendung der lateinischen grammatikographischen Folie aber dennoch die Eigenständigkeit des Deutschen wahr. Er ist sich darüber bewusst, dass in dem Maß, wie die hebräische,  [Seite 110↓]  griechische und lateinische Sprache sich voneinander unterscheiden, auch die deutsche Sprache ihre grammatischen Eigenheiten hat. Ickelsamer gleicht diese dem Lateinischen nicht an, sondern bemüht sich z.B. in seinen phonetischen Erläuterungen darum, den deutschen Lautbestand in seiner Spezifik zu beschreiben, indem er die grammatikographischen Vorlagen mit seinen Beobachtungen abgleicht und sie für das Deutsche modifiziert.

Diese Art des Umgangs mit der deutschen Sprache ist zu einem großen Teil dem humanistischen Bildungshintergrund Valentin Ickelsamers geschuldet. Aus ihm leitet sich seine wissenschaftliche Herangehensweise und die differenzierte Wahrnehmung der theoretischen und methodischen Anforderungen an eine deutsche Grammatikschreibung ab.237

Während sich die humanistischen Gelehrten zu einem Großteil in ihrem Bemühen vornehmlich auf die klassischen Sprachen und hier besonders auf das Latein konzentrierten und die Vernakularsprachen ablehnten, bestand unter den Humanisten dennoch ein grundsätzliches sprachhistorisches Interesse an den Volkssprachen. Dieses äußerte sich z.B. im Anlegen von deutschen Sprichwortsammlungen. Auch Ickelsamer nennt in den beiden früheren Ausgaben der TG einen solchen Zugang für seine Beschäftigung mit der deutschen Sprache.

Er verbindet diese jedoch hauptsächlich mit dem Ziel, die Gleichwertigkeit der Muttersprache herauszustellen.

Mein studieren / in diser sprach / ist nun nicht an=ders / dann das ich auf die feine / künstliche Compositiones der alten teütschen woerter / Sprüch woerter / vnnd etliche jrer reden art vnd aigenschafften achtung gib / dann sy zei=ten nit weniger lieblich vnd künstlich in diser / dann in andern sprachen / erfunden werden. (Ausgabe A2; Bl. A3v – A4r, Pohl [1971])

Ickelsamers Auseinandersetzung mit der Etymologie der deutschen Wörter ist demnach vermutlich durch das sprachhistorische Interesse der Humanisten  [Seite 111↓]  beeinflusst worden, wie seine Orientierung an den Texten Beatus Rhenanus nahe legt.238

Besonders unter den Schulhumanisten war es in der Frühen Neuzeit zu einer zunehmenden Hinwendung zum germanischen Altertum gekommen.239 Im Rahmen dieser Forschungen “wurde auch die Muttersprache immer mehr in den Kreis der linguistischen Forschung gezogen; zu dem historischen gesellte sich ein sprachliches Interesse für das Vaterländische, Deutsche. Und damit verband sich endlich als drittes das ebenfalls dem deutschen Humanismus eigenthümliche ethische Interesse; es entstand eine Vorliebe für solche sprachliche Schätze des deutschen Volkes, welche geeignet erschienen, ebenso der sittlichen wie dersprachlichen Bildung der Jugend zu dienen, ebenso durch ihre Volksthümlichkeit das Interesse (die Lust am Appercipieren) und die Freudigkeit der Schüler beim Lateinunterricht zu erhöhen wie eine gute alte, deutsche Art unter ihnen zu erhalten und zu pflegen.“240 Anders als das eher patriotisch motivierte Interesse der Schulhumanisten, deren Unterrichtsgegenstand die klassischen Sprachen blieben und die das Deutsche ausschließlich in illustrierender und exkurshafter Weise bzw. als Mittel der Verdeutlichung lateinischer Spracheigenheiten nutzten, ist Ickelsamers Auseinandersetzung mit der Etymologie aber Teil seiner ganzheitlich ausgerichteten und stark religiös motivierten Betrachtungsweise der Muttersprache.

Ickelsamers humanistische Grundbildung, die er in seinem Grammatikprojekt anwendet, zeigt sich auch deutlich an den von ihm genannten Autoritäten. Er verweist im Gesamttext der TG auf eine Vielzahl antiker und humanistischer Gewährsmänner.241 Die meisten Autoritätenbezüge finden sich in den Kapiteln zur Lautlehre, während bei Fragen der Orthographie und Etymologie einzig Quintilian und Beatus Rhenanus angeführt werden. Die Positionen der Autoritäten werden  [Seite 112↓]  von ihm für die Kennzeichnung seines eigenen Standpunktes instrumentalisiert. Durch die Nennung vieler antiker, humanistischer und zeitgenössischer Bezugsquellen unterstreicht Ickelsamer seine gelehrten Kenntnisse und die seiner Ausbildung entsprechende Zugehörigkeit zur – der Tradition verpflichteten – Bildungselite. Zugleich stellt er eine Verbindung zwischen den klassischen Werken und seiner Abhandlung her. Dabei ist es besonders beachtenswert, dass Ickelsamer dies in einer Schrift tut, die sich mit der deutschen Sprache beschäftigt, da er somit, wie bereits auch an anderer Stelle festgestellt, die klassischen Bildungsinhalte und Sichtweisen auf diese bisher meist als minderwertig erachtete Sprache anwendet und durch eigene Beobachtungen differenziert und erweitert.

Von größtem Gewicht für sein Grammatikverständnis ist Ickelsamers Bindung an seine Leitautorität Quintilian.242 Monika Rössing-Hager hat zu Ickelsamers Orientierung an Quintilian herausgestellt, dass diese nicht nur auf rein sprachsystematische Fragen bezogen ist, sondern auch auf allgemeine pädagogische und sprachtheoretische Probleme.243 Ein Grund für diese enge Bindung liegt sicher in der Sympathie Ickelsamers für Quintilians in der “Institutio oratoria” entworfenes Bildungsideal. Darin stand Ickelsamer im von der Reformation geprägten Späthumanismus nicht allein, denn bereits Luther und Melanchthon sahen in Quintilian ein herausragendes Vorbild.244 Die Vermittlung und Anwendung von Bildungsinhalten unter moralischen Gesichtspunkten und seine methodischen Bemühungen, die auf ein sachliches Verstehen des Stoffes abzielten, sind wohl die Hauptpunkte für die begeisterte Annahme der “Institutio  [Seite 113↓]  oratoria” im Umfeld der Humanisten.

Ickelsamers Anknüpfung an die Lehre Quintilians ist sicher auch die starke rhetorische Ausrichtung seines Grammatikverständnisses geschuldet. Diese zeigt sich in der TG neben seinen Ausführungen zur Syntax in seinen Äußerungen zu den Partizipialkonstruktionen, die er im Anschluss an seine methodischen Forderungen an eine vollständige deutsche Grammatik zur Veranschaulichung seiner Argumentation macht. Als Beispiel für die falsche Verwendung einer Wortart geht Ickelsamer in diesem Abschnitt der Vorrede auf den fehlerhaften Gebrauch des Partizips im Deutschen ein. Dabei fügt er der Übersetzung des lateinischen Terminus deutsche Verwendungsbeispiele bei und setzt diese als eine Art Muster für den richtigen Sprachgebrauch. Die Sprach- und Stilnorm, die er dabei für das Deutsche anlegt, stammt aus dem Bereich der Rhetorik und orientiert sich an den rhetorischen Kategorien der Sprachrichtigkeit (latinitas) und Kürze (brevitas). Die Regel der Sprachrichtigkeit wurde in der klassischen Rhetorik vor allen Dingen als grammatische Richtigkeit entweder bezüglich der Einzelworte oder der Wortverbindungen auf der ersten Stufe der sprachlichen Ausformulierung (elocutio) der Rede verstanden. Die Überwachung der Sprachrichtigkeit war die wichtigste Aufgabe der Grammatiker und wird auch bei Ickelsamer als Kernpunkt grammatikalischer Beschäftigung angesehen.245 Doch ebenso der Gebrauch der Adjektive “zierlich” und “lieblich”, die rhetorische Qualitätsvorstellungen wiedergeben246, und seine generelle Vorliebe für die Partizipialkonstruktionen belegen Ickelsamers rhetorisches Sprachverständnis.

Entscheidend ist auch hier, dass Ickelsamer die Kriterien der lateinorientierten Rhetorik auf die deutsche Sprache anwendet und diese somit aufwertet. Die Häufung von Worten wie “Kunst”, “künstlich” und “kunstmaessig” in den Äußerungen zu einer angemessenen grammatikographischen Darstellung der deutschen Sprache einerseits und zu der Angemessenheit der deutschen Rede selbst andererseits untermauert dieses Argument.

“Kunst” steht im 16. Jahrhundert vor allem als Bezeichnung der institutionalisierten gelehrten Bildungsfächer in Form der septem artes liberales. Als solche werden das Wort und seine Ableitungen bis ins 18. Jahrhundert analog  [Seite 114↓]  zum späteren Begriff der Wissenschaftsdisziplin verwendet.247 Indem Ickelsamer diesen Begriff im Zusammenhang mit der grammatikographischen Beschäftigung mit der deutschen Sprache nennt, überträgt er den institutionalisierten Terminus mit all dessen implizierten Ansprüchen auf ein Gebiet, das außerhalb dieser Institutionen liegt – die deutsche Sprache. Er erachtet sie als ebenso wertvoll wie die anderen Sprachen und fasst sie in den gleichen rhetorischen und grammatikographischen Kategorien.248

In einem entscheidenden Argumentationsstrang der TG wird aber auch deutlich, dass Ickelsamer die institutionalisierte Verwendungsweise von “Kunst” nicht an ihrem angestammten Ort, dem der septem artes liberales und der gelehrten Bildung, belässt. In einer seinen lesedidaktischen Ansatz anpreisenden Textstelle bezeichnet er alle “Künste” als Gaben Gottes, die sich jedem Menschen mit Gottes Hilfe erschließen und nicht auf die Ausbildung an Schulen und Universitäten festgelegt sind. “>Bildung< verstand er in erster Linie als eine Entfaltung der inneren Anlagen, nicht als Aneignung fremder Muster.”249

Auch die Humanisten sahen die “Künste” (artes) zunehmend nicht mehr als Fächer bloßen positiven Lernwissens an. Vielmehr vertraten sie die Meinung, dass es sich dabei um eine Fähigkeit handele, “eine facultas, die jeder schon von Natur aus hat, genauso wie eben jeder von Natur aus die Fähigkeit besitzt, in seiner Muttersprache grammatisch – mehr oder weniger – korrekt zu sprechen.”250 Der institutionalisierten Ars kam damit die Aufgabe zu, diese natürlichen Fähigkeiten systematisch zu fassen und zu abstrahieren und sie in dieser Form den Schülern zu  [Seite 115↓]  vermitteln. Humanistischen Gelehrten, wie z.B. Melanchthon, ging es – auch im Anschluss an die Pädagogik Quintilians – um eine sachgerechte Vermittlung des Stoffes, die auf ein anders geartetes Wissen abzielt, als das von den Humanisten oft kritisierte bisherige Auswendiglernen an Lateinschulen und Universitäten.

Ickelsamer schließt sich, wie oben gezeigt251, in vielem den methodischen Auffassungen der Humanisten und insbesondere denen seiner Leitautorität Quintilian an und fordert ebenso wie sie einen verstandesorientierten Unterricht, der auf eine sachgerechte Erkenntnis zielt. Dennoch sind seine Positionen zu den Grundlagen und dem Nutzen einer solchen “sinnvollen” Erkenntnis entscheidend von seinen religiösen Überzeugungen geprägt und enthalten, wohl unter dem Einfluss der Karlstadtschen Lehre, starke bildungsskeptische Elemente.

Mancher yetzt zů unser zeyt / hatt ser lang vnd vil mit grossem jamer in den künsten vnd sprachen studiert / vnd ist dennocht so verwirret in der grossen kunst / das sy weder jm noch andern zů Gotes ehr dienstlich oder nütz ist / ja solche gelerte sein nun desto irriger / dz man auch in aim gemain sprichwort von jn sagt / Wie gelerter ye verkerter / (Bl. A iiijb – A va; S. 123)

Ickelsamers Kritik am Gelehrtentum beinhaltet den Vorwurf, dass eine Beschäftigung mit den “künsten”, die auf einen ziellosen Erwerb von Wissen hinausläuft, ihren Sinn verliert. Aller Bildungserwerb muss im Namen Gottes und “zů Gotes ehr”252 erfolgen, anderenfalls bliebe er ohne Nutzen für den Lernenden und die Gemeinschaft.

Er geht soweit, dass er der universitären Wissenschaft die religiöse Kontemplation als alternatives Erkenntnismodell gegenüberstellt. Dieses erweist sich zudem noch als erfolgreicher:

Da etwa ain ainfaeltiger gotsfuerchtiger / gantz leichtlich den rechten verstand / zů sein selbs vnd der andern besserung / von Got überkommet / Also auch mit den andern künsten. Es befindet sich offt / das ain frommer gotsfuerchtiger mensch durch sein glaubig / demuettig gebeth / in lieblicher betrachtung der wunderbarlichen vnd über künstlichen werck Gottes / gewiser vnd aygentlicher  [Seite 116↓]  studiert vnd erkennet / ain creatur zů der Artzney gebreüchlich / sampt des menschen Complexion / ordnung vnd aigenschafft / dann ain hochberuembter Artzet mit so grosser muehe vnd arbait / alle seine buecher hinden vnd fornen / durch über vnd außlesende. (Bl. A va, S. 123)

In der Berufung auf das “demuettig gebeth” und die “betrachtung der wunderbarlichen vnd über künstlichen werck Gottes” als Wege zur Erkenntnis sind konstitutive Elemente von Ickelsamers religiösem Selbstverständnis angesprochen. An zentraler Stelle stehen die Adverbien “gewiser vnd aygentlicher”.253 Das Adjektiv gewiss wurde seit althochdeutscher Zeit in einer Vielzahl von Bedeutungszusammenhängen verwendet, vorwiegend allerdings im Rechtsbereich in Anlehnung an das lateinische certus oder auch securus in der Bedeutung von *klar, sicher+. Oft verband es sich mit Verben nach dem lateinischen Muster certum habere; certior fieri, wobei “bei gewiss [...] derschwerpunkt auf der erkenntnisthätigkeit”254 liegt. Eine bevorzugte Verwendung findet es sowohl in attributiver, prädikativer als auch adverbieller Verwendung in den Schriften Luthers, vor allem in seiner Bibelübersetzung. Der Gebrauch der Steigerungsformen scheint wesentlich seltener vorzukommen, das Deutsche Wörterbuch nennt Luther als einzige Quelle in frühneuhochdeutscher Zeit.255 Aber auch Ickelsamer setzt in dem oben angeführten Zitat einen Komparativ in adverbieller Verwendung.

Fest steht, dass Ickelsamer mit diesen Adverbien das Ergebnis einer Erkenntnistätigkeit beschreibt, die dem Kern des zu Verstehenden unmittelbar näher komme, als dies dem im literarischen Bildungsbetrieb Stehenden trotz all seiner Gelehrtheit möglich sei.

Diese Aussage deutet auf einen entscheidenden theologischen Diskurs des Reformationszeitalters hin. Denn Ickelsamer argumentiert hier dahingehend, dass eine wahre Erkenntnis hauptsächlich erst durch göttliche Inspiration erlangt  [Seite 117↓]  werden kann. Dieses Argument verbindet sich mit einem Bildungsskeptizismus, der sich gegen eine Wissenschaft richtet, die die Möglichkeit eines solchen Erkenntnisgewinns verneint:

Nit sag ich das man nitt fleyssig studieren vnnd der Buecher gebrauchen soll / sonder das man nit so stoltz / vnglaubig / vnnd vndanckbar sey / das man gedenck / Gott künds nit / vnd habs nit in der schůl gelernet / er künds vnd woels auch kainen leeren / das waiß ich / wann Gott ainen ain ding zů leren schůlmaister will sein / so ist die kunst vil leichter vnd gewiser / Es ist in seiner lere ain gantz lieblich klare einfalt / ain sichere gewißschaft des hertzens / welches ain frucht bringt / ainen demuetigen brauch in Gottes forcht vnnd ehr / Ich glaub auch gentzlich / das wie von diser lesekunst also von allen künsten / welche gaben Gottes seind / kain rechter gewiser verstand oder brauch / künd sein oder geschehen / man wisse vnd verstehe dann jren innerlichsten vnd tieffsten grund vnd vrsprung / vnd das auch solcher vrsprung kainer recht erlanget oder fruchtbarlich gebraucht moeg werden / Got lere jn dann selbs / vnd das ist eben die sach darumb alle Propheten Gottes / auch Christus selbs den bůchgelerten oder schriftgelerten můsten toll vnd vnsinnig sein / vnd von jn hoeren / die grossen Buecher vnnd studierung thetens / wa sy es gelernet wolten haben. (Bl. A va– A vb; S. 124)

Heinrich Noll stellt diesbezüglich fest, dass Ickelsamer dieselbe “Forderung, wie sie die Mystik an den Menschen, in dem Gott wirken soll, stellt,“ auch für denjenigen erhebt,“dem Gott die Kunst des Lesens und das Wesen der Sprache offenbaren soll: Die Forderung der Einfalt, die das Herz frei macht, für das göttliche Wirken.”256 Eben die Berufung auf die Einfalt und die “sichere gewißschaft des hertzens” stellen Kernpunkte der konträren Diskussion zwischen den Schwärmern bzw. Spätmystikern und den Vertretern der Bildungselite dar. Besonders das Substantiv “Einfalt” gilt im Deutsch der Frühen Neuzeit gemeinhin auch als Übersetzung des lateinischen simplicitas, welches ursprünglich auch in der evangelischen Theologie eine “positive christliche Haltung”257 umschrieb, in der Folgezeit aber zunehmend als schwärmerisches Schlagwort in der Argumentation gegen den universitären Bildungserwerb gebraucht wurde und in dieser Hinsicht wiederum für die Gegner dieses Bildungsskeptizismus negativ  [Seite 118↓]  besetzt war, da es den Verfall des Bildungswesens kennzeichnete.

Grundlage der schwärmerischen Berufung auf die Einfalt ist der theologische Gemeinplatz, dass die Apostel trotz ihrer Ungebildetheit dennoch sittlich vollkommen waren. Auch Ickelsamer verweist auf die Apostel und Christus und stellt diese den Buchgelehrten gegenüber. Sie sind ihm der Beweis für die Möglichkeit der kontemplativen Erkenntnis der Offenbarung durch göttliche Eingabe.

In dieser Argumentation zeigt sich Ickelsamers ideelle Bindung an mystisches Gedankengut, das “für einen einfältigen und gelassenen Menschen nichts für unmöglich hielt, weil eben sein Herz eine Wirkungsstätte des Geistes Gottes geworden ist.”258 Dieser Auffassung liegt die Überzeugung zu Grunde, dass zwischen dem “äußeren” Wort (menschliche Sprache und Schrift) und dem “inneren” Wort (der eigentliche Sinn und die Ebene der göttlichen Offenbarung) eine Trennung besteht. Die Verbindung mit Gott ist letztlich erst über das “innere” Wort gegeben. Das “äußere” Wort nimmt bei den verschiedenen Spätmystikern und Schwärmern teils die Rolle einer vom Wortsinn völlig abgelösten Worthülle ein, teils trägt es noch Abbildcharakter des “inneren” Wortes.259 Allen Vertretern dieser religiös-spiritualistischen Strömung ist jedoch gemeinsam, dass sie allein in der auf göttliche Erleuchtung hoffenden Innerlichkeit den Weg zu Gott sehen. Die Bibel vermittelt zwar den Willen Gottes, erkennen kann ihn aber nur der bereits Erleuchtete. Philologischen Studien, die sich dem Text auf interpretative Art nähern, wird somit kein Wert beigemessen260, was zu der erwähnten Streitdebatte mit den Anhängern Luthers und den Späthumanisten führte.


 [Seite 119↓] 

Nun wird aber aus dem oben angeführten Zitat und seinen Ausführungen im Etymologiekapitel auch ersichtlich, dass Ickelsamer in der Frage nach dem generellen Wert gelehrter Bildung eine gemäßigtere Position vertritt. Er räumt ein, dass die Lektüre und das Studium nicht insgesamt abzulehnen sind.261 Vielmehr polemisiert er gegen einen selbstbezüglichen universitären Bildungsbetrieb, indem er ihm die einfältige, göttlich inspirierte Erkenntnis entgegen stellt. Dies dient in besonderem Maß auch der Propagierung seiner Erstlesemethode, die zeigen will, dass die Lesekunst eine ursprüngliche “gab Gottes” ist, die “ain yeder in seiner arbait one Schůlmaister vnd Buecher lernen mag”262. Nicht, wie er auch in seiner Bildungskritik formuliert, das bloße Memorieren der Buchstaben, sondern die selbständige und einfältige Betrachtung der lautlichen Zusammensetzung des Wortes ist der Schlüssel zum Erwerb der Lesefähigkeit.263 An dieser Stelle verbindet sich sein humanistisches Methodenbewusstsein mit seinen religiösen erkenntnistheoretischen Überzeugungen.

Ickelsamer geht es jedoch nicht allein um die Vermittlung der Lesefähigkeit. In den Ausführungen zu Syntax und Etymologie hat sich gezeigt, dass seine Ideen von einem angemessenen deutschen Grammatikunterricht durchaus im Kontext der gelehrten Bildung angesiedelt sind. Er argumentiert in diesem Zusammenhang ausdrücklich für eine Beschäftigung mit der deutschen Sprache, die sich an den Wissensbeständen der klassischen Sprachstudien orientiert, das Deutsche aber den klassischen Sprachen als gleichwertig gegenüberstellt. Die Berufung auf die Suche nach dem “innerlichsten vnd tieffsten grund vnd vrsprung” aller Künste, die uns in Ickelsamers Forderungen an eine vollständige Grammatik der deutschen Sprache begegnete, gibt den sich zwischen humanistischen Bildungshintergründen und religiösen Positionen bewegenden erkenntnistheoretischen Ansatz Ickelsamers am deutlichsten wieder.


 [Seite 120↓] 

Das Bemühen um einen Unterricht, der das sachgerechte Verständnis von Lerninhalten anstrebt, teilt Ickelsamer – wie oben ausgeführt – mit seiner Leitautorität Quintilian und den Humanisten. Eine tiefgehende Erkenntnis der “Künste”, welche ebenso wie alles andere zur Schöpfung Gottes gehören, die ihren Ausgangs-, Vermittlungs- und Bezugspunkt nicht in Gott selbst sucht, hält er jedoch für unmöglich. Ein wirklicher “verstand” aller Künste muss auf deren göttlichen Ursprung abzielen, der sich eher durch den Akt individueller Anschauung offenbart, als mittels der bloßen Einprägung tradierter gelehrter Bildungsinhalte.

Ickelsamer zielt sowohl beim Lesenlernen264 als auch in der Frage nach den grammatischen Gegebenheiten der deutschen Sprache auf ein gründliches und verständnisorientiertes Erfassen des Wesens der Sprache. Dieses hat seinen Ursprung in der göttlichen Schöpfung, wodurch jede Art der Spracharbeit zu einem religiösen Akt wird. Die Beschäftigung mit ihr gleicht dem Erkunden einer verborgenen Struktur und Innerlichkeit, deren Kenntnis den Übergang vom “äußeren” zum “inneren” Wort ebnet und den Weg zur Offenbarung Gottes öffnet.

Interessant ist an dieser Stelle ein Vergleich der Ickelsamerschen Argumentation mit einigen Positionen Melanchthons.265

Bildung ist auch bei Melanchthon “religiös motiviert und metaphysisch verankert”.266 In einer programmatischen Rede aus dem Jahr 1523 äußert sich Melanchthon dahingehend, dass er zwar die humanistischen Studien zu den Hilfsmitteln der Theologie zählt, “aber keinesfalls dahingehend mißverstanden werden [möchte], als ob man durch geistige Anstrengung das Heilige ergründen könne. Es gibt Bereiche des Heiligen, die man nur erblickt, wenn Gott sie zeigt, und Christus wird uns nur durch den Heiligen Geist bekannt. Doch abgesehen von solcher Prophetie ist die Bedeutung der Worte (vis verborum) zur Kenntnis zu nehmen. Die göttlichen Geheimnisse sind in den Worten gleichsam wie in Sakramentshäuschen aufbewahrt.”267 Gerade deshalb sei eine genaue Kenntnis der Worte eine essentielle Grundbedingung wahrer Frömmigkeit, die eben jenseits des  [Seite 121↓]  unbewussten Gebrauchs der Sprache liege. Bezieht sich dies bei Melanchthon in erster Linie auf die universitären theologischen Studien in der lateinischen und griechischen Sprache und richtet sich auch gegen mystische und schwärmerische Tendenzen und deren Bildungsskeptizismus, so sind doch auch seine Aussagen vom Glauben an “die suprarationale Komponente des Heiligen Geistes”268 geprägt.

Ebenso fordert auch Ickelsamer einen bewussten und “wissenschaftlichen” Umgang mit der Sprache als Schlüssel zu einem wahren christlichen Leben, bloß beschränkt er eine derartige “Bewusstseinsarbeit” nicht auf die theologischen Studien auf Grundlage der Auseinandersetzung mit den klassischen Sprachen, sondern sieht ihren Platz vielmehr im deutschen Grammatikunterricht.

Es ist jedoch auffällig, dass Ickelsamer in seinem Bildungsanspruch der Melanchthonschen Argumentation viel näher kommt als der der radikalen Reformer um Karlstadt, “die sich von den Worten nichts und von der umstürzlerischen Tat alles erhofften.”269 Des Weiteren teilt er in der TG auch nicht jene spätmystische und schwärmerische antirationale Position, die die menschliche Laut- und Schriftsprache generell in Zweifel zieht.270 Insofern ergibt sich auch für die religiösen Hintergründe von Ickelsamers Sprachbewusstsein ein äußerst komplexes Bild, welches den Einfluss vieler unterschiedlicher reformatorischer Positionen aufweist.

Das Grammatikverständnis Ickelsamers zeichnet sich, wie aus den dargelegten sprach- und erkenntnistheoretischen Grundlagen desselben ersichtlich wird, durch eine gewisse Ambivalenz aus. Einerseits fügt er Rechtfertigungsgründe aus der bildungsskeptischen Argumentation der Mystiker und Schwärmer ein, um seinen lesedidaktischen Ansatz samt Methode zu verteidigen und die institutionelle Bindung der gelehrten Ausbildung sowie deren Selbstbezogenheit zu kritisieren, andererseits nimmt er wiederholt Bezug auf die gelehrte Bildungstradition, aus der er das Instrumentarium für die grammatikographische Beschreibung der deutschen Sprache entnimmt. Eine Grammatikschreibung des Deutschen ist für ihn, trotz aller religiös motivierten Bildungsskepsis, nicht ohne die Kenntnis der überlieferten Wissens- und Methodenbestände denkbar.


 [Seite 122↓] 

Die Klammer für die divergenten Elemente in seiner Argumentation und in seinem Grammatikverständnis bildet jedoch die grundsätzliche religiöse Überzeugung, dass aller sinnvoller Bildungserwerb und jede Anwendung erworbenen Wissens nur im Kontext eines ernsthaften christlichen Lebens und “zů Gotes ehr”271 erfolgen kann und muss. Dies betrifft selbstredend auch die Auseinandersetzung mit der Grammatik der deutschen Sprache.

4.1.4.7. Motive und Adressaten der “Teutschen Grammatica”

Für die Klärung der Motive, die Valentin Ickelsamer bei der Konzeption und Verfassung seiner Grammatikschrift leiteten, ist es von besonderem Interesse herauszufinden, an welche Adressaten sich sein grammatikographisches Projekt wendet. Auf diese Weise kann man einen weiteren Einblick in die äußere Bedingtheit seiner Sprachreflexionen gewinnen, die die Ergebnisse aus dem vorhergehenden Kapitel zu den sprach- und erkenntnistheoretischen Grundlagen seines Grammatikverständnisses noch ergänzen. Zugleich ermöglicht uns die Untersuchung seiner Motive, den Ausschnitt seines Grammatikverständnisses, der für uns anhand der TG erschließbar wird, besser einschätzen zu können. Denn die Motive, die Ickelsamers Überlegungen bei der Textproduktion leiteten, hatten entscheidenden Einfluss darauf, welche Elemente seines Grammatikverständnisses er wie in dieser Grammatikschrift präsentierte und prägen damit auch unseren Blickwinkel auf seinen Text.

Ickelsamer wendet sich unter zweierlei Aspekten an potentielle Nutzer seiner Grammatik – zum einen im Zusammenhang seiner Ausführungen zur Leselehre in der TG und zum anderen im Hinblick auf eine noch zu schreibende vollständige Grammatik und einen deutschen Grammatikunterricht, der mit den diesbezüglichen inhaltlichen Forderungen korrespondiert.

Seine lesedidaktische Abhandlung richtet sich an alle lernwilligen Rezipienten, die sich die Lesefähigkeit mittels der von ihm vorgestellten Methode selbständig erwerben können:

Es würdt auch ain yeder / der zum rechten vrsprung des lesens gedencken vnd kummen würdt (wie dises buechlin anzaiget) erkennen / das es ain herrliche gab  [Seite 123↓]  Gottes ist / vnd das sy ain holtzhawer / ain hyrdt auff dem velde / vnd ain yeder in seiner arbait one Schůlmaister vnd Buecher lernen mag / Er bitte Gott vnd thů jm wie ich / (Bl. A iiija ; S. 123)

Es braucht, wie bereits auch im vorigen Kapitel erläutert worden ist, keinen Schulmeister, um das Lesen zu lernen, sondern lediglich die Hilfe Gottes, der dem Lernwilligen die Methode entdecken muss, wie sie sich auch Ickelsamer erschlossen hat. Er zeigt sich absolut überzeugt von der Grundrichtigkeit dieser Methode, ihrer Einfachheit und Überzeugungskraft, so dass er sie sowohl den Autodidakten als auch den Schulmeistern und Eltern empfiehlt, da zu ihrer Vermittlung nicht mehr als die Erklärung des grundlegenden Prinzips nötig sei.272 Während sich das von Ickelsamer dargelegte Leselernverfahren an keinen institutionalisierten Ort bindet, gehen die weiteren Adressatenbezüge in der TG über den Bereich der autodidaktischen Aneignung hinaus.

So sind seine Forderungen an eine noch zu schreibende vollständige Grammatik der deutschen Sprache auch an deren künftige Autoren adressiert. Mit den inhaltlichen Ansprüchen an eine solche Schrift, die im ersten Sinn als Lehrwerk verstanden wird, verbinden sich ebenso grundsätzliche Überlegungen zu dem Ort ihrer Anwendung. In seinen Ausführungen zur Etymologie nennt Ickelsamer unter Betonung der ethischen Ziele einer etymologischen Beschäftigung die Adressaten, für die er solche Studien als besonders wichtig erachtet:

Vnd wie wol alle teütschen / die alte so wol als die jungen / solches wissen vnd verstehn solten / So hab ichs doch am maysten woellen anzaygen / vmb der jungen willen / die noch in der lere jaren der kunst seind / Die solten solches in den schůlen geleret vnd vnterwisen werden / (Bl. D 7a ; S. 151)

Vor allem die Schüler sind es, an die er sich mit diesen Ausführungen der TG richtet, doch darüber hinaus appelliert er zugleich an deren Lehrer. Seine inhaltlichen Forderungen an die deutsche Grammatikographie sind untrennbar mit der Forderung nach einer fundamentalen Umgestaltung des deutschen Unterrichts verknüpft. Die Beschäftigung mit der deutschen Sprache soll einem jeden Schüler, ob er nun Schreiber werden möchte oder sich höherer Bildung zuwendet, zur Propädeutik seiner weiteren Ausbildung werden. Die Lehrer, die einen solchen Deutschunterricht ausführen können, müssen im Gegensatz zu den Lehrern des  [Seite 124↓]  bisherigen Elementarunterrichts über entschieden erweiterte gelehrte Sprach- und Grammatikkenntnisse verfügen, wie in Ickelsamers Ausführungen zu Syntax, Etymologie und Silbentrennung deutlich wird. Darin zeigt sich, dass Ickelsamer mit seiner TG letztlich auch grammatikographisch interessierte Gelehrte ansprechen will.273 Er verweist zum Beispiel mehrfach auf die Notwendigkeit der Kenntnis der klassischen Sprachen für die Beschäftigung mit der Silbentrennung und der Etymologie der deutschen Wörter.

Beschäftigt man sich nun mit den Intentionen Ickelsamers, so liegen diese neben dem Bemühen um die Vermittlung des Lesens anhand einer eingängigen Methode darin, eine angemessene Form der grammatikographischen Darstellung für die Muttersprache zu finden. Die Angemessenheit orientiert sich zum einen an den wissenschaftlichen und methodischen Vorgaben aus den Bereichen der Lateingrammatiken und des humanistischen Sprachstudiums, zum anderen – und dies in erster Linie an den Stellen, an denen sich Ickelsamer von den lateinischen Vorlagen löst – an seinen praktischen Erfahrungen und im Besonderen an seinen religiösen Positionen.

Die Vehemenz, mit der er die Darstellung und Vermittlung der Muttersprache und ihrer Grammatik verteidigt, ist entscheidend von diesen im vorigen Kapiteldargelegten religiösen Überzeugungen geprägt, so dass Heinrich Noll Ickelsamer vollkommen zu Recht als “Typus des religiösen Grammatikers”274 bezeichnet hat.

In ihnen muss man das dominante Motiv für seine Beschäftigung mit der deutschen Grammatikschreibung sehen.

Besonders im Zusammenhang der Propagierung seiner für die TG gewählten Konzentration auf Themen der Leselehre nennt Ickelsamer das religiöse Hauptmotiv seines Ansatzes:

Mich hatt aber nitt kürtzweil allain / sonder Gottes ehr das zůschreiben ermanet / dann es ist ye ain werck dz zů seinem lob vast dienen mag / Es ist one zweifel yetzt kaum ain werck oder creatur auf erden / die zůgleich zů Gottes ehr vnd vnehr / mehr gebraucht würdt / dann die lesekunst / mit schreibung viler gůter vnd boeser buecher in die welt / Vnd die es zů zeyten am besten machen / oder am fruchtbarlichsten lesen künten / denen mangelts am lesen. […] Da ich erkandte das  [Seite 125↓]  mich Gott über dises sein ampt setzten wolt / das lesewerck zůgebrauchen in seinem hof vnd regiment auff dieser erden / hab ich nach dem vrsprung des lesens gedacht / das hatt mir Gott so klar zaiget / das ich nit achten kann / das diese kunst hoeher gefuert werden / oder jrem vrsprung naeher kommen künd / zů welchem alle ding (wie man sagt) wider kummen sollen vnd muessen / vnd dann das ende / das woell Gott geben bald vnd mit gnaden Amen. (Bl. A iiija– A iiijb ; S. 123)275

Ickelsamer stellt seine Arbeit als religiöse Pflicht dar, zu der er von Gott berufen worden ist. Nicht seine persönlichen Interessen, so bekennt er, sondern eine direkte göttliche Weisung276, die sich zudem noch mit einer göttlichen Inspiration hinsichtlich der Kunst des Lesens verbindet, habe ihn beim Verfassen der TG geleitet. Dieses religiöse Motiv impliziert also ein starkes pädagogisches Element, welches die Vermittlung kultureller Techniken wie Lesen und Schreiben als Möglichkeit erachtet, den Analphabeten einen Weg zum besseren christlichen Leben zu ermöglichen.277

Ickelsamer spezifiziert diese Aussage in der Folge noch im Hinblick auf die Gegebenheiten der deutschen Sprache. Da sie als Muttersprache dem Sprecher näher und unmittelbarer ist, als eine Fremdsprache dies jemals sein kann, liegt in  [Seite 126↓]  ihrer Betrachtung auch die Potenz, bis zu ihrem inneren Wesen und damit zur Offenbarung Gottes vorzudringen. Die Suche nach dem “grund vnd vrsprung”, die sich, wie oben gezeigt, in seinen methodischen Überlegungen und den Forderungen an eine vollständige deutsche Grammatik widerspiegelt, geht zurück auf Ickelsamers religiös geprägte erkenntnistheoretische Überzeugung.

Aus ihr erklärt sich auch sein Bemühen um die Erschließung des eigentlichen Wortsinns und seine Kritik an der Vernachlässigung der deutschen Sprache. War die Muttersprache im Rahmen von Luthers Bibelübersetzung entschieden aufgewertet worden und sah auch Luther selbst in ihr die Möglichkeit, den Beter näher an Gott zu führen278, so geht Ickelsamer noch einen Schritt weiter. Sein grammatikographisches Vorgehen basiert auf der Intention, durch einen ganzheitlichen Blick auf die Sprache deren ursprüngliche Natur zu erfassen und diese anderen Christen zu vermitteln.

In die methodische Umsetzung dieses Projekts fließen, wie bereits dargelegt worden ist, sowohl seine humanistischen Bildungswurzeln als auch seine Erfahrungen als Schulmeister ein. Die Erkenntnis, dass sich die deutsche Sprache von ihrem eigentlichen Wesen entfernt habe, führt bei Ickelsamer zu der allgemeinen Aufforderung, ihr die bis jetzt unterbliebene Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. In Ickelsamers Ausführungen zur Etymologie zeigt sich, wie oben dargelegt, seine diesbezügliche religiöse Motivation in besonderem Maß.279

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Ickelsamers Grammatikprojekt von vielschichtigen Motiven gesprägt ist:

Zum einen hat er der Grammatiktradition und seinen Erfahrungen als Schulmeister entsprechend ein didaktisches Motiv. Es geht ihm darum, die Grundlage für einen Deutschunterricht zu schaffen und anzuregen, der über die Vermittlung elementarer Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben und Rechnen hinausgeht und die deutsche Sprache selbst zum Gegenstand komplexer Beschäftigung macht. Er stellt heraus, dass die genaue Kenntnis der deutschen Grammatik und Rede die Basis für jede weitere höhere Bildung ist. Damit steht er für eine entscheidende Aufwertung der deutschen Muttersprache ein. In der  [Seite 127↓]  adäquaten Darstellung und Vermittlung der deutschen Sprache sieht Ickelsamer ein wichtiges Ziel sowohl seiner eigenen als auch jeder zukünftigen grammatikographischen Beschäftigung.

Das Bemühen um die Muttersprache und um einen auf sie ausgerichteten Grammatikunterricht ist aber dennoch Teil der alles überspannenden religiösen Motive Ickelsamers. Diese lassen ihn seine Beschäftigung mit der “Lesekunst” als religiöse Pflicht darstellen, zu der er von Gott berufen wurde, und bestimmen auch sein Insistieren auf einer tiefgehenden Suche nach dem inneren Wesen der deutschen Sprache, da dies zugleich die Ebene sei, auf der man der göttlichen Offenbarung am nächsten kommen könne.

Sein Einsatz für die deutsche Sprache ist also bestimmt von der Überzeugung, dass man über die bewusste Auseinandersetzung mit der Muttersprache ein besseres Leben als Christ erreichen kann, da man in der Verbindung von philologischer Methode und göttlicher Erleuchtung einen Weg zum ursprünglichen Sein der Sprache findet. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Grammatik bleibt bei ihm Mittel der Durchsetzung seiner religiösen Mission, als die er seine Beschäftigung mit der deutschen Sprache größtenteils ansieht.

Bezugnehmend auf die dargelegte Vielschichtigkeit der Ickelsamerschen Motive und deren Gewichtung sollen abschließend noch einige zusammenfassende Bemerkungen zum Darstellungsstil und der Argumentationsweise der TG gemacht werden, mittels derer Ickelsamer den Adressaten die für diesen Text aktualisierten Elemente seines Grammatikverständnisses präsentiert.

Eine Besonderheit der äußeren Textgliederung der TG liegt in der fehlenden eindeutigen Abgrenzung zwischen den Gedanken der Vorrede und denen des grammatikogaphischen Darstellungsteils, da auch letzterer immer wieder allgemeine sprachtheoretische, didaktische und ideologische Erörterungen enthält, die ihren Platz üblicherweise in den Vorreden finden.

Monika Rössing-Hager hat zum Darstellungsstil der TG festgestellt, dass dieser “an den primär grammatikographischen Stellen beschreibend”, “in den didaktischen Anweisungen zum Lesen-Lernen rezeptartig knapp und zugleich detailliert”, “in den didaktischen Erörterungen (über den Wert bestimmter Lern- und Lehrmethoden sowie über die Aufgaben der Schulmeister) und in den Reflexionen über die Funktion einzelner Gegenstände der Sprachlehre (speziell  [Seite 128↓]  der Etymologie) rhetorisierend im Stil des genus deliberativum, mit Überzeugungsstrategien, die an den Duktus der Flugschriften erinnern”280, ist.

Daraus lässt sich ablesen, dass Ickelsamer, der institutionellen und traditionellen Ungebundenheit seines Projekts entsprechend, hinsichtlich des Darstellungsstils beliebig mit verschiedenen Textmustern operiert und operieren kann. Er nutzt sowohl rezeptartige Darstellungsformen, die sich schon in seiner Leselehre wie in allen Lehrtexten dieser Zeit bewährt hatten, als auch beschreibende, traktatartige Textsequenzen, die ein hohes Maß an fachlichen Informationen vermitteln sollen und sich an antiken und humanistischen Texten orientieren.

Zugleich, und dies ist bezeichnend für die auch Ickelsamer bewusste Neuheit und Zweifelhaftigkeit einer Grammatikabhandlung der deutschen Sprache, wählt er eine Darstellungsform, die sich an der Redegattung des genus deliberativum orientiert. Diese soll die Adressaten vom Anliegen einer Schrift und dessen Notwendigkeit überzeugen. Die diesbezüglichen Überzeugungsstrategien finden sich im gesamten Grammatiktext und sind nicht auf die Vorrede begrenzt.

Valentin Ickelsamer argumentiert vor allem auf der Basis religiöser Rechtfertigungsgründe. Indem er sich von Gott zu seiner Beschäftigung berufen fühlt, stellt dieser für ihn die absolute Autorität jenseits aller Institutionen dar und gewährleistet per se den Sinn und die Notwendigkeit seines Textes.

In den Begründungen für seine Auseinandersetzung mit der deutschen Sprache und deren Grammmatik zeigt sich in Ickelsamers Argumentation auch das allen frühen deutschen Grammatiken gemeinsame “Rechtfertigungsproblem der deutschen Grammatikschreibung”281. Die Grammatikographen der Frühen Neuzeit mussten “ihre Leser und ihr Umfeld überhaupt erst überzeugen, daß auch die deutsche Sprache einer grammatischen Erfassung vermittels geordneter Regeln zugänglich und ihr Unterfangen nicht bereits von daher prinzipiell zum Scheitern verurteilt ist.”282 So verweist auch Ickelsamer immer wieder auf den eigenständigen Wert der deutschen Sprache und die Notwendigkeit, diese zu pflegen und vor weiterer Verwahrlosung zu schützen, wofür er wiederum – wie oben ausgeführt – seine religiösen Überzeugungen als Grund angibt. Daneben nimmt er über die Anführung antiker und humanistischer Autoritäten und  [Seite 129↓]  Vergleiche der deutschen mit den klassischen Sprachen Bezug auf die grammatikographische Tradition, um so die deutsche Grammatikschreibung in den Kontext der wissenschaftlich sanktionierten Überlieferung einzugliedern.

Auf diese Weise stellt Ickelsamer überdies seine eigene Gelehrsamkeit unter Beweis, um so auch den Anspruch zu rechtfertigen, den er an jetzige und künftige Grammatikographen der deutschen Sprache anlegt.

Obwohl die religiösen Argumente in der TG überwiegen, bezieht er zur Rechtfertigung einzelner grammatikographischer Probleme und der Rationalität der deutschen Sprache im Allgemeinen durchaus auch gelehrte Argumente ein. Mit diesen, so scheint es, spricht er diejenigen Adressaten an, die für einige schwärmerische Anklänge seiner religiösen Argumentation wenig empfänglich gewesen sein dürften, und ermöglicht uns zugleich einen Einblick in die Komplexität seines Grammatikverständnisses.

4.1.5. Zusammenfassung

Zusammenfassend lässt sich zu Ickelsamers Grammatikverständnis als Teil seines Sprachbewusstseins folgendes feststellen. Wir begegnen hier einem Grammatikschreiber, in dessen Sprachreflexionen über die Inhalte einer grammatikographischen Darstellung der deutschen Sprache eine Vielzahl von verschiedenen Bildungs- und Erfahrungshintergründen aktualisiert worden sind. Aus der Analyse der “Teutschen Grammatica” auf diese Hintergründe und deren Vergleich mit dem Wissen, das wir über Ickelsamers Leben haben, wird deutlich, dass sein Grammatikverständnis von drei biographischen Faktoren entscheidend beeinflusst ist.

Dies betrifft zunächst seine höhere, humanistisch geprägte Bildung, die er sowohl durch den Besuch einer Lateinschule als auch in seinem Bakkalaureatsstudium erworben hatte. Sie offenbart sich in den oben besprochenen Bezugnahmen auf klassische Bildungsgüter und in seinem humanistisch geschulten Methodenbewusstsein. Des Weiteren sind hier seine praktischen Erfahrungen als Lehrer zu nennen, die sicher einen Anstoß zur Veröffentlichung seiner Lehrwerke gaben und auch seine pragmatischen und methodischen Positionen hinsichtlich eines noch zu gestaltenden Deutschunterrichts mitbestimmten. Aber gerade auch  [Seite 130↓]  reformatorisches Gedankengut, wie z.B. die Lehren Karlstadts und Schwenckfeldts, denen sich Ickelsamer in verschiedenen Lebensphasen anschloss, bestimmten die Art seiner Grammatik- und Sprachsicht grundlegend.

All diese Bildungs- und Erfahrungshintergründe in seinem Grammatikverständnis bilden die Grundlage eines Ansatzes, der sich mit der Frage beschäftigt, wie eine didaktisch ausgerichtete Abhandlung der Regularitäten der deutschen Sprache aussehen und an welchem Ort sich eine solche Schrift positionieren kann. Für Ickelsamer steht fest, dass sich die deutsche Grammatik von der lateinischen unterscheidet und deshalb auch anders dargestellt werden muss. Sein Sprachbewusstsein ist also geprägt von der Wahrnehmung der veränderten Anforderungen einer deutschen Grammatikschreibung aufgrund der Eigenständigkeit der Muttersprache. Dabei geht er nicht so weit, dass er die lateinischen Kategorien insgesamt für die Beschreibung der deutschen Sprache ablehnt, jedoch formuliert er die Notwendigkeit der angemessenen Übertragung und Erklärung dieser Kategorien. Die Orientierung an der klassischen Grammatikographie versteht sich auch im Zusammenhang des “Rechtfertigungsproblems”283 der frühen deutschen Grammatiken. Indem Ickelsamer sein humanistisch geschultes Methodenbewusstsein und seine Kenntnis der traditionellen Grammatikschreibung auf die Auseinandersetzung mit der Muttersprache anwendet, wertet er sie entscheidend auf und zeigt, dass auch das Deutsche mittels grammatischen Ordnungsregeln erfasst werden kann.

Seine Sprachreflexionen zum Inhalt und den Darstellungsmöglichkeiten der deutschen Grammatik werden jedoch dominiert von seinen religiösen Positionen, die vor allem in der Überzeugung bestehen, dass die Beschäftigung mit der Muttersprache zu einem besseren christlichen Leben befähigt, da das Wissen um das innere Wesen derselben den Sprachnutzer näher an die Offenbarung Gottes führt. Der religiöse Grundzug seines Sprachverständnisses verbindet sich in seinen Sprachreflexionen mit den anderen Bildungs- und Erfahrungshintergründen zu einem Grammatikverständnis, welches sich durch eine Überschneidung von traditionellen lateinischen und innovativen muttersprachbezogenen Überlegungen auszeichnet.

All dies ergibt das Bild eines ausdifferenzierten Grammatikverständnisses im  [Seite 131↓]  Kontext der historischen und geistesgeschichtlichen Entwicklungen in der Frühen Neuzeit, das seine Elemente aus dem Nebeneinander von Tradition und Innovation gewinnt, wobei die innovativen Komponenten hauptsächlich auf dem Fundament von Ickelsamers Religiosität und seinen praktischen Erfahrungen als Pädagoge fußen.

Aus der in der Textanalyse immer wieder deutlich gewordenen Ambivalenz hinsichtlich der Bildungs- und Erfahrungshintergründe seines Grammatikverständnisses ergibt sich ein wesentlicher Interpretationszugriff auf Ickelsamers “Teutsche Grammatica”.

Zum einen steht Ickelsamer fest auf dem Boden der Wissensbestände der Bildungstradition, was sich in seinem rhetorischen Sprachverständnis und dem Bezug auf Autoritäten des klassischen Bildungskanons zeigt. Auf diese Weise versucht er seine Abhandlungen über die Anwendung tradierter Norm- und Lehrmeinungen in ihrem grammatikographischen Anspruch zu rechtfertigen, womit er zugleich auch der deutschen Sprache die Fähigkeit zur systematischen Darstellung zuspricht. Zum anderen löst er sich bewusst von den lateinischen Vorlagen und gibt seinen Ausführungen somit einen innovativen Charakter. Die von seinen weitreichenden Forderungen in der Vorrede dann im grammatikographischen Darstellungsteil der TG tatsächlich umgesetzten Inhalte, die Ickelsamer wohl aufgrund seiner schulischen Tätigkeit und akuter bildungspolitischer Bedürfnisse dazu motiviert hatten, die TG in dieser begrenzten Form zu veröffentlichen284, sollten daher nicht den Blick auf die weitreichenden allgemeinen Äußerungen Ickelsamers zu einer Grammatikschreibung der deutschen Sprache verstellen.


 [Seite 132↓] 

4.2. Das Grammatikverständnis von Laurentius Albertus

Im Anschluss an die Analyse des Ickelsamerschen Grammatikverständnisses soll nun die “Teutsch Grammatick oder Sprach-Kunst” von Laurentius Albertus auf das in ihr fassbar werdende Grammatikverständnis untersucht werden. Anders als die detaillierte Exemplifizierung der theoretischen und methodischen Grundlagen aus den ersten Teilen der Dissertation, die an der “Teutschen Grammatica” von Ickelsamer vorgenommen worden ist, versteht sich die Auseinandersetzung mit dem Text Laurentius Albertus= als Analyseskizze, die sich besonders auf jene Einzelfragen zu seinem Grammatikverständnis konzentriert, die die Unterschiede zu Ickelsamers Konzeption und deren Grundlagen in seinem Sprachbewusstsein verdeutlichen, womit zugleich auch das hermeneutische Potential der hier vorgestellten historischen Sprachbewusstseinsanalyse an einem weiteren Text demonstriert werden soll.

Hinsichtlich des methodischen Vorgehens ist anzumerken, dass ich in dieser Analyseskizze den Text in erster Linie auf seine argumentativen Strukturen untersucht habe, da sich dies aufgrund der Vielzahl von Überzeugungsstrategien – insbesondere in den Vorreden – anbietet und empfiehlt.

4.2.1. Forschungsstand

Nach der “Teutschen Grammatica” Valentin Ickelsamers erschienen die nächsten drei grammatikographischen Publikationen erst im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts. Ihre Autoren Laurentius Albertus, Albert Ölinger und Johannes Clajus wählten, anders als Ickelsamer, die lateinische Sprache für die grammatikographische Beschreibung des Deutschen.

Dies und die Ausrichtung auf ein ausländisches Publikum, die ein übereinstimmendes Motiv aller Autoren darstellt, führte dazu, dass die drei Grammatikographen in der Sekundärliteratur zunehmend als Gruppe betrachtet wurden. Diese Tendenz verstärkte sich noch aufgrund intertextueller Überlagerungen zwischen den Schriften, die auf die Verwendung der jeweiligen Vorgänger zurückzuführen ist. So übernahm z.B. Albert Ölinger eine Reihe von Textstellen aus der Grammatik des Albertus, die 1573, ungefähr ein Jahr vor  [Seite 133↓]  Ölingers Werk erschienen war. Clajus, dessen Grammatikschrift 1578 veröffentlicht wurde, hat beide Vorgänger zur Kenntnis genommen, obwohl nur Ölinger direkt zitiert wird.285 Trotz aller Übereinstimmungen weisen die einzelnen Grammatiken jedoch entscheidende Unterschiede im Hinblick auf ihren jeweiligen Anspruch und ihre Konzeption auf. So wertet bereits Max Hermann Jellinek die Schriften von Albertus und Ölinger hinsichtlich ihres Ansatzes aus und kommt zu dem Urteil, dass Albertus= Grammatik deutlich stärker von “theoretische[n] Interessen”286 geprägt ist, während Ölingers Betrachtungen der deutschen Sprache systematischer seien, was er vor allem durch dessen pädagogisches Hauptmotiv erklärt. Dagegen stellt er im Fall des Albertus fest, dass dessen Vorrede neben fremdsprachendidaktischer Orientierungen eine Vielzahl weiterer Motive enthält.

In einem 2001 erschienenen Artikel hat sich Nicola McLelland vergleichend mit diesen beiden Grammatiken beschäftigt und kam dabei zu dem Ergebnis, dass sich gerade die unterschiedlichen sprachreflektorischen und konzeptionellen Überlegungen Albertus= und Ölingers auch in deren sprachsystematischen Betrachtungen und Darstellungsweisen widerspiegeln und somit ein enger Zusammenhang zwischen den allgemeinen sprachtheoretischen Positionen und der konkreten Sprachanalyse sowie deren Präsentation besteht.287 Während Ölingers Grammatik sich in ihrer um Systematik bemühten grammatikographischen Präsentation von seiner praktisch-pädagogischen Intention stark beeinflusst sieht, versteht sich das Grammatikprojekt des Laurentius Albertus hauptsächlich im Kontext kulturpatriotischer Motive. Auf eine detaillierte Untersuchung dieser und anderer Motive der “Teutsch Grammatick” und der sprachtheoretischen Hintergründe dieser Schrift verzichtet McLelland aber zugunsten des Vergleichs mit Ölingers Grammatik und der inhaltlichen Überschaubarkeit ihres Artikels.

Die “Teutsch Grammatick” wird in der hier vorliegenden Analyseskizze im Gegensatz zu den bisher dominierenden Vergleichsuntersuchungen288 in ihrer  [Seite 134↓]  Sonderrolle als “erste vollständige Grammatik des Deutschen”289 und Arbeit eines katholischen Verfassers als Einzeltext behandelt. Es gilt, die Schrift in ihrer Gesamtkonzeption aus Vorreden und grammatikographischer Abhandlung wahrzunehmen, wobei ein besonderes Augenmerk auf den bislang nur wenig untersuchten Vorreden liegen soll. Aus der Einzelbetrachtung dieser Grammatik auf Basis der Sprachbewusstseinsanalyse ergibt sich dabei die Möglichkeit, den Intentionen, die seiner grammatikographischen Beschäftigung zu Grunde liegen, sowie dem sprachtheoretischen Denken Albertus= näher zu kommen, als dies eine rein sprachsystematische Betrachtung oder eine vergleichende Gesamtschau leisten kann.

Im Besonderen soll hier auch der Frage nachgegangen werden, warum Albertus seine Grammatikschrift in lateinischer Sprache verfasst hat und welche Motive diese Sprachwahl bedingten. Denn gerade die oben genannte Tendenz in der Sekundärliteratur, die drei Latein schreibenden Grammatiker als Gruppe wahrzunehmen, führte dazu, dass die individuellen Unterschiede zwischen den Intentionen der Grammatikographen nur wenig thematisiert wurden und das Motiv für die Sprachwahl vorschnell und einseitig durch Hinweis auf die Ausrichtung auf ein ausländisches Rezeptionspublikum erklärt worden ist.290

Es versteht sich, dass in einer Analyseskizze wie der hier vorgenommenen viele Punkte nur angerissen und nicht in derselben Detailliertheit dargelegt werden können wie im vorangegangenen Ickelsamerkapitel.291 Dennoch sollen aber in ihr die wichtigsten Elemente des Grammatikverständnisses von Laurentius Albertus zumindest überblicksweise besprochen werden.


 [Seite 135↓] 

4.2.2. Quellenkritische Vorbemerkung

Von der “Teutsch Grammatick” des Laurentius Albertus ist eine Ausgabe bekannt, die im Jahr 1573 in Augsburg erschien. Diese Ausgabe liegt in der Edition vonCarl Müller-Fraureuth vor. Für die hier vorgestellte Analyse wurden sowohl diese Edition als auch eine Originalausgabe (vorhanden in der Forschungsbibliothek Gotha) verwendet.

Die “Teutsch Grammatick” weist – anders als der Ickelsamersche Text – eine deutliche typographische und inhaltliche Trennung zwischen Vorreden und sprachsystematischer Darstellung auf. An die Widmungsvorrede an Albertus= Gönner, den Würzburger Domherrn Johann Egolf von Knöringen, schließt sich eine elfseitige Vorrede mit der Überschrift “Utilitas et finis huius instituti” an. Dieser ist ein “Schediasma” beigefügt, die als direkt an den Leser gewandte Zusammenfassung der in der zweiten Vorrede ausgeführten Unterpunkte fungiert. Nach diesem Vorredenkomplex beginnt Albertus seine eigentliche sprachsystematische Abhandlung mit einem allgemeinen Einleitungskapitel unter dem Titel “De Grammatica”, an das sich nacheinander Kapitel zu den traditionellen Hauptteilen der Grammatik anschließen, nämlich zur Orthographie (Lautlehre), Etymologie (hier in der traditionellen grammatikographischen Bedeutung als Darlegung der acht Redeteile), Syntax292 sowie zur Prosodie. Die “Teutsch Grammatick” wird abgeschlossen durch ein den Leser wieder direkt ansprechendes deutsches Gedicht, das die Überschrift “Endspruch” trägt.

4.2.3. Biographischer Hintergrund

Aus dem Leben des Laurentius Albertus ist uns außer den Eckdaten seines beruflichen Werdegangs nur wenig überliefert.293 Er wurde um 1540 in Neustadt geboren, wobei nicht gesichert ist, “ob es sich hierbei um Neustadt an der Aisch,  [Seite 136↓]  an der Saale oder bei Coburg handelt.”294 Für das Jahr 1557 findet sich unter dem Namen Albertus Neapolitanus Francus ein Eintrag im Matrikelverzeichnis der Universität Wittenberg. Albertus verließ diese Universität als Magister und kam 1565 nach Würzburg. Sein dortiger Gönner, der Domherr und Domscholastiker295Johann Egolf von Knöringen, machte ihn mit dem Fürstbischof Friedrich von Würzburg bekannt. Albertus arbeitete in der Folgezeit an dem vom Fürstbischof 1561 eröffneten und seit 1568 unter jesuitischem Einfluss296 stehenden Pädagogium. Obwohl Laurentius Albertus noch 1563 in einer deutschen Schrift die lutherische Lehre gegen die Lehren Zwinglis und Calvins verteidigt hatte, konvertierte er 1568 zum katholischen Glauben und wurde im Juni 1573 in Rom von Papst Gregor XIII. zum lateranischen Pfalzgrafen und Eques auratae militiae ernannt.

Im selben Jahr erschien auch seine “Teutsch Grammatick oder Sprach-Kunst”, deren Druck wahrscheinlich von seinem Gönner und Patron finanziert worden ist.297 Ende 1573, nach der Wahl Knöringens zum Bischof von Augsburg und dem Tod des Fürstbischofs von Würzburgs, musste Albertus seine Stellung am Würzburger Hof aufgeben und hielt sich in der Folge in Augsburg und nach Knöringens Tod 1575 bei Herzog Albrecht V. von Bayern auf. Ab 1579 war er Advokat in Wien und erhielt dort schließlich auch die Erlaubnis zur Priesterweihe.298 Über den weiteren Verlauf seines Lebens und sein Todesjahr liegen keine genauen Angaben vor.

Von Laurentius Albertus sind neben seiner Grammatik einige theologische Schriften (darunter eine Tertullian-Übersetzung) und eine gereimte fränkische Chronik überliefert.

Aus dem Wenigen, was wir über das Leben Albertus* wissen, wird ersichtlich, dass auch sein Werdegang von den religiösen Veränderungen seiner Zeit stark beeinflusst war. Studierte er zunächst noch in Wittenberg und verfasste eine  [Seite 137↓]  theologische Verteidigungsschrift der lutherischen Konfession, nahm er nur 5 Jahre später den katholischen Glauben an und stellte sein Wirken in den Dienst dieses Bekenntnisses.

Das Verfassen und die Veröffentlichung einer deutschen Grammatik stellte ihn jedoch vor ein besonders großes Rechtfertigungsproblem, da die verstärkte grammatikographische Auseinandersetzung mit der deutschen Sprache in dieser Zeit vornehmlich im Zusammenhang mit der von Luther und anderen Reformationsanhängern propagierten Aufwertung der Muttersprache stand. Viele protestantische Grammatikographen ernannten Luther explizit zur neuen sprachlichen Autorität oder rechtfertigten, wie z.B. Valentin Ickelsamer, ihre Beschäftigung mit der deutschen Sprache durch theologische Argumentationen, die ihre Grundlage im reformatorischen Gedankengut hatten.

Dass Albertus sich seiner Sonderrolle als katholischer Grammatikograph des Deutschen bewusst war, zeigt seine umfangreiche zweite Vorrede, die eine Vielzahl von Gründen für sein Projekt nennt. Worin seine Motive bestehen und welche Elemente sein Grammatikverständnis vor allem im Hinblick auf das Verhältnis von Tradition und Innovation prägen, ist Gegenstand der folgenden Darlegung.

4.2.4. Elemente des Grammatikverständnisses von Albertus

Von den in der methodischen Grundlegung genannten Einzelfragen zum Grammatikverständnis sollen im Anschluss die nach der Verwendungsweise des Wortes Grammatik und dessen Definition, die nach den sprach- und erkenntnistheoretischen Grundlagen des Grammatikverständnisses und die nach den Motiven und Adressaten der “Teutsch Grammatick” in konzentrierter Form behandelt werden. Diese Fragen wurden für die Analyseskizze ausgewählt, da ihre Beantwortung den Blick auf die Kernpunkte des Grammatikverständnisses von Laurentius Albertus eröffnet.


 [Seite 138↓] 

4.2.4.1. Verwendungsweise von Grammatik

Hinsichtlich der Verwendungsweise von Grammatik ist für die “Teutsch Grammatick“ festzustellen, dass in diesem Text, ebenso wie in dem Ickelsamers, alle in der methodischen Grundlegung aufgeführten Aspekte der frühneuzeitlichen Bedeutungsmöglichkeiten belegbar sind.

Laurentius Albertus überschreibt seine Schrift mit dem Titel “Teutsch Grammatick oder Sprach-Kunst” und gibt mit dieser Benennung ein deutliches Signal, dass seine Arbeit im Kontext der institutionalisierten Verwendungsweise des Wortes verortet ist. Der “Grammatick” wird bei ihm das Synonym Sprachkunst zugeordnet, womit er sich der üblichen Übersetzungspraxis anschließt, in der dieStudien in den artes mit dem deutschen Wort Künste wiedergegeben werden.299Seine Schrift knüpft über die Titelgebung an die etablierte lateinische Grammatikliteratur und ihren institutionalisierten Rahmen an. Noch deutlicher wird dies in der Grammatikdefinition, die Albertus zu Beginn des Darstellungsteils setzt.

Nachdem er in den Vorreden Grammatik nur wenige Male anführt, definiert er in dem unter der Überschrift “De Grammatica” stehenden Einleitungskapitel explizit:

Grammaticam esse cōstat, certam quandam loquendi & scribendi rationem: Dann sie ist ein solche kunst / die ohne mangel / fehl vnd jrthumb / nach jrer art vnd fürgeschribnem brauch reden / vnd die woerter mit jren ge//buerlichen bůchstaben voelligklich schreiben leret. (Bl. A; S. 19)300

Der lateinische Teil dieser Definition ist als ein indirektes Zitat der Melanchthonschen Definition in der “Grammatica Latina” anzusehen. Dieser schreibt, ebenfalls unter der Überschrift De Grammatica: “Grammatica est certa loquendi et scribendi ratio.”301

Diese Bestimmung hatte sich in der zeitgenössischen humanistischen  [Seite 139↓]  Grammatikliteratur durchgesetzt und wurde von vielen Lateingrammatikographen übernommen. Albertus bezieht sich auf die Dominanz dieser Definition, wenn er sein indirektes Zitat mit der Phrase “Grammaticam esse constat” einleitet, womit er ihren Wert als allgemein anerkannten Lehrsatz anzeigt.

Zugleich macht er mit der Wiedergabe dieser Definition auch deutlich, dass er seine Auseinandersetzung mit der deutschen Grammatik und ihrer Sprache fest in der gelehrten klassisch-humanistischen Tradition verankert sieht und sich mit seinem Unterfangen an deren Schriften und inhaltliche Positionen anlehnt.

Die deutsche Erläuterung, die er der lateinischen Bestimmung folgen lässt, steht völlig im Kontext der institutionalisierten Verwendungsweise von Grammatik. Die Grammatik ist für ihn eine “Kunst”, die die Lehre des rechten Redens und Schreibens zum Inhalt hat. In dieser Erklärung schließt sich Albertus wohl an die bereits bei Ickelsamer indirekt benutzte klassische Wortbestimmung der Grammatik als “recte loquendi scribendique scientia” an. Überdies ist damit auf den für die Frühe Neuzeit typischen didaktischen Kontext der Grammatikbeschäftigung verwiesen.

Auf die allgemeine klassische Begriffsbestimmung folgt in der “Teutsch Grammatick” eine Überlegung zur Schwierigkeit der eindeutigen Wiedergabe des Wortes “Grammatica” in der deutschen Sprache. Diese Feststellung nutzt Albertus als Überleitung zu einer Art sprachkombinatorischen Etüde über den Wort- und Kompositionsreichtum der deutschen Sprache, die darin in nichts dem Griechischen und Lateinischen nachstehe.

Auf Blatt A bis A 2 führt er acht Kombinationstabellen an, in denen er insgesamt 90 deutsche Umschreibungs- und Ausdrucksvarianten des Terminus auflistet. An den verschiedenen Bedeutungsmöglichkeiten, die er für den Terminus angibt, zeigen sich die auch Albertus bewussten vielfältigen Aspekte, die Grammatikin sich vereint.

Als Beispiel sei hier eine Tabelle genannt, in der sowohl der praktische, der didaktisch-methodische, der institutionalisierte als auch der inhaltliche Aspekt der frühneuzeitlichen Verwendungsweise sichtbar werden:


 [Seite 140↓] 

Aut componemus duo substantiua quorum prius genitiui casus est (nempe vocula Sprach tertiae declinationis) posterius vero nominatiui est.

  Leer Brauch.
  Maaß Brunn.
  Weg Fundt.
  Weiß Wachtung.
Sprach Art richtigung.
  Bůch Macherin.
  Regeln Leererin.
  Zaiger Messige kunst.
  Weyser / etc. (Bl. A 2 ; S.20)

Die Grammatik der deutschen Sprache ist für ihn sowohl ein Buch, eine Lehre, eine Kunst als auch, wie er in einer weiteren Tabelle schreibt, “Teutscher sprach Eygenschafft”. Am Ende seiner beispielhaften Auflistung, die er eher als anregende Einleitung für sein favorisiertes Anliegen ansieht, das eines Beweises des Reichtums der deutschen Sprache, denn als bindende Definitionsvorgabe, fasst er die gesamte Materie und den Inhalt der Grammatik wie folgt zusammen.

Die Grammatick leeret jhre punct / bůchstaben / sylben oder samlungen / wort / vnd außsprechung der=selben inn Teutscher sprach. (Bl. A 3 ; S. 21)

In inhaltlicher Hinsicht stellt seine “Grammatick” die Regeln und Ordnungsprinzipien der deutschen Sprache, also deren Grammatik, dar und ist somit ein “Weyser” des richtigen Sprachgebrauchs. Mit der Inhaltsangabe der Grammatikthemen verweist Albertus wiederum auf den Aufbau der klassischen Grammatikliteratur. Wie diese beschäftigt er sich in seiner Abhandlung mit der Orthographie, Prosodie, Etymologie und Syntax.302 Die Vorgaben und Inhalte der etablierten lateinischen und griechischen Grammatikographie sind für ihn  [Seite 141↓]  bindend, einzig auf ihrer Grundlage ist für ihn eine Grammatikschreibung des Deutschen realisierbar. Zugleich soll aber durch die adäquate Übertragung dieser Paradigmen der Wert der deutschen Sprache bewiesen werden.

Albertus* Schrift weicht in der bewussten Setzung einer allseits anerkannten gelehrten Definition und in der vollständigen Übertragung der inhaltlichen Gliederung der klassischen Grammatikographie auf die deutsche Grammatikschreibung deutlich von Ickelsamers TG ab. Während Albertus explizit die Nähe zur gelehrten Tradition anstrebt, offenbarte sich bei Ickelsamer eine gespaltenere Haltung. Die Orientierung an der traditionellen Grammatikographie war für Ickelsamernotwendiger Anker für die Vermittlung der eigenständigen Elemente seines Grammatikverständnisses. Die Forderungen, die er an eine Abhandlung der deutschen Grammatik stellte, sind von einer relativen Ungebundenheit und Abgrenzung gegenüber den lateinischen Vorlagen geprägt. Ickelsamer schränkte deren inhaltliche Vorgaben bewusst ein und rechtfertigte dies mit den pragmatischen und religiösen Hintergründen seiner Beschäftigung.

Das Grammatikverständnis des Laurentius Albertus ist dagegen völlig in der klassischen Grammatikschreibung und deren Anforderungen verhaftet. Die Abhandlung und Lehre der deutschen Grammatikist für ihn entscheidend durch die Autorität der lateinischen und griechischen Tradition bestimmt. Dies zeigt sich auch in den sprach- und erkenntnistheoretischen Hintergründen seines Sprachbewusstseins, die sich aus den Sprachreflexionen der “Teutsch Grammatick” erschließen lassen.

4.2.4.2. Sprachtheoretische Grundlagen

Sowohl in den Vorreden als auch im grammatikographischen Darstellungsteil der “Teutsch Grammatick” wird Albertus’ Orientierung am humanistischen und speziell am rhetorischen Sprachverständnis erkennbar.

In der an den Würzburger Domherrn Johann Egolf von Knöringen gerichteten Widmungsvorrede stellt Albertus sein Projekt in einen Bezug zu der von Knöringen und anderen gelehrten und belesenen Männern betriebenen Sprach- und Kulturpflege des Deutschen. Knöringen ist ihm in der Pflege der Sprachen und Sitten sowie der muttersprachlichen Eloquenz ein Vorbild. Bereits in der nach den rhetorischen Brief- und Redemustern in salutatio, exordium, narratio, petitio,  [Seite 142↓]  conclusio aufgebauten Widmungsvorrede ist die kulturpatriotisch ausgerichtete humanistisch gelehrte Bildungsgrundlage des Laurentius Albertus fassbar. Wie diese sein Sprach- und Grammatikverständnis prägte, wird neben der eigentlichen grammatikographischen Abhandlung vor allem aus seiner zweiten Vorrede ersichtlich.

Im zweiten Kapitel dieser in acht Unterkapitel gegliederten Vorrede differenziert Albertus zwischen der einfachen richtigen Sprachverwendung der Deutschen und zwischen einem Sprachgebrauch, der auf der Kenntnis der Grammatikkunst fußt.

Subtiles sunt quidam in oratione, in arte vero ieiuni, quapropter contingit saepissimé, ut qui subtiliter sine arte loquantur, quasi con=tra legem artis committant, hinc ea circ=cumueniendi occasio, qua tot homines sese cauillis agitandos præbent. (Bl. a 3; S. 11f.)

Die mangelnde Kenntnis der deutschen Grammatik führe zu einer Vielzahl von Kommunikationsproblemen, stellt Albertus fest. In der Folge nennt er als Beispiele dafür die Weitschweifigkeit der Rede, die Häufung oder falsche Zuordnung von Synonymen oder auch die völlige Unverständlichkeit der Worte und ihres Zusammenhangs. Hieran sieht man, dass Albertus die Grammatik als notwendige normative Grundlage für die angemessene und erfolgreiche Rede erachtet und sein Grammatikverständnis fest im traditionellen Grammatikbild der septem artes liberales verortet ist. Besonders deutlich wird dies in folgender Behauptung:

Sunt homines interdum calidioris naturæ, & acceni inflatique tem=peramenti, qui alte sublaté loqui stu=dent, sine subiectis linguæ basibus, simi=les ijs qui tecta aëri appendunt abique suppositis columnis. Audiuntur non=nunquam variæ artis Rhetoricæ elegan=tiæ, verum intempestiuæ nec fatis com=modo loco positare.(Bl. a 3 – a 3b; S. 12)

Das Sprechen ohne das Wissen um die grundlegenden Begriffe der Sprache gleiche dem Bau von Dächern ohne stützende Säulen. Auch die Kenntnis einzelner rhetorischer Feinheiten reiche nicht aus, um wahrhaft eloquent zu sein. Architekturmetaphern begegnen uns häufig im Kontext der Beschreibung des Aufbaus der septem artes liberales.303 Der “Grammatica” kommt dabei die Funktion eines Fundaments zu, auf dem alle weiteren sprachlichen  [Seite 143↓]  Wissensbestände und Fähigkeiten aufbauen und das “die Grundlagen des künftigen Redners”304 bildet.

Die Auseinandersetzung mit den Prinzipien der Grammatik gilt auch für Laurentius Albertus als Voraussetzung für das Erreichen jeglicher Eloquenz. Der Hauptzweck einer Grammatikabhandlung besteht für ihn in diesem Sinn in der Schaffung von primären Grundlagen für einen rhetorisch kunstvollen Sprachgebrauch. War dies eine Selbstverständlichkeit für den lateinischen Grammatikunterricht, so überträgt Albertus diesen Anspruch nun auf die deutsche Sprache. Auch in dieser Sprache, behauptet er, kann man Eloquenz erreichen, wenn man sich ihre grammatischen Prinzipien aneignet.

Damit wertet Albertus das Deutsche entscheidend auf und stellt es in der Frage nach seinem sprachlichen Potential und seiner wissenschaftlichen Darstellbarkeit durchaus den klassischen Sprachen zur Seite305, was vor allem vor dem Hintergrund seiner katholischen Konfession und seiner Bindung an eine katholische Bildungseinrichtung kein unumstrittenes Unterfangen gewesen sein dürfte.306

In den folgenden Kapiteln seiner Vorrede rechtfertigt und begründet Albertus diese Aufwertung der deutschen Sprache. Er kritisiert die mangelnde Pflege und Vernachlässigung des Deutschen, die die Ausländer zu der Einschätzung kommen lassen, dies liege an der Rohheit (barbaries) der deutschen Sprache. Albertus argumentiert hier in einer Art und Weise, die viele Positionen der Sprachgesellschaften aus dem 17. Jahrhundert vorwegnimmt und ihre Wurzeln im nationalen deutschlandkundlichen Interesse einiger Humanisten hat.307 Seine  [Seite 144↓]  Kritik an der bisherigen Vernachlässigung der deutschen Sprache verknüpft er mit der Propagierung ihrer Eigenschaften. Diese stimmen mit den Gütereigenschaften überein, die uns in den Texten der Sprachgesellschaften begegnen.308 Zunächst ist an dieser Stelle das “Postulat der Reinheit”309 zu nennen, das Albertus vertritt, wenn er in Kapitel III seiner Vorrede feststellt:

[...] sed malé & con=tumeliosé in tam facilem & antiquissi=mam linguam committunt, cum sub sole (Hebræa excepta) vix breuior succin=ctior & facilio lingua fit, quæ est, ex se nempe nata & per se ipsam con=stans, & quæ certis terminis, atque septis ita comprehendi, doceri discique potest, ut vix dum vlla alia, [...] (Bl. a 3b – a 4 ; S. 12f.)

Die deutsche Sprache zählt für ihn zu den gewandtesten und altehrwürdigsten Sprachen, die – anders als die modernen Sprachen, die er als Zerrüttungen der Ursprungssprachen bezeichnet – aus sich selbst entstanden und in sich selbst beständig und deshalb in besonderem Maß der grammatikalischen Erfassung und Lehre zugänglich sei. Der hohe Wert der deutschen Sprache begründet sich für Albertus aus ihrem Alter, womit er ein weit verbreitetes Argument des frühneuzeitlichen Sprachdenkens nutzt, in dem das Alter einer Sprache unter anderem mit deren Nähe zur göttlichen Schöpfung und der damit zusammenhängenden Ursprünglichkeit ihres Ausdrucks verknüpft wird.310

Die Verwahrlosung der Muttersprache führe allerdings zunehmend zu deren Zersplitterung in die Mundarten und zu einer allgemeinen Verfälschung der Sprache, die ihrer ursprünglichen Reinheit entgegenwirke, behauptet Albertus. Diesem Prozess hätte durch eine rechtzeitige Fixierung der grammatischen Regeln  [Seite 145↓]  zuvorgekommen werden können. Daraus wird ersichtlich, dass die Grammatikregeln in Albertus* Grammatikverständnis als etwas Unveränderliches und Verbindliches angesehen werden, deren Missbrauch eine depravierende Sprachentwicklung nach sich zieht. Zu dieser nachteiligen Sprachentwicklung gehört für Albertus neben der Entstehung der Vielfalt der Mundarten auch die Vermischung des Deutschen mit anderen Sprachen. Insofern finden sich in der “Teutsch Grammatick” auch puristische Ansätze.311

Des Weiteren beinhalten seine Sprachreflexionen in der Vorrede sowie im Darstellungsteil und hier besonders im schon besprochenen Einleitungskapitel “De Grammatica” immer wieder den Hinweis auf die “copia verborum” des Deutschen. Darin entspricht Albertus* Argumentation der des barocken “Postulats des Reichtums”312. Am Wort- und Wendungsreichtum einer Sprache zeige sich auch deren besondere Leistungsfähigkeit und damit letztlich ihr Eigenwert. Indem Albertus diesen wiederholt herausstellt, rechtfertigt er seine eigene sowie die Beschäftigung seiner Rezipienten mit der deutschen Grammatikographie.

Die sprachtheoretischen Hintergründe, die Laurentius Albertus in den Vorreden der “Teutsch Grammatick” aktualisiert hat, prägen auch seine eigentliche grammatikographische Abhandlung. Das Bemühen, die Eignung der deutschen Sprache zum Gegenstand grammatikographisch-wissenschaftlicher Darstellung zu beweisen, führt bei Albertus dazu, dass er versucht, ihre Systemäquivalenz mit dem Lateinischen oder auch Griechischen aufzuzeigen.313 Dafür nutzt er als Vorlage die Camerarius - Bearbeitung der Melanchthonschen “Grammatica Latina”, bezieht aber auch Priscian und eine Reihe humanistischer Grammatikschriften ein.


 [Seite 146↓] 

Anders als Ickelsamer, der die lateinischen grammatikographischen Vorlagen sehr selektiv und modifizierend benutzt, und dem es besonders um ein Abrücken von der Dominanz der lateinischen Grammatikschreibung und deren etabliertem Hintergrund geht, sieht Albertus gerade in der Anlehnung an die Tradition der Grammatikographie innerhalb der septem artes liberales und im Nachweis einer dieser Tradition entsprechenden grammatikographischen Darstellung der deutschen Sprache den Hauptrechtfertigungsgrund für die Möglichkeit einer “Teutsch Grammatick”. Sein Umgang mit den Vorlagen ist gekennzeichnet durch ein auf Vollständigkeit achtendes wissenschaftliches Vorgehen, das darauf abzielt, alle etablierten Themen der klassischen Grammatikographie auch für das Deutsche zu behandeln. Die Auseinandersetzung mit den Inhalten seiner Vorlagen gestaltet sich jedoch nicht als bloße Übersetzung derselben, sondern Albertus versucht, die Grammatik der deutschen Sprache adäquat zu den theoretischen Vorgaben zu erfassen, worin sich sein hoher wissenschaftlicher Anspruch zeigt.314

4.2.4.3. Motive und Adressaten der “Teutsch Grammatick“

Laurentius Albertus nennt in der Widmungsvorrede, in der zweiten Vorrede und dem an diese angeschlossenen Schediasma verschiedene Lesergruppen, an die seine Schrift adressiert ist. An exponierter Stelle in der zweiten Vorrede und im Schediasma werden die Ausländer als Nutzergruppe angeführt. Ihnen soll die “Teutsch Grammatick” beim Erlernen des Deutschen eine Hilfe sein. Hierin wird ein pragmatisches Motiv seines Grammatikprojekts deutlich. Albertus führt vor allem den Handel als Grund dafür an, dass Ausländer ein Interesse am Erwerb der deutschen Sprache haben. So wie die Lateingrammatiken den deutschen Schülern eine Grundlage für das Erlernen des Lateinischen sind, versteht sich die “Teutsch Grammatick” als ein Sprachlehrbuch für Nichtmuttersprachler.

Doch Laurentius Albertus will mit seinem Text nicht nur die Ausländer erreichen. Vielmehr beruft er sich auf eine Reihe von Gründen, warum seine Schrift insbesondere für die Deutschen relevant ist. Zum einen spricht er konkret die Knaben und Jünglinge deutscher Herkunft (“pueri & iuuenes Germana ab origine  [Seite 147↓]  nati”315) an. Diesen soll durch die in seiner Schrift erklärten deutschen grammatischen Regeln aufgrund der Ähnlichkeit und Verwandtschaft des Deutschen mit dem Lateinischen, Griechischen und Hebräischen316 der Fremdsprachenunterricht erleichtert werden. Mit dieser Position schließt sich Albertus einer verbreiteten Praxis im humanistischen Unterrichtswesen an, die gerade im Einbezug der Muttersprache eine Möglichkeit für den mehr auf das sachgerechte Verstehen ausgerichteten Spracherwerb sieht.317

Bezeichnenderweise übernahmen im Zusammenhang mit den katholischen Bildungsbemühungen der Gegenreformation vor allem die Jesuiten, die auch das Würzburger Pädagogium zur Zeit Albertus* leiteten, die humanistischen Lehrmethoden und nutzten das Deutsche in den unteren und mittleren Gymnasialklassen “als Unterrichtssprache zum Erklären und Verstehen der lateinischen Grammatikregeln und Texte”318. Zudem waren in deren Sprachunterricht auch Übersetzungen aus den klassischen Sprachen in die Muttersprache vorgesehen.319 Auch Albertus nennt im Schediasma diesen Unterrichtsgegenstand, für den die Lektüre seiner “Teutsch Grammatick” hilfreich sein soll.320

In diesen Äußerungen zeigt sich ein weiteres pragmatisches Motiv seiner Beschäftigung, das ebenso wie sein Schreiben für die Ausländer im didaktischen Kontext der Grammatikographie verhaftet ist und auf konkrete Bedürfnisse der Würzburger Bildungseinrichtung Bezug nehmen könnte.

Zum anderen wendet sich Albertus in seinem Text an alle Deutschen, die ihre Muttersprache und Nation fördern wollen, indem sie ihren Sprachgebrauch bewusster und kunstmäßiger gestalten. So spricht er im Schediasma diese  [Seite 148↓]  Deutschen direkt an:

Si Germane tuam cupias per secula linguam

seruare & uerbis amplificare nouis.

Si ueneranda tibi monumenta antiqua uidentur,

Si ueterem linguam, verbaque prisca colas,

Si Germanorum res omni tempore gestæ

cum nostra uiuant posteritate diu,

Si puré & prorsus patrio sermone loquaris,

Nec peregrina tuis addita uerba sonent,

Si dialectorum discrimina plurima noscas,

Quænam uerba tibi sint imitanda magis,

[...]

Si nostram supra reliquas extollere linguas,

Et decorare cupis laudis honore suo: (Bl. a 7 – a 7b ; S. 17)

Die den Deutschen nahe gelegte Beschäftigung mit der Grammatik (und Lexik) ihrer Muttersprache versteht sich vor dem Hintergrund des kulturpatriotischen Motivs, welches Albertus entscheidend beim Verfassen seiner “Teutsch Grammatick” beeinflusst hat. In ihm, und nicht wie oft in der Sekundärliteratur vertreten wird in der pragmatischen Ausrichtung auf die Ausländer321, ist das wichtigste Motiv und der Hauptrechtfertigungsgrund für seine Auseinandersetzung mit der deutschen Grammatikschreibung zu sehen, dem die  [Seite 149↓]  pragmatischen Motive untergeordnet sind.322 Zugleich ist hierin ein wesentliches Element seines Sprachbewusstseins berührt.

Laurentius Albertus geht es in seinem Text in erster Linie darum, die Regelhaftigkeit und den lexikalischen Reichtum323 des Deutschen zu beweisen und damit die Sprache auf das Niveau der anderen Kultursprachen zu heben. Dieser Argumentationsansatz findet sich sowohl in der Widmungsvorrede324 als auch in der zweiten Vorrede und ist quantitativ am häufigsten belegbar. Die Aufwertung der deutschen Sprache steht dabei im Zusammenhang mit nationalen Interessen. So gibt er in Unterkapitel VII der Vorrede an, dass die staatlichen Tätigkeiten von Deutschen in deutscher Sprache ausgeführt werden müssen (“Germanis enim germanice agendum est”325). Die meisten klassisch gelehrten Deutschen seien aber nicht in der Lage, ein gutes Deutsch zu sprechen, da sie die Muttersprache zugunsten des Lateinischen, Griechischen oder Hebräischen ausgeblendet hätten. Albertus kritisiert hier eine Tendenz des Humanismus, auf die bereits hingewiesen worden ist.326 Für ihn schließt sich die philologische Beschäftigung mit den klassischen Sprachen und die Anwendung der humanistischen Methoden auf die Vernakularsprache nicht aus, vielmehr wird in seinem Grammatikverständnis das Deutsche endgültig zu einer “eigenständigen Wissensgröße”327. Die Sprachpflege ist Teil der Identifikation mit der deutschen Geschichte und Nation. Mit der zunehmenden Zersplitterung der Muttersprache verbindet Albertus auch die zunehmende Uneinigkeit unter den Deutschen, die oft genug auf sprachlichen Missverständnissen beruhe.


 [Seite 150↓] 

Hinc profecto lamentabilis et deplorandus apud Germanos contigit auitæ patriæque linguæ abusus: Postquam enim tot idiomata inter nos inualescerent, eaque non satis omnibus rebus accomodari possent, euenit ut duplici damno Germania inde afficeretur, prius quidem respicit varias variarum proprietatumcauillationes, in quibus mirum in modum Germani semetipsos intercipiunt, diuexant et eludunt: (Bl. a 4b ; S. 13)

Albertus geht davon aus, dass die deutsche Sprache ursprünglich eine einheitliche Sprache gewesen ist, ihre Unterteilung in die Mundarten führte jedoch dazu, dass sich die einzelnen Dialektgruppen missverstehen und gegenseitig verspotten.

Ein weiterer Schaden, für den er die Zersplitterung der Muttersprache verantwortlich macht, besteht im Abweichen vom kirchlichen Dogma der Bindung der Bibelexegese an die lateinische Sprache. In der Folge wird aber deutlich, dass Albertus die Möglichkeit einer volkssprachlichen Übersetzung der Bibel nicht generell in Frage stellt, obwohl er selbst auf dieses Dogma hinweist. Vielmehr richtet sich sein Angriff gegen die seiner Meinung nach uneinheitlich und unsachlich ausgeführten Übersetzungen der Niederländer und Niederdeutschen.328 Diese wagten es, als Barbaren (“Barbari”329) die reineren Deutschen (“nos puriores Germanos”) über die Natur und Eigenheit der deutschen Sprache zu belehren, während sie selbst vom richtigen Gebrauch derselben am weitesten erntfernt seien.

Albertus erachtet demgegenüber jedoch die richtige Herleitung der deutschen Sprache von ihrem Ursprung (“a prima origine deductio”) als Mittel, zur wahren Natur und Bezeichnung der Wörter vorzudringen, was wiederum eine reelle Grundlage für den muttersprachlichen Umgang mit der Heiligen Schrift wäre. Dies würde auch die jetzt üblichen Wortgezänke (logomaxiai330), wie z.B. den um die Worte “leib, kirch, gemeinschafft” beenden.

Albertus nutzt hier ein theologisches Argument der katholischen Kirche. “Die Texte der Bibel bedürfen der Auslegung durch den in der exegetischen Tradition der Kirche geschulten Experten.”331 Nicht die Laien, die oft genug durch ihren niedrigen Bildungsstand auffallen, sondern einzig der klerikale und philologisch  [Seite 151↓]  versierte Experte darf sich der Bibelexegese annehmen. Albertus geht hierin über die obige Kritik an einzelnen Dialektgruppen hinaus. Die theologische Argumentation, die er in seine grundsätzliche Kritik an der mangelhaften grammatischen Bildung der Deutschen einbindet, stellt zugleich ein religiös-kirchenpolitisches Motiv von Laurentius Albertus dar. Es zeigt sich aber, dass Albertus, obwohl er hier ein verbreitetes katholisches Argument anführt, bereits als er noch der lutherischen Konfession angehörte, auch den Zwinglianern vorwarf, “daß >etliche, die kaum ein buchstab oder zwe lesen oder verstehen können, die wollen geistliche vnter jnen werden [...]<”332, und “gegen die Zwinglische Auslegung des >ist< in der Einsetzungsformel”333 mit Aristoteles und Priscian argumentierte.

Die Kenntnis der Grammatik gehörte demnach für Albertus schon immer zu den Voraussetzungen theologischer Arbeit. Seine kulturpatriotisch motivierte Überzeugung, dass philologische Studien in der Muttersprache unersetzlich im weltlichen als auch religiösen Bereich sind, hat selbst seinen Konfessionswechsel überdauert und ist ein Beleg für sein gelehrtes Selbst- und Grammatikverständnis.

Die Vehemenz, mit der Albertus in den beiden Vorreden immer wieder seine Leser von der Behauptung des wissenschaftlichen Wertes der Beschäftigung mit der deutschen Sprache zu überzeugen sucht, deutet allerdings darauf hin, dass Albertus sich darüber bewusst war, dass seine Position keine allgemein anerkannte war. Indem er kirchenpolitische, pragmatische und eine Reihe von kulturpatriotischen Motiven für seine Tätigkeit anführt, versucht er dem Vorwurf zu begegnen, dass die deutsche Sprache einer Grammatikabhandlung nicht wert sei. Er setzt seine Argumentation in der eigentlichen Grammatikabhandlung in dem Maß fort, dass er sich an den wissenschaftlichen Paradigmen der lateinischen und griechischen Grammatikographie orientiert und diese möglichst detailliert auf das Deutsche umzusetzen sucht.

Das “Rechtfertigungsproblem”334 der frühen deutschen Grammatiker zeigt sich in der “Teutsch Grammatick” in besonderem Maß. Der Hauptgrund für die große Anzahl an Überzeugungsstrategien ist wohl darin zu sehen, dass das Schreiben einer deutschen Grammatik im Fall des Albertus vornehmlich im Bereich des  [Seite 152↓]  katholisch orientierten Bildungssystems auf eine Reihe von Skeptikern traf. Die grundsätzliche Haltung der katholischen Kirche bestand darin, dass die Rechtgläubigkeit an die lateinische Sprache gebunden war und dass einzig das Lateinische über eine der “Würde der Kirche”335 entsprechende “Erhabenheit” verfügte. Albertus schreibt dagegen auch der Muttersprache einen philologisch erschließbaren Wahrheitswert zu.

Obwohl er für sein Unterfangen die nötige Unterstützung und Protektion durch Johann Egolf von Knöringen erfuhr336, musste er die Beschäftigung mit der Muttersprache für seine potentiellen Nutzer explizit begründen.337 Es ist nicht zu vergessen, dass gerade die Förderung der deutschen Sprache und Kultur vor dem Hintergrund der reformatorischen Bestrebungen immer auch ein Mittel des Kampfes der Lösung von Rom und ein Weg zu mehr nationaler Identität war. Ein katholischer Grammatikograph des Deutschen war also besonders dazu angehalten, sowohl bezüglich der Motive seines Projekts als auch bei dessen Adressatenausrichtung darauf zu achten, nicht in die Nähe der protestantischen Intentionen zu geraten, gerade wenn es beiden unter anderem um nationale Identität ging.

So kann meines Erachtens gerade auch in der Wahl der lateinischen Sprache, in der die “Teutsch Grammatick” größtenteils verfasst ist, eine Rechtfertigungsstrategie gesehen werden. Eine oft vertretene Meinung in der Forschungsliteratur, die die Entscheidung für das Lateinische als Beleg dafür nimmt, dass sich Albertus hauptsächlich an Ausländer und nicht an die Deutschen  [Seite 153↓]  richte, scheint mir über wesentliche Punkte seiner bereits dargelegten Argumentation hinwegzugehen. Richtig ist, dass Albertus dadurch, dass er lateinisch schreibt, seine Grammatik für den Ausländerunterricht empfiehlt und “den Nutzen seiner Grammatik illusorisch für alle [macht], die keine gelehrte Bildung hatten, insbesondere für die Schulknaben, die wenig dadurch gefördert worden wären, wenn man ihnen deutsche Grammatik in einer fremden Sprache vorgetragen hätte.”338

Jedoch ist ein Grund für die Sprachwahl wohl gerade darin zu sehen, dass sich seine Schrift eben nicht an Ungelehrte oder etwa Analphabeten richten will, wie dies etwa die “Teutsche Grammatica” von Valentin Ickelsamer im Kontext reformatorischer Bildungsbemühungen tut. Albertus bindet die Grammatikographie der deutschen Sprache bewusst in den Sektor der gelehrten Bildung ein – eine Voraussetzung für den Gebrauch seines Lehrwerks ist die Kenntnis der lateinischen Sprache. Damit macht er die Nutzung seiner Schrift an den durch die Reformation geförderten “teutschen” Schulen unmöglich. Jedoch kann sie den Schülern und insbesondere den Lehrern an den Lateinschulen durchaus als Hilfsmittel dienen.

Ein weiterer Grund für die Sprachwahl ist wohl darin zu sehen, dass Albertus mit seiner Entscheidung für die das gelehrte Bildungswesen dominierende Wissenschaftssprache Latein den hohen theoretischen Anspruch seines Textes und den der deutschen Grammatikographie unter Beweis stellen will. Damit untermauert er auch das oben angeführte Argument über die Möglichkeit der wissenschaftlichen Darstellbarkeit der deutschen Grammatik. Indem er in der etablierten Wissenschaftssprache schreibt, macht er seine “Teutsch Grammatick” und deren Inhalt zu einem Gegenstand, der die Grundbedingungen des gelehrten Bildungswesens erfüllt.339


 [Seite 154↓] 

4.2.5. Zusammenfassung

Das Grammatikverständnis und damit das Sprachbewusstsein des Laurentius Albertus ist entscheidend geprägt von seiner frühneuzeitlichen wissenschaftlichen Sprach- und Grammatikauffassung. Seine Beschäftigung mit der deutschen Grammatikschreibung vollzieht sich vor dem Hintergrund der Kenntnis und Anwendung der Wissensbestände der klassischen und humanistischen Grammatikographie. Erst in einer ihr entsprechenden Behandlung der deutschen Sprache ist für ihn die Aufwertung der Muttersprache gerechtfertigt. Die gelehrten Bildungs- und Erfahrungshintergründe bilden somit die dominante Grundlage des Grammatikverständnisses von Laurentius Albertus, sie bestimmen sein Sprechen über die Grammatik.

Dass er sich als katholischer Grammatikograph überhaupt mit der deutschen Sprache auseinander setzt, ist größtenteils den kulturpatriotischen Motiven seiner Spracharbeit zuzuschreiben, während die pragmatischen Motive meines Erachtens nur einen zusätzlichen Faktor seines muttersprachlichen Interesses ausmachen. Albertus verweist in seinen Vorreden wiederholt auf den Wert der deutschen Sprache, die sich sowohl durch ihr Alter und ihre damit zusammenhängende Reinheit als auch durch ihren Reichtum auszeichnet. Aus diesem Grund ist er überzeugt, dass eine wissenschaftlich orientierte grammatikographische Abhandlung des Deutschen nicht nur möglich, sondern auch sehr wichtig für das nationale Selbstbewusstsein ist.

Wie Valentin Ickelsamer vertritt er die Position, dass die Pflege der Muttersprache eine dringende und viel zu lang vernachlässigte Tätigkeit sei; die Art und Weise, wie beide Grammatikographen dieses Unternehmen angehen, ist jedoch sehr unterschiedlich. Während der Ansatz Valentin Ickelsamers darin besteht, die deutsche Grammatikschreibung bis zu einem gewissen Grad von der lateinischen Tradition abzugrenzen und sie in einem erst zu begründenden Deutschunterricht zu verorten, sieht Laurentius Albertus ihren Platz innerhalb der gelehrten und institutionalisierten Bildungstradition. Anders als Ickelsamer übt er keine Grammatikkritik, da er sich eben nicht von der lateinischen Grammatikographie abgrenzen will. Die außerhalb des wissenschaftlichen Diskurses stehenden deutschsprachigen Orthographielehren bezieht er in seine Überlegungen überhaupt nicht erst ein, da sie sowohl bezüglich ihrer Adressaten als auch ihres Anspruchs  [Seite 155↓]  deutlich von dem seiner Grammatikschrift abweichen. Er äußert dagegen in seinen Vorreden eine allgemein sprachkritische Position. Indem er die Vernachlässigung der deutschen Sprache tadelt und ihren Wert gegenüber den anderen Sprachen herausstellt, führt er einen Ansatzpunkt für seine grammatikographischen Bemühungen ein.

Während Valentin Ickelsamers Grammatikverständnis ein ambivalentes Verhältnis zu den traditionellen an den Lateinschulen und Universitäten vermittelten Wissensbeständen der Grammatik aufweist, lässt sich der analysierte Ausschnitt des Sprachbewusstseins von Laurentius Albertus als ein vollkommen auf diese wissenschaftliche Tradition orientiertes Grammatikverständnis beschreiben. Für sein kulturpatriotisch-humanistisches Selbstverständnis stellt die Auseinandersetzung mit der deutschen Grammatik nicht mehr eine vom institutionalisierten Wissenschaftsfeld der ars grammatica ausgeschlossene Beschäftigung dar, vielmehr geht es ihm um den Nachweis ihrer Zugehörigkeit zu diesem Bereich. Dies bindet ihn an die Paradigmen der traditionellen Grammatiktheorie und schränkt den Raum für innovative Elemente in seiner Grammatikabhandlung ein.

Der uneingeschränkt propagierte Bezug auf die gelehrte Tradition und das Verfassen seiner Schrift in lateinischer Sprache eröffnet ihm zudem die Möglichkeit, sich als katholischer Grammatikschreiber von der protestantischen muttersprachlichen Volksbildungsbewegung zu distanzieren. Sein Projekt ist primär für Adressaten interessant, die über ein Grundmaß an gelehrter (lateinischer) Bildung und damit über den nötigen Abstand von den religiös motivierten Alphabetisierungsprozessen verfügen. Durch die vorrangige Ausrichtung auf diese Adressaten unterstreicht er seine gerade für ihn als katholischen Grammatikschreiber wichtige Positionsbestimmung.


Fußnoten und Endnoten

137 Zitiert nach der von Johannes Müller transkribierten Ausgabe. Sämtliche nachfolgenden Quellenzitate beziehen sich auf diese Edition: Müller, Johannes: Quellenschriften und Geschichte des deutschsprachlichen Unterrichts bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts. Gotha 1882 [Reprographischer Nachdruck. Hildesheim, New York: Olms 1969], S. 120-159.– Blattangabe der Originalquelle und korrespondierende Seitenzahl bei Müller fortan in Klammern im Anschluss an die Zitate.

138 Die Frage nach dem Erscheinungsjahr der ersten Ausgabe ist seit langem Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion. Dabei schlossen sich die meisten Darstellungen an die Datierungsfestsetzung von Johannes Müller und F.L.K. Weigand an, die die Erstausgabe der “Teutschen Grammatica” um das Jahr 1534 vermuten. Michael Giesecke dagegen kommt nach einer Neusichtung der Forschungsliteratur und der Quellen zu dem Schluß, dass die erste Ausgabe bereits 1532 in Druck gegeben worden sei. Siehe Giesecke (1998), S.152ff. Dort findet sich auch eine genaue Auflistung der Ausgaben mit den jeweiligen Standortnachweisen.

139 Vgl. Rössing-Hager (1984), S. 534ff.; Rössing-Hager (2000), S. 779f. Eine zusammenfassende Darstellung der Wertungs- und Forschungsgeschichte des Ickelsamerschen Textes findet sich bei Giesecke (1998), S. 169f. (= Anmerkung 19) und bei Ludwig (2000), S. 23f.

140 Vgl. Ludwig (2000), S. 23f.

141 Eine Ausnahme bildet z.B. M. Giesecke (1998), der in seinem Ickelsamer-Kapitel vor allem die Beeinflussung der Leselehre durch Ickelsamers religiös-ideologische Ausrichtung darlegt. Siehe dort S. 140ff.

142 Vgl. Schulze (1997), S. 232f.

143 Eine bei Fechner (1882) abgedruckte Ausgabe enthält dagegen einen textinternen Hinweis, der darauf schließen lässt, dass sie in Augsburg verfasst worden ist. Siehe Pohl (1971), S. 15.

144 Vgl. Giesecke (1998), S. 152.

145 Diese werden hier durchaus als syntaktische Aussagen verstanden. In den Arbeiten der Sprachwissenschaftgeschichte wurde wiederholt hervorgehoben, dass der Bereich der Syntax sich erst sehr spät von den grammatikographischen Positionen der Lateingrammatiken löste. Da die lateinische Grammatik an den Wortarten orientiert war, blieb die Syntax im ersten Sinn eine “Wortartenverbindungslehre” (Hundt [2000], S. 350), unterteilt in Kongruenz- und Rektionsfragen und die Interpunktionslehre. Vgl. dazu auch Cherubim (1975), S. 116.

146 Siehe Rössing-Hager (1984), S. 534; Giesecke (1998), S. 161.

147 Siehe Giesecke (1998), S. 160.

148 Es sind nur wenige Quellen überliefert, die Aufschluss über die Daten und Zusammenhänge in Ickelsamers Leben geben. Michael Giesecke hat diese unter Rückgriff auf frühere biographische Abhandlungen gesammelt, ausgewertet und eine detaillierte biographische Darstellung erarbeitet. Vgl. Giesecke (1998), S. 143ff.

149 Zur Namensfrage und der damit zusammenhängenden möglichen Aussage über die Herkunft des Grammatikographen siehe Weigand, F.L.K.: Valentinus Ickelsamer. In: Fechner (1882), sowie Müller (1882), S. 396.

150 Siehe ebd., S. 397.

151 So wurde 1519 eine humanistische Studienreform an der Universität Erfurt vollzogen, und im Wintersemester 1520 nahm der Humanist Crotus Rubianus, einer der Verfasser der Dunkelmännerbriefe, die Rektorenstelle der Universität ein. Vgl. Stievermann (2001), S. 77f.

152 Siehe Giesecke (1998), S. 144.

153 Vgl. Goertz (1993), S. 7ff.

154 Giesecke (1998), S. 145.

155 Vgl. ebd.

156 Siehe Baumann (1878), S. 57ff. und S. 89ff.

157 Dieser hatte nach seiner Vertreibung aus Orlamünde in Rothenburg Zuflucht gesucht. Siehe Giesecke (1998), S. 146f.

158 

Ickelsamer, Valentin: Clag etlicher brüder: an alle christen von der grossen vngerechtickeyt

vnd Tirannei / so Endressen Bodensteyn von Carolstat yetzo vom Luther zů Wittenbergk geschicht. Rothenburg ob der Tauber 1525.

Aus dieser Schrift geht auch hervor, mit welchen Schriften Luthers sich Ickelsamer in Wittenberg beschäftigt hat. Ebenso bekennt er in seiner Anklage gegen Luther, dass er Melanchthon und Bugenhagen (Pomeranum) in theologischen Fragen mehr schätzt als diesen: “dann diße zwen hab ich alwegen für trewer angesehen dann dich“. S. 49.

159 Ickelsamer (1525), S. 46.

160 Ebd. S. 43.

161 Giesecke (1998), S. 149.

162 In dieser Zeit kam es auch zu einem Ausgleich mit Luther, der über den Erfurter Geistlichen Justus Menius vermittelt wurde. Siehe Giesecke (1998), S. 150.

163 Vgl. ebd. S. 151.

164 Ebd. S. 162f.

165 Ebd. S. 163.

166 Vgl. Müller (1882), S. 403 und Giesecke (1998), S. 161f.

167 Neben seiner Leselehre und der TG sind vier religiöse Schriften Ickelsamers nachweisbar. Ein Gesamtverzeichnis der Druckschriften Valentin Ickelsamers mit Angabe der Standorte findet sich bei Giesecke (1998), S. 337ff.

168 Zu den Sprachauffassungen von Karlstadt und Schwenckfeldt siehe Noll (1935), S. 26–38. Diese werden hier besonders im Vergleich zu den sprachtheoretischen Positionen Luthers gesetzt.

169 Siehe S. 60f. dieser Dissertation.

170 Puff (1995), S. 104.

171 Auf eine weiterreichende Analyse des Titels soll hier verzichtet werden, da alle im Untertitel aufgezählten Inhaltsangaben in der Vorrede bzw. im Darstellungsteil erneut wieder aufgegriffen werden. Zudem erscheint es unter dem Blickwinkel der frühneuhochdeutschen Buchdruckpraxis zweifelhaft, ob der Untertitel von Ickelsamer gesetzt wurde oder von seinem Verleger und Drucker.

172 Siehe DWb (1984), Sp. 1523ff.

173 Zum Aufbau des elementaren Grammatikunterrichts an den Lateinschulen in der Frühen Neuzeit siehe Puff, S. 72ff. Vgl. auch Schindel (1983), S. 436. Ebenso belegt eine Fibel aus dem Jahr 1487 einen ähnlichen Unterrichtsaufbau (vom ABC über Silbenübungen hin zu Lesetexten) für den deutschsprachigen Lese- und Schreibunterricht, wobei es hier eher um die Vermittlung von praxisorientierten Kulturtechniken ging, denn um die Vorbereitung für den Aufstieg in höhere Bildungsweihen. Siehe Kiepe (1983), S. 461.

174 Vgl. Huber (1984), S. 269f. sowie Jellinek (1914; 2. Bd.), S. 1ff.

175 Ickelsamer verwendet Etymologie nicht im damaligen grammatikograhischen Sinn als Terminus für die morphologische Beschäftigung mit den 8 Redeteilen, sondern eher als religiös orientierte Bedeutungsauslegung.

176 Ickelsamers “Rechte weis”, die er an keiner Stelle als “Grammatica”bezeichnet, enthält z.B. bloß Erklärungen der Laute, ihrer Erzeugung, Erklärung der Silben sowie dt. und lat. Abkürzungen. Des Weiteren findet sich ein Leseübungsteil mit den 10 Geboten, verschiedenen Gebeten und einzelne Wortübungen, Namen, Zahlen und ein katechetisches Gespräch zweier Mädchen über die Erbsünde und die richtige christliche Erziehung. Siehe Pohl (1971).

177 Ising (1970), S. 15.

178 Hier ist anzumerken, dass die Lehre von den acht Redeteilen seit Dionysios Thrax zu einem Gemeinplatz der antiken und spätantiken Schulgrammatik geworden war, der über die Schriften Priscians und Donats in die folgenden Jahrhunderte fortwirkte. Das Problem der Frage nach der Reihenfolge der Redeteile und der Unterscheidung der Nomen blieb jedoch stets virulent. Vgl. HWdRh (1992ff.), Bd. 3, S. 1035.

179 Vgl. Rössing-Hager (1984), S. 537.

180 Siehe Huber (1987), S. 270.

181 DWb (1984), Spalte 844f.

182 DWb (1984), Spalte 845.

183 Adelung (1811), Spalte 834. “Grund” wird hier gleich gesetzt mit “Fundament”.

184 Dieses “rechte”deutet wiederum auf das lateinische recte hin, das in einer weit verbreiteten Grammatikdefinition vorkommt (siehe dazu Kapitel 4.1.4.2.). Daneben begegnet uns das Adjektiv auch in den Schriften des Schwärmers Kaspar von Schwenckfeldt, dem Ickelsamer ideell und persönlich sehr nahe stand, interessanterweise ebenso in der Verbindung mit “gründtlich”.

185 Auch in einer weiteren Passage seiner Vorrede greift Ickelsamer diese Argumentation wieder auf, was die Wichtigkeit der Aussage als Kernpunkt seines Grammatikverständnisses noch unterstreicht: “In summa / der ain rechten gründtlichen verstand hat der oftgedachten acht rede tayl mit jren accidentijs / vnnd waißt darnach Teütscher sprach art an den wörtern vnd gantzen reden / der würdt ain nützliche Grammatica können geben / vnd sunst kainer / wann er gleich der beste Grammaticus auff erden wär.” (Bl. A iijb; S. 122).

186 Zu den Verwendungsaspekten von Grammatik siehe Kapitel 3.1.

187 Quintilian (1995), S. 47.

188 Siehe dazu auch Müller (1882), S. 12113.

189 Melanchthon (1526), Sp. 245.

190 Siehe dazu Kapitel 4.2.4.1. dieser Dissertation. Laurentius Albertus nutzt in seiner “Teutsch Grammatick” von 1573 diese Definition als indirektes Zitat. Siehe Albertus (1573), Bl. A. Auch für Johannes Clajus gilt der gleiche Befund. Siehe Clajus (1578), S. 10.

191 Vgl. Puff (1995), S. 121f.

192 Ebd., S. 121.

193 Ebd.

194 Dagegen erklärt noch bis zum Ende des 15. Jahrhunderts das Glossarium -Esse essentia. : “Grammatica kunst der latein [...] und Grammaticus ist ein latein sprecher.” Grubmüller (1983), S. 391.

195 Zur Tradition der zweisprachigen handschriftlichen Donatbearbeitungen und der späteren zweisprachigen Inkunabeln siehe Ising (1970), S. 31ff.

196 “Welcher aber ain lateinische Grammatica schlecht teütschen will / was sy im latein gibt / des Gramatica würdt den teütschen seltzamer vnd vnbekandter sein / dan ain Lateinische / oder villeicht ain Chalecutische.“ (Bl. A iijb, S. 121f.) Auch an dieser Stelle der Vorrede wird die Kritik an einer reinen, unreflektierten Übertragung der lateinischen Grammatik auf die deutsche Sprache in allgemeinerer Form wieder aufgegriffen. Vgl. dazu auch Rössing-Hager (1984), S. 536f.

197 Donhauser (1989), S. 31.

198 Zur Terminologie der TG siehe Kapitel 4.1.4.5. dieser Arbeit.

199 Monika Rössing-Hager hat in ihrem Artikel zur TG detailliert diese Exemplifizierung untersucht und gezeigt, dass Ickelsamers Grammatikverständnis entscheidend von den Prinzipien der Rhetorik beeinflusst ist. Siehe Rössing-Hager (1984), S. 537ff. Siehe dazu auch Kapitel 4.1.4.6. dieser Arbeit.

200 Vgl. Ludwig (2000), S. 26f. Hier findet sich auch eine ausführliche Besprechung der Ickelsamerschen Gestaltungselemente eines deutschen Unterrichts.

201 Ludwig (2000), S. 26.

202 Damit nimmt Ickelsamer ein Argument vorweg, das erst im Zusammenhang der Pädagogikansätze Comenius´und Ratkes zu Beginn des 17. Jahrhunderts vollends zum Tragen kommt. Mit dem allgemeinen Eingeständnis des Scheiterns des bisherigen Lateinunterrichts ist folgende Einsicht verbunden: “Den Schülern sei nur dann effektiv eine fremde Sprache beizubringen, wenn die Grundlagen in der den Schülern vertrauten Muttersprache gelegt würden. Der Unterricht müsse, um Erfolg zu haben, an Bekanntem anknüpfen.” Puff (1995), S. 318. Diese Überlegungen stehen aber – anders als bei Ickelsamer – stärker im Rahmen einer neuzubegründenden Fremdsprachendidaktik als in einer vor allem auf die Muttersprache abzielenden Betrachtung.

203 Tatsächlich diente die Muttersprache an den lateinischen Schulen oft bloß zu Veranschaulichungszwecken lateinischer Grammatikfragen. Zur Entwicklung der Rolle der Muttersprache im Lateinunterricht vgl. Puff (1995), S. 194ff.

204 “Was Ickelsamer über seine Zeit hinaus auszeichnet, ist die Tatsache, daß er als erster einen Entwurf des Deutschunterrichts vorgelegt hat, der zu seiner Zeit nur programmatischen Charakter hatte, verglichen aber mit dem, was aus dem Deutschunterricht im Verlauf mehrerer Jahrhunderte geworden ist, erstaunlich realistische Züge aufweist. Der Deutschunterricht ist – nach den hier vorgenommenen Rekonstruktionen – in seinen Grundzügen von Valentin Ickelsamer entworfen worden.” Ludwig (2000), S. 39.

205 Rössing-Hager (1984), S. 535.

206 So z.B. bei Gardt (1999), S. 56: “Denn weit mehr als eine eigentliche Grammatik ist Ickelsamers Buch eine Leselehre, und die vergleichsweise ausführliche Behandlung von Phänomenen der Orthographie und der Lautlehre steht im Dienst eben dieses didaktischen Vorhabens.”

207 Siehe Rössing-Hager (1984), S. 543ff.; Giesecke (1998), S. 134ff.

208 Ebd., S. 546.

209 So z.B. auf Martianus Capella. Siehe Pohl (1971), S. 6ff. Eine genaue Auseinandersetzung mit der Ickelsamerschen Vorgehensweise zur Lautbeschreibung findet sich bei Vogel (1894), S. 36ff.

210 “Das / e / auch mit dem athem vnd nider getruckter zungen. Disen laut geben die Gayß vnd Schaff in jrem geschray.” (Bl. A7b, S. 125)

211 So bemerkt Ickelsamer: “Hie laß sich niemandts solche mein ordnung vnd tailung der Bůchstaben irrmachen / Ich waiß wol wie man sy nach der Grammatica taylt / solchs ist vns hie nitt not zů wissen / Aber den lesen lernenden ist seer nutz aufs ainfeltigst zů wissen dise drey ordnung der Bůchstaben / als naemlich der laut=bůchstaben / dauon yetz gesagt / darnach von disen mitstymmern / die man den=nocht auch hoeren kan / aber nit so deütlich wie dielautbůchstaben / die aber so inn der dritten ordnung kommen werden / die kan man allain nitt hoeren noch nennen / vnnd die sein schwaer.” (Bl. B 1b, S. 127) Ickelsamer ordnet im Folgenden auch g und c unter die “mitlautenden Bůchstaben, während sie in der lateinischen Grammatik zu den Mutae gezählt werden. Vgl. Pohl (1971), S. 7, Anmerkung 16.

212 Ludwig (2000), S. 27.

213 “Item die Francken vnd Schwaben haben ain vnteütsch wort / damit sy etwas leügnen vnd nayn woellen sagen / das haißt naencke / da sein das / n / vnd / k / nicht die rechten bůchstaben / vnd kan auch dises wort / wie es genennet / mit den bůchstaben vnsers A be cees nit erraychet noch geschriben werden / sonder ain frembder vnd newer bůchstab würdt da an stat des / k / gehrt / auß der Gurgel getruckt / wie die krancken aegzen oder kreisten.” (Bl. C iiijb; S. 139f.) Vgl. dazu auch Ludwig (2000), S. 28.

214 Die Negativbeispiele, die er anführt (“vnnd” statt “vnd”, “inn” statt “in”) finden sich, was der damaligen Editions- und Druckpraxis anzulasten ist, auch besonders häufig in der “Teutschen Grammatica”.

215 Dennoch greift er in einem der letzten Kapitel der TG diese Thematik wieder auf und geht nochmals detailliert auf einige aktuelle Rechtschreibprobleme ein. Siehe Bl. E 1a; S. 153ff.

216 Bl. C 8a; S. 143.

217 Etymologia wird im traditionellen grammatikographischen Kontext verstanden als Wortartenlehre.

218 Vgl. dazu die Anmerkungen bei Müller (1882), S. 147ff.

219 Bl. D iiija; S. 148.

220 Bl. D iiija; S. 149.

221 Rössing-Hager (1984), S. 548.

222 “Die Relation zwischen Wörtern und Dingen ist [bei Ickelsamer – Anm. d. Verf.] die einer klassischen Sachsemantik: Die Wörter verweisen auf die Dinge, so daß man über die Kenntnis der Wörter einen intellektuellen Zugriff auf die Dinge hat.” Gardt (1999), S. 58.

223 Siehe Rössing-Hager (1984), S. 549.

224 Bl. E vb; S. 157ff.

225 Rössing-Hager (1984), S. 543.

226 Vgl. ebd. S. 551.

227 “So fragmentarisch Ickelsamers Äußerungen im einzelnen erscheinen: Bemerkenswert ist die Souveränität, mit der er seine Auffassungen vorträgt. Sie ist ein Zeichen für den hohen Reflexionsstand, den er besaß.” Ebd., S. 552.

228 Vgl. Ising (1970), S. 16.

229 Zu den unterschiedlichen Definitionsansätzen und deren historischer Entwicklung von der Antike bis zum Humanismus siehe Cherubim (1975), S. 117ff.

230 Siehe Jellinek (1914), S. 79ff.

231 “Neben der bereits erwähnten Donattradition sind es vor allem die bedeutenden humanistischen Lateingrammatiken, wie z.B. die Grammatica Latina des Ph. Melanchthon, die einen starken Einfluß auf die Entwicklung der deutschen Grammatik ausüben.” Cherubim (1975) S. 147.

232 “Das Beispiel hat nicht nur verdeutlichende Funktion, sondern repräsentiert regelhaften Sprachgebrauch, der vom Sprachbenutzer analog in vergleichbaren Situationen angewendet werden kann, bzw., sofern es sich um ein »falsch« deklariertes Beispiel handelt, gemieden werden muss. Die Funktion des Beispiels als integrierender Bestandteil grammatischer Beschreibung nimmt in den folgenden Jahrhunderten nur langsam ab. Sie tritt bevorzugt in Verbindung mit grammatikalischen Sachverhalten auf, die noch kein geläufiger Gegenstand der Grammatikographie sind.”Rössing-Hager (1984), S. 538.

233 Gerade auch die “Institutio oratoria” Quintilians, auf die Ickelsamer oft Bezug nimmt, zeichnet sich durch ihre anschaulichen Vergleiche und Beispiele aus und versichert sich stets des Verständnisses der Rezipienten. Vgl. Rahn, Bd. 2, S. 834f.

234 Als Beispiel für den Umgang Ickelsamers mit der lateinisch-griechischen Terminologie sei auf die Ausführungen Monika Rössing-Hagers zu den syntaktischen Bemerkungen der TG hingewiesen Siehe Rössing-Hager (1984), S. 540f.

235 Siehe dazu auch die Darstellung von Ickelsamers lesedidaktischer Position auf S. 107f. dieser Arbeit.

236 Vgl. Rössing-Hager (1984), S. 537.

237 “Zu den – vom heutigen Standpunkt aus geradezu paradox erscheinenden – Folgen der neuen glänzenden Lateinkultur gehört es, daß im Sprachbewußtsein der Humanisten das Deutsche einerseits vollends und erklärtermaßen zur Vulgärsprache herabsinkt. Andererseits wurde das Deutsche trotz solcher Sprachressentiments im 15./16. Jahrhundert dennoch zugleich neu wahrgenommen, neu bewertet und betrachtet, schließlich zu einer im gelehrten Universumetablierten epistemologischen Größe, auf die sich auch das wissenschaftliche Interesse richtete.“ Knape (2000), S. 104.

238 Vgl. dazu die Anmerkungen in Müller (1882), S. 147ff. Ickelsamer verweist zu Beginn des Kapitels auch auf die kabbalistischen Bemühungen der Juden, das “vnter den Bůchstaben” (Bl. D iija ; S. 147) verborgene Geheimnis zu erkunden. Zur christlichen Rezeption der jüdischen Kabbalistik durch Pico della Mirandola und seine Nachfolger (z.B. Reuchlin) und deren Auswirkung auch auf Ickelsamer siehe Klein (1992), S. 80ff.

239 Vgl. Knape (2000), S. 116ff.

240 Müller (1882), S. 299.

241 Zu den angeführten Autoritäten gehören Aristoteles, Aulus Gellius, Beatus Rhenanus, Cicero, Erasmus, Fabius, Plinius, Priscian, Quintilian und Tertullian. Vgl. auch Pohl (1970), S. 5ff.

242 “Seine Bindung an Quintilian ist sehr viel enger und weitergehend, als die Stellen mit explizitem Verweis auf ihn zeigen. Der Bezug erfolgt durchaus kreativ, nicht in unreflektierter Abhängigkeit.” Rössing-Hager (1984), S. 552.

243 Ebd.

244 “Quintilian war Luthers wichtigster antiker Lehrmeister, er preist ihn als einzigartigen Rhetor und Pädagogen, sorgte dafür, daß er im Lehrprogramm der Wittenberger Universität seinen festen Platz erhielt, und war sich mit Melanchthon in dieser Hochschätzung vollkommen einig. Auch dies übrigens in humanistischer Gemeinsamkeit. Im Jahre 1416 erst war in St. Gallen eine Handschrift der >Institutio oratoria< aufgefunden und damit Quintilian wiederentdeckt worden; es ist dann zu einem Hauptbuch der Epoche geworden, dessen Wirkung im gesamten europäischen Bildungssystem bis ins 18., 19. Jahrhundert hinein anhielt.“ Ueding (1994), S. 81. Bezeichnenderweise hat Ickelsamer nach dem Sommersemester 1520 für einige Zeit in Wittenberg studiert. Somit könnte er hier, wenn nicht schon zuvor in Erfurt, die “Institutio oratoria” kennengelernt haben.

245 Siehe Ueding (1994), S. 221ff.

246 Siehe Rössing-Hager (1984), S. 537ff.

247 Vgl. DWb (1984), Sp. 2666ff. So wurde Rhetorik in dieser Zeit gemeinhin als Redekunst übersetzt und Theologie als Gotteskunst, während Grammatik erst in der Folgezeit zunehmend als Sprachkunst bezeichnet wurde. So trägt z.B. die Grammatik von Laurentius Albertus aus dem Jahr 1573 den Titel “Teutsch Grammatick oder Sprach-Kunst”.

248 Dieses Herausstellen der Fähigeiten der eigenen Muttersprache stellt ein gemeinsames Argument frühneuzeitlicher Grammatikschreibung dar. Es findet sich bereits im Italien des 14. Jahrhunderts bei Dante und wird immer dann ins Feld geführt, wenn es gilt, der Nationalsprache einen ihr angemessenen Rang zuzusprechen. In diesem Zusammenhang ist es besonders der Verweis auf die nationale Geschichte in Form der “alten Wörter”, der sich als konstitutives Element des Nachweises der Ehrwürdigkeit der Nationalsprache erweist. Vgl. HWdRh (1992ff.), S. 1078f.

249 Giesecke (1998), S. 145.

250 Wels (2003), S. 548.

251 Siehe z.B. die Kapitel dieser Dissertation zur grammatikographischen Abhandlung und zur Terminologie der TG.

252 Auch Karlstadts Kritik an den Hohen Schulen beinhaltete den Vorwurf, dass dort die Bildungsgüter nicht allein zur Ehre Gottes vermittelt würden. Vgl. Noll (1935), S. 32.

253 Das Adjektiv eigentlich wird in der Folgezeit zu einem der zentralen Worte in den barocken Texten der Sprachgesellschaften des 17. Jahrhunderts. Dabei steht es oft in Verbindung mit Substantiven wie Grund und Natur, woraus ersichtlich wird, dass dieses Adjektiv auf eine sprachliche Ebene abzielt, die einen ursprünglichen Zustand der Sprache kennzeichnet, der die Grundrichtigkeit der Schöpfung in sich trägt. Vgl. Gardt (1994), S. 132ff.

254 DWb (1984), Bd. 6, Sp. 6167ff.

255 Siehe DWb (1984), Bd. 6, Sp. 6162.

256 Noll (1935), S. 58.

257 Rädle (1989), S. 228.

258 Noll (1935), S. 54. Vgl. dazu auch Ickelsamers Positionen in seiner Flugschrift “Clag etlicher brüder”, auf die im Kapitel 4.1.3. hingewiesen worden ist.

259 “Während Luther selber noch die Bedeutung der (heiligen) Sprachen, und damit das Sprachenstudium, für den Christen hervorgehoben hatte und insofern mit dem Humanismus in Verbindung stehen konnte, bestritten die Spiritualisten seine Meinung, dass sich der Heilige Geistin natürlichen Sprachen verkörpern könne.” Klein (1992), S. 162.

260 “Wissenschaftlich interpretiert besteht das Ziel dieser Strategien darin, das Bemühen um ein Verständnis der Heiligen Schrift aus dem Gegenstandsbereich der (akademisch-universitären) Philologie zu entrücken. Wer versucht, eine Bibelstelle durch eine andere zu erklären oder den Sinn eines Worts durch Bezug auf den Kontext philologisch-rational zu durchschauen, verbleibt ja immer im Kreatürlichen und Zeitlichen, während sich die christliche Wahrheit allein im Spirituellen und Ewigen erweist” Ebd., S. 170f.

261 Ickelsamer geht zwar nicht auf das Studium der Heiligen Schrift ein, er verweist aber auf die Wichtigkeit der etymologischen Beschäftigung mit der Muttersprache, da ein bewussterer Sprachgebrauch Grundlage für ein besseres christliches Leben sei.

262 Bl. A iiija ; S. 123.

263 “[...] als in disem wort / Hans / da sein vier verenderung / das sein vier bůchstaben. Zum ersten hört vnd vernymbt man ainen starcken athem / wie man inn die hende haucht / das ist das / h das haucht man auff den laut / a / nach dem laut / a / ainen klang durch die nasen / vnnd zum letzten wirdt gehört ain junge tauben oder schlangen sibilen /“ (Bl. B vb ; S. 132)

264 Die Lautiermethode ist auch von rein pragmatischen Überzeugungen beeinflusst, die sich aus Ickelsamers Erfahrungen beim Unterrichten ergaben. Siehe dazu Rössing-Hager (1984), S. 543ff.

265 Zur Wertschätzung Melanchthons durch Ickelsamer siehe Fußnote 150.

266 Scheible (1989), S. 233.

267 Ebd. S. 240.

268 Ebd. S. 241.

269 Giesecke (1998), S. 149.

270 Siehe Klein (1992), S. 172f.

271 Bl. A iiijb; S. 123.

272 Vgl. dazu Rössing-Hager (1984), S. 544ff.

273 Vgl. Rössing-Hager (1984), S. 550.

274 Vgl. Noll (1935)

275 Die Aussage über die Rückkehr zum “vrsprung” im baldigen “ende” versteht sich im Kontext von Ickelsamers religiösen Überzeugungen. “In den Jahren um 1500 wurde die Erwartung eines baldigen Anbruchs des >Reiches Gottes auf Erden<, also der Wiederherstellung der durch den Sündenfall zerbrochenen Einheit Gottes mit den Menschen, zu einer weit verbreiteten Erscheinung.” Giesecke (1998), S. 141.

276 Seine Auffassung von der göttlichen Berufung zu seinem Amt orientiert sich an den theologischen Positionen Karlstadts, in denen “das Predigtamt und überhaupt alle erzieherische Tätigkeit [...] ´von einer besonderen inneren Erweckung und Berufung durch Gott abhängig gemacht´ [wird].” Ebd. S. 144.

277 Eine Leselehre aus dem Jahr 1542, die “Leeßkonst”des Ortholph Fuchsperger, weist viele Parallelen zu Ickelsamers Motivargumentation in der “Teutschen Grammatica” auf. In ihrer Ausführung stärker formal auf den Unterricht ausgerichtet, nutzt der Autor ähnliche religiöse Argumente wie Ickelsamer. Müller vermutet, dass Fuchsperger die “Teutsche Grammatica” rezipiert hat, was, obwohl ein direkter Verweis auf Ickelsamer fehlt, aufgrund der Vielzahl von argumentativen Überschneidungen mehr als wahrscheinlich ist. Zudem nennt Fuchsperger in der Vorrede zu seiner “Deutschen Dialektik” Ickelsamer als ersten und einzigen Autor einer “teutschen Grammatica”. Inwieweit er sich dabei aber auf Ickelsamers “Rechte weis” bezieht (vgl. Müller, S. 13176; S. 405; S. 410f.) oder auf die erste Ausgabe der “Teutschen Grammatica” (siehe Giesecke, S. 153f.) ist hier nicht zu klären. Bezeichnenderweise ist Fuchsperger eben in seiner Hinwendung zu reformatorischem Gedankengut gerade auch mit den Schwenckfeldtianern in Kontakt getreten.

278 Vgl. Knape (2000), S. 121.

279 Das Kapitel zur Etymologie ist in der Forschung immer wieder als der Teil von Ickelsamers TG bewertet worden, der am deutlichsten seinen religiösen Ambitionen Rechnung trägt. Vgl. z.B. Gardt (1999), S. 58f. und Rössing-Hager (1984), S. 548ff.

280 Rössing-Hager (1984), S. 551.

281 Donhauser (1989), S. 33.

282 Ebd.

283 Donhauser (1989), S. 33.

284 Es ist zu anzunehmen, dass die weitreichenden programmatischen Forderungen in der Vorrede gerade auch die Neuheit und Wichtigkeit seiner Publikation anzeigen sollten.

285 Vgl. Jellinek (1913), S. 74.

286 Ebd. S. 67.

287 McLelland (2001), S. 34.

288 Mit der Editionseinleitung von Carl Müller-Fraureuth aus dem Jahr 1895 liegt uns meines Wissens die bisher einzige umfangreiche Einzelanalyse dieser Grammatikschrift vor, die jedoch kaum auf die Vorreden von Albertus eingeht.

289 Gardt (1999), S. 61.

290 Eine Ausnahme bildet der schon vorgestellte Artikel von McLelland, der unter Nutzung des theoretischen Zugriffs des Skandinavisten Andrew Linn besonders auf die Eigenständigkeiten der einzelnen Autoren ausgerichtet ist und versucht, Grammatikschreibung in einer Zeit, in der einer grammatikographischen Betrachtung noch keine standardisierte Sprache als Untersuchungsgegenstand zur Verfügung stand, als kreativen Prozess darzustellen.

291 Eine ausführliche Analyse der Albertus-Grammatik und seines Grammatikverständnisses soll Gegenstand einer an die Dissertation anschließenden Publikation sein.

292 Auch auf die Ausführungen Albertus´ zur Syntax trifft aufgrund ihrer Beschränkung auf Kongruenz- und Rektionsfragen die Bezeichnung der frühneuzeitlichen Syntax als “Wortartenverbindungslehre” (Hundt [2000], S. 350) zu.

293 Im Folgenden beziehe ich mich auf die biographischen Angaben bei Jellinek (1913), S. 64; Bucher (1955), S. 242ff. und Moulin-Fankhänel (1994), S. 39.

294 Moulin-Fankhänel (1994), S. 39.

295 Als solcher war er als Würdenträger des Domkapitels mit der Aufsicht über die Domschule betraut.

296 Siehe Bucher (1955), S. 246.

297 Ebd., S. 249.

298 Er musste dafür, da er mit einer katholischen Witwe verheiratet gewesen war, eine päpstliche Dispens erwirken. Siehe Jellinek (1913), S. 64.

299 Vgl. DWb (1984), Sp. 2666ff.

300 Zitiert nach der Ausgabe von 1573 aus dem Bestand der Forschungsbibliothek Gotha. Sämtliche nachfolgenden Quellenzitate beziehen sich auf diese Edition. Blattangabe der Originalquelle und korrespondierende Seitenzahl in der transkribierten Edition von Carl Müller-Fraureuth aus dem Jahr 1895 fortan in Klammern im Anschluss an die Zitate.

301 Melanchthon (1526), Spalte 245.

302 “Partes grammaticae, velut in omnibus linguis, ita etiam in nostra qua-tuor sunt: Orthographia, Prosodia, Etymologia et Syntaxis.” (Bl. A3, S. 22)

303 Siehe Puff (1995), S. 13ff.

304 “oratoris futuri fundamenta fideliter iecit” Quintilian, Institutio oratoria, S. 47.

305 “So wie die Rhetorik von der lateinischen Sprache die Tugenden der Angemessenheit (aptum), der Korrektheit (latinitas, puritas), der Verständlichkeit (perspicuitas) und des besonderen Schmuckes (ornatus) verlangt, muß auch die deutsche Sprache allen diesen Ansprüchen genügen.” Ueding (1994), S. 99.

306 Siehe dazu Kapitel 4.2.4.3. dieser Arbeit.

307 “Der neue nationale Gedanke, der sich an die Antiquitates knüpft, kreist um Fragen der ethnischen Ursprünglichkeit [...], Geschlossenheit [...], kulturellen Eigenwertigkeit, Eigenständigkeit und Hochkulturalität sowie der politischen Freiheit Deutschlands [...]. Die Nationalsprache wird in diesem Zusammenhang zu einem wichtigen Identitätskern.” Knape (2000), S. 118f. McLelland verweist auf ähnliche Argumente z.B. bei Bibliander. “Albertus thus seems to align himself with a growing conviction amongst German language experts. It is significant, however, that he shares the feeling that German must be shown to be the equalof other languages not just in grammar, but also in its richness in other regards.”McLelland (2001), S. 14.

308 Vgl. Roelcke (2000), S. 152f.

309 Ebd. “Der Wert einer Sprache ergibt sich nach barocker Vorstellung aus deren sog. >Grundrichtigkeit<, der Abgeschlossenheit und Ausgewogenheit des sprachlichen Systems.”

310 “Je älter eine Sprache ist, desto näher steht sie dem Beginn der christlichen Menschheitsgeschichte und zeigt somit eine tendenziell genaue Entsprechung zu Gottes Wort und damit zu unmittelbarer, >eigentlicher< Welterkenntnis. Jüngere Sprachen hingegen verdanken ihre Entstehung verschiedenartigen Veränderungen dieses sprachlichen Urzustandes und entfernen sich somit zunehmend von Gottes Wort und der ihm entsprechenden Welterkenntnis.“ Ebd., S. 155.

311 “Quod enim Latini sæpe faciunt, qui Græca pleraque suo immiscent idiomati, hoc idem Germanis contingit, qui adeo non exco=lunt aut absoluunt suam linguam, ut cum in quotidianis tum grauibus rebus á Græcis, Latinis, Gallicis, & pluribus alijs linguis abstinere nullo modo possint.” (Bl. a 5b ; S. 15)

312 Roelcke (2000), S. 152.

313 “We have also seen that Albertus generally remains closer to the pattern of Latin (and hence ideal) grammar in his account of German. Where he does diverge from it, as with the single conjugation of the verbs, he feels it necessary to defend this difference and to portray it positively.” McLelland (2001),S. 23.

314 “Eine rein mechanische Nachahmung Melanchthons oder der alten Grammatik überhaupt ist nur an wenigen Stellen vorhanden, manche wörtliche Übereinstimmung mag auf gedächntnismässiger Aneignung bestehen.”Müller-Fraureuth (1895), S. III.

315 Bl. a 7 ; S. 17.

316 “ex cognatione linguarum Germanicæ, Latinæ, Græcæ, & Hebrææ” (Bl. a 5b– a 6 ; S. 15)

317 Siehe dazu auch meine Ausführungen im Kapitel zu den sprach- und erkenntnistheoretischen Grundlagen des Ickelsamerschen Grammatikverständnisses.

318 Jahreiss (1990), S. 63. In dieser Funktion ist die deutsche Sprache auch in der “Ratio Studiorum”, der Studienordnung der Gesellschaft Jesu vermerkt. In den höheren Klassen wurde allerdings Latein als Unterrichtssprache vorgeschreiben. Siehe ebd.

319 Vgl. ebd.

320 

“Si pueri et iuuenes Germana ab origine nati, atque illi pectus qui puerile docent, in nostram studeant peregrinas uertere linguas, quælibet et sens

u uerba notare suo,” (Bl. a 7 ; S. 17).

321 So schreibt zum Beispiel Andreas Gardt, indem er die Grammatiken von Albertus, Ölinger und Clajus zu einer Gruppe zusammenfasst: “Im Gegensatz zu den deutsch verfaßten Darstellungen sind die lateinsprachigen Grammatiken des Deutschen vorwiegend für den Ausländerunterricht gedacht.” Gardt (1999), S. 61. Auch Max Hermann Jellinek nennt trotz des Hinweises auf die Vielfältigkeit der Motive und die starken theoretischen Interessen bei Albertus die Ausrichtung auf die Ausländer als Hauptmotiv. Vgl. Jellinek (1913), S. 62.

322 Nicola McLelland hat auf die immense Wichtigkeit des kulturpatriotischen Motivs für seine Grammatikkonzeption hingewiesen und sieht darin den entscheidenden Grund für die Unterschiede zwischen der grammatikographischen Darstellung bei Albertus und bei Ölinger, dessen Grammatikprojekt mehr von praktischen Überlegungen geleitet ist. Vgl. McLelland (2001), S. 12ff.

323 So zum Beispiel in seinen Ausführungen zur Wortbildung.

324 Auch hier bezieht er sich auf die Ausländer, er führt diese aber als Vertreter der Frage an, wo und in welchem Maß denn die Deutschen ihre Sprache pflegen, um von dort auf die Verdienste seines Gönners überzuleiten und sein eigenes Projekt zu propagieren.

325 Bl. a 6 ; S. 15.

326 Siehe S. 110 dieser Dissertation.

327 Knape (2000), S. 129.

328 Vgl. dazu Jellinek (1913), S. 71.

329 Bl. a 5 ; S. 14.

330 Bl. a 5b ; S. 14.

331 Gardt (1999), S. 82.

332 Jellinek (1913), S. 72.

333 Ebd.

334 Donhauser (1989), S. 33.

335 Siehe Schreiner (1984b), S. 306.

336 Zu den ausgesprägten insbesondere auch auf die Muttersprache bezogenen humanistischen Interessen von Knöringens siehe Bucher (1955), S. 248ff.

337 So blieb auch bei den Jesuiten trotz aller positiver Tendenzen der Gebrauch der Muttersprache bloß ein Hilfsmittel für den Unterricht in den klassischen Sprachen. Eine eigenständige Auseinandersetzung mit dem Deutschen setzte sich im katholischen Bildungswesen erst im 18. Jahrhundert durch. “Auch wenn die deutsche Sprache aufgrund der Studienordnung der Gesellschaft Jesu im Unterricht nur einen geringen Stellenwert hatte, wurde ihre Bedeutung in den Jesuitenkollegien immer wieder herausgestellt. So hatte schon um das Jahr 1566 Hieronymus Natalis im Kölner Jesuitenkolleg seinen Mitbrüdern empfohlen, die deutsche Sprache fleißig zu üben, eine Methode der möglichst leichten Erlernung zu finden und Lehrer und Schüler dieses Faches zu sammeln. Allerdings wurde der Unterricht in deutscher Sprache erst im Jahr 1752 in der Kölner Jesuitenschule eingeführt.” Jahreiss (1990), S. 63.

338 Jellinek (1913), S. 62.

339 “Übersetzungen, gleichgültig ob es sich um religiöse oder profane Texte handelte, bedurften der Rechtfertigung. Nur das Latein zählte zu den >drei heiligen Sprachen< (tres sacrae linguae), in denen sich Gott offenbart hatte. Nur dem Latein traute man zu, Erkenntnisse und Sachverhalte weltlicher Wissenschaft unverfälscht wiederzugeben.” Schreiner (1984b), S. 304.



© Die inhaltliche Zusammenstellung und Aufmachung dieser Publikation sowie die elektronische Verarbeitung sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung. Das gilt insbesondere für die Vervielfältigung, die Bearbeitung und Einspeicherung und Verarbeitung in elektronische Systeme.
DiML DTD Version 3.0 HTML-Version erstellt am:
23.05.2006