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2.  Theoretische Grundlegung

Am Anfang dieser Studie steht die Beschäftigung mit dem Sprachbewusstseinsbegriff und der Versuch einer definitorischen Bestimmung desselben, um von dort aus zu fragen, wie sich diese Größe im Sonderfall eines historischen Untersuchungskorpus darstellt und welche speziellen Ansatzpunkte unter dem historischen Blickwinkel berücksichtigt werden müssen. Im Rahmen der Auseinandersetzung mit der Begriffsdefinition soll zudem das Verhältnis zwischen den bisher oft synonym gebrauchten Begriffen Sprachbewusstsein und Sprachreflexion näher betrachtet und bestimmt werden. Neben diesen allgemeinen Überlegungen zum Sprachbewusstseinsbegriff geht es im Speziellen um die theoretischen Grundüberlegungen zum Charakter des Sprachbewusstseins in grammatikographischen Texten.

Folgende Fragen sollen die zentralen Beschäftigungspunkte dieser theoretischen Grundlegung sein:

  1. Wie lässt sich Sprachbewusstsein definieren?
  2. Welcher Art ist das Verhältnis von Sprachreflexion und Sprachbewusstsein ?
  3. Worin besteht die spezielle Problematik einer Untersuchung des Sprachbewusstseins unter historischem Blickwinkel?
  4. Welche Art von Sprachbewusstsein liegt in grammatikographischen Texten vor?


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2.1.  Der Sprachbewusstseinsbegriff

2.1.1. Forschungsstand

Vor allem innerhalb der kommunikativ-pragmatischen Sprachbetrachtung kam es im Zusammenhang mit den wissenschaftsgeschichtlichen Veränderungen seit den 1960/70er Jahren und der mit dieser Entwicklung verknüpften “kognitiven Wende” zu einer verstärkten Beschäftigung mit Größen wie dem Sprachbewusstsein und der Sprachreflexion8. Sowohl in den Abhandlungen zur allgemeinen Sprachtheorie9, Soziolinguistik, Sprachkulturdebatte und Literaturwissenschaft als auch in der Forschungsliteratur der Bereiche Sprachdidaktik, Schriftlichkeitsforschung und Spracherwerbsforschung findet sich eine fortdauernde Diskussion zur Begriffsbestimmung, wobei es vornehmlich die Sprachdidaktik ist, die am vehementesten eine konsequente Hinwendung zu diesem Problemkreis einfordert.10 So sind es im Besonderen die Arbeiten Eva Neulands und Werner Ingendahls, die bezüglich der Erarbeitung theoretischer Grundlagen einen essentiellen Beitrag leisteten.

Zu erwähnen ist hier auch die 1999 erschienene Habilitationsschrift Ingwer Pauls,  [Seite 16↓]  der sich mit der Rolle der “praktischen Sprachreflexion” für den Verlauf von Kommunikationsereignissen auseinander gesetzt und sich im Rahmen der Vorstellung seines Ansatzes zur Beschreibung des außerlinguistischen sprachreflektorischen Potentials eingehend mit den Unterschieden zwischen praktischer und wissenschaftlicher Sprachreflexion sowohl auf inhaltlicher als auch auf funktionaler Seite beschäftigt hat.

Im Bereich der sogenannten Volks- bzw. Laienlinguistik findet sich ebenso eine Hinwendung zur alltagsweltlichen Sprachreflexion, die besonders durch die Erforschung sprachexterner, gesellschaftspolitischer und sozialer Hintergründe oder Zwecke von Sprachreflexionen wichtige Impulse für die historische Sprachbewusstseinsanalyse geliefert hat. Insgesamt lässt sich für die auf die Gegenwartssprache orientierte Sprachwissenschaft eine umfangreiche und konträr diskutierende Forschungsliteratur mit interdisziplinären Verbindungen zu Philosophie, Psychologie, Soziologie und Neuropsychologie verzeichnen.

Betrachtet man dagegen die Veröffentlichungen, die sich der Sprachbewusstseinsgeschichte zuordnen lassen, so weisen diese kaum eigenständige theoretische Ansätze auf und verwenden, wenn eine Definition von Sprachbewusstsein oder Sprachreflexion angeführt wird, meist Begriffsbestimmungen aus der auf die Gegenwartssprache bezogenen Sprachbetrachtung.

Wenn dieses Verfahren auch durchaus praktikabel ist, so bleibt die ungenügende Beachtung spezieller Probleme der historischen Distanz und Spezifik der Analysebasis bei der theoretischen Erschließung des Sprachbewusstseinsbegiffs für geschichtlich orientierte Untersuchungen dennoch ein wesentliches Desiderat der Sprachbewusstseinsgeschichte. Denn erst die Schaffung eigenständiger theoretischer und methodischer Grundlagen, die die Besonderheiten des Untersuchungskorpus wahrnehmen, ermöglichen die Bearbeitung weiterer Anliegen dieser Forschungsrichtung, wie z.B. die Verknüpfung von Sprachsystemgeschichte und Sprachbewusstseinsgeschichte.11


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An diesem Punkt ansetzend versteht sich diese Studie als Beitrag zur Erarbeitung eines theoretischen und methodischen Instrumentariums, welches eine verbesserte Analysemöglichkeit des historischen Sprachbewusstseins und somit auch ein methodologisches Fundament für weitere Forschungstätigkeiten der Sprachbewusstseinsgeschichte und ebenso der Sprachgeschichtsschreibung ermöglichen will. Sie nutzt dazu die Ergebnisse der bisherigen Forschung und reflektiert diese für den besonderen Fall eines historischen Untersuchungsfeldes.

Um nun eine geeignete allgemeine Bestimmung des Sprachbewusstseinsbegriffs herausarbeiten zu können, die als Basis für die weitere, speziell auf die historische Thematik bezogene Darlegung dienen kann, sollen im Folgenden zunächst die vorliegenden Forschungsansätze diskutiert werden. Es bedürfe jedoch einer kaum überschaubaren Abhandlung, die den Rahmen dieser Studie sprengte, hier die gesamte Bandbreite von Sprachbewusstseinskonzepten vorzustellen, welche sich in der Forschungsliteratur finden, da die Forschungsdebatte bislang von einer Vielzahl durchaus gegensätzlicher theoretischer und begrifflicher Entwürfe bestimmt wird.12 Deshalb soll an dieser Stelle ein konzentrierter und kritischer Abriss der zentralen Postionen der Forschung genügen, um gerade auf der Basis der Auseinandersetzung mit den Hauptdiskussionspunkten der verschiedenen Ansätze eine eigene Begriffsbestimmung herauszuarbeiten, die in der Folge vor allem im Kontext des spezifisch historischen Interesses am Sprachbewusstsein näher erläutert werden soll.

2.1.1.1. Sprachreflexionsformen und Sprachbewusstsein

Allen Theorieansätzen ist gemein, dass sie darum bemüht sind, das Phänomen der Fähigkeit zu metasprachlichen Äußerungen, das bedeutet, die Fähigkeit des Menschen zur Reflexion und zum Sprechen bzw. Schreiben über sprachliche Ausdrücke zu beschreiben und zu erklären. Dabei wurde im Besonderen unter Rückgriff auf die sprachpsychologischen Untersuchungen Jean Piagets und die Forschungsergebnisse der Kulturhistorischen Schule Wygotskis versucht, mittels Fragebögen, Interviews, Experimenten und Feldforschungen grundlegende  [Seite 18↓]  Erkenntnisse über das Wesen des Sprachbewusstseins und der Sprachreflexion, aber auch anderer subjektiver Größen wie Sprachgefühl, Spracheinstellungen etc. zu gewinnen.13

Ein Konsenspunkt aller Forschungsergebnisse besteht darin, dass der ursprüngliche Auslöser der Reflexionen über Sprache als eine ‘Störung’ in der fortlaufenden Kommunikation anzusehen ist, als ein Moment der “Differenzerfahrung”14 zum sonst “automatisch” und störungsfrei ablaufenden Sprachgebrauch. In diesem Moment beginnt der Sprecher (oder Schreiber) über den sprachlichen Problemfall zu reflektieren. Entweder geschieht diese Reflexion ‘unbewusst’, also selbst für den Reflektierenden nicht explizit wahrnehmbar, und führt zu einer schnellen Auflösung der Differenzerfahrung15, oder sie wird mehr oder weniger abstrahiert vom fortlaufenden Kommunikationsprozess und explizit vollzogen.16 Der letzte Fall kann in verschiedenen Kontexten erfolgen, so z.B. in der wissenschaftlichen oder laienlinguistischen Beschäftigung mit Sprache; in sprachkritischen Betrachtungen oder in Form des literarischen Nachdenkens über Sprache.

Wichtig für diese Form der Sprachreflexion ist das bewusste, explizite und vom fortlaufenden Kommunikationsprozess abstrahierte Thematisieren von Sprache. Dabei muss die eigentliche 'Störung' in der Kommunikation schon gar nicht mehr der direkte Auslöser jener Sprachreflexion sein, sondern dieser kann auf einer zeitlich und inhaltlich distanzierteren Ebene liegen. Entweder wird dabei zu einem späteren Zeitpunkt auf eine vorherige “Differenzerfahrung” Bezug genommen oder der Reflektierende wählt ein von einer konkreten Störung losgelöstes Reflexionsthema, so dass teilweise ein direkter Zusammenhang mit einer  [Seite 19↓]  Störungssituation nicht mehr herstellbar ist. Dennoch lässt sich hier annehmen, dass auch die abstrakteren Reflexionen über Sprache ihren Bezugspunkt in einem ursprünglichen und wiederholten Durchbrechen und Hinterfragen des fortlaufenden Kommunikationsmechanismus haben. Während also die expliziten Sprachreflexionen selbst Kommunikationsgegenstand sind, laufen die unbewussten Sprachreflexionen innerhalb unserer Kommunikation ab, so z.B. wenn wir einen Versprecher spontan verbessern. Sie werden nicht gesondert thematisiert, sondern übernehmen im kommunikativen Prozess eine regulierende Rolle.

Inwieweit man nun schon die unbewusst ablaufenden Sprachreflexionen dem Sprachbewusstsein zuordnen kann, ist vom jeweiligen Begriffsverständnis abhängig. Während es nämlich ebenfalls zu den Konsenspunkten zählt, dass Sprachbewusstsein als gradueller Begriff zu verstehen ist, kommt es bei der Unterscheidung und Zuordnung der einzelnen Stufen durchaus zu verschiedenen Einteilungen. So gehören in manchen Sprachbewusstseinskonzepten bereits spontane Selbstkorrekturen17 auf der Basis der allgemeinen Sprachkompetenz zum Sprachbewusstsein. Dagegen liegen den “neueren engeren Auffassungen von Sprachbewusstsein [...] die Annahmen eines bewussten, expliziten und deklarativen Sprachwissens zu Grunde, das durch Problemkontexte aktiviert und mit Hilfe operativer Strategien genutzt werden kann und das begründete Reflexionen über Sprache ermöglicht. Sprachbewusstsein und metasprachliche Fähigkeiten können dabei die wesentlichen Funktionen der Kontrolle und der Förderung von Sprach(lern)prozessen erfüllen. Jedoch erfolgt ihre Entwicklung eben nicht automatisch; vielmehr bedarf sie der Anregung und Förderung im Rahmen kultureller Lernprozesse.“18

Hier wird Sprachbewusstsein in Verbindung zu den begründeten Sprachreflexionen und einem expliziten Wissen über Sprache gesetzt und von den vorbewussten Stufen durch Willkürlichkeit, Explizitheit und Systematik unterschieden.19 Ingwer Paul hat allerdings in seiner Arbeit zur praktischen Sprachreflexion zu Recht auf die Problematik der in erster Linie von den  [Seite 20↓]  Vertretern der Sprachdidaktik angenommenen ungebrochenen Äquivalenzbeziehung zwischen den Grundlagen der allgemeinen Sprachfähigkeit und denen des Sprachbewusstseins hingewiesen.20

Die Frage danach, welche Sprachreflexionen dem Sprachbewusstsein zuzurechnen sind, stellt demnach einen Kernpunkt der Forschungsdebatte dar, der im Besonderen von dem Problem bestimmt ist, auf welche Art von “Wissen” bei den unbewussten prozeduralen Sprachreflexionen und den expliziten intentionalen Sprachreflexionen zurückgegriffen wird.

2.1.1.2. “Wissen um Sprache” und “Wissen über Sprache”

Der Wissensbegriff stellt beim Nachdenken über die Beschaffenheit von Sprachbewusstsein eines der Hauptprobleme dar. Denn obwohl innerhalb der Forschungsdebatte Einigkeit darüber herrscht, dass dem Sprachbewusstsein notwendigerweise eine 'Wissensform' zu Grunde liegt, bleiben die Fragen, von welcher Art von 'Wissen' man dabei sprechen kann oder ob der Wissensbegriff vollständig umgangen werden sollte, indes weiterhin ein dominantes Diskussionsthema.

Maßgebend ist hier vor allem die Darstellung der Beziehung zwischen dem 'Wissen', auf dem die unbewussten Sprachreflexionen basieren und dem, welches in den expliziten Sprachreflexionen aktualisiert wird.

Die prozeduralen, unbewussten Sprachreflexionen bilden in ihrem sprachhandlungseingebundenen, die Kommunikation “kontrollierenden” Charakter einen Teil der Sprachkompetenz und damit auch der kommunikativen Kompetenz21, was bedeutet, dass sie weitestgehend auf ein 'Wissen' zurückgreifen, über das der Reflektierende nur intuitiv22 und in technischer Hinsicht verfügt. In der Fachliteratur ist immer wieder auf das “Problem der Differenz zwischen dem Wissen um die Sprache (das für das Gelingen jeder sinnvollen sprachlichen Äußerung notwendig ist) und dem Wissen über Sprache”23 hingewiesen worden, welches analog zur philosophischen Debatte um Ryle´s Differenzierung von  [Seite 21↓]  “knowing how” und “knowing that” diskutiert wird.24 Die Schwierigkeit besteht an dieser Stelle besonders in der Anwendung des Wissensbegriffs auf das 'sprachliche Wissen'25, das “Wissen um die Sprache”, welches für uns mehr den Charakter eines impliziten und kaum thematisierbaren 'Wissens', denn den eines expliziten Wissenssystems hat.

Während alltagsweltlich unter ´Wissen´ ein begründbares, also bewusstseinsfähiges Wissen verstanden wird, bezeichnet sprachliches ´Wissen´ im Kontext der generativen Linguistik eine Fähigkeit, die ihrem Besitzer in der Regel nicht bewusst ist.26

'Wissen' wird aus diesem Grund in der generativen Linguistik als theoretischer Begriff der Sprachwissenschaft betrachtet, der “von dem natürlich-sprachlichen Begriff des Wissens ebenso zu unterscheiden ist, wie die physikalischen Begriffe der Kraft oder der Masse von ihren umgangssprachlichen Pendants zu unterscheiden sind.”27

Das sprachliche Wissen beinhaltet im Konzept der generativen Linguistik die Kenntnis einer bestimmten einzelsprachlichen Grammatik, die der Sprecher mittels seiner angeborenen Prinzipien und der von jener Sprache eintreffenden Daten erworben hat.28 Zugleich wird das sprachliche Wissen als eine Fähigkeit beschrieben. Diese Sprachfähigkeit, die die Grundlage des Sprachgebrauchs bildet, bezeichnet die generative Linguistik auch als sprachliche Kompetenz.

Es gehört zum Wesen des sprachlichen Wissens (der sprachlichen Kompetenz), dass es den Charakter eines impliziten Wissens29 hat. Wir gebrauchen die Sprache, ohne uns vorher ins Bewusstsein gerufen zu haben oder benennen zu müssen, welche Regeln wir im Einzelnen für das zu Sagende anwenden. Mehr noch; unser sprachliches Wissen (Sprachkompetenz) umfasst die implizite Kenntnis aller  [Seite 22↓]  Regeln einer Sprache und bildet somit die Grundlage aller potentiell in ihr machbaren Äußerungen, ohne dass wir die Regeln vollständig im Detail erschließen müssen und können.

Es ist also allen drei nahezu synonym verwendeten Begriffen (sprachliches Wissen, Sprachfähigkeit und sprachliche Kompetenz) gemeinsam, dass sie die Grundlage des Sprechens beschreiben, die in der Spannweite ihrer immanenten Möglichkeiten über das hinaus geht, was der einzelne Sprecher in seinem Sprachgebrauch je aktualisiert.

Demnach stellt jeder Versuch, Elemente des sprachlichen Wissens in expliziten Sprachreflexionen zu thematisieren, eine Hypothese über die Sprachfähigkeit dar.30 Diese Hypothesen können Teile unseres “Wissens über Sprache” werden, je nachdem wie schlüssig sie uns und anderen erscheinen. Unser “Wissen über Sprache” beinhaltet also einerseits Hypothesen31 über die Sprachfähigkeit, während andererseits Teile dieses “Wissens über Sprache” Einfluss auf unser sprachliches Wissen haben.32

Die Hypothesen über das sprachliche Wissen können aber keinesfalls das sprachliche Wissen vollständig erfassen und abbilden. Vielmehr ist es so, dass andere erworbene Kenntnisse in das Nachdenken über Sprache und die Sprachfähigkeit mit einfließen33. Zwar haben “beide Aspekte von Wissen [...] ähnliche Struktur, und keiner tritt jeweils ohne den anderen auf”34, jedoch bleibt uns viel vom impliziten Teil verborgen, während unser erworbenes “Wissen über Sprache”, das nicht mit dem impliziten Wissen übereinstimmen muss, die Erklärungslücke ausfüllt. Es ergibt sich das Bild zweier Wissenssysteme, die große gemeinsame Anteile haben, aber eben doch nicht deckungsgleich sind.

Für die allgemeine Unterteilung der Reflexionsarten hinsichtlich ihrer Grundlagen kann man hier zusammenfassend feststellen, dass die unbewussten  [Seite 23↓]  Sprachreflexionen und die expliziten Sprachreflexionen auf unterschiedliche Grundlagen zurückgreifen, die zwar zu einem gewissen Grad miteinander verknüpft sind, aber deren verbundene Elemente in den expliziten Sprachreflexionen nur hypothetisch gefasst werden können. Diese Abstraktionen sind zudem stark von anderen Bildungs- und Erfahrungsinhalten beeinflusst.

In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den expliziten sprachreflektorischen Äußerungen sollte es deshalb vorrangig darum gehen, die jeweils aktualisierten expliziten Wissenshintergründe des Reflektierenden unter Beachtung seines Bildungs- und Erfahrungserwerbs zu erschließen. Letzterer prägt in besonderem Maß, in welcher Weise er sich über Sprache äußert, bzw. welches tradierte Wissen in diesen Äußerungen zur Anwendung kommt.

Explizite Sprachreflexionen stehen zwar auf dem Fundament der Sprachkompetenz35 und vereinen sowohl implizites “Wissen um” als auch “Wissen über Sprache”, Rückschlüsse auf das in ihnen abstrahierte implizite Wissen sind jedoch schwer zu ziehen, da nicht überprüfbar ist, welche weiteren Beigaben das implizite Wissen bei seiner Explikation mit auf den Weg bekommt.36

Betrachtet man nun die Unterschiedlichkeit der beiden Reflexionsarten im Hinblick auf die im vorigen Kapitel angesprochene Frage, ab welchem Punkt man von Sprachbewusstsein reden kann, so bleibt aufgrund der bisherigen Forschungsergebnisse zur Implizitheit des sprachlichen Wissens, das in unbewussten Sprachreflexionen aktualisiert wird, zu überlegen, ob man – wenn man die in den engeren Auffassungen von Sprachbewusstsein angelegten Kriterien der Explizitheit, Erklärbarkeit und Bewusstheit als Zuordnungsmerkmale berücksichtigen will – diese Reflexionsform nicht unter dem Begriff des Sprachbewusstseins fassen sollte. Dies bedeutet aber nicht, dass es generell unmöglich ist, unbewusste Sprachreflexionen zu explizieren. Diese Möglichkeit besteht37, jedoch werden die unbewussten Reflexionen in diesem  [Seite 24↓]  Moment zu bewussten und intentionalen Reflexionen, bei denen das Problem besteht, dass man nicht mehr genau erkennen kann, welche Elemente aus welchem Wissenssystem im Akt der Bewusstwerdung aktualisiert wurden und ob es sich um denselben Reflexionshintergrund handelt.

Das Diskrepanzpotential zwischen den Grundlagen der prozeduralen unbewussten und der expliziten Reflexionsform, namentlich zwischen dem sprachlichen Wissen und dem “Wissen über Sprache”, verweist auf das Problem ‘Bewusstheit versus Unbewusstheit’, welches vor allem aus terminologischen Exaktheitsgründen für die Verwendung des Sprachbewusstseinsbegriffs eine Konzentration auf die bewussten und hinreichend erklärten Sprachreflexionen38 empfiehlt. Vereint man dagegen im Begriff des Sprachbewusstseins sowohl die Sprachreflexionsformen, die sich auf bewusste und begründbare Hintergründe beziehen, als auch solche, deren Hintergründe intuitiv und nicht weiter begründ- und erklärbar bleiben, so ergibt sich daraus zwangsläufig eine begriffliche Unschärfe, die bisher dazu geführt hat, den Terminus aus diesem Grund entweder zu umgehen39 oder ihn unter Verzicht auf die Kriterien der Bewusstheit, Erklärbarkeit und Explizitheit auf alle Reflexionsformen anzuwenden.

2.1.1.3. Historisch orientierte Forschungsansätze

Die bisherigen Ansätze der Soziolinguistik zur Beschreibung des Sprachbewusstseins in einem historischen Kontext haben zumeist jenseits eigenständiger begriffstheoretischer Überlegungen bereits wesentliche Anknüpfungspunkte der Analysemöglichkeit von geschichtlichen Quellen unter der Fragestellung nach den in diesen auftretenden Sprachbewusstseinsäußerungen erarbeitet. Im Besonderen sind hier die Schriften Brigitte Dörings und Klaus  [Seite 25↓]  Mattheiers hervorzuheben, die verschiedene Aspekte der Spezifik der historischen Sprachbewusstseinsanalyse beleuchtet haben.

So weist Brigitte Döring40 darauf hin, dass es für die Analyse und das Verständnis historischer Sprachreflexionen unabdingbar ist, diese im Rahmen der jeweiligen Zeitdiskurse wahrzunehmen, um so auch den individuellen und gesellschaftlichen Hintergrund der Reflexion fassen zu können. Für die Beschäftigung mit dem Sprachbewusstsein in der Frühen Neuzeit bedeutet dies, dass erst das Wissen um das christlich-neuplatonische Weltbild ein wirkliches Verständnis verschiedener sprachreflektorischer Aussagen ermöglicht, da diese Weltsicht das frühneuzeitliche Denken grundlegend dominierte.41 Erst auf der Basis der genauen Kenntnis der in den Sprachreflexionen aktualisierten Bildungs- und Erfahrungshintergründe scheint eine Erkenntnis über kollektive Erscheinungsformen wie das “öffentliche Sprachbewusstsein”42 oder die Rolle des Sprachbewusstseins in kulturellen Identitäts- oder Mentalitätsprozessen43 möglich.

Joachim Scharloth setzt sich in seiner 2005 erschienenen Studie zur Sprachbewusstseinsgeschichte in Deutschland zwischen 1766-1785 eingehend mit soziolinguistischen Sprachbewusstseinskonzepten auseinander und orientiert sich für seine Fragestellung an der wissenssoziologische Tradition des Sprachbewusstseinsbegriffs. Zusätzlich nimmt er über mentalitätsgeschichtliche Bezüge und die Theorie des kulturellen Gedächtnisses den „analytischen Zugriff auf die historische Dimension von Sprachbewusstsein“44in den Blick.

Für die in dieser Arbeit vorgenommene sprachtheoretische Annäherung an den Sprachbewusstseinsbegriff auf Basis der bisherigen linguistischen Beobachtungen von Sprachreflexionen im Prozess ist es notwendig, zunächst folgende Besonderheiten des Untersuchungsansatzes zu beachten. Bezüglich der im vorigen Kapitel beschriebene Differenz zwischen den beiden Wissenssystemen, erscheint es, ausgehend von der Quellenbasis und den Ergebnissen der Sprachbewusstseinsanalyse, nahezu unmöglich, über die Aussagen zu den expliziten Sprachreflexionen Rückschlüsse auf Elemente des historischen  [Seite 26↓]  impliziten Wissens zu gewinnen, da man selbst in der alltagsweltlichen Reflexion der Laien nur schwer unterscheiden kann, ob es sich bei deren Hintergrundwissen um ein “abgesunkene[s] wissenschaftliche[s] Kulturgut”45 oder um einen individuellen Versuch der Hypothesenbildung über das sprachliche Wissen handelt. Anders als gegenwartssprachliche Analysen können historische Analysen eben nicht auf aktive Befragungsmöglichkeiten wie Interviews zurückgreifen und bleiben in ihrem Untersuchungsmaterial auf die expliziten Sprachreflexionsresultate der Sprachteilnehmer beschränkt.

Die Beschäftigung mit historischen expliziten Sprachreflexionsresultaten kann jedoch eine Verknüpfung von Sprachformengeschichte und äußerer Sprachgeschichte46 ermöglichen, wenn explizite Sprachreflexionen als “Ideen von Sprachgeschichte”47 – und zwar in ihrer geschichtlichen Abfolge – in ihrem Verhältnis zur “Sprachgeschichte als objektsprachlicher Gegebenheit”48 analysiert werden, um auf diese Weise einen Vergleich des in den expliziten Sprachreflexionen ausgeformten und öffentlich verbreiteten “Wissens über Sprache” mit den “objektiv” beobachtbaren Sprachwandelprozessen zu ermöglichen. Dadurch lassen sich Erkenntnisse über die Beziehung zwischen den jeweils in den Sprachreflexionsfokus gerückten Themen und dem objektiv beobachtbaren Sprachgebrauch der betreffenden Zeit gewinnen. Dies ist vornehmlich im Hinblick auf die Fragestellung nach dem Einfluss und der Verarbeitung außersprachlicher Phänomene, wie z.B. sozialer und kultureller Normen und Traditionen, auf die Wahrnehmung und den Gebrauch der Sprache eminent wichtig.49

Um eine solche sprachhistorische Untersuchung aufnehmen zu können, ist es jedoch zunächst notwendig, die Hintergründe der expliziten Sprachreflexionen und damit die des  [Seite 27↓]  Sprachbewusstseins zu erforschen, um auf diese Weise Einblick in die historischen Rahmenbedingungen der Sprachreflexion zu erlangen.

In einer Reihe von Arbeiten sind bereits wichtige Forschungsergebnisse zu den Formen und teilweise auch zu den Grundlagen frühneuzeitlicher und neuzeitlicher Sprachreflexion gewonnen worden50, ohne dass hier jedoch gesondert auf die Wahl des Sprachreflexions- oder Sprachbewusstseinsbegriffs für die Zusammenfassung der beobachteten metasprachlichen Äußerungen eingegangen wurde. Hierin besteht ein wesentliches Desiderat der Sprachbewusstseinsgeschichte. Eine mangelnde Begriffsdefinition erweckt auf der einen Seite den Eindruck, als ob die einzelnen Begriffe beliebig und synonym eingesetzt werden können, auf der anderen Seite wird dadurch der für die Selbstbestimmung der Sprachbewusstseinsgeschichte äußerst wichtigen Aufgabe ausgewichen, in einer gesonderten Beschäftigung mit der spezifischen Problematik des Sprachbewusstseinsbegriffs im historischen Kontext die Grundbedingungen von historisch orientierten Sprachbewusstseins-untersuchungen zu diskutieren.

Unter Rückgriff auf die in diesen Untersuchungen gemachten Beobachtungen und die oben dargestellten gegenwartssprachbezogenen und sprachhistorischen Forschungspositionen soll nun im Folgenden eine Sprachbewusstseinsdefinition erarbeitet und vorgestellt werden, die besonders die Elemente hervorhebt, an denen eine historisch orientierte Sprachbewusstseinsanalyse ansetzen kann.

2.1.2. Sprachbewusstsein unter historischem Blickwinkel

Im Rahmen der Erarbeitung eines Definitionsansatzes für den Begriff des Sprachbewusstseins, in dessen Formulierung bereits auch die Elemente mit genannt sind, durch die eine diachrone Untersuchung des Sprachbewusstseins bestimmt ist, habe ich die bisherigen Definitionsversuche unter Berücksichtigung neuer Forschungspositionen überprüft und mich bei der Ausarbeitung am Definitionskonzept der engeren Auffassungen von Sprachbewusstsein orientiert. Die Kritikpunkte, die in der neuesten Forschungsliteratur gegenüber diesem  [Seite 28↓]  Konzept vor allem im Hinblick auf das Problem des in diesem Entwurf zu wenig reflektierten Verhältnisses zwischen den Grundlagen der allgemeinen Sprachkompetenz und denen des Sprachbewusstseins formuliert worden sind, wurden eingearbeitet und führten zu einem modifizierten Definitionsansatz, der um eine höhere begriffliche Eindeutigkeit bemüht ist.

2.1.2.1. Definitionsansatz

Anknüpfend an die obigen Beobachtungen zu den zentralen Punkten der Forschungsdebatte lässt sich der Sprachbewusstseinsbegriff folgendermaßen definieren:

Sprachbewusstsein ist die Fähigkeit zum begründeten und gehaltvollen Sprechen oder Schreiben über Sprache, bei dem je nach dem fokussierten Gegenstand und den kommunikativen Absichten des sprachlich Reflektierenden ein der Situation angemessener Bildungs- und/oder Erfahrungshintergrund aktualisiert wird.

Das Sprachbewusstsein ist nicht auf Reflexionen über die Einzelsprache beschränkt, sondern bezieht sich auf jegliche intentionale Beschäftigung mit dem Gesamtphänomen “Sprache”.

Dieses Begriffsverständnis kommt auf die im Rahmen der engeren Begriffsauffassungen gemachten Kriterienvorschläge der Explizitheit, Erklärbarkeit und Bewusstheit zurück und betrachtet sie als begriffsbestimmende Merkmale. Die konsequente Anwendung dieser Kriterien als Klassifikationsmerkmale hinsichtlich der Zuordnungsmöglichkeit einzelner Reflexionsformen zum Sprachbewusstsein führt aus begriffslogischen Gründen zum Ausschluss all jener Größen aus dem Begriffsrahmen, die diese Kriterien nicht erfüllen. Somit zählen zum Sprachbewusstsein nur diejenigen bewussten Sprachreflexionen, die auf explizite und gehaltvolle Weise begründet sind, bzw. begründet werden können. Dagegen fallen alle unbewussten Sprachreflexionen heraus, da sie nicht dem Kriterium der Bewusstheit genügen.

Ist ein Sprachteilnehmer aber in der Lage, seinen Sprachgebrauch oder die Sprache an sich explizit, gehaltvoll und hinreichend begründet zu reflektieren und  [Seite 29↓]  zu thematisieren, so verweisen diese expliziten Reflexionen auf sein Sprachbewusstsein.

Als gehaltvoll und hinreichend begründet gelten Sprachreflexionen nur dann, wenn sie inhaltlich sinnvolle “Begründungen für die Gründe”51 liefern, bzw. auf Nachfrage hin noch weiter erklärt werden können als durch bloße Grammatikalitätsaussagen wie “richtig” oder “falsch”.

Die Trennung zwischen Sprachreflexionsformen, die explizit begründ- und erklärbar sind und solchen, die unbewusst vollzogen werden, trägt auch den empirischen Beobachtungen Rechnung.52 Ursprünglich unbewusste Sprachreflexionen können von einem Sprachteilnehmer auf Nachfrage53 hin teilweise zwar auch in einem sekundären bewussten Reflexionsakt in expliziter Form thematisiert werden. Es handelt sich jedoch bei den in den jeweiligen Reflexionsformen aktualisierten “Wissensformen”, wie in Kapitel 2.1.1.2. dargelegt worden ist, um zum Teil inhaltlich differierende Systeme, von denen eines – das des impliziten Sprachwissens – nur bedingt bewusstseinsfähig und angebbar ist.

So kann ein Sprachteilnehmer, der zunächst zum Beispiel eine spontane Sprachkorrektur nicht näher erklärt, nachträglich diese ursprünglich unbewusste Sprachreflexionsaktivität meist nur durch die Aktivierung von in der Schule erworbenen Grammatikkenntnissen begründen, die fest in seinem “Wissen über Sprache” verankert sind und somit der unbewussten eine bewusste Sprachreflexion folgen lassen, deren Wissenshintergründe jedoch unterschieden werden müssen. Die unbewusste Sprachreflexion rekurriert auf das implizite in der Sprachkompetenz verankerte Sprachwissen, das bei einer Hinterfragung des durch die Sprachreflexion erwirkten Sprachresultats54 in der Begründung hinter die sekundär erworbenen Erfahrungs- und Bildungshintergründe55 zurücktritt.  [Seite 30↓]  Sprachbewusstsein ist in diesem Sinn also gerade nicht mit dem Begriff des sprachlichen Wissens gleichzusetzen.

Dagegen bilden die Sprachreflexionen, die über eine situativ-angemessene Aktualisierung von auf den Reflexionsgegenstand bezogenen Bildungs- und Erfahrungshintergründen hinreichend und gehaltvoll explizierbar sind, die Aktionsformen des Sprachbewusstseins. Die Art, wie der Reflektierende die Sprache thematisiert, ist dabei abhängig von der Beschaffenheit seiner Bildungs- und Erfahrungshintergründe, die er im Lauf seiner “sekundären Sprachsozialisation”56 erworben hat und zudem von der konkreten Situation, in dem die explizite Sprachreflexion erfolgt und damit letztlich auch von den kommunikativen Absichten des Sprechers.

Genau jene Faktoren bilden eine entscheidende Grundlage für die Möglichkeit des Ansatzpunktes einer historischen Sprachbewusstseinsanalyse. Bevor ich mich jedoch den spezifisch historischen Fragestellungen im Allgemeinen und im besonderen Fall dieser Studie und damit dem Kernpunkt meiner theoretischen Überlegungen zuwende, soll an dieser Stelle zunächst noch auf die begriffliche Problematik des Verhältnisses von Sprachbewusstsein und Sprachreflexion sowie auf das Thema der Graduierbarkeit von Sprachbewusstsein eingegangen werden.

2.1.2.2. Sprachbewusstsein und Sprachreflexion

Für die Bestimmung des Verhältnisses zwischen Sprachbewusstsein und Sprachreflexion, auf das in der Forschungsliteratur nur selten eingegangen wird, erweist es sich als sehr hilfreich, den Sprachbewusstseinsbegriff hinsichtlich der in ihm enthaltenen Ebenen näher zu betrachten.

Begriffsebenen

Der Sprachbewusstseinsbegriff vereint in sich eine potentielle, eine prozedurale und eine resultative Ebene.


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Die potentielle Ebene des Begriffs umfasst alle metasprachlichen Äußerungen, die ein Sprecher oder Schreiber (S/S) über ein bestimmtes sprachliches Thema formulieren könnte. Sie beinhaltet damit alle dem S/S auf Basis der im Lauf seiner sekundären kulturellen Sprachsozialisation erworbenen Bildungs- und Erfahrungshintergründe möglichen explizierbaren und begründbaren Sprachreflexionen.

Die prozedurale Ebene bezeichnet die Aktivität, in welcher der S/S über die Aktualisierung eines bestimmten Bildungs- und/oder Erfahrungshintergrunds Sprache explizit und begründbar reflektiert. Dies umschließt den konkreten Reflexionsprozess, der im Fall einer Differenzerfahrung oder eines von der einzelnen Differenzerfahrung abstrahierten Reflektierens über Sprache vollzogen wird und der letztendlich in einem sprachlich fixierten Sprachreflexionsergebnis sichtbar werden kann.

Eben jenes Ergebnis lässt sich als die im Sprachbewusstseinsbegriff eingeschlossene resultative Ebene bestimmen, die uns in Form metasprachlicher und metakommunikativer Äußerungen vorliegt. Diese Ebene bildet die Analysebasis für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Komplex der expliziten Sprachreflexionen und des Sprachbewusstseins.

Ausgehend von diesen Überlegungen kann man die Sprachreflexionen, die den Kriterien des Sprachbewusstseinsbegriffs genügen, das heißt (auf Nachfrage) hinreichend begründbar, bewusstseinsfähig und gehaltvoll sind, aufgrund ihres stark aktionsbetonten Charakters der prozeduralen Ebene des Sprachbewusstseins zuordnen. Blickt man auf die bisherige Verwendungsweise des Sprachreflexionsbegriffs, so zeigt sich, dass er überwiegend auch auf diese Weise gebraucht worden ist.

Während das Sprachbewusstsein also die allgemeine Fähigkeit zum begründeten und gehaltvollen Sprechen oder Schreiben über sprachliche Themen umfasst, stellen die expliziten Sprachreflexionen die konkrete Aktivität desselben dar.

Dies bedeutet andererseits, dass die dem oben ausgeführten Begriffsrahmen des Sprachbewusstseins nicht entsprechenden Sprachreflexionen, wie die von  [Seite 32↓]  Ingendahl beschriebenen prozeduralen, nicht bewussten Reflexionen57, nach der hier vorgeschlagenen Definition kein Teil des Sprachbewusstseins sind. Vielmehr erweist es sich als sinnvoll, jene unbewussten Sprachreflexionen, die von ihrem Charakter her stärker kognitiv als sprachlich einzuschätzen sind58, als Element der allgemeinen Sprachkompetenz zu betrachten.

Ihre uneingeschränkte Einschätzung als Vorstufe der Bewusstwerdung59 ist dagegen schwierig, da es nach den bisherigen empirischen Ergebnissen so zu sein scheint, dass diese unbewussten Sprachreflexionen erst mittels der systematischen Überformung durch Bildungs- und Erfahrungshintergründe, die während der sekundären Sprachsozialisation erworben werden, einer begründeten expliziten Thematisierung zugänglich sind. Es gilt also, den Gesamtbereich der Sprachreflexion in seinem Verhältnis zum Sprachbewusstsein differenziert einzuschätzen. Zusammenfassend lässt sich bezüglich der hier gewählten definitorischen Bedingungen festhalten, dass alle diejenigen Sprachreflexionen, die explizit, begründbar und damit auch bewusst sind, zum Sprachbewusstsein zu zählen sind und zugleich dessen prozedurale Seite bilden.

2.1.2.3. Graduierbarkeit

Es ist nun ausgehend von der oben vorgenommenen Einschränkung des Sprachbewusstseinsbegriffs auf die expliziten und begründbaren Sprachreflexionen fernerhin nötig, nach deren Auswirkung auf die graduelle Unterteilung des Sprachbewusstseins zu fragen. Die Diskussion um den graduellen Charakter des Sprachbewusstseins setzt sich vor allem auch mit den  [Seite 33↓]  Fragen auseinander, welche Stufen das Sprachbewusstsein umfasst60 und ob man von einem “falschen” Sprachbewusstsein sprechen kann61.

Durch die konsequente Anwendung der unter 2.1.2.1. genannten Kriterien fallen einige Sprachbewusstseinsstufen, die in anderen Konzeptionen zum Sprachbewusstseinsbegriff gezählt werden, an dieser Stelle heraus. Dies betrifft, wie bereits oben dargelegt, im Besonderen den Bereich der unbewussten Sprachreflexionen. Aber auch bei allen expliziten bzw. explizierbaren Sprachreflexionen muss nachgefragt werden, ob die einzelnen Kriterien, die den Sprachbewusstseinsbegriff bestimmen, in den jeweiligen Fällen erfüllt sind. Dies betrifft bei den expliziten Sprachreflexionen hauptsächlich das Kriterium der hinreichenden Begründbarkeit. Besteht nämlich die Begründung eines Sprachteilnehmers bei Nachfrage aus einer bloßen Konstatierung von sprachlichen Gewissheiten (z.B. “Das heißt eben so.”), ohne dass eine weiterführende Begründung gegeben werden kann, so spricht einiges dafür, diese explizite Sprachreflexion nach der oben gegebenen Begriffsdefinition nicht zum Sprachbewusstsein zu zählen.

Für die Graduierbarkeit des Sprachbewusstseins bedeutet dies, dass man auf der Basis des vorgestellten Definitionsansatzes die Stufung erst auf dem Grundniveau der hinreichend begründbaren expliziten Sprachreflexionen ansetzen sollte, um von da aus mittels der Bewertung der angegebenen Gründe die Stufen des Sprachbewusstseins zu bestimmen.

Dafür bietet sich im Besonderen die oft im Zusammenhang mit der Einteilung der Sprachbewusstseinsgrade zitierte Darlegung Eugenio Coserius zu den Erkenntnisformen im Anschluss an Leibniz an. In diesem Sinn sind es vornehmlich die cognitio clara distincta inadaequata und die cognitio clara distincta adaequata, an denen sich die Graduierung orientieren kann. Erstere umfasst bei Coseriu eine sichere, begründete Erkenntnis, bei der die Begründung wissenschaftlich unangemessen (inadaequata) ist, zweitere eine sichere,  [Seite 34↓]  begründete Erkenntnis, die wissenschaftlich angemessen (adaequata) vollzogen wird.

Das bedeutet für die Graduierbarkeit des Sprachbewusstseins die Unterscheidung zwischen zwei Hauptstufen, die dem Begriff des Graduellen entsprechend bereits eine Entscheidung hinsichtlich des Wertes der den jeweiligen Stufen zuordenbaren Sprachreflexionen einschließt. Ingwer Paul hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es sich bei den verschiedenen ’Stufen‘ – er unterscheidet in dieser Hinsicht zwischen praktischer handlungsgebundener und “handlungsentlasteter” wissenschaftlicher Sprachreflexion – nicht generell um mehr oder minder “richtige” Sprachreflexionen handelt, sondern dass sie “aufgrund ihrer qualitativ anderen Voraussetzungen und Interessen anders mit dem Reflexionsgegenstand”62 umgehen und dabei teilweise zu verschiedenen Ergebnissen kommen.

Die Einteilung der Sprachbewusstseinsgrade lässt sich mit Hilfe des Kriteriums der Distanz vom “Auslöser” der Differenzerfahrung und dem damit zusammenhängenden Abstraktionsgrad noch weiter präzisieren. Man kann davon ausgehen, dass mit zunehmender Distanz und Abstraktion von der konkreten Differenzerfahrung auch der Grad der Bewusstheit und Explizitheit der jeweilen Sprachreflexion zunimmt, die die prozedurale Seite des Sprachbewusstseins darstellt.63

Die expliziten Sprachreflexionen, die eingebunden in einen Kommunikationsvorgang ablaufen und aufgrund der fehlenden Distanz zum “Auslöser” und mangelnder Zeit zur Abstraktion notwendigerweise nur sehr kurz ausfallen64, können jedoch im Rahmen einer anschließenden erneuten  [Seite 35↓]  Thematisierung eingehender und begründeter reflektiert werden. Darin besteht auch ihr Potential in Richtung einer Steigerung der Adäquatheit hinsichtlich einer sichereren und begründeteren Sprachreflexion und der damit verbundenen bewussteren Wahrnehmung der Erfahrungs- und Bildungshintergründe, die in den jeweiligen Sprachreflexionsformen aktualisiert werden. Aus diesem Grund ist dem als Sprachwissenschaftler reflektierenden Sprachteilnehmer im Sinne Coserius sicher die höchste Adäquatheit zuzusprechen, da hier auf die systematischste, expliziteste, objektivste und abstrakteste Weise reflektiert wird. Diese Art der Sprachreflexion beinhaltet die Fähigkeit zur weitreichendsten “Begründung der Gründe” und nimmt somit auch die exponierteste Stufe des Sprachbewusstseins bezüglich der Kriterien Begründbarkeit, Explizitheit und Bewusstheitsgrad ein. Dagegen sieht sich ein Sprachteilnehmer, der sich im Rahmen einer Sprachreflexion auf in der Schule erworbene grammatikalische Kenntnisse beruft, oft nicht in der Lage, weitere “wissenschaftlich” adäquate Gründe für diese Begründungen anzugeben und bleibt somit auf der ersten Metaebene der Sprachreflexion stehen, da es sich bei seinen Grammatikkenntnissen nicht selten um bloßes “Anlernwissen” handelt. Gerade an diesem Beispiel wird deutlich, welche wichtige Rolle die Kriterien der Begründbarkeit und Abstraktion für die Graduierung des Sprachbewusstseins spielen, da diese letzlich den entscheidenden Ausschlag für die Einschätzung einer Sprachbewusstseinsstufe geben.

Zusammenfassend kann man also zur Frage nach der Graduierbarkeit des Sprachbewusstseins feststellen, dass die einzelnen Stufen nach dem Grad der Adäquatheit der explizierbaren Begründungen einteilbar sind. Diese hängen wiederum mit der zunehmenden Abstraktion vom “Auslöser” der Differenzerfahrung zusammen.

Die unterste Stufe bildet gemäß des hier vertretenen Definitionsansatzes demnach ein Sprachbewusstsein, welches sich in einer Sprachreflexion entäußert, die zwar (auf Nachfrage) unter Einbezug von Bildungs- oder Erfahrungshintergründen erklärt und begründet werden kann, wobei jedoch die angegebenen Erklärungen nicht den wissenschaftlichen Adäquatheitskriterien genügen. In dem Maß, in dem die Erfüllung dieser Kriterien zunimmt, ist demzufolge auch von einem höheren bzw. deutlicher ausgebildeten Sprachbewusstsein zu sprechen.


 [Seite 36↓] 

Der Gegenstand der Sprachreflexionen

An dieser Stelle ist es nötig, auf eine weitere Einteilungsmöglichkeit hinzuweisen, die sich im Hinblick auf das Sprachbewusstsein und vor allem auf die Sprachreflexionsbereiche vornehmen lässt. Orientiert sich die Unterteilung des Sprachbewusstseins in Stufen besonders an der Frage nach einer hierarchischen Gliederung, so lässt sich auch bezüglich des Gegenstands der einzelnen Sprachreflexionen noch eine zusätzliche Differenzierung vornehmen.

Werner Ingendahl hat diesbezüglich für die Sprachreflexionsformen eine Unterscheidung nach den menschlichen “Erfahrensmodi”65 vorgeschlagen. Er ordnet die expliziten Sprachreflexionen einem alltagspraktischen, einem theoretischen, einem ästhetischen und einem ethisch-moralischen Erfahrungsmodus zu. Mit der Zuordnung einzelner Sprachreflexionen zu den Erfahrungsmodi verbindet sich auch eine Bestimmung der Ziele der Reflektierenden. So geht es in der alltagspraktischen Sprachreflexion um die sprachhandlungseingebundene Lösung von Verständigungsproblemen, in der theoretischen Sprachreflexion “um eine wahre Erkenntnis”66, in der ästhetischen Sprachreflexion “um sinnliches und phantasierendes Spiel sowie szenisches Erproben sprachlicher Möglichkeiten”67 und in der ethisch-politischen Sprachreflexion um die “Rechtfertigung oder Kritik sprachlich gelebten Lebens.”68

Nach diesen allgemein ausgerichteten Überlegungen zum Sprachbewusstseinsbegriff, dem Verhältnis von Sprachbewusstsein und Sprachreflexion, zu der Möglichkeit der graduellen Einteilung des Sprachbewusstseins und der Unterscheidung von Sprachreflexionsformen nach ihrem Gegenstandsbereich sollen nun im Folgenden die Ergebnisse dieser generellen Betrachtungen auf den speziellen Fall der historischen Fragestellung nach dem Sprachbewusstsein bezogen und für diesen fruchtbar gemacht werden. Neben grundsätzlichen Aussagen zur Möglichkeit eines spezifisch historischen Ansatzes gilt es auch, die Grundlagen zu erläutern, die für die Analyse des im Rahmen dieser Studie gewählten Untersuchungsgegenstands angewandt worden sind.


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2.1.2.4.  Die Spezifik des historischen Ansatzes

Die Besonderheit der historisch orientierten Sprachbewusstseinsanalyse ist hauptsächlich durch den Charakter des Untersuchungsmaterials bedingt. Dieses kommt in seiner Eigenschaft als historisches Zeugnis in abgeschlossener, nicht mehr beeinflussbarer Form und zumindest bis ins 19. Jahrhundert in schriftlicher Gestalt auf uns. Im Gegensatz zu heutigen Untersuchungen, in denen der Wissenschaftler anhand von Interviews oder Fragebögen Zugriff auf das Sprachbewusstsein und zudem auch Auskunft über den Sprachbewusstseinsgrad einer Testperson erhalten kann, indem er Sprachreflexionen durch konkretes Nachfragen oder Simulationen anregt oder hinterfragt und den Sprachreflexionsprozess somit aktiv beeinflusst, bleibt der Blick bei einer historischen Sprachbewusstseinsanalyse auf die expliziten Sprachreflexionsresultate beschränkt, die sich in den Quellen nachweisen lassen. Mit dieser allgemeinen Feststellung ist verbunden, dass die methodischen Überlegungen zu einer historischen Analyse des Sprachbewusstseins notwendigerweise eigene Wege suchen müssen, um trotz all der quellenbezogenen Probleme, die sich im Allgemeinen mit der Analyse historischer Texte verbinden, zu Ergebnissen zu kommen, die die bisherigen Forschungsergebnisse in der Sprachgeschichte und der Historiographie der Sprachwissenschaft vertiefen und ergänzen können.

Eine der Konstanten der Sprachbewusstseinsanalyse besteht in ihrer grundsätzlichen Ansatzmöglichkeit auf der resultativen Ebene des Sprachbewusstseins, da sie eben nur auf “passive” und resultatorientierte Weise in der Lage ist, sich dem Sprachbewusstsein eines Textproduzenten anzunähern. Die zu der resultativen Ebene zählenden Äußerungsakte des Sprachbewusstseins müssen jedoch differenziert wahrgenommen werden. So zeugen neben den explizit metasprachlichen Passagen ebenso die Textstrategien69 vom Sprachbewusstsein ihres Produzenten, da z.B. auch die Auswahl bestimmter Textmuster, Termini und stilistischer Mittel eine bewusste Reflexion über Sprache voraussetzt.

Ausgehend von der Definition, dass unter Sprachbewusstsein die Fähigkeit zum  [Seite 38↓]  begründeten und gehaltvollen Sprechen oder Schreiben über Sprache zu verstehen ist, bei dem je nach dem problematisierten Gegenstand und den kommunikativen Absichten des sprachlich Reflektierenden ein der Situation angemessener Bildungs- und Erfahrungshintergrund in Form einer expliziten Sprachreflexion aktualisiert werden kann, ist es zunächst nötig, genau zu überprüfen, welche Äußerungen in den historischen Texten den Definitionskriterien des Sprachbewusstseins genügen. Durch den Charakter der Quellen, die keine aktive Einflussnahme des Forschers zulassen, ist man gezwungen, nur die Textsequenzen als Analysebasis heranzuziehen, die dem Sprachbewusstsein aufgrund ihrer Merkmale eindeutig zuzuordnen sind. Dazu zählen Textstellen, bei denen im Rahmen des Reflektierens über Sprache ein Bildungs- und/oder Erfahrungshintergrund aktualisiert wurde, der als während der sekundären Sprachsozialisation erworbener rekonstruierbar ist und somit die Grundlage für eine bewusste, begründbare und erklärbare Sprachreflexion bildet. Diese können uns einerseits in Form der im Zusammenhang mit der Textproduktion erfolgten Sprachreflexionen begegnen, die für uns nur noch am schriftlich fixierten Ergebnis ablesbar sind, so z.B. an der Einhaltung eines normierten äußeren und inneren Textaufbaus bei bestimmten Textsorten70, an der Entscheidung hinsichtlich der Sprachwahl (Deutsch oder Latein), an formelhaften Textelementen und der Verwendung von Fachwortschatz etc. Andererseits finden wir sie aber auch in Form von im Text eigens thematisierten expliziten Sprachreflexionen, in denen eine Überlegung über “Sprache” ausdrücklich dargelegt wird.

In diesem Sinn versteht sich eine historische Sprachbewusstseinsanalyse auch als Versuch der Rekonstruktion des Reflexionsprozesses, in den wir mittels der uns vorliegenden Sprachreflexionsresultaten über die Rückerschließung der jeweils aktualisierten Bildungs- und/oder Erfahrungshintergründe zu einem bedingten Grad Einblick gewinnen können.

Daher ist es bei der Analyse historischer Texte unter dem Aspekt der aus ihnen ableitbaren Erkenntnisse über das Sprachbewusstsein eines Textproduzenten von eminenter Wichtigkeit, nach den Bildungs- und Erfahrungshintergründen zu fragen, die seinen Äußerungen zu Grunde liegen, da deren Erschließung erst ein  [Seite 39↓]  wirkliches Verständnis des historischen Sprachbewusstseins erlaubt. Um sich den Bildungs- und Erfahrungshintergründen im Einzelfall annähern zu können, ist es zunächst nötig, sich im Rahmen der Sprachbewusstseinsanalyse mit der Geistes- und Wissenschaftsgeschichte der jeweils untersuchten Epoche zu beschäftigen. Nur auf dieser Basis ist es möglich, individuelle Sprachreflexionsresultate in ihrem übergeordneten historischen Rahmen zu interpretieren und zu verstehen. Denn erst die Kenntnis dominanter sprachtheoretischer, grammatikalischer, rhetorischer, theologischer und philosophischer Sprachauffassungen befähigt uns zur Rekonstruktion der Hintergründe, die der einzelne Textproduzent in seinen Sprachreflexionen aktualisiert, und damit auch zu Aussagen über Elemente seines Sprachbewusstseins.

Dies ist vor allem aufgrund der zeitlichen Distanz, die zwischen den heutigen und den vergangenen Formen der Sprachbetrachtung liegt, unerlässlich. Da wir zum größten Teil nicht mehr dieselben Bildungs- und Erfahrungshintergründe teilen, verbindet sich mit der Frage nach dem Sprachbewusstsein historischer Personen auch die Notwendigkeit, die betreffenden historischen Bildungs- und Erfahrungshintergründe weitestgehend zu erschließen. Die Kenntnis der oben genannten allgemeinen Wissensinhalte, die in ihrer Verbreitung über weltliche und kirchliche Bildungseinrichtungen und Institutionen das individuelle Nachdenken über Sprache sehr stark beeinflussten, ermöglicht uns einen ersten Einblick in den historischen Rahmen, in dem das zu erforschende Sprachbewusstsein seinen Platz innehatte. Dafür empfiehlt sich besonders der Ansatz der Diskursanalyse, bei dem eben jene Themen untersucht und dargestellt werden, die die Denkweisen und den Sprachgebrauch einer Zeit entscheidend prägten und diese in ihrem intertextuellen Verweischarakter erschließen.71

Um aber individuelle Züge des Sprachbewusstseins eines Textproduzenten nachzeichnen zu können, ist es neben der Kenntnis der dominanten Sprachauffassungen wichtig, über den Einbezug biographischer Daten die Verortung des Textproduzenten in den allgemeinen Diskursen seiner Zeit zu erschließen. Dies ist z.B. möglich, indem man seine Bildungslaufbahn, seine Herkunft, seine gesellschaftlichen Kontakte oder auch direkte oder indirekte Zitate  [Seite 40↓]  in Verbindung zu seinen sprachreflektorischen Aussagen setzt. Im Rückschluss erhält man mittels einer Untersuchung des Sprachbewusstseins einzelner Textproduzenten wichtige Erkenntnisse sowohl über die individuelle Verarbeitung zeitgenössischer Debatten als auch über Fragen der Identität und Mentalität72 und damit ebenso über Konstanten und Traditionen in der Sprachwahrnehmung.

Hinsichtlich der möglichen Untersuchungsrichtung einer historisch orientierten Sprachbewusstseinsanalyse sind somit grundsätzlich drei Ansätze denkbar:

Zum ersten könnte man Ausschnitte des individuellen Sprachbewusstseins eines Textproduzenten mittels der Sichtung und Analyse einzelner – den Definitionskriterien des Sprachbewusstseins genügenden – Textstellen erschließen. Die Untersuchung bezieht sich dabei auf Einzeltexte und hat die in ihnen vorkommenden expliziten Sprachreflexionen als Analysebasis. Da sich in den Texten meist eine Vielzahl von verschiedenen sprachreflektorischen Elementen findet, empfiehlt es sich, diese unter einem festgelegten Aspekt (so z.B. der Frage nach ethisch-politischen, theoretischen oder ästhetischen Sprachreflexionen, oder auch nach der Art und Motivation von Textstrategien73) zu untersuchen und zu klassifizieren. Diese Untersuchungsrichtung bleibt in ihrer Vorgehensweise stark an die Quellen gebunden, da letztlich alle Ergebnisse anhand der Analyse von konkreten Textstellen gewonnen und dargestellt werden.

Eine zweite Möglichkeit der Untersuchungsrichtung könnte aus dem Versuch bestehen, aus einer Reihe von analysierten Sprachreflexionsformen in Verbindung mit biographischen und zeitgeschichtlichen Kenntnissen den gesamten Komplex des Sprachbewusstseins eines Textproduzenten im größtmöglichen Maß zu rekonstruieren. Dies ist insbesondere dann denkbar, wenn von ihm – z.B. einem Schriftsteller – eine größere Anzahl von Texten erschließbar und zur Analyse heranziehbar ist und somit umfangreiche Untersuchungsergebnisse zu erwarten  [Seite 41↓]  sind, von denen man die Spannweite und die Stufe seines Sprachbewusstseins abstrahieren kann. Jedoch behält diese Untersuchungsrichtung stets den Charakter einer spekulativen Annäherung, da man wegen der im Fall der historischen Forschung fehlenden Möglichkeit zur aktiven Befragung einer Testperson keinerlei Zugriff auf die potentielle Ebene des Sprachbewusstseins hat, sondern eben einzig auf die Sprachreflexionsresultate angewiesen ist, die man in den Quellen nachweisen kann. Weiter reichende Vermutungen über die potentielle Ebene seines Sprachbewusstseins sind demnach nur anhand der Kenntnis seiner Biographie und seines Bildungswegs aufzustellen.

Die dritte, bereits methodisch vorbereitete Untersuchungsrichtung74 zielt über die Erforschung des individuellen Sprachbewusstseins hinaus auf die Analyse des kollektiven Sprachbewusstseins einer Gemeinschaft ab. Dafür werden in einer größeren Anzahl von Texten die miteinander vergleichbaren Sprachreflexionen gesammelt, untersucht und hinsichtlich ihrer Gemeinsamkeit ausgewertet, um so im Besonderen Erkenntnisse zu Mentalitäts- und Identitätsphänomenen einer Sprachgemeinschaft in einem bestimmten Zeitraum und im diachronen Vergleich zu gewinnen.75

Der Wert aller drei Ansätze besteht unter anderem in ihrem Anspruch, über die Erforschung des individuellen und kollektiven Sprachbewusstseins tiefer reichende Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen sprachexternen Faktoren76, der Wahrnehmung und Darstellung von Sprache und dem Sprachgebrauch zu einer bestimmten Zeit zu gewinnen.


 [Seite 42↓] 

Indem sie die genannten Sachverhalte berücksichtigt, ist Sprachgeschichte auch die Konkretion fortwährender Sprachreflexionen, wobei historischer Veränderung unterliegt, welche Fragen des Sprachgebrauchs zu einer bestimmten Zeit als problematisch gelten, welche spezifischen Weisen des Nachdenkens über Sprache für die Kommunikation, d.h. den Kommunikationspartner expliziert, öffentlich gemacht werden.77

In eben dieser Hinsicht lässt sich die historische Sprachbewusstseinsanalyse in ihrer Zugehörigkeit zur Sprachbewusstseinsgeschichte der Sprachgeschichte zuordnen, ergänzt und vertieft deren Forschungsergebnisse jedoch in wesentlichen Punkten. Vor allem die bisherigen Erkenntnisse zur Sprachgeschichte in der Gestalt einer “Idee von Sprachgeschichte”, nämlich als das “von Trägern sprachbezogenen Wissens (Sprachphilosophen, -wissenschaftlern, -ideologen) aus jeweils besonderen zeitgenössischen Konstellationen heraus entworfene, sinnstiftende, von Rezipienten übernehmbare, gesellschaftlich funktionalisierte Bild von Herkunft, der Gegenwart und der Zukunft einer Sprache”78, werden durch sie entscheidend weiterentwickelt. Denn gerade in den Arbeiten der Sprachbewusstseinsgeschichte wird besonders deutlich, welchen entscheidenden Einfluss die “zeitgenössischen Konstellationen” auf das Thematisieren von Sprache nehmen und welche überzeitlichen Konstanten diesbezüglich zu beobachten sind.

Zudem kann die Sprachbewusstseinsgeschichte ebenfalls einen wichtigen Beitrag zur Verknüpfung der bisher getrennten Bereiche von äußerer Sprachgeschichte und Sprachformengeschichte leisten79 und so einen vollständigeren Blick auf Sprache und Sprachbewusstsein als historische Größen ermöglichen. Denn neben den ‘objektiven’ Sprachdaten, welche die Forschungsgrundlage der traditionellen Sprachgeschichte bilden, bezieht sie auch die ‘subjektiven’ Größen Sprachbewusstsein und Sprachreflexion (als dessen prozedurale Aktionsform) ein. Mit Hilfe dieser Größen kann der konkrete Einfluss sprachexterner Faktoren auf den Sprachgebrauch wahrnehmbar werden, wenn die betreffenden Faktoren in den Sprachreflexionen thematisiert und in den aus ihnen resultierenden Textstrategien ablesbar sind, beziehungsweise aus den in ihnen aktualisierten Bildungs- und  [Seite 43↓]  Erfahrungshintergründen erschlossen werden können. Darin entspricht die Sprachbewusstseinsgeschichte vollkommen den Forderungen der kulturgeschichtlich orientierten Sprachgeschichtsschreibung, die ihre Aufgabe in einer interdisziplinären Erweiterung der bisherigen Sprachgeschichte sieht:

Sprachgeschichtsschreibung bedeutet danach, den Wandel sprachlicher Phänomene vor dem Hintergrund der Geschichte u.a. der Philosophie, der Religion, des politischen Denkens, der gesellschaftlichen Institutionen, selbstverständlich auch der Kunst (speziell der Literatur) und der Sozialgeschichte, bis hin zu einer Geschichte der >Mentalitäten< und einer >Alltagsgeschichte< zu beschreiben und zu beurteilen.80

In welchem Maß die historische Sprachbewusstseinsanalyse nun in der Lage ist, zur Erforschung der Sprachgeschichte und insbesondere der Sprachwissenschaftsgeschichte (die sich unter anderem mit der historischen Entwicklung der “Ideen von Sprachgeschichte” beschäftigt) unter Beachtung soziokultureller Rahmenbedingungen neue und weiter reichende Forschungsergebnisse zu liefern, soll in dieser Studie an einer konkreten Untersuchung zum Sprachbewusstsein in historischen grammatikographischen Texten festgestellt werden. Die übliche Zuordnung von Grammatiktexten zum Untersuchungsfeld der Sprachwissenschaftsgeschichte legt nahe, dass ein besonderer Akzent auf der Diskussion ihrer Ergebnismöglichkeiten für diese liegen wird.

Schaut man zurück auf die oben genannten Möglichkeiten hinsichtlich der Untersuchungsrichtung, kann man von allen drei vorgestellten Ansätzen den ersten als die Untersuchungsrichtung der historischen Sprachbewusstseinsanalyse bezeichnen, bei der auf elementarster und detailliertester Stufe nach der Beschaffenheit des Sprachbewusstseins in historischen Quellen gefragt wird und deren Ergebnisse die Grundlage für weiter reichende und abstraktere Befunde zum Gehalt des Sprachbewusstseins einer Epoche ermöglichen. Aus diesem Grund habe ich mich im Rahmen dieser Untersuchung bemüht, genau jenen grundlegenden Ansatz methodisch zu fassen, da die methodischen Grundlagen für die Erforschung des historischen individuellen Sprachbewusstseins bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht in dieser expliziten Form erarbeitet worden sind.


 [Seite 44↓] 

Bevor ich mich jedoch im Speziellen mit der Methodik einer auf historische Grammatiktexte orientierten Analyse beschäftige, ist es zunächst angeraten, sich eingehender mit der Spezifik des Sprachbewusstseins in grammatikographischen Texten und den Auswahlgründen für jene Texte zu beschäftigen.

2.1.3. Grammatikographische Texte als Analysegegenstand

Grammatikographische Schriften gehören zu den Texten, die sich auf intentionale Weise mit dem Thema “Sprache” beschäftigen. Sie sind somit schon wegen ihres Darstellungsgegenstandes als verschriftlichte Sprachreflexionsresultate anzusehen. Die Art des Sprachbewusstseins, das in ihnen sichtbar wird, ist vorwiegend geprägt von einem speziellen wissenschaftlichen Bildungshintergrund und einer dementsprechenden Motivation. Die Mehrzahl der Sprachreflexionen, die uns hier begegnen, lassen sich folglich als wissenschaftliche, “handlungsentlastete”81 Sprachreflexionen und somit als Aktivitäten eines Sprachbewusstseins auf seiner höchsten Stufe, der cognitio clara distincta adaequata, bestimmen und gehören dem theoretischen Erfahrungsmodus an.

Damit zählen die Grammatiken neben den Sprachharmonien, Wörterbüchern, sprachphilosophischen Schriften u.a.82 zu den Texten, in denen die explizite Sprachreflexion auf einer vom fortlaufenden Kommunikationsprozess abstrahierten Ebenevollzogen wird. Die bisherigen Darstellungen zum Sprachbewusstsein oder zur Sprachreflexion bezogen jedoch die grammatikographischen Texte kaum mit ein, sondern beschäftigten sich vornehmlich mit allgemeinen sprachtheoretischen und sprachphilosophischen Schriften. Fand eine Auseinandersetzung mit der Grammatikographie statt, so hatte diesedie philosophischen Grammatiken zum Gegenstand.

Innerhalb der Forschungsliteratur zur deutschen Grammatikographie fehlt jedoch im Besonderen für die Anfänge der volkssprachlich orientierten Grammatikliteratur im 16. und 17. Jahrhundert eine  [Seite 45↓]  Sprachbewusstseinsbetrachtung.83 Die vorliegenden Arbeiten beschränken sich auf die Analyse und Darstellung der sprachsystematischen Befunde jener Schriften und bewerten diese im Hinblick auf die Entwicklungsgeschichte der Grammatikschreibung bis zur Neuzeit. Das Problem bei einer solchen Betrachtungsweise besteht jedoch in der verkürzten Einsicht in die soziokulturellen Rahmenbedingungen, die den einzelnen Grammatiktexten zu Grunde liegen. Während uns neuzeitliche Grammatikschriften in ihrer Sprachthematisierung und bezüglich ihres Bildungs- und Erfahrungshintergrunds zugänglicher sind, da hier Wissenschaftler wie Nutzer sich im gleichen Diskurs befinden84, liegt das Problem bei der Analyse von historischen Grammatikschriften in der Distanz zwischen dem damaligen diskursiven Rahmen und dem heutigen. Zwar wurde in den Forschungsarbeiten immer wieder auf zentrale Punkte der frühneuzeitlichen Grammatikographie wie z.B. die Dominanz der lateinischen Grammatiktradition, den Einfluss der Alphabetisierungswelle in der Folge der Verbreitung des Buchdrucks, den Aufstieg der Volkssprachen usw. hingewiesen, doch geschah dies zumeist in allgemein konstatierender Weise und nicht in der Auseinandersetzung mit den einzelnen Grammatikographen und den jeweiligen Texten.

In der im dritten Teil dieser Arbeit durchgeführten Sprachbewusstseinsanalyse geht es dagegen genau um jene individuellen Aspekte des Sprachbewusstseins, die sich in den Quellen eruieren lassen. Durch die Offenlegung der in den einzelnen Sprachreflexionen aktualisierten Bildungs- und Erfahrungshintergründe lassen sich Einblicke in die Fundamente frühneuzeitlicher Wissenschaftlichkeit hinsichtlich der Betrachtung der deutschen Sprache gewinnen. Damit verbindet sich eine tiefere und detailliertere Einsicht in die Anfangsgründe der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Sprache, die über die Ergebnisse der bisherigen Auseinandersetzung mit historischen Grammatiken auf der Stufe der Beschreibung von dort enthaltenen sprachsystematischen Inhalten, dem Vergleich dieser Inhalte mit der grammatikographischen Tradition und der Einordnung  [Seite 46↓]  dieser Ergebnisse in den Standardisierungsprozess der deutschen Sprache hinausgeht.

Der besondere Wert einer auf das Sprachbewusstsein orientierten Analyse historischer Grammatiktexte liegt diesbezüglich in der Wahrnehmung und Untersuchung des Charakters des individuellen Sprachbewusstseins, welches sich in den Quellen aufzeigt und das in seiner Beschaffenheit als einem weitestgehend der cognitio clara distincta adaequata entsprechenden Sprachbewusstseinsgrad auch starken Einfluss auf die Sprachreflexionen der im 19. Jahrhundert institutionalisierten Sprachwissenschaft hat. Indem diese Texte nämlich auf explizite Weise einige besonders durch die Lateintradition normierte Sprachauffassungen transportierten und in ihrer pädagogischen Orientierung auch für eine Weitervermittlung dieser “Konstanten” an Lehrer und Schüler einstanden, zeigt sich in ihnen eine Beständigkeit der Grammatikbeschreibung, die sich teilweise bis in unsere Zeit fortgesetzt hat und zu einem nicht geringen Anteil auch in das Fundament der späteren Sprachwissenschaft eingegangen ist.

In dieser Hinsicht ist es von großem Interesse zu überprüfen, wie die einzelnen Grammatikographen die Traditionslinien aufgriffen und verarbeiteten, bzw. ob und in welcher Form sie Überlegungen zu eigenständigen Beschreibungsmustern für die Muttersprache unternahmen und worin die Gründe hierfür liegen. Auf diese Weise wird fassbar, welche expliziten Sprachreflexionen über die deutsche Sprache sich in der Folge durchgesetzt haben und welche wieder vergessen worden sind. Durch die Beachtung der Hintergründe wird zugleich deutlich, aus welchen Quellen sich die verschiedenen Sprachauffassungen in dieser Zeit speisten, bevor sie im 19. Jahrhundert einen weitestgehend diskursautonomen Weg gingen.

Im Einbezug soziokultureller Hintergründe in die Untersuchung von Grammatiktexten knüpft diese Studie an die Thesen der kulturwissenschaftlichen Sprachgeschichtsschreibung an, die die Grammatiken (sowohl in Form der Grammatikschreibung als auch in Form des Objekts jener Grammatikschreibung, nämlich als Grammatik einer Sprache) als kulturelles Produkt betrachtet:

Wenn die Grammatikographie keine positivistische “Faktenwissenschaft” ist, die die grammatischen Spezifika einfach vorfindet und dann hinschreibt, sondern wenn sie ihren Gegenstand konstruiert, dann müssen diese Konstruktionen nach irgendwelchen Kriterien verlaufen, d.h. es muss irgendeinen Grund geben, warum  [Seite 47↓]  in einem jeweiligen Falle gerade diese und nicht irgendeine andere Grammatik geschrieben wird. Diese Kriterien können entweder biologisch-anthropologisch bedingt (und damit mehr oder weniger Konstanten) oder aber kulturell bedingt sein. Falls letzteres zutrifft, müßten sich doch Einflüsse kultureller [...] Entwicklung auf die Grammatikschreibung aufzeigen lassen.85

Ausgehend von dieser Vermutung, ist zunächst auch der Frage nachzugehen, was unter diesen veränderten Vorzeichen der kulturwissenschaftlich orientierten Sprachgeschichtsschreibung unter ‘Grammatik’ verstanden wird. Vilmos Ágel hat im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit diesem Problem herausgestellt, dass neben der Lexik auch die grammatische Struktur selbst von soziokulturellen Einflüssen abhängig ist. Er geht davon aus, dass die grundsätzliche “Idee von Grammatik” zu den “literalen Ideen”86 zu zählen ist, d.h., dass diese sich erst im Kontext der Ausbildung der Alphabetisierung in der uns bekannten Form herausgebildet hat.

Unsere Vorstellungen von grammatischen Relationen und Strukturen entstammen der durch die Alphabetkultur begründeten und durch die Buchkultur totalisierten zweidimensionalen Visualisierungskultur. Die Visualisierung, Statisierung und Verdinglichung des Sprechens in der und durch die Alphabetkultur drängen nicht nur den Handlungscharakter des Sprechens in den Hintergrund, sondern sie stellen auch den Darstellungscharakter der Sprache in den Vordergrund.87

Erst vor dem Hintergrund der an die Schriftkultur gebundenen Notwendigkeit einer Fixierung sprachlicher Regularitäten, bei der sich um die Erfassung und Beschreibung von dem Sprechen zuordenbaren Strukturen bemüht wird, um diese lehrbar und verstehbar zu machen, entwickelte sich auch die “Idee von Grammatik”. Im Gegensatz zum Ansatz der philosophisch orientierten Grammatikbetrachtung88 steht die Entwicklung der philologischen Grammatikschreibung in engster Verbindung mit der Sprachvermittlung an Nicht-Muttersprachler und ist vor allem von der Wahrnehmung des Spannungsfeldes  [Seite 48↓]  zwischen unterschiedlichen Sprachen geprägt. Der Gegenstand dieser Grammatikschreibung ist die Grammatik einer Sprache, verstanden als ein strukturelles Regelsystem, das in seiner Darstellungsweise als Ordnungsversuch für die beobachteten Phänomene des Sprechens angesehen werden kann.

Es ist jedoch nicht beliebig, wie dieses System zu einer bestimmten Zeit gefasst wird und auf welchen sprachlichen Gegebenheiten ein besonderer Akzent liegt, da die Wahrnehmung von Sprache beziehungsweise von Sprechen und die auf sie bezogenen Klassifizierungstendenzen von einer Vielzahl äußerer kultureller Faktoren beeinflusst sind.

Die systematischen Ordnungskonstrukte in Form frühneuhochdeutscher Grammatikschriften der deutschen Sprache sind es nun, die im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehen. Der Zugriff auf diese unter der Fragestellung nach dem Sprachbewusstsein, bzw. im Rahmen der Sprachbewusstseinsgeschichte, scheint, wenn man die obigen Ausführungen zum Sprachbewusstseinsbegriff und zur historischen Sprachbewusstseinsanalyse betrachtet, in besonderem Maß geeignet, genau diejenigen Forderungen der kulturell orientierten Sprachgeschichtsschreibung nach der Erforschung soziokultureller Bedingungen und Einflussnahmen auf die “Ideen von Sprachgeschichte” zu erfüllen.

Eine wesentliche Besonderheit grammatikographischer Texte liegt eben – wie oben herausgestellt – darin, dass uns in ihnen überwiegend wissenschaftliche Sprachreflexionen und somit ein Sprachbewusstsein auf der Stufe der cognitio clara distincta adaequata begegnen. Für die wissenschaftliche Sprachreflexion, die sich durch den höchsten Grad an Abstraktheit und Distanz auszeichnet, stellt Paul fest, dass diese jederzeit Adäquatheitsprüfungen unterzogen werden kann “und ihre Entstehung, Diskussion und Tradierung allgemein akzeptierten und explizierbaren Kriterien unterliegt”89. Genau jene Kriterien für die Bewertung wissenschaftlicher Adäquatheit sind untrennbar mit der Tradition des jeweiligen geistesgeschichtlichen Hintergrunds verbunden.90 Somit ist in einer historischen Analyse, die die Adäquatheit wissenschaftlicher Sprachreflexionen in ihrer Zeit untersuchen will, die Kenntnis der wissenschaftsgeschichtlichen Rahmenbedingungen vorauszusetzen, da erst auf diesem Weg eine hinreichende  [Seite 49↓]  Bewertung der Quellen möglich wird.

Denn das in Bezug auf die Grammatiktexte bisher überwiegend praktizierte Vorgehen, welches darin besteht, die grammatikographische Sprachbetrachtung einer Epoche mittels heutiger Adäquatheitskriterien zu beurteilen, stellt nur eine Möglichkeit der Auseinandersetzung mit diesen Quellen dar, die jedoch die Wahrnehmung der geschichtlichen Eingebundenheit der Texte zugunsten einer Darstellung der Fortschrittsgeschichte jener grammatikographischen Sprachbetrachtung von den Anfängen bis zur heutigen Zeit zurücktreten lässt.

Für einen anders gearteten Ansatz zur Untersuchung der Sprachwissenschaftsgeschichte plädiert auch Herbert Brekle, wenn er in seiner “Einführung in die Geschichte der Sprachwissenschaft” formuliert:

Dabei wird man [...] den Begriff der Sprachwissenschaft nicht in einem methodologisch engen Sinne auffassen dürfen, also wiederum nicht von heutigen wissenschaftstheoretischen Kriterien ausgehen dürfen, sondern – soweit wie möglich – unter Berücksichtigung der unter den jeweiligen historischen Bedingungen gegebenen Motivationen und Interessenlagen für die Beschäftigung mit den sprachlichen Fragen eine schrittweise Rekonstruktion eines Modells des jeweiligen sprach- bzw. grammatiktheoretischen Ansatzes versuchen.91

Ein Bestreben dieser Studie liegt dem Ansatz Brekles entsprechend in der Bestimmung eben jener wissenschaftlichen Rahmenbedingungen, auf denen die Sprachreflexionen in den grammatikographischen Texten fußen und die damit auch die Basis für eine historische Adäquatheitsprüfung bilden.

Entgegen der instititutionalisierten (Sprach-)Wissenschaftspraxis der Neuzeit stellt sich diese im Mittelalter und der Frühen Neuzeit als deutlich heterogener dar. Besonders die Grammatikographen der deutschen Sprache sahen sich dem Problem ausgesetzt, die institutionell noch nicht gebundene Beschäftigung mit der Muttersprache vor dem Hintergrund der lateindominierten etablierten Bildungstradition zu rechtfertigen.

In einer Zeit, in der die Standardisierung der deutschen Sprache erst zum politischen Diskussionspunkt wurde92, verknüpfte sich z.B. allein mit der Frage nach der Sprachrichtigkeit eine Vielzahl soziokultureller Argumente, die alle in  [Seite 50↓]  die Sprachreflexionen der Grammatikographen einflossen. Unter dem Blickwinkel des heutigen Wissenschaftsverständnisses liegt eben darin ihre mangelhafte wissenschaftliche Adäquatheit. Wenn man diese Texte jedoch innerhalb der Wissenschaftsdiskurse ihrer Zeit wahrnimmt, handelt es sich bei ihnen eindeutig um Zeugnisse von überwiegend wissenschaftlich angemessen begründeten Sprachreflexionen des Sprachbewusstseinsgrads der cognitio clara distincta adaequata, deren Hintergründe zu einem hohen Grad erforschbar und beschreibbar sind.

Bewertet man also nun die historischen Grammatiken nicht nur, wie es lange Zeit geschah, als präskriptive und unobjektive Sprachbetrachtungen, sondern sieht in ihnen auch den Versuch einer deskriptiven Erfassung des Sprachzustandes einer bestimmten Zeit und untersucht sie im Rahmen ihrer Verortung in den soziokulturellen Diskursen der jeweiligen Epoche, so könnte dies einen neuen und wichtigen Schritt zu einer ganzheitlicheren Betrachtung der Geschichte der Grammatikographie darstellen. Nicola McLelland hat in dieser Hinsicht in ihrer vergleichenden Studie zu den Grammatiken Albertus Ölingers und Laurentius Albertus im Anschluss an die Thesen des Skandinavisten Andrew Linn festgestellt, dass es das Verständnis der frühneuzeitlichen Grammatikographie entscheidend vorantriebe, wenn man die einzelnen Grammatiken als kreative Konstruktionen, als “result of a process of creative construction”93, begreifen würde. Der Kreativität sind dabei einzig durch die jeweiligen Kriterien von Wissenschaftlichkeit, in diesem Fall denen der herrschenden Grammatikographie, Grenzen gesetzt.

In diesem Sinn – und besonders in Anbetracht des Anliegens der hier vorliegenden Studie – ist das Diktum G.A. Padleys vorbehaltlos zu unterstützen:

Grammars cannot be considered in vacuo, divorced from the educational practice or the general cultural background of their times.94


 [Seite 51↓] 

2.2.  Zusammenfassung

Bezugnehmend auf das in der Beschäftigung mit der bisherigen Forschungsliteratur zur Sprachbewusstseinsgeschichte festgestellte Desiderat einer theoretischen Bestimmung des Sprachbewusstseinsbegriffs, die auf den besonderen Fall einer historisch orientierten Untersuchung eingeht, setzte die theoretische Grundlegung bei der Frage an, ob und wie Sprachbewusstsein für eben jene historische Ebene begrifflich gefasst werden kann.

Mittels einer kurzen Besprechung der zu Beginn des ersten Teils der Arbeit genannten Problempunkte95 soll hier noch einmal zusammengefasst werden, was im Zentrum der bisherigen Darlegung stand, um von da aus in den zweiten Teil, die methodische Grundlegung, überzuleiten.

ad 1:Wie lässt sich Sprachbewusstsein definieren?

Sprachbewusstsein wird unter Rückgriff auf zentrale Forschungspositionen der gegenwartssprachbezogenen und historisch orientierten Beschäftigung mit dem Sprachbewusstsein und in Anlehnung an die engeren Auffassungen des Begriffs hier definiert als die Fähigkeit zum begründeten und gehaltvollen Sprechen oder Schreiben über Sprache, bei dem je nach dem fokussierten Gegenstand und den kommunikativen Absichten des sprachlich Reflektierenden ein der Situation angemessener Bildungs- und/oder Erfahrungshintergrund aktualisiert wird. Das Sprachbewusstsein bleibt dabei nicht auf Reflexionen über die Einzelsprache beschränkt, sondern bezieht sich auf jegliche intentionale Beschäftigung mit dem Gesamtphänomen “Sprache”.Die Kriterien der Explizitheit, Erklärbarkeit und Bewusstheit stellen in diesem Definitionskonzept die begriffsbestimmenden Merkmale dar, nach denen sich einzelne Sprachreflexionen dem Sprachbewusstsein zuordnen lassen. Ist ein Sprachteilnehmer in der Lage, sprachliche Ausdrücke explizit, gehaltvoll und hinreichend begründet zu reflektieren und zu thematisieren, so zählen diese expliziten Sprachreflexionen zu seinem Sprachbewusstsein. Als hinreichend begründet und gehaltvoll gelten sie nur dann, wenn der Sprachteilnehmer sie inhaltlich sinnvoll erklären beziehungsweise auf Nachfrage der Erstbegründung noch weitere Gründe  [Seite 52↓]  hinzufügen kann.

Für die Frage nach der Graduierung des Sprachbewusstseinsbegriffs bedeutet dies, dass die erste Stufe des Sprachbewusstseins an die Erfüllung der oben genannten Kriterien gebunden ist. Die weitere Stufung ist gemäß dem Grad der Adäquatheit der angegebenen Gründe einteilbar und bewegt sich zwischen einer sicheren aber wissenschaftlich unangemessenen Begründung bis hin zu einer sicheren und wissenschaftlich angemessenen Begründung.

ad 2: Welcher Art ist das Verhältnis von Sprachreflexion und Sprachbewusstsein?

Der Sprachbewusstseinsbegriff umfasst eine potentielle, eine prozedurale und eine resultative Ebene. Während die resultative Ebene die sprachlich fixierten Sprachreflexionsergebnisse beinhaltet und die potentielle Ebene alle metasprachlichen Äußerungen umschließt, die der Sprecher oder Schreiber über sprachliche Themen formulieren könnte, bezieht sich die prozedurale Ebene auf die Aktivität, in welcher der Sprachteilnehmer über die Aktualisierung eines bestimmten Bildungs- und/oder Erfahrungshintergrunds Sprache explizit und begründbar reflektiert. Davon ausgehend gehören Sprachreflexionen, die den Kriterien des Sprachbewusstseinsbegriffs genügen, aufgrund ihres aktionsbetonten Charakters zur prozeduralen Ebene des Sprachbewusstseins. Das Sprachbewusstsein stellt die allgemeine Fähigkeit zum begründeten und gehaltvollen Sprechen oder Schreiben über sprachliche Themen dar, die expliziten und hinreichend begründbaren Sprachreflexionen dagegen dessen konkrete Aktivität.

ad 3: Worin besteht die spezielle Problematik einer Untersuchung des Sprachbewusstseins unter historischem Blickwinkel?

Im Unterschied zu den Sprachbewusstseinsuntersuchungen, die auf die Gegenwartssprache abzielen, kann die historische Sprachbewusstseinsanalyse nicht auf die direkte Befragung der Sprachteilnehmer zurückgreifen, sondern bleibt auf das schriftliche Quellenmaterial als Untersuchungsgegenstand beschränkt. Darin liegt ihr Spezifikum. Eine Analyse muss dementsprechend an der resultativen Ebene des Sprachbewusstseins, welche uns in den Texten vorliegt, ansetzen. Der Charakter der Quellen, die keine aktive Einflussnahme mehr zulassen, bedingt, dass nur die Textstellen als Untersuchungsgegenstand  [Seite 53↓]  herangezogen werden können, die dem Sprachbewusstsein aufgrund ihrer Merkmale eindeutig zuordenbar sind. Dies betrifft sowohl explizite Sprachreflexionen über sprachliche Themen als auch einzelne für uns nur noch auf der Textgestaltungsebene ablesbare Sprachreflexionen, die bei der Textproduktion erfolgten. Zu letzteren gehören u.a. Entscheidungen über die Textsorte und deren inneren und äußeren Aufbau (Einhaltung von normierten rhetorischen Mustern), über die Sprachwahl (Deutsch oder Latein) und die Verwendung von formelhaften Textelementen und Fachwortschatz.

Bei einer historischen Sprachbewusstseinsanalyse ist es zudem von eminenter Bedeutung, nach den Bildungs- und Erfahrungshintergründen zu fragen, die in den jeweiligen Sprachreflexionen aktualisiert wurden, um so Erkenntnisse über das Wesen des Sprachbewusstseins des Textproduzenten in seiner historischen Eingebundenheit zu gewinnen und den Sprachbewusstseinsgrad beurteilen zu können. Dafür ist es notwendig, sich mit der Geistes- und Wissenschaftsgeschichte der jeweils untersuchten Epoche zu beschäftigen. Erst die Kenntnis dominanter sprachtheoretischer, grammatikalischer, rhetorischer, theologischer und philosophischer Sprachauffassungen befähigt uns zum Beispiel zur Rekonstruktion der Bildungs- und Erfahrungshintergründe, die die Grammatikographen in ihren Sprachreflexionen aktualisierten, und damit auch zu Aussagen über die Elemente ihres Sprachbewusstseins. Neben diesen allgemeinen Kenntnissen trägt aber ebenso biographisches Wissen über den Textproduzenten dazu bei, die Hintergründe der Sprachreflexionen zu erschließen, da hierüber sein möglicher Bezug zu einzelnen Diskursen festgestellt werden kann. Aus der Rückerschließung der Bildungs- und Erfahrungshintergründe, die in den Sprachreflexionen aktualisiert worden sind, ergibt sich zudem die Möglichkeit, zu einem gewissen Grad auch Einblick in den Reflexionsprozess zu gewinnen.

Die historische Sprachbewusstseinsanalyse setzt demnach auf der Ebene der Sprachreflexionsresultate an, untersucht die aktualisierten historischen Bildungs- und Erfahrungshintergründe, nähert sich dadurch dem Sprachreflexionsprozess an und erarbeitet auf diese Weise einen Ausschnitt des Sprachbewusstseins des Textproduzenten.


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ad 4: Welche Art von Sprachbewusstsein liegt in grammatikographischen Texten vor?

Das Sprachbewusstsein, das in Grammatiken vorliegt, ist vorwiegend geprägt von einem speziellen wissenschaftlichen Bildungshintergrund und einer dementsprechenden Motivation. Die Mehrzahl der Sprachreflexionen lässt sich als wissenschaftlich und “handlungsentlastet”96 bestimmen und zählt zum theoretischen Erfahrungsmodus. Das Sprachbewusstsein, dessen prozedurale Ebene sie abbilden, gehört zu der höchsten Stufe, der cognitio clara distincta adaequata.

Es kann Adäquatheitsprüfungen unterzogen werden, deren Kriterien untrennbar an den jeweiligen geistesgeschichtlichen Hintergrund gebunden sind. Eine historische Sprachbewusstseinsanalyse, die sich mit dem Sprachbewusstsein in grammatikographischen Texten auseinander setzt, muss sich demnach auch mit deren wissenschaftsgeschichtlichen Rahmenbedingungen beschäftigen, um so die wissenschaftliche Adäquatheit der Sprachreflexionen in den Grammatiken einschätzen zu können.

Nach dieser Zusammenfassung des theoretischen Teils soll in der folgenden methodischen Grundlegung genauer darauf eingegangen werden, auf welche Art und Weise eine historische Sprachbewusstseinsanalyse grammatikographischer Texte in methodischer Hinsicht durchgeführt und beschrieben werden kann.


Fußnoten und Endnoten

8 In der im Folgenden vorgenommenen Diskussion der Forschungsliteratur werden die Begriffe Sprachbewusstsein und Sprachreflexion so wiedergegeben, wie sie in den einzelnen Schriften verwendet werden. Die Art ihres Verhältnisses zueinander bleibt in diesen meist unreflektiert. Im Zusammenhang mit der Vorstellung meines Definitionsansatzes im Kapitel 2.1.2.1. werde ich mich deshalb auch um eine Klärung dieses terminologischen Verhältnisses bemühen.

9 Besonders ist hier auf den stark rezipierten Aufsatz von Schlieben-Lange (1975) “Metasprache und Metakommunikation. Zur Überführung eines sprachphilosophischen Problems in die Sprachtheorie und die sprachwissenschaftliche Forschungspraxis” hinzuweisen.

10 “Als ´objektive´ Daten galten in derGeschichte der modernen Linguistik zwar die sprachlichen Äußerungen der Informanten selbst, nicht aber ihre Äußerungen über Sprache, die von einem positivistischen Wissenschaftsverständnis aus als ´subjektive´ Daten verpönt waren. Skepsis bis strikte Ablehnung gegenüber solchen internen, angeblich nur spekulativ, also ´unwissenschaftlich´ faßbaren Größen wie Introspektion, Sprachgefühl, Meinungen über Sprache, Sprachbewusstsein wirken als strukturalistisches und behavioristisches Erbe noch bis in die Gegenwart fort. Obwohl die begriffliche Trennung von ´objektiven´ und ´subjektiven´ Sprachdaten methodologisch zunehmend problematischer wird, sind im engeren Bereich der Sprachwissenschaft bislang kaum Beschreibungskategorien und Analysemethoden entwickelt worden, die die Beschäftigung mit ´subjektiven´ Faktoren begrifflich sowie empirisch weiterführen können.“ Neuland (1993), S. 723.

11 Bislang sind Sprachformengeschichte (d.h. die Systembeschreibung der historischen Sprachstufen des Deutschen) und äußere Sprachgeschichte, die sich mit den kulturell-gesellschaftlichen Hintergründen von Sprache beschäftigt, immer noch getrennte Forschungsbereiche, obwohl Sprachwandelprozesse nur im Zusammenwirken beider Richtungen umfassend erklärt werden können. Vgl. Mattheier (1995), S. 15.

12 Eine umfangreichere Darstellung der Forschungsliteratur zum Thema Sprachbewusstsein und Sprachreflexion findet sich bei Paul (1999a), S. 16ff.

13 Zu den verschiedenen Ansätzen der metasprachlichen Begriffe und dem ihnen zugrunde liegenden Erkenntnisinteresse siehe Scharloth (2005), S. 5ff.

14 Paul (1999a), S. 4f.

15 In seiner Untersuchung zur praktischen Sprachreflexion hat sich Ingwer Paul eingehend mit diesem Reflexionskomplex beschäftigt und dabei herausgearbeitet, dass der Reflexionsakt selbst kognitiv und nicht sprachlich ist, die aus ihm gegebenenfalls resultierende Reflexionsaktivität aber intersubjektiv wahrnehmbar ist und “neben gesprächsstrukturellen und interaktionslogischen auch wissenssoziologischen Restriktionen” (1999a, S. 99) unterliegt.

16 Werner Ingendahl unterscheidet in seinem Sprachreflexionskonzept zwischen prozeduralen, nicht bewussten und zwischen intentionalen, bewussten Reflexionen. Siehe Ingendahl (1999), S. 120.

17 Diese spontanen Selbstkorrekturen sind als Resultate von unbewussten Sprachreflexionen anzusehen.

18 Neuland (1993), S. 734.

19 Vgl. ebd.

20 Siehe Paul (1999a), S. 33 und 78ff

21 Siehe Paul (1999a), S. 99.

22 Vgl. Coseriu (1988), S. 197.

23 Schlieben-Lange (1975), S. 194.

24 Siehe Paul (1999a), S. 29ff.

25 Zum Begriff des sprachlichen Wissens siehe Grewendorf (1990), S. 28.

26 Paul (1999a), S. 32.

27 Grewendorf (1990), S. 21.

28 Ebd. S. 20.

29 “Das implizite Wissen wird vorwiegend als der Modus betrachtet, in welchem wir mehr wissen, als wir aussprechen können.” Polanyi (1985), S. 25. “Zu den Dingen, von denen wir auf diese Weise wissen, gehören Probleme, Vorahnungen, [...], der Gebrauch der denotativen Sprache;” Ebd., S. 33.

30 Siehe dazu Grewendorf (1989), S. 40.

31 Dies können sowohl unsere eigenen als auch die anderer, wie z.B. die von Sprachwissenschaftlern sein.

32 Dazu zählen z.B. Kenntnisse sozialer Einstellungen u.a.

33 In den meisten Fällen ist es so, dass unser “Wissen über Sprache” viel stärker von entsprechenden Bildungs- und Erfahrungshintergründen geprägt ist, die wir während unserer sozialen und kulturellen Entwicklung erworben haben, als von individuellen Hypothesen über unser implizites sprachliches Wissen.

34 Polanyi (1985), S. 16.

35 Seine Sprachkompetenz ermöglicht es einem Sprecher oder Schreiber überhaupt erst, etwas ( in diesem Fall *etwas*über Sprache) sinnvoll zu artikulieren, indem er über seine Fähigkeit, Sprache der Situation angemessen regelhaft zu generieren, in einen Diskurs mit den anderen Sprachteilnehmern treten kann.

36 Vgl. Schlieben-Lange (1975), S. 194.

37 Zum Beispiel, wenn man eine bestimmte sprachliche Problemlösung hinterfragt und den Sprecher so zum nachträglichen bewussten Reflektieren der ursprünglich unbewussten Sprachreflexion bringt.

38 Zu Fragen der hinreichenden Begründung siehe S. 29f.

39 Dies führte nicht selten zu “Lösungen”, die in der Vermeidung des Begriffs aufgrund der angesprochenen Problematik zur Wahl alternativer Termini neigten, die in anderer Hinsicht begriffliche Schwierigkeiten nach sich ziehen. So plädiert z.B. Schlieben-Lange für die Ersetzung von ´Sprachbewusstsein´ durch ´Wissen des Sprechers´, um auf diesem Weg die Bewusstseinsproblematik zu umgehen. Sie steht letztendlich damit aber vor einem neuen Problem, nämlich dem des Wissensbegriffs. Siehe Schlieben-Lange (1975), S. 193.

40 Döring (1999), S. 37ff.

41 Siehe dazu Klein (1992), S. 18ff.

42 Döring (1999), S. 40.

43 Siehe Haarmann (1999), S. 90ff.

44 Scharloth (2005), S. 41.

45 Dieckmann (1991), S. 370.

46 Dieses Bestreben stellt auch eine mögliche Weiterentwicklung der Sprachbewusstseins-geschichte dar.

47 Bei dieser Überlegung wird Sprachgeschichte verstanden als das “von Trägern sprachbezogenen Wissens (Sprachphilosophen, -wissenschaftlern, -ideologen) aus jeweils besonderen zeitgenössischen Konstellationen heraus entworfene, sinnstiftende, von Rezipienten übernehmbare, gesellschaftlich funktionalisierte Bild von Herkunft, der Gegenwart und der Zukunft einer Sprache” Reichmann (1998), S. 1.

48 Ebd.

49 Vgl. dazu auch Scharloth (2005), S. 54ff.

50 Siehe z.B. Bär (1999),Gardt (1994), Huber (1984), Klein (1992).

51 Coseriu (1988), S. 210.

52 Vgl. Schlieben-Lange (1975), S. 194f.

53 Die Nachfrage bei den unbewussten Sprachreflexionen muss sich notwendigerweise an ablesbare Sprachergebnisse knüpfen, von denen man auf eine vorher erfolgte Reflexion schließt.

54 Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn man bei einem Sprecher die Entscheidung für eine bestimmte grammatische Form infrage stellt

55 Aufgrund der Schwierigkeit hinsichtlich der Verwendungsweise des Wissensbegriffs im Zusammenhang der Diskussion um das implizite sprachlicheWissen und die alltagstheoretischen Wissenskonzepte werde ich im Folgenden alle Formen der Kenntnisse (*Wissen über Sprache*), auf die man bewusst und explizit zurückgreifen kann, mit dem Begriff Bildungs- und Erfahrungshintergründe wiedergeben. Diese umfassen sowohl erlernte Bildungsinhalte als auch die Summe der sprachreflektorisch erworbenen Erfahrungen, die den Reflektierenden zum Rückgriff auf diese befähigen und zudem auch die Basis weiterer Abstraktionen bilden.

56 Paul (1999a), S. 34.

57 Siehe Ingendahl (1999), S. 120.

58 Vgl. Paul (1999a), S. 99.

59 Neuland (1993), S. 733f. verweist im Zusammenhang ihrer Darstellung zu den engeren Sprachbewusstseinsauffassungen auf die Ansicht Wygotskis, dass sich das “eigentliche”, sich erst durch den Grammatikunterricht und den Schriftspracherwerb entwickelnde Sprachbewusstsein nur durch Explizitheit, Willkürlichkeit und Systematik von den Vorstufen der Bewusstwerdung unterscheidet. Jedoch werden bei dieser Betrachtungsweise die Vorstufen und das eigentliche Sprachbewusstsein in einem weitestgehend unbrüchigen Verhältnis zueinander wahrgenommen, wogegen in der Forschungsliteratur immer wieder Bedenken erhoben worden sind, die letztlich entscheidenden Einfluss auf die in meiner Studie versuchte Begriffsbestimmung genommen haben. Siehe dazu auch Kapitel 2.1.1.2.

60 Vgl. z.B. die Definition Techtmeiers (1984), S. 394: “Wir definieren Sprachbewusstsein als die mehr oder weniger entwickelte Fähigkeit, über Sprache reflektieren zu können (z.B. über Gegebenheiten der sprachlichen Kommunikation, über einzelne sprachliche Erscheinungen, über die Entwicklung oder Bewertung von Sprachlichem), sprachliche Ausdrucksmittel bewusst einzusetzen und zu bewerten. Sprachbewusstsein ist ein gradueller Begriff.”

61 Vgl. Paul (1999a), S. 194.

62 Paul (1999b), S. 194.

63 Diesbezüglich lässt sich zu Pauls dichotomischer Unterscheidung zwischen “handlungsentlasteter” wiss. und praktischer Sprachreflexion kritisch anmerken, dass es nicht ausschließlich wissenschaftliche, von Linguisten ausgeführte Sprachreflexionen sind, die “handlungsentlastet” ablaufen. So können m.E. auch spezifische Formen der künstlerischen und der laienlinguistischen Sprachreflexion (z.B. die Überlegungen innerhalb der Volksetymologie) als “handlungsentlastet” angesehen werden, da sie ebenso einen deutlichen Grad der Distanz und Abstraktion enthalten.

64 Hierzu gehört zum Beispiel die oft vom Sprachteilnehmer wenig explizit thematisierte Entscheidung für eine Sondersprache in einem bestimmten Kontext, der unter anderem darin bestehen kann, dass sein Gesprächspartner ihn durch scheinbares oder offensichtliches Missfallen zu einem Wechsel der Sprachvarietät bewegt.

65 Ingendahl (1999a), S. 57ff.

66 Ebd., S. 60.

67 Ebd.

68 Ebd.

69 Zum Begriff der Textstrategien siehe Heinemann / Viehweger (1991), Textlinguistik, S. 212ff.

70 Als Beispiel hierfür lässt sich die Praxis mittelalterlicher medizinischer Traktate anführen.

71 Zur Wissenschaftsgeschichte vor allem der linguistischen Diskursanalyse siehe Bluhm u.a.(2000), S. 3ff.

72 “Wenn es zutrifft, dass Sprache das effektivste Zeichensystem ist, um eine kulturelle Umwelt zu schaffen und funktionsfähig zu halten, dann ist Sprachbewusstsein eine elementare Funktion der Identität. Das Sprachbewusstsein vermittelt dem Individuum die erforderliche Motivation, Sprache als Instrument des Kulturschaffens im Prozess der Identitätsfindung einzusetzen.“ Haarmann (1999), S.91.

73 Das bietet sich besonders bei Texten an, in denen sich entweder keine eigens zum Thema gemachten Sprachreflexionen finden, oder aber ein Vergleich zwischen diesen und ihrer textstrategischen Umsetzung angestrebt wird.

74 Vgl. etwa die Arbeit Brigitte Dörings zum “öffentlichen Sprachbewusstsein”, die als Beitrag zur Erforschung kollektiven Sprachbewusstseins verstanden werden kann und auf die Erschließung bestimmter Veränderungen im Sprachbewusstsein einer Gruppe von Sprachteilnehmern ausgerichtet ist. “Von ´öffentlichem Sprachbewusstsein´ für die frühe Neuzeit sprechen heißt also die Frage stellen, wann und auf welche Weise Gegenstände der Sprachreflexion ins Bewusstsein einer immer größer werdenden Anzahl von Sprachteilnehmern gerückt werden, auf welche Weise, mit welchen Abstufungen, in welchen Quellen und wie jeweils dieses Bewusstsein reflektiert wird.” Döring (1999), S. 41.

75 Vgl auch Scharloth (2005), der sich in seiner Arbeit mit den Sprachnormen und Mentalitäten zwischen 1766 und 1785 auseinander setzt.

76 Diese sind Teil der Bildungs- und Erfahrungshintergründe. Zu ihnen gehört z.B die Kenntnis sozialer Normen im Sprachgebrauch oder speziell für die Frühe Neuzeit das Wissen um das dominante christlich-neuplatonische Weltbild.

77 Döring (1999), S. 39.

78 Reichmann (1998), S. 1.

79 Vgl dazu von Polenz (1995), S. 39ff.

80 Gardt, Haß-Zumkehr, Roelcke (1999), S. 1f.

81 Siehe Paul (1999a), S. 59ff.

82 Einen Einblick in die frühneuhochdeutsche Vielfalt solcher Quellen vermittelt Gardt (1999), S. 45ff.

83 In der Romanistik liegt dagegen für das 18. Jahrhundert eine umfangreiche Arbeit zum Themenbereich Grammatikschreibung im Spannungsfeld von Philosophie und Sprachreflexion vor. Siehe Hoinkes (1991).

84 Die größte Überschneidung von gemeinsamen diskursiven Kenntnissen wird sich natürlich unter vergleichbar qualifizierten Diskursteilnehmern finden, z.B. unter Linguisten.

85 Auszug aus einem Begleitbrief zu einer Einladung zur Tagung “Sprachgeschichte als Kulturgeschichte”. Zitiert nach Àgel (1999), S. 172.

86 Ebd., S. 174.

87 Ebd.

88 Zu deren Inhalten bei den altgriechischen Philosophen siehe Baebler (1885), S. 1ff.

89 Paul (1999a), S. 1.

90 Als Beispiel sei hier auf die Adäquatheitskriterien verwiesen, die Grewendorf vor dem Hintergrund der Generativen Grammatik nennt. Siehe Grewendorf (1990), S. 40.

91 Brekle (1985), S. 3.

92 Zur Weiterführung dieser Diskussion in der „Sprachkultivierungsbewegung“ siehe von Polenz (1995), S. 41.

93 McLelland (2001), S. 34.

94 Padley (1985), S. XIII.

95 Siehe S. 14 dieser Arbeit.

96 Siehe Paul (1999a), S. 59ff.



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23.05.2006