Krasemann, Andreas: Eric Voegelins politiktheoretisches Denken in den Frühschriften

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Kapitel 3. Reine Rechtslehre und Autoritarismus - Voegelins Autoritärer Staat

3.1 Grundproblematik

Im Jahre 1936, drei Jahre nach dem Erscheinen von Rasse und Staat sowie der Rassenidee in der Geistesgeschichte, veröffentlicht Voegelin seinen Autoritären Staat. Aus dem Untertitel dieser Schrift geht bereits hervor, daß es sich hierbei um einen „Versuch über das österreichische Staatsproblem“ handelt. Daß er sich dieser Thematik annimmt, mag nicht zuletzt damit zusammenhängen, daß der in Köln geborene Voegelin in Wien aufgewachsen ist, an der dortigen Universität auch seine akademische Laufbahn einschlug und dort zur Zeit des Erscheinens dieser Schrift als außerordentlicher Universitätsprofessor lehrte. Der autoritäre Staat ist bereits nicht mehr Bestandteil des von Voegelin in den 1920er Jahren formulierten Vorhabens, ein „System der Staatslehre“ zu entwerfen. Diesem Anliegen im engeren Sinne dienten, wie schon gesagt, Voegelins Abhandlungen zur Rassenproblematik sowie seine bis heute unveröffentlichte Herrschaftslehre und Rechtslehre. Danach jedoch wurde dieses Vorhaben abgebrochen.
Dennoch profitiert Voegelin von seinen bei der Arbeit zum „System der Staatslehre“ gewonnenen Erkenntnissen und wandte diese nunmehr auch auf den Autoritären Staat an. Dies wird einerseits an seinen Darstellungen des Rechtsdenkens und der Verfassungsgeschichte Österreichs, andererseits an seiner dezidierten Auseinandersetzung mit Kelsens „Reiner Rechtslehre“ deutlich<603>. Ein wenig verwunderlich an Voegelins Autoritärem Staat ist vielleicht, daß er hierbei gegen Ende der Abhandlungen entgegen seinem sonst üblichen abstrakt-spekulativen Habitus auf sehr konkrete Fragen des Verfassungsrechts eingeht, jedoch dürfte dies damit zu erklären sein, daß er mit diesem Buch seine Lehrbefähigung für das Fach Staatslehre (Political Science) nachweisen wollte<604>.

Zeitgeschichtlicher Hintergrund für Voegelins Autoritären Staat ist das Ende der parlamentarischen Demokratie und der autoritäre Staatsumbau in Österreich, der sich in den Jahren ab 1933 unter den Bundeskanzlern Dollfuß und Schuschnigg vollzog. Diese Diktatur ging derjenigen Hitlers, die in Österreich erst 1938 Einzug hielt, voraus<605>. Jürgen Gebhardt befindet zu dieser Schrift:

„’Der Autoritäre Staat’ (1936) liefert eine heute noch umstrittene Darstellung der Verfassungsordnung des autoritären Regimes Österreichs, welche das Element der ‚rechtlich geordneten Macht’ betonte, sie in den Gesamtzusammenhang der geschichtlichen Entwicklung der modernen Staatenwelt einordnete und zugleich in Auseinandersetzung mit der seiner Meinung nach prinzipiell nicht-wissenschaftlichen Begrifflichkeit C. Schmitts eine erste Begriffsbestimmung von ‚autoritärer’ und ‚totaler’ Herrschaft lieferte.“<606>

Für Voegelin selbst ist diese Studie rückblickend sein

„erster größerer Versuch, die Rolle der Ideologien linker wie rechter Couleur in der gegenwärtigen Situation zu erfassen und nachzuweisen, daß ein autoritärer Staat, der radikale Ideologien in Schach zu halten vermag, noch die beste Möglichkeit zur Verteidigung der Demokratie darstellt.“<607>

Voegelin befaßt sich mit den theoretischen und strukturellen Voraussetzungen, die zum autoritären Staatsumbau geführt haben und diesen zugleich staatstheoretisch legitimierten. Zu diesen theoretischen Voraussetzungen gehört auch die „Reine Rechtslehre“ von Voegelins Lehrer Hans Kelsen, und die kritische Haltung zu diesem Konzept war für Voegelins Denken in seiner


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akademischen Frühzeit richtungweisend. In der historischen Entwicklung Österreichs, so Voegelins Feststellung, hat der Prozeß der Staatswerdung später eingesetzt als in Westeuropa. Die österreichische Monarchie war ein Vielvölkerstaat, es fehlte ihr die Autorität, die in anderen westeuropäischen Staaten durch die Nation repräsentiert wird. Voegelin spricht daher von einem politischen Stil der österreichischen Monarchie, den er als „administrativen“ bezeichnet<608>.
Dieser „administrative“ Stil wurde auch nach 1918 beibehalten, als aus der Monarchie eine Republik wurde. Was jedoch der neuen parlamentarischen Demokratie fehlte, waren die autoritären Charaktermerkmale, die zu Zeiten der Monarchie durch die Person des Kaisers symbolisiert wurden und die den unpolitisch-administrativen Stil des Staatswesens insofern ausglichen. Was nun den autoritären Staatsumbau in den Jahren ab 1933 angeht, so handelt es sich hier nicht nur um den Ersatz eines alten Verfassungsrechts durch ein neues unter Beibehaltung des administrativen Stils. Die Zäsur ist, wie Voegelin analysiert, viel gravierender, denn

„es sind existentielle Schritte in der Staatswerdung Österreichs geschehen in dem Sinne, daß die obersten Staatsorgane durch die politische Situation legitimiert als die Träger des Willens zur Existenz des Staates Österreich entscheidend auftraten. Österreich hat seit 1933 nicht nur sein demokratisch-parlamentarisches durch ein autoritäres Verfassungsrecht ersetzt, sondern es hat einen Schritt vom ‚administrativen’ zum ‚politischen’ Stil, es hat einen Schritt vom ‚Reich’ zum ‚Staat’ getan.“<609>

Dementsprechend gestaltet sich Voegelins Untersuchung über das österreichische Staatsproblem als ein „Versuch, die ‚administrative’ Verfassungslehre Österreichs zu überwinden und eine ‚politische’ zu entwerfen.“<610>
Um sich diesem Ziel zu nähern, spricht Voegelin von vier Problemkreisen, die es in seinem Autoritären Staat zu bewältigen gilt. Erstens, geht es um eine Untersuchung der Symbole „total“ und „autoritär“, da diese für die Typologie der Staatsformen eine bedeutende Rolle spielen, denn die Idee des autoritären Staates betreffe nicht nur typischerweise den Staat Österreich, sondern sie beinhalte ein für Europa relevantes Modell. Zweitens, geht es um eine Typisierung der österreichischen Verfassungsprobleme in der Zeit seit 1848 und der damit verbundenen politischen Situationen.
Drittens, soll die Verfassungslehre Österreichs dargestellt werden, so wie sie sowohl vor als auch nach Einsetzung der autoritären Verfassung orientiert war. Hierbei stützt sich Voegelin im Zusammenhang mit seiner kritischen Würdigung der österreichischen Verfassungslehren und der Postulierung eigener Thesen im wesentlichen auf die französische Verfassungslehre, aber auch auf die verfassungstheoretischen Auffassungen von Carl Schmitt. Viertens, besteht freilich der Schwerpunkt der Untersuchungen Voegelins im Autoritären Staat in der Darstellung des ab 1933 geltenden österreichischen Verfassungsrechts<611>.

3.2 „Totaler“ und „Autoritärer“ Staat

3.2.1 Politischer Symbolismus - Schmitt, von Stein, Hauriou

Im folgenden ist nun auf Voegelins Abhandlungen der Termini einzugehen, die mit dem Begriff des „autoritären Staates“ in Verbindung zu bringen sind, die Begriffe „total“ und „autoritär“. Voegelin führt hierzu Carl Schmitts Hüter der Verfassung<612> an, in welchem nicht nur vom „totalen Staat“ gesprochen wird, sondern wo „der Ausdruck zum erstenmal in einem theoretisch-systematischen Zusammenhang in hochrationalisierter Form auftritt“<613>. Von Schmitt und nicht etwa von Ernst Cassirer, so nimmt Helmut Kuhn an, habe Voegelin den Symbolbegriff übernommen, ohne ihm jedoch zu verfallen:


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„Für Carl Schmitt bezeichnete ‚Symbol’ den politisch wirksamen, sich objektiv gebenden Ausdruck einer kämpferischen Position, und Voegelin, bei aller Bewunderung für Schmitt, vermißte die klare Abgrenzung gegenüber dem sachhaltigen Begriff [...].“<614>

Bei Schmitt wird eine dreistufige Entwicklungslinie gezeichnet, die dialektischer Natur ist. Sie beginnt mit dem absoluten Staat und führt über den neutralen zum totalen Staat. Das agierende Element ist hierbei die Gesellschaft<615>. Diese beginnt im „absoluten“ Staat zu erstarken, führt somit zu einer konstitutionellen Selbstbeschränkung des absoluten Staates und zu einem Gleichgewicht zwischen „Staat“ und „Gesellschaft“. Dieser Gleichgewichtszustand ist als „neutraler“ Staat zu bezeichnen.

„Die deutschen Verfassungen des 19. Jahrhunderts stehen in einer Epoche, deren Grundstruktur von der großen deutschen Staatslehre dieser Zeit auf eine klare und brauchbare Grundformel gebracht worden ist: die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft.“<616>

Das weitere Erstarken der Gesellschaft geht dann über zum Prinzip der Volkssouveränität, die zur Zerstörung der alten Staatsautorität führt, während sich der neue Staat als „Selbstorganisation der Gesellschaft“<617>, als „totaler“ Staat, manifestiert. Für das 19. Jahrhundert ist der neutrale Staat typisch, er besteht, wie gesagt, aus dem Gleichgewicht von zwei sozialen Mächtgruppen, die sich um die Begriffe „Staat“ und „Gesellschaft“ scharen. Für Schmitt drückt sich der Gegensatz von Staat und Gesellschaft in dem unüberbrückbaren Gegensatz von soldatischem Führerstaat und bürgerlichem Verfassungsstaat aus:

„Der preußische Verfassungskonflikt von 1862 bis 1866 hat das unlösbare Problem eines Kompromisses zwischen deutschem Soldatenstaat und bürgerlichem Verfassungsstaat für kurze Zeit unverhüllt zu Tage treten lassen. Dieser Konflikt wird für unser heutiges verfassungsrechtliches und staatskonstruktives Bewußtsein immer mehr zu einem Brennpunkt aller innerstaatlichen Problematik, zu einem Vorgang, der, wie in einer Krankheitsentwicklung der ‚pathognomische Moment’, in einem Augenblick plötzlich den sonst verdeckten wahren Zustand erkennen läßt. Er ist das Zentralereignis der innerdeutschen Geschichte des letzten Jahrhunderts.“<618>

Erst im totalen Staat, wie ihn der Nationalsozialismus verkörpert, ist dieser Konflikt aufgehoben. Dieser ist vielmehr eine dreigegliederte politische Einheit:

„Die politische Einheit des gegenwärtigen Staates ist eine dreigliedrige Zusammenfassung von Staat, Bewegung, Volk. Sie unterscheidet sich von dem aus dem 19. Jahrhundert überkommenen liberal-demokratischen Staatsschema von Grund auf, und zwar nicht nur hinsichtlich ihrer weltanschaulichen Voraussetzungen und ihrer allgemeinen Grundsätze, sondern auch in allen wesentlichen Konstruktions- und Organisationslinien des konkreten staatlichen Aufbaues.“<619>

Was die Entwicklung vom neutralen zum totalen Staat angeht, bemächtigt sich die Gesellschaft in letzter Konsequenz des Staates in Gänze oder löst ihn völlig auf. Im totalen Staat gibt es folglich die dialektische Spannung zwischen Staat und Gesellschaft nicht mehr, da beide Komponenten zu einer Einheit verschmelzen. Der politisch-staatliche und der unpolitisch-gesellschaftliche Bereich werden nicht mehr als getrennte Lebensbereiche angesehen, sondern nunmehr sind alle Lebensbereiche der Gesellschaft auch für Staat und Politik bedeutsam. Die Vorstufe in der Entwicklung vom neutralen


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zum totalen Staat stellt der „Parteienstaat“<620> dar. In diesem ringen diverse Gruppen der Gesellschaft um die Übernahme der Macht im Staat:

„Dadurch dass eine miteinander konkurrierende, sich gegenseitig in gewissen Grenzen haltende Mehrheit derartiger Komplexe, also ein pluralistischer Parteienstaat, vorhanden ist, wird es verhindert, dass der totale Staat sich als solcher mit derselben Wucht zur Geltung bringt, wie er es in den sogenannten Ein-Parteienstaaten, Sowjetrußland und Italien, bereits getan hat. Durch die Pluralisierung ist aber die Wendung zum Totalen nicht aufgehoben, sondern nur sozusagen parzelliert, indem jeder organisierte soziale Machtkomplex soviel wie möglich - vom Gesangverein und Sportklub bis zum bewaffneten Selbstschutz - die Totalität in sich selbst und für sich selbst zu verwirklichen sucht.“<621>

Desweiteren stellt sich im Parteienstaat für Schmitt das Problem der Legalität:

„Der Legalitätsanspruch macht jeden Widerstand und jede Gegenwehr zum Unrecht und zur Rechtswidrigkeit, zur ‚Illegalität’. Kann die Mehrheit über Legalität und Illegalität nach Willkür verfügen, so kann sie vor allem ihren innerpolitischen Konkurrenten für illegal, d. h. hors-la-loi erklären und damit von der demokratischen Homogenität des Volkes ausschließen. Wer 51 v. H. beherrscht, würde die restlichen 49 v. H. auf legale Weise illegal machen können. Er dürfte auf legale Weise die Tür der Legalität, durch die er eingetreten ist, hinter sich schließen und den parteipolitischen Gegner, der dann vielleicht mit den Stiefeln gegen die verschlossene Tür tritt, als einen gemeinen Verbrecher behandeln.“<622>

Voegelin weiß die Verdienste Schmitts bei der wissenschaftlichen Systematisierung und Rationalisierung bezüglich der Entwicklung des Begriffs vom totalen Staat zu würdigen. Trotz dieser Verdienste möchte Voegelin jedoch bei der von Schmitt entwickelten Betrachtungsweise nicht stehen bleiben, da er einige Aspekte unter dem Begriff des totalen Staates annimmt, die im Denken Schmitts nicht Berücksichtigung finden. In diesem Zusammenhang nennen Schmitt wie auch Voegelin den Namen eines bedeutenden Literaten des 20. Jahrhunderts und eine von ihm formulierte Formel, die treffend den Gedanken des totalen Staates repräsentiert. „Die totale Mobilmachung“ nennt sich die Formel, von der Ernst Jünger spricht<623>.
Abgesehen von der Schrift Die totale Mobilmachung spricht Jünger auch in seinem Werk Der Arbeiter über „(d)ie Technik als Mobilisierung der Welt durch die Gestalt des Arbeiters“<624>. Dazu schreibt Jünger:

„Die Unklarheit, im besonderen die romantische Unklarheit, die die Mehrzahl aller Äußerungen über die Technik färbt, geht aus dem Mangel an festen Gesichtspunkten hervor. Sie verliert sich sofort, wenn man als ruhendes Zentrum des so mannigfaltigen Vorganges die Gestalt des Arbeiters erkennt. Diese Gestalt fördert ebensosehr die Totale Mobilmachung, wie sie alles zerstört, was sich dieser Mobilmachung widersetzt.“<625>

Für Schmitt stellt diese These der totalen Mobilmachung den Ausgangspunkt seiner Betrachtungen dar. Der Begriff des totalen Staates wird bei Jünger unter anderen Aspekten als bei Schmitt aufgefaßt, wobei Voegelin in seinem Autoritären Staat jedoch nicht näher darauf eingeht, was bei Jünger gemeint ist. Desweiteren stellt Voegelin den enormen politischen Erfolg der Thesen Schmitts heraus, was aber nicht gleichbedeutend damit ist, daß Schmitts Thesen zum Begriff des totalen Staates auch wissenschaftlich vollkommen seien. Stattdessen gebe es hier Schwachpunkte, die darin begründet liegen, daß Schmitt seine Lehre vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund der Entwicklung im 19. Jahrhundert gezeichnet habe. Voegelin sieht in Schmitts Begriff des totalen Staates den


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Schwachpunkt „daß er zu wenig wissenschaftlicher Begriff und zu sehr politisches Symbol ist.“<626>
Die Lehre Schmitts hatte seinerzeit nicht nur Bedeutung für die Wissenschaft, sondern auch eine politische Funktion, sie diente der Überwindung der Verfassungsprobleme im 19. Jahrhundert, die in der Lösung der dialektischen Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft gipfelten. Voegelins Postulat läuft jedoch auf eine Berücksichtigung von Aspekten in der Problematik des totalen Staates hinaus, die eben nicht in der für das 19. Jahrhundert paradigmatischen Dialektik von Staat und Gesellschaft gründen. Um solche alternativen Ansätze ausfindig zu machen, widmet sich Voegelin dem Staatsdenken eines Lorenz von Stein und Maurice Hauriou, worauf im folgenden Bezug zu nehmen ist.
Lorenz von Stein denkt zunächst ebenfalls in den Kategorien der Begriffe Staat und Gesellschaft, und nicht zuletzt weist Voegelin darauf hin, daß Stein somit auch eine der Quellen für das Denken von Carl Schmitt war. Stein befaßt sich mit der Entwicklung Frankreichs nach 1789, nach der französischen Revolution. In deren Folge sei die feudale Gesellschaftsschicht entmachtet worden, an die Stelle der Feudalordnung trat „die ‚volkswirtschaftliche’ Gesellschaft“<627>. Jedoch ließ die industrielle Revolution der folgenden Jahrzehnte aus der volkswirtschaftlichen Gesellschaft eine Klassengesellschaft mit neuen Formen der Abhängigkeit werden, so daß sich die revolutionäre Ära fortsetzte und in den Jahren 1830 und 1848 kulminierte. Erst nun sei die Feudalordnung endgültig beseitigt worden, und die Geschichte Europas sei nunmehr, durch den Wegfall der feudalen Schicht als politischer Schicht, nicht mehr politische Geschichte, sondern Sozialgeschichte. Besonders die Bedeutung der Julirevolution stellt Stein heraus:

„Das nun ist die hohe, wahrhaft weltgeschichtliche Bedeutung der Julirevolution, daß sie für diese Entwicklung den Wendepunkt abgegeben hat. Es ist jetzt wohl klar, daß diese Revolution für die Geschichte der Gesellschaft unendlich viel wichtiger ist als für die des Staats; ja daß sie ohne das Wesen der Gesellschaft überhaupt nicht ganz verstanden werden kann. Die Julirevolution zuerst ist der Act, durch welchen die industrielle Gesellschaft zur definitiven Herrschaft gelangt, indem der letzte Rest der feudalen Gesellschaft durch sie vernichtet wird.“<628>

Im Gegensatz zu Stein, so Voegelin, sehe Maurice Hauriou die Entwicklung Frankreichs zwischen dem Ausbruch der französischen Revolution 1789 und der Gründung der ersten Republik 1875 nicht als soziale, sondern politische Geschichte. Zwei Mächte haben demnach um die Macht im Staate gerungen. Erstens, war es eine national und revolutionär orientierte, die nach der Errichtung eines totalen Staates trachtete, und zweitens, eine rein herrschaftlich und administrativ orientierte, die sich um die Erhaltung der Staatsautorität bemühte. Der Machtkampf endete mit einem Kompromiß, der in der Errichtung des Parlamentarismus bestand<629>.
Diese ganze Entwicklung zerfällt noch einmal in zwei Phasen, deren erste 1848 endete mit der Errichtung der konstitutionellen Monarchie als Kompromißlösung für den Konflikt zwischen den genannten Mächten. Jedoch stellte sich dieser Kompromiß für die national-revolutionären Kräfte als unzureichend dar, da die Bevölkerungsmassen in der Machtausübung außen vor blieben, so daß die zweite Phase 1875 dann mit dem Parlamentarismus als erneuter Kompromißfindung endete. In der Darstellung der Ansätze Steins und Haurious versucht Voegelin somit zu erklären, daß diverse Bestandteile im Gefüge der Gesellschaft für die Bildung moderner Staatstypen von Bedeutung sind. Im totalen Staat müßte nunmehr zwischen wirtschaftlichen und politischen Bestimmungsgründen unterschieden werden<630>.
Infolge der von Voegelin herausgearbeiteten zwei Aspekte, die bei einer Betrachtung des Begriffes vom totalen Staat zu unterscheiden sind, macht es sich nun erforderlich, deren weitere Untersuchung zu verfolgen. Zu betrachten ist daher zunächst das wirtschaftliche Element in der Realität des totalen


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Staates. Dieses ist in engem Zusammenhang zu sehen mit dem Aufkommen der kommunistischen Bewegung, die eine Folge der Entstehung des Proletariats als gesellschaftlicher Klasse ist. Dabei muß gefragt werden, durch welche Merkmale der Typus des Proletariers bestimmt ist. Unter Bezugnahme auf Autoren wie Babeuf, Stein und Marx faßt Voegelin vier Merkmale des Proletariertypus’ zusammen.
Erstens, ist der Arbeiter durch die Einführung der Maschinentechnik von seinen Produktionsmitteln getrennt worden. Zweitens, ist er dadurch, daß er auf das komplexe Funktionieren eines Großbetriebes keinen Einfluß mehr hat, existenziell vom Funktionieren seines Betriebes abhängig. Drittens, besteht somit das Risiko, daß die materielle und seelische Existenz des Arbeiters durch diese Abhängigkeit gefährdet wird. Viertens, spielt nunmehr insofern ein ethisch-sozialer Aspekt eine Rolle, da der Betrieb nunmehr kaum mehr als private Angelegenheit des Unternehmers angesehen werden kann, sondern aufgrund der menschlichen Verantwortung, die dem Unternehmer zukommt, der Betrieb zu einer öffentlichen Angelegenheit wird. Diese Tatbestände, die Voegelin hier aufzählt, seien nunmehr für die gesamte Gesellschaft zutreffend geworden.
Dabei werden nicht nur Arbeiter, Angestellte und Beamte von einem gesamtgesellschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis betroffen. Auch größere und kleinere Privatbetriebe werden in dieses Netz gegenseitiger Abhängigkeit auf gesamtgesellschaftlicher Ebene integriert. Um diese Tatbestände zu unterstreichen, führt Voegelin die päpstliche Enzyklika Quadragesimo anno<631> an, wo von einer fortlaufenden Machtakkumulation die Rede ist. Mit dem Vordringen der Wirtschaft in den Bereich des Staates stellt sich, so die Enzyklika, das Problem der „Vermachtung als Ergebnis der Wettbewerbsfreiheit“<632> ein:

„Am auffallendsten ist heute die geradezu ungeheuere Zusammenballung nicht nur an Kapital, sondern an Macht und wirtschaftlicher Herrschgewalt in den Händen einzelner, die sehr oft gar nicht Eigentümer, sondern Treuhänder oder Verwalter anvertrauten Gutes sind, über das sie mit geradezu unumschränkter Machtvollkommenheit verfügen.“<633>

Die fortlaufende Machtakkumulation führe dazu, daß sich ein Machtkampf auf drei Ebenen abspielt, erstens auf der Ebene der Wirtschaft, zweitens, auf der Ebene der Führung des Staates und, drittens, auf der Ebene zwischen den Staaten in der internationalen Politik<634>. Anhand der ersten beiden Ebenen wird die Typenbildung Carl Schmitts deutlich, denn die erste Ebene spielt sich innerhalb der Gesellschaft ab, die zweite Ebene beschreibt das Vordringen der Gesellschaft mit dem Ziel, die Führung des Staates zu übernehmen. Lediglich für die dritte Ebene, die internationale Politik, gibt es, wie Voegelin meint, keine Entsprechung bei Carl Schmitt. Das Vordringen der Wirtschaft in den Bereich des Staates führt in letzter Konsequenz dazu, daß in einem totalen Staat die Trennung zwischen Wirtschaft und Staat, die ein Signum des politischen Liberalismus ist, vollends aufgehoben wird. Diese Feststellung findet sich bei Ernst Rudolf Huber am Beispiel des nationalsozialistischen Staates illustriert:

„Die Wirtschaft im nationalsozialistischen Staat ist eine öffentliche Wirtschaft. Der Liberalismus beruhte auf der Unterscheidung eines staatlichen und eines rein privaten Bereichs; die Wirtschaft gehörte einer persönlichen und privaten Sphäre an, die vom Staate scharf getrennt war und eigenen, selbstherrlichen Lebensgesetzen folgte. Doch schon seit längerer Zeit zeigte sich, daß diese liberale Entgegensetzung von Staat und privater, freier Wirtschaft unsinnig war. In immer stärkerem Maße drang die Wirtschaft aus dem privaten Gebiet der Gesellschaft in den öffentlichen Lebensraum des Volkes vor, das heißt sie strömte in einen Bereich ein, der, ohne unmittelbar staatlichen Charakter zu tragen, existentielle

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Bedeutung für die politische Einheit der Nation besitzt. Die Wirtschaft hörte auf, eine innergesellschaftliche, vom Staate unberührte Erscheinung zu sein; sie wurde ein Lebensbereich von öffentlicher Verantwortung und von politischem Rang.“<635>

Mit dem Vordringen der Gesellschaft, hier in Gestalt der Wirtschaft, in den Bereich des Staates stellt sich nun einmal mehr die Frage nach dem Erhalt der Staatsautorität<636>.

3.2.2 Die Totalität der Weltanschauung

Voegelin wendet sich einem weiteren Problem der Totalität zu, der Totalität der Weltanschauung. Das heißt, eine ganze Gesellschaft wird von einer einheitlichen Idee, einer einheitlichen seelischen und geistigen Anschauung durchdrungen. Eine solche totale Idee ist die des Nationalsozialismus. Hierzu verweist Voegelin auf die Untersuchungen zur Totalität der Idee, wie sie in der Literatur von Ernst Rudolf Huber angestellt wurden.
Eine weitere totale Idee ist die des italienischen Faschismus eines Benito Mussolini. Auch hier stellt der Staat die sittliche und geistige Macht dar, die das gesamte, einschließlich das intellektuelle, Leben der Menschen durchwirkt. Bei Mussolini heißt es hierzu:

„Der Faschismus ist eine religiöse Weltanschauung, die den Menschen in seiner immanenten Beziehung zu einem höheren Gesetz betrachtet, mit einem objektiven Willen, der das Einzelwesen überragt und es zu der bewußten Mitgliedschaft eines geistigen Gemeinwesens emporhebt.“<637>

Der Charakter des Faschismus ist, wie Mussolini selbst sagt, antiindividualistisch. Er richtet sich vor allem gegen den klassischen Liberalismus und postuliert den Primat des Staates gegenüber dem Individuum. Das heißt, mit Mussolini gesprochen,

„für den Faschismus ist alles im Staate, und außerhalb des Staates gibt es nichts Menschliches oder Geistiges, das irgendwelchen Wert hätte. In diesem Sinne ist der Faschismus totalitarisch, und der faschistische Staat, als Zusammenfassung und Vereinheitlichung aller Werte, verkörpert, entwickelt und potenziert das Leben des Volkes.“<638>

Voegelin befindet zwischen deutschem Nationalsozialismus und italienischem Faschismus eine charakteristische Übereinstimmung, die jedoch nicht verwunderlich ist. Vielmehr sei herauszustellen, daß die hier zu Tage tretenden Formeln weder mit dem Staat im allgemeinen noch mit dem faschistischen oder nationalsozialistischen Staat zu tun hätten, sondern daß hier eine Beziehung zwischen Person und Gemeinschaft konstruiert werde<639>.
Was das Verhältnis des menschlichen Individuums zu Personengemeinschaften betrifft, kennt die Geschichte der Menschheit verschiedenste Modelle. Das Modell, welches Totalitätsspekulationen wie die des Nationalsozialismus und des Faschismus annehmen, ist nun Voegelin zufolge mit dem Namen Averroes zu identifizieren, weshalb Voegelin diese Eigenheit als „(d)as averroistische Moment in der Totalitätsspekulation“<640> charakterisiert. Als averroistische Lösung des Verhältnisses zwischen Person und Personengemeinschaft ist diejenige zu definieren,

„nach der die objektive Idee sich in die Menschen vereinzelt, oder die vorgegebenen Menschen durchdringt und in ihrer Substanz sich anverwandelt, oder in der die Individuen Splitter der Einheit sind, oder in irgendeiner Formulierung völlig substanzidentisch mit der Einheit sind oder sein sollen“<641>.


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Aufgrund der Allgemeingültigkeit für die spekulative Gestaltung des Verhältnisses von Person und Personengemeinschaft läßt sich das averroistische Moment der Totalitätsspekulation jedoch kaum als charakteristisches Element bezeichnen, welches typischerweise für den totalen Staat gelte. Nicht zuletzt sei auch, wie Voegelin feststellt, das Denken des deutschen Idealismus, repräsentiert durch Kant und Hegel, durch averroistische Züge charakterisiert. Um für den totalen Staat kennzeichnend zu sein, müßte das averroistische Moment der Totalität inhaltlich konkretisiert werden. Für diese Frage verweist Voegelin erneut auf die Untersuchungen von Huber. Der Inhalt der nationalsozialistischen Idee sei das politische Volk, der Inhalt der faschistischen Idee hingegen sei der Staat schlechthin. Allerdings werden mit dieser Konkretisierung lediglich bestimmte staatliche Gebilde, nicht jedoch notwendigerweise totale Staaten charakterisiert. Politisches Volk und Staat sind Merkmale, die für den europäischen Staat im allgemeinen gelten.
Unter diesem Aspekt sind zunächst einmal die Elemente aufzuführen, die dem modernen Staat das Gepräge geben. Voegelin arbeitet vier solcher Grundelemente heraus. Erstens, gehört dazu das Volk im vorpolitischen Sinne. Zu verstehen ist darunter eine Kulturgemeinschaft, die sich auf nachbarschaftliche und verwandtschaftliche Personenverbände gründet, diese machen das vorpolitische Volk aus. Ob Voegelin hierbei auf die „Rasse“ anspielt, geht aus seinen Ausführungen nicht hervor.
Zweitens, gehört als Element zum modernen Staat das Volk in Gestalt verschiedener Leistungsgruppen, diese organisieren sich in Genossenschaften, Gewerkschaften und ähnlichen Interessenvereinigungen. Drittens, ist es für den modernen Staat charakteristisch, daß sich das Volk in repräsentativen Institutionen und Organen ein Forum der Willensbildung schafft und somit als politisches Volk auftritt. Das vierte der von Voegelin aufgezählten Elemente des modernen Staates ist schließlich dessen politische Führung.
Keines dieser Elemente darf in einem modernen Staat fehlen. Was es gibt sind lediglich graduelle Unterschiede dergestalt, daß in einem Staat dieses und in einem anderen Staat jenes Element stärker ausgeprägt ist. Dementsprechend seien auch die Unterschiede zwischen der nationalsozialistischen Idee des politischen Volkes und der faschistischen Idee des Staates einzuordnen. Bei Huber werden Voegelin zufolge die Totalitäten von politischem Volk und staatsnationaler Idee einander gegenüber gestellt, was jedoch so nicht stehen bleiben dürfe und weiter verfeinert werden müsse<642>.
Die angeführten Elemente finden sich sowohl im nationalsozialistischen als auch im faschistischen Staat. Im Faschismus Mussolinis wird die Nation vom Staat erzeugt. Diese These ist für den Faschismus zwar sehr bedeutsam, erschöpft ihn jedoch nicht in inhaltlicher Hinsicht. Neben dieser These bezüglich der Nation gibt es auch eine Lehre vom Volk, die sich analog zur nationalsozialistischen Lehre vom Volk verhält. Nation und Volk sind im Faschismus nicht das Gleiche, sondern die vom Staat erzeugte Nation wird von diesem dem Volke gegeben. Dazu heißt es bei Mussolini:

„Es ist nicht Aufgabe der Nation, den Staat hervorzubringen, wie es die veraltete naturalistische Auffassung predigte, welche im 19. Jahrhundert den Nationalstaaten als Grundlage für ihre Staatsrechtslehre diente. Vielmehr ist die Nation eine Schöpfung des Staates, welcher im Bewußtsein seiner eigenen sittlichen Einheit dem Volke einen Willen gibt und infolgedessen erst die tatsächliche Existenz.“<643>

Hierbei wird vom vorpolitischen Volke ausgegangen, gegenüber welchem dem Staat eine Schutzfunktion zukommt. Die Nation stellt jene Größe dar, die den politischen Willen repräsentiert. Das vorpolitische Volk hingegen repräsentiert den Volksgeist, dieser ist zugleich die Legitimationsquelle für die faschistische Staatsführung. In der nationalsozialistischen Lehre, wie Huber sie darstellt, besteht das sogenannte politische Volk aus dem vorpolitischen Volk, welches mit der Nation zu einer Einheit verschmilzt. Die Einheit des Volkes wird durch den politischen Führer konstituiert, welchem deshalb eine herausragende Rolle zukommt. Insoweit weist Hubers Darstellung der nationalsozialistischen Lehre, wie Voegelin feststellt, Parallelen zur faschistischen Lehre Mussolinis auf. In beiden Fällen werde das Volk durch einen Führer und eine Bewegung geformt, jedoch gelte im Faschismus der Primat des Staates, im Nationalsozialismus hingegen der Primat des Volkes<644>.


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Daß man im Aufbau dieses Systems auf Schwierigkeiten stößt, wird von Voegelin nicht verschwiegen, hierbei gesteht er dem Theoretiker Huber mehr Scharfsinn zu als dem Politiker Mussolini. Für Voegelin erwächst die Forderung, politische Symbolbegriffe in die Sprache der Wissenschaft nicht einfach zu übernehmen, sondern sie angemessen zu interpretieren, um ihren Bedeutungsgehalt wissenschaftlich korrekt erfassen zu können. Die wissenschaftliche Sprache Hubers und die politisch-symbolische Mussolinis dokumentieren einmal mehr, daß Wissenschaft und Politik als wesensverschiedene Bereiche mit einer jeweils eigenen Terminologie zu betrachten sind<645>. Wenn Mussolini sich für die Idee des Staates als Primat gegenüber der Idee des Volkes ausspricht, so deshalb, weil die im 19. Jahrhundert dominierende Idee der Nation, die ihre Rechtfertigung aus dem Kampf gegen den dynastischen Staat gezogen hätte, ihre historische Aufgabe erfüllt habe. Diese Auffassung Mussolinis vermeint Voegelin auch in der italienischen Ideengeschichte wiederzufinden.
Für Mussolini ist nun aber die Situation zu seiner Zeit eine andere. Der Staat ist nicht mehr das Herrschaftsinstrument des Fürsten, sondern das der Nation. Damit es hier nicht zur Anarchie kommt, bedarf es der Errichtung einer neuen Staatsautorität. Das politische Symbol zur Zeit Mussolinis ist also nicht mehr wie im 19. Jahrhundert das Volk, sondern der Staat. Einmal mehr wird deutlich, daß politische Symbole wie „Volk“ und „Staat“ stets auf die jeweils aktuelle politische Situation zur Zeit ihres Auftretens zu beziehen sind. Die politische Forderung im faschistischen Denken Mussolinis findet sich in ähnlicher Form auch im nationalsozialistischen Denken. Bei Huber wird der Sinn des totalen Staates in der Einheit von Volk und Staat erblickt. Volk und Staat sind demnach zwei Seiten ein und derselben Medaille. Diese Ansichten erachtet Voegelin für das Problem der Totalität als wichtig.
Zwei Gesichtspunkte gilt es im Ergebnis festzuhalten. Erstens, tritt in den Vordergrund die Frage, inwieweit der Einzelne durch die Idee des Staates bzw. Volkes total erfaßt wird und somit ein Kennzeichen des Verhältnisses zwischen Person und Gemeinschaft darstellt. Hierbei verweist Voegelin auf das schon angesprochene averroistische Moment der Totalitätsspekulation. Zweitens, ist hervorzuheben, daß die Ideengehalte durch die politischen Symbole bestimmt sind. Das heißt im Faschismus tritt das Volk hinter das Staatssymbol, im Nationalsozialismus hingegen der Staat hinter das Volkssymbol zurück<646>.

3.2.3 Ideelle Elemente im Wesen des Staates

An zwei weiteren Beispielen zeigt Voegelin, daß Ideen, die als typisch deutsch empfunden werden, auch woanders zu finden sind und lediglich deshalb nicht wahrgenommen werden, weil sie in erster Linie als politische Symbole und nicht als wissenschaftliche Tatbestände erscheinen. Es handelt sich im folgenden um die Rassenidee eines Maurice Hauriou und die Volksidee eines Rene Martial, beide aus dem französischen Raum<647>.
Hauriou beschäftige sich, so Voegelin, mit den Grundlagen der Volks- und Nationsbildung. Hierbei handelt es sich um einen Prozeß, der damit beginnt, daß umher ziehende Stämme auf einem bestimmten Boden seßhaft werden. Somit ist die Grundlage für die Bildung eines Volkes geschaffen. Jedoch ist diese Grundlage für die Hervorbringung eines staatsbildenden Volkes noch nicht ausreichend. Desweiteren sollte innerhalb der Gemeinschaft des Volkes eine Homogenität seiner Rasse bestehen oder zumindest eine Rasse innerhalb des Volkes existieren, die stark genug ist, um sich dauerhaft durchzusetzen. Die übrigen Volksgruppen und Zuwanderer müssen durch diese dominierende Rasse assimiliert werden können.
Durch die dominierende Rasse ist somit die Grundlage geschaffen, von welcher ausgehend der Prozeß der Volks- und Nationsbildung fortgesetzt werden kann, insbesondere durch die Schöpfung von einheitlicher Sprache und Religion. Boden, Rassenzugehörigkeit, geistige Fähigkeiten, Sprache sowie Geschichte und Religion sind die gemeinsamen Merkmale, durch die das Entstehen einer Nation gefördert wird. Der rassische Aspekt spiele auch, so Voegelin weiter, in den von Martial vorgenommenen Untersuchungen zur französischen Nation eine wichtige Rolle. Diese laufen darauf


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hinaus, Überlegungen anzustellen, welche fremden Völker zur Einwanderung zugelassen werden können und welche nicht. Kriterium für eine solche Entscheidung ist die Frage, ob solche immigrierenden Völkerschaften überhaupt von der französischen Kernrasse assimiliert werden können. Diese Auffassungen in der französischen Rassenidee sind den deutschen ähnlich, treten jedoch nicht so in den Vordergrund der Wahrnehmung wie diese, da sie keine der deutschen Rassentheorie vergleichbare politische Symbolik entwickeln. Bei Voegelin heißt es:

„Die französische Rassentheorie ist realistisch - sie erkennt den Realzusammenhang zwischen rassischem Aufbau und den geistigen und politischen höherstufigen Elementen des volklichen und nationalen Daseins, aber sie steigert dieses Element nicht bis ins Symbolische und Weltanschauliche. Es gibt ein Wissen von der Bedeutung des Blutes, aber keinen Mythus des Blutes. Die Symbolik hat ihre Akzente anders verteilt.“<648>

Die Illusion einer Rassenidee dieses Typs entsteht dadurch, daß politische Symbole als wissenschaftliche Erkenntnisse interpretiert werden<649>.
Ein zweites Beispiel für derartiges Mißverständnis liefert Voegelin mit der Darstellung des Rousseauschen Konzeptes einer französischen Volksidee. Die Etikettierungen als Liberaler, Rationalist, Aufklärer, Vertragstheoretiker etc., mit denen Rousseau gern als „Inbegriff des schlechten Kerls“<650> getadelt wird, hätten nur symbolische Bedeutung und sagen wenig über den Rousseauschen Ansatz in Gänze aus. Nicht zuletzt hebt Voegelin Rousseau‘s Einflüsse bei der Abfassung der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 hervor<651>. Beispielhaft führt Voegelin hierzu eine Stelle aus Rousseau‘s Gesellschaftsvertrag an, wo von vier Arten von Gesetzen gesprochen wird, die den Aufbau des Staates kennzeichnen.
Rousseau zufolge ist das erste Gesetz ein politisches Gesetz, welches die Staatsform festschreibt. Der zweiten Gesetzesart sodann, dem Zivilgesetz, gesellt sich eine dritte hinzu, das Strafgesetz<652>. Nunmehr gibt es, viertens, noch ein ungeschriebenes Gesetz, welches der politischen Kultur innewohnt und die Schaffung der ersten drei Gesetzesarten immer wieder neu belebt. Bei diesem vierten Gesetz ist die Rede

„von den Sitten und Gebräuchen und vor allem von der Meinung, von jenem Teilbereich, der unseren Politikern unbekannt ist, von dem aber der Erfolg aller anderen abhängt; jenem Teilbereich, mit dem sich der große Gesetzgeber insgeheim beschäftigt, während er sich auf besondere Einzelregelungen zu beschränken scheint, die nur den Bogen des Gewölbes darstellen, für das die weit langsamer sich entwickelnden Sitten schließlich den unverrückbaren Schlußstein bilden.“<653>

Für Rousseau ist diese vierte Gesetzesart

„die wichtigste von allen, die weder auf Marmor noch auf Erz, sondern in die Herzen der Bürger geschrieben wird; in ihr liegt die eigentliche Verfaßtheit des Staates; sie kommt täglich zu neuer Kraft; sie belebt oder ersetzt die anderen Gesetze, wenn sie altern oder verblassen, erhält ein Volk im Geist seiner Errichtung und setzt unmerklich die Macht der Gewohnheit an die Stelle der Staatsgewalt.“<654>


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Als Gegenstand des Gesellschaftsvertrages wird häufig zu Unrecht jedoch nur die erste Gesetzesart angesehen, die drei anderen hingegen nicht. Besonders die vierte Gesetzesart enthält Ansätze, die man bei Rousseau nicht vermuten würde, betrachtet man nur die erste Gesetzesart mit Bezug auf den Gesellschaftsvertrag. Die vierte Gesetzesart nimmt Bezug auf den Nationalcharakter, den ein Volk haben sollte und dessen Kenntnis eine Voraussetzung für die Verfassungsgebung ist. Voegelin versucht somit deutlich zu machen, daß die Rousseausche Terminologie nicht auf den „volonte generale“ als den Terminus, der das politische Gesetz beinhaltet, reduziert werden darf. Diese Eigenheit in der Argumentation ist zwar nicht typisch für Rousseau und den nationalen Charakter im politischen Denken der Franzosen, dennoch ist sie ebenso realistisch. Dieser Aspekt ist lediglich weniger deutlich in die politische Symbolik eingetreten, weshalb er als für das französische Denken untypisch empfunden wird<655>.
Anhand der Beispiele der französischen Rassen- und Volksidee gelangt Voegelin zu zweierlei Schlüssen. Erstens, bei der Herausarbeitung typisch nationaler Charaktere, die man einer bestimmten Idee zuerkennen will, ist stets Vorsicht geboten. Wenn man die Elemente eines Gefüges betrachtet, ist, bevor einige dieser Elemente als typisch etikettiert werden sollen, das Verhältnis der Elemente dieses Gefüges untereinander zu charakterisieren. Ebenso ist zu kennzeichnen, welche der Elemente eines Gefüges unter bestimmten Umständen die Rolle von Symbolen übernehmen. Zweitens, folgt daraus, daß vermeintlich charakteristische Probleme des totalen und autoritären Staates nicht nur dort existieren, wo ihnen das Etikett der Totalität angeheftet wird<656>.

3.2.4 Elite und Masse

Voegelin gelangt nun zu einer Frage, die das Problem der Erziehung eines Volkes betrifft. Bis dato betraf das Problem der Erziehung stets Einzelpersonen, die Herrschaft ausüben sollten, nunmehr geht es jedoch um die Erziehung eines Volkes. Mussolini, Fichte und Rousseau werden hierbei als Namen genannt, die sich in ihren Schriften der Problematik der Erziehung des Volkes widmeten<657>. Bezüglich des Prozesses der Erziehung eines Volkes zu einer Einheit, die durch die Erziehung zusammengehalten wird, führt Voegelin zwei Problemgruppen an. Erstens, besteht zwischen dem Erzieher und seinem Zögling ein Verhältnis, eine Idee, die der Erzieher dem Zögling vermittelt und die der Zögling vom Erzieher annimmt. Zweitens, stehen Erzieher und Zögling in einem hierarchischen Verhältnis zueinander, wobei der Erzieher die Idee, die er dem Zögling vermittelt, von Beginn an voll repräsentiert, während der Zögling zumindest zu Beginn der Erziehung diese entweder noch gar nicht oder nur teilweise repräsentiert. Die Erziehung kann wiederum auf zweierlei Weise enden. Entweder gelingt es dem Erzieher, die Idee zu vermitteln, der Zögling wird dann auf das Niveau des Erziehers angehoben,

„politisch folgt daraus eine Theorie der demokratischen Republik, in der alle Volksglieder gleich nahe der Idee der Gemeinschaft sind, der idealen Republik; es ist wie Santayana ihn charakterisiert, der Staat der ‚patrizischen Plebejer’“<658>.

Gelingt die Erziehung jedoch nicht oder nur teilweise, bleibt die Hierarchie zwischen Erzieher und Zögling, zwischen Elite und Masse, wie diese Begriffe dann auf die Ebene des Staates zu übertragen sind, bestehen. Auf diesen Gedanken baut das System Mussolinis auf, wo eine privilegierte faschistische Elite der Masse des Volkes gegenübersteht, erstere die letztere in den Staat, der auf die Wohlfahrt des ganzen Volkes bedacht ist, integriert.
Für das Problem der Rechtfertigung eines autoritären Staates ergeben sich folgende drei Möglichkeiten. Zum einen kann die Phase der Erziehung des Volkes durch eine Elite ein einmaliger Akt der Geschichte sein. Während dieser Zeit muß durch die Elite eine autoritäre Herrschaft über das Volk ausgeübt werden. Erst wenn die Erziehung des Volkes abgeschlossen, wenn also das Volk auf das Niveau der bisherigen Elite hin erzogen ist, dann ist die autoritäre Staatsform durch eine radikale Demokratie zu ersetzen. Eine zweite Möglichkeit besteht in dem Fall, wo die Erziehung des Volkes niemals ihr endgültiges Ziel erreicht. Hierbei wird die autoritäre Staatsform zu einem permanenten


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Erfordernis werden.
Drittens, kann es aber auch sein, daß der Prozeß der Erziehung zwar als endliche, ihr Ziel erreichende Phase angesehen wird, daß deshalb jedoch die Staatsform dennoch nicht zu einer radikalen Demokratie wie bei erstgenannter Möglichkeit führen muß. Anstatt hier eine radikale Demokratie zu etablieren, wird davon ausgegangen, daß die Teilhabe an der Idee nur einige Glieder des Volkes erreicht, so daß nur diesen dann die Teilhabe an der Willensbildung des Staates zuerkannt wird. Als Staatsform kommt hierfür dann ein autoritärer Staat in Betracht, in welchem es jedoch nicht zur Dauerherrschaft durch eine „ordensmäßig geschlossene Erziehungselite“<659> kommt.
Von diesen drei genannten Möglichkeiten für die Rechtfertigung des autoritären Staates sieht Voegelin die zweitgenannte Variante, die der permanenten autoritären Herrschaft, im nationalsozialistischen Deutschland und im faschistischen Italien realisiert. Für die erste und dritte Variante hingegen weist er auf einige Entwürfe hin<660>.
Auffällig und zweifelhaft an der von Voegelin unternommenen Zuordnung von Beispielen zur zweitgenannten Variante autoritärer Herrschaft bleibt freilich, daß Voegelin den Nationalsozialismus und den Faschismus überhaupt als „autoritär“ etikettiert, wo für diese beiden Herrschaftsformen stattdessen doch vielmehr das Etikett „totalitär“ angebracht wäre. Diese Inkonsequenz in der Verwendung bestimmter Termini dahingestellt lassend wendet sich Voegelin stattdessen der Analyse der genannten ersten und dritten Variante autoritärer Herrschaft zu.
Für die erstgenannte Möglichkeit autoritärer Herrschaft, die also eine vorübergehende Erscheinung ist und schließlich durch eine radikale Demokratie abgelöst wird, führt Voegelin die Elitentheorie von Louis-Auguste Blanqui an<661>. Diese ist ein Konzept, bei dem sich eine an die Macht gekommene Elite nicht nur als Regent, sondern auch als Volkserzieher begreift, „um das Volk auf die gleiche Stufe der Einsicht mit der Elite zu heben.“<662> Die Idee, die Blanqui entwirft, ist eine kommunistische. Elemente des Kommunismus seien nach Blanqui zur Zeit seiner Gegenwart bereits erkennbar in diversen Aktivitäten des Staates im Bereich des Steuerwesens, öffentlicher Unternehmungen usw.:

„Alle Verbesserungen der Steuer, die direkte Steuerverwaltung statt der Verpachtung derselben, die Post, der Tabak, das Salz sind kommunistische Neuerungen. Die industriellen Gesellschaften, die Handelsgesellschaften, die wechselseitigen Versicherungsgesellschaften aller Art tragen denselben Stempel. Die Armee, die Lehranstalten, die Gefängnisse, die Kasernen sind roher und brutaler, aber unvermeidlicher Kommunismus. Nichts geschieht außerhalb dieser Bahn. Die Steuer, die Regierung selbst ist Kommunismus, gewiß von schlimmerer Sorte und gleichwohl von absoluter Notwendigkeit.“<663>

Das Ziel der Entwicklung führt zur klassenlosen Gesellschaft, auf dem Wege dahin ist das noch vorherrschende Privateigentum an Produktionsmitteln in öffentliches Eigentum zu überführen. Allerdings gibt es bei Blanqui keine Diktatur des Proletariats. Die Rolle des Proletariats wird hier durch die französische Nation ersetzt. Der Kommunismus wird durch eine Pariser Revolution herbeigeführt und führt zu einer „Pariser Diktatur.“<664> Dieser Pariser Diktatur kommt nun die Rolle des Erziehers zu, welcher das Volk aufzuklären hat, so daß der Kommunismus irgendwann einmal nicht mehr auf der Grundlage der Pariser Diktatur, sondern auf dem freien Konsens des gesamten Volkes existiert. Nach Voegelins Auffassung nimmt sich dieses Konzept, welches letzten Endes in eine gewaltlose Herrschaft mündet, utopisch aus, jedoch enthält es alle wesentlichen Züge, die den totalen Staat kennzeichnen, das heißt Revolution mit Waffen, Propagandamonopol, Vernichtung von Gegnern


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usw.<665>.
Das Konzept Blanquis folgt jener Tradition in der Revolutionsgeschichte Frankreichs, nach der revolutionäre Bewegungen von Paris aus ihren Anfang nehmen<666>. Von den drei genannten Möglichkeiten der Rechtfertigung autoritärer Herrschaft wendet sich Voegelin nun noch der dritten Variante zu, also derjenigen

„eines autoritären Regimes, das die totale Einheit eines Volkes zur Voraussetzung hat, jedoch Vorsorge für eine solche Gestaltung der Institutionen trifft, daß mit einiger Sicherheit Personen zur Führung des Staates gelangen, die möglichst intensiv die Seele der Nation repräsentieren.“<667>

In den Vorstellungen von Ernest Renan, so Voegelin, sei das Volk nicht durch seine Vielzahl an Individuen bestimmt, sondern durch eine Seele, die keineswegs allen Individuen innewohnt, sondern nur einigen bestimmten. Die Masse des Volkes, die die Seele der Nation nicht in sich trägt, ist deshalb nicht zur Führung des Staates befähigt. Daher bleibt die Führung des Staates dauerhaft jener Elite vorbehalten, welche die Seele der Nation repräsentiert. Hier wird also eine Hierarchie zwischen Elite und Masse postuliert, die jedoch nicht mit einer Privilegierung der Elite und Benachteiligung der Masse gleichzusetzen ist. Es handelt sich bei dieser Hierarchie lediglich um ein Lebensgesetz, dem alle Völker unterliegen. Für das Frankreich bedeutet das als Konsequenz die Wiederherstellung von Monarchie und Adel, die im Zuge der französischen Revolution beseitigt worden waren.
Sollte dieses Vorhaben nicht gelingen, muß man den Gefahren einer republikanisch-demokratischen Verfassung vorbeugen und die Autorität des Staates sichern. Dieser Alternativplan ist nach Voegelins Auffassung auch von daher interessant, weil dessen Vorstellungen zum Teil Eingang in die autoritäre Verfassung Österreichs von 1934 gefunden haben.
Der Entwurf Renans, so Voegelin weiter, sehe als Volksvertretung zwei Kammern vor, welche die beiden Elemente repräsentieren, aus denen ein Volk besteht. Dabei handelt es sich, erstens, um die Individuen eines Volkes, dessen Bürger, und zweitens, um die gesellschaftlichen Leistungsgruppen. Die erste Kammer, die Vertretung der Bürger, konstituiert sich jedoch nicht auf der Grundlage direkter allgemeiner Wahlen, sondern wird indirekt über ein Wahlmännerkollegium gewählt. Die zweite Kammer hingegen vertritt Berufsverbände, Interessenvereinigungen und nicht zuletzt auch die Kirche. Dieser Alternativplan zur Restauration der dynastischen Monarchie scheint jedoch auch keine Dauerlösung zu sein. Es gibt, so Voegelin in seiner Darstellung des Ansatzes von Renan, auch realistische Modelle wie die Demokratie in Amerika und die Restauration der staatlichen Autorität im Staat Preußen, in Frankreich jedoch steht eine Realisierung dieser beiden Modelle nicht an. In der französischen Verfassungsentwicklung besteht somit eine langfristige Tendenz zur sozialistischen Demokratie mit einer Totalität der Wirtschaftsverfassung sowie in institutioneller Hinsicht die Entwicklung zur cäsaristischen Diktatur<668>.

3.2.5 Theorien der Autorität

Was bei Voegelin noch zu weiterer Ausführung gelangt, ist die Theorie von der Autorität der Institutionen. Inhaltlich stellt diese von Renan und Hauriou vertretene Theorie folgende Prämissen auf. Im Zentrum stehen die Institutionen des Staates. Denen gehört die erstrangige Autorität. Der Herrscher oder die Regierung des Staates besitzt die abgeleitete Autorität der Institutionen. Die institutionalistische Autorität verleiht dem Herrscher die Macht, der Herrscher ist Repräsentant der Institutionen, der Herrscher besitzt die Autorität somit nicht per se, also nicht kraft eigener Legitimation, sondern stets vermittelt durch die Institutionen des Staates. Die Persönlichkeit des Herrschers spielt somit keine Rolle mehr, er kann beliebig ersetzt werden, die Konstante der


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Herrschaft besteht in der Permanenz der Institutionen<669>.
Gegenwärtige Staatsrealität ist für Voegelin nunmehr das Österreich der Jahre ab 1934, die Ära Dollfuß und die sie prägende autoritäre Verfassung von 1934. In diese fand die instutionalistische Lehre von der Autorität Eingang. Den Begriff der autoritären Herrschaft hat der ab 1934 amtierende österreichische Bundeskanzler Engelbert Dollfuß in diversen Reden und Schriften bekräftigt. Bedeutsam ist hierbei unter anderem Dollfuß’ programmatische Rede beim ersten Generalappell der Vaterländischen Front auf dem Wiener Trabrennplatz am 11. September 1933<670>:

„Die Zeit des kapitalistischen Systems, die Zeit kapitalistisch-liberalistischer Wirtschaftsordnung ist vorüber, die Zeit marxistischer, materialistischer Volksverführung ist gewesen! Die Zeit der Parteienherrschaft ist vorbei! Wir lehnen Gleichschalterei und Terror ab, wir wollen den sozialen, christlichen, deutschen Staat Oesterreich auf ständischer Grundlage, unter starker, autoritärer Führung! Autorität heißt nicht Willkür, Autorität heißt geordnete Macht, heißt Führung durch verantwortungsbewußte, selbstlose, opferbereite Männer.“<671>

Die Ablehung der Willkür ist als eine Abgrenzung des autoritären Staates zum totalitären Staat zu interpretieren, wie ihn zu jener Zeit, in der Dollfuß Österreich regierte, das nationalsozialistische Deutschland verkörperte. Diesen Charakter autoritärer Herrschaft betont Dollfuß auch in seinem Leitartikel in der „Reichspost“ vom 24. Dezember 1933<672>:

„Daß jedes Gemeinwesen einer autoritären Führung, einer Autorität bedarf, die das Ganze nicht nur repräsentiert, sondern auch stark genug ist, die Vielheit geistiger und materieller Interessen zum Ganzen zu formen, ist heute nicht mehr strittig; allein Autorität ist nicht Willkürherrschaft, nicht Diktatur, sondern Führung durch ihrer Verantwortung bewußte und zu Opfern bereite Männer. Für die Bevölkerung Oesterreichs würde nach ihrer Eigenart auch die sogenannte Gleichschalterei untragbar sein, hinter der sich nichts anderes als Zentralisierung und Mechanisierung verbergen.“<673>

Gleichschalterei war jedoch ein Merkmal der Strategie der nationalsozialistischen Machtergreifung, die sich zeitgleich in Deutschland vollzog. Die ständische Neuordnung der Gesellschaft nimmt bei Dollfuß einen wichtigen Platz ein<674>. Für die ständische Neordnung sind es nicht zuletzt die Ideen eines Ignaz Seipel, die für Dollfuß bei diesem Konzept zur Anwendung kommen. Dieses und die Grundzüge der neuen autoritären Verfassung verdeutlicht Dollfuß in seiner Rundfunkansprache vom 1. Mai 1934<675>:

„Gedenken wir heute unseres Dr. Seipel, auf den sich jetzt nicht nur seine Freunde berufen, und denken wir daran, daß er die ganzen letzten Jahre seines Lebens geopfert hat, um uns den Gedanken der ständischen Umbildung, der ständischen Gestaltung des Lebens und des Staates zum Bewußtsein zu bringen. Wer sohin im Geiste der neuen Verfassung mithilft, berufsständisches Leben in Oesterreich lebendig zu machen, erfüllt damit das Vermächtnis Dr.

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Seipels, dieses größten Oesterreichers, setzt damit aber auch das geistige Erbe fort, das uns sechs Jahrhunderte deutscher Blütezeit überlieferten.“<676>

Auf die Ideen Seipels wird an späterer Stelle noch ausführlich einzugehen sein. Folgende Hauptelemente des Begriffes der autoritären Herrschaft vermeint nun Voegelin bei Dollfuß zu erkennen. Erstens, ist die Regierung der Repräsentant des Staates und verfügt in dieser Eigenschaft über Autorität. Zweitens, besteht die Aufgabe der Regierung darin, die Vielzahl der Interessen des Volkes zu einer Ganzheit zu integrieren. Die Regierung wird somit zum Urheber der Gemeinschaft, und an dieser Urheberschaft knüpft schließlich der Begriff der auctoritas an. Das Verständnis von auctoritas im Sinne von Urheberschaft präzisiert Voegelin mit Blick auf Haurious institutionalistische Theorie der Autorität.
Drittens, wird durch die autoritative Leistung die Regierung zum Vertreter des Staates. Viertens, besteht das Wesen der Autorität daher nicht in willkürlicher Diktatur, sondern in einer Vertretung des Staates, die durch den urheberschaftlichen Akt der Schöpfung des Staatsganzen legitimiert wird. Fünftens, hat der autoritäre Staat hierarchisch gegliedert zu sein, wobei die Macht in den Händen der Regierung konzentriert, den nachgeordneten Ständen jedoch die Autonomie zur Selbstverwaltung zugestanden wird. Sechstens, hat jedoch im autoritären Staat Dollfuß’ auch das „consentement coutumier“ seine Existenzberechtigung. Auch diesen Begriff leitet Voegelin aus den Ausführungen zu Haurious institutionalistischer Theorie der Autorität ab<677>.
Voegelin sieht in den Ansätzen Dollfuß’ zu Recht eine Parallelität zur Theorie Haurious, jedoch betont er zugleich, daß hier weder Dollfuß von Hauriou beeinflußt worden noch daß die Parallelität zwischen beiden Zufall ist. Vielmehr sei hier die politische Lage Österreichs ausschlaggebend, die Dollfuß in seiner Eigenschaft als österreichischer Bundeskanzler auf Theorien zurückgreifen ließ, welche auf dem Boden eines für die moderne Staatstheorie richtungweisenden europäischen Staates, eben Frankreich, entstanden sind<678>.

3.2.6 Aktivismus - Element in der Realität des totalen Staates

Voegelin gibt sich prinzipiell damit zufrieden, daß seine Untersuchung der Probleme des totalen und autoritären Staates kaum umfassende Vollständigkeit für sich beanspruchen kann, da es sich beim autoritären und totalen Staat nicht etwa nur um singuläre Elemente handelt, die diesen von anderen Staatsformen unterscheiden, sondern es um Grundprobleme der Existenz des Staates schlechthin geht. Nicht zuletzt stellt die Erscheinung des totalen Staates möglicherweise eine Vorstufe zur Auflösung des Nationalstaates dar. Dennoch vermeint Voegelin, noch auf ein weiteres Merkmal des totalen Staates hinweisen zu müssen, die in seiner Untersuchung auf keinen Fall fehlen dürfe, nämlich den „Zustand seelischer Aktivierung“<679>, in welchem sich die Bevölkerungsmassen beim Gegebensein einer solchen Staatsrealität befinden. Erst unter dieser Voraussetzung seien die Zerstörung des liberalen Staates und die Erziehung zu einer uniformen Weltanschauung denkbar.
Somit macht der Aktivismus ein unverzichtbares Element in der Wirklichkeit des totalen Staates aus. Dieser Aktivismus ist nun durch vier Momente gekennzeichnet. Erstens, hat dieser seine Ursprünge bereits im modernen europäischen Staat. Voegelin geht hierbei bis zur französischen Revolution zurück und erblickt in dieser den Beginn eines militärischen Aktivismus’ des Volkes. Der militärische Aktivismus weitet sich, zweitens, zu einem politischen Aktivismus aus, dieser zieht sich in Mitteleuropa bis in die Zeit nach dem Ende des Ersten Weltkrieges hin, eine Zeit, in der eine Politisierung breiter Bevölkerungsmassen zu verzeichnen ist. Drittens, ist der Aktivismus im Zusammenhang mit der von Voegelin so bezeichneten „Vermachtung“ in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht zu sehen<680>.
Viertens, ändern sich mit der technischen Aktivierung die Anforderungen, die an die menschlichen Fähigkeiten zu stellen sind. Diese führen zu einem erhöhten Druck auf die Seele des Menschen. Die Konsequenzen dieser Entwicklung sind wiederum zweierlei. Zum einen können sich intellektuelle Einzelleistungen nicht mehr frei entfalten, da diese dem Konkurrenzdruck anderer ausgesetzt sind, zum anderen können Ideen sofort zur massenhaften Verbreitung gelangen, indem sie sich technischer


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Hilfsmittel, wie Rundfunk, Presse und Versammlungsreden bedienen. Da hierdurch auch die Staatsautorität zersetzt, die Bevölkerung gegen die Regierung aufgehetzt werden kann, liegt es im staatlichen Interesse, solche technischen Einrichtungen mit Multiplikatoreffekt zu monopolisieren und für eigene Propagandazwecke nutzbar zu machen, um jegliches oppositionelles Vakuum im Milieu eines politisch aktivierten Volkes zu verhindern<681>.

3.2.7 Fazit zum Begriff des „totalen“ und „autoritären“ Staates

Als Fazit zu den Begriffen des „totalen“ und „autoritären“ Staates bleibt festzuhalten: Ein Staat ist „total“, wenn er den Anspruch erhebt, über das menschliche Individuum in der Steuerung aller seiner Lebensbereiche von der Wiege bis zur Bahre zu verfügen. Nationalsozialismus und Kommunismus sind Musterbeispiele dieser Konzeption. Verzichtet ein Staat hingegen auf derartige Ansprüche und übt lediglich eine Herrschaft aus, die sich nicht demokratisch, sondern durch obrigkeitstreue Begründungen der Machtausübung der unterschiedlichsten Art legitimiert, so ist der Staat seinem Charakter nach nicht „total“, sondern „autoritär“.
Ein „autoritärer“ Staat ist somit auch nach Voegelins Auffassung keine Tyrannei, in welche ein „totaler“ Staat mit Regelmäßigkeit ausarten würde. Im Gegenteil, wie noch zu zeigen sein wird, hält Voegelin den „autoritären“ Staat für eine gelungene Konstruktion, insbesondere im Hinblick auf die Situation im Österreich der 1920er und frühen 1930er Jahre, wo sich der „parlamentarisch-demokratische“ Staat ähnlich wie in der Weimarer Republik des Deutschen Reiches offenbar nicht bewährte.
Wenn nun Voegelin zusammenfassend über seine Untersuchung der Begriffe „total“ und „autoritär“, die in seine Abhandlung über den Autoritären Staat einführt, nachdenkt, so gelangt er zu der Erkenntnis, daß diese Termini lediglich politische Symbole, nicht jedoch wissenschaftliche Kategorien sind. In der Charakterisierung solcher Termini als Symbole läßt sich bereits ein Element nachweisen, welches auch in späteren Schriften, etwa seiner Neuen Wissenschaft der Politik, auftaucht und somit zum Bestandteil jenes „roten Fadens“ wird, der Voegelins gesamtes Werk durchzieht<682>. Diese Symbole seien aus einem spezifisch historischen Erfordernis geboren worden, aus der politischen Notwendigkeit, einen Zustand anarchischer Zersplitterung durch die Errichtung einer Staatsautorität zu beenden:

„Die Aufgabe der wissenschaftlichen Begriffsbildung ist es, diese Situation in ihrem Gefüge aufzuhellen, den Symbolwert bestimmter Ausdrücke klarzustellen, und darüber hinaus die Ordnungsprobleme des Staates zu durchleuchten, die in den Forderungen nach Autorität und Totalität gipfeln.“<683>

Diese Auffassung bleibt nicht ohne Konsequenzen. So sei es wissenschaftlich nicht gerechtfertigt, etwa zwischen liberalem und totalem Staat zu unterscheiden, ersterem beispielsweise Frankreich und England, letzterem Deutschland und Italien zuzuordnen. Totalitätselemente finden sich auch in den beiden erstgenannten „liberalen“ Staaten, wenn auch in graduell geringerer Intensität als in beiden letztgenannten „totalen“ Staaten. Totale und autoritäre Elemente seien prinzipiell Merkmale des modernen Staates, die teils mehr, teils weniger ausgeprägt sein mögen<684>.

3.3 Das Problem der österreichischen Verfassung seit 1848

3.3.1 Voraussetzungen

Voegelins Untersuchung der Begriffe „total“ und „autoritär“ wird im ersten Teil seines Autoritären Staates nur auf der Ebene der Allgemeinheit durchgeführt. Diese Problematik ist im Hinblick auf die Verfassung des österreichischen Staates zu konkretisieren. Betrachtet man hierbei die österreichische Verfassungsgeschichte, gibt es einen ganz konkreten Zeitpunkt, von dem an diese Problematik für Österreich relevant wird. Voegelin läßt seine Ausführungen zum österreichischen Verfassungsproblem


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mit dem Jahre 1848 beginnen, weil sich die damals konstituierten wesentlichen Merkmale der Herrschaftssituation bis zum Ende der Monarchie und teilweise sogar darüber hinaus gehalten haben<685>.
Als Literatur zu diesem Thema ist auf die Arbeiten von Josef Redlich<686> und Heinrich von Srbik<687> zu verweisen. Voegelin selbst bezieht sich in seinem Autoritären Staat vor allem auf Baron Joseph Eötvös und der von diesem entworfenen Verfassungslehre für den österreichischen Staat.

3.3.2 Die Verfassungslehre des Barons Eötvös

Das, was die Arbeiten von Eötvös auszeichne, so Voegelin, seien seine Offenheit und Objektivität der Betrachtung. Eötvös’ Betrachtung des Nationalitätenproblems ist psychologischer Natur. Die Nation sei kein rationaler Tatbestand, sondern nur auf der gefühlsmäßigen Ebene zu erklären:

„Keine der Richtungen, welche die europäische Menschheit in der Gegenwart verfolgt, ist schwerer zu verstehen, als jene, zu welcher das allgemeine Streben so vieler Völker, sich als Nationen geltend zu machen, Anlaß gegeben hat. So allgemein das Gefühl der Nationalität ist, so ist es doch nur ein Gefühl, welches Einzelne und oft ganze Völker erfaßt, zu den größten Anstrengungen bewegt und zu den edelsten Thaten hinreißt, ohne daß man sich Rechenschaft darüber geben könnte, warum man dem Drange seines Innern nicht widerstehen konnte.“<688>

Im Sinne Eötvös’ ist das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Nation nach Voegelins Auffassung ein innerlicher Drang, aufgrund seelischer Bedürfnisse die individuelle Person auf eine Gemeinschaft auszuweiten<689>. Das Bedürfnis, einer bestimmten Nation anzugehören, so Eötvös weiter, wird, erstens, aus der Überzeugung geboren, daß eine solche Zugehörigkeit vorteilhaft und jene bestimmte Nation anderen Nationen überlegen ist:

„Die Grundlage jedes Nationalgefühles ist die Ueberzeugung, daß es ein Vorzug ist, einem gewissen Volke anzugehören, weil dasselbe an geistigen oder moralischen Eigenschaften andere übertrifft, und diese höhere Begabung entweder in der Vergangenheit bewährt hat, oder dazu berufen ist, sie in der Zukunft geltend zu machen. Der Zweck ist, dieser höheren Begabung eines Volkes ihre volle Geltung zu verschaffen, indem man vor Allem auf die Entwicklung der in dem Volke schlummernden Kräfte bedacht ist, um demselben dann die ihm gebührende Herrschaft über andere zu sichern. Die Grundlage aller nationellen Bestrebungen ist das Gefühl höherer Begabung, ihr Zweck ist Herrschaft.“<690>

Diese Zugehörigkeit zu einer Nation und das Gefühl der Überlegenheit wird dann, zweitens, umgesetzt in politisches Handeln, welches nach Herrschaft trachtet. Drittens, spielt in den Betrachtungen Eötvös’ die Erblichkeit als Faktor des Nationalgefühls eine Rolle. Die Zugehörigkeit zu einer Nation ist dem Menschen angeboren:


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Und was ist die Art, durch welche man zur Theilnahme an jenen Vorrechten gelangt, durch welche sich privilegirte Klassen auszeichnen? - Es ist, einzelne Fälle ausgenommen, das Prinzip der Erblichkeit.“<691>

An diesem Punkt sieht Voegelin die Grenzen in den Betrachtungen Eötvös’. Eingliederung im geistigen Sinne und Bekenntnis zur Nation unter dem Aspekt der Nation als Lebensgemeinschaft sieht Voegelin in den Abhandlungen Eötvös’ noch nicht<692>. Die Erklärung dieser Sicht sieht Voegelin in der zu Eötvös’ Zeit noch fehlenden Migrationsbewegung großer Bevölkerungsteile. Die Seßhaftigkeit war sehr stark ausgeprägt, so daß der völkerschaftliche Zusammenhang mit dem entsprechenden Gebiet zusammenfiel, ausschließlich leiblich-erblich vermittelt wurde und sich von Generation zu Generation fortpflanzte. Die Kennzeichnung des Nationalgefühls durch die drei genannten Merkmale überträgt Eötvös nunmehr analog auch auf anderweitige gesellschaftliche Gruppen, die durch den Glauben an die eigene Höherwertigkeit gegenüber anderen Gruppen, dem Drang zur Herrschaft und die Erblichkeit ihrer Gruppenintegrität bestimmt sind. Angesprochen wird hiermit besonders das Phänomen des Erbadels. Ein solches Beispiel sei auch das Kastensystem in den Staaten Asiens.
Der absolute dynastische Staat ist die zu Eötvös’ Zeit vorherrschende Staatsform. Dieser integriert unter sich eine Vielzahl von Bruchteilen verschiedener Völkerschaften. Hiervon ausgehend werden nun Gesetze aufgestellt, die das Verhältnis des Prinzips der Nationalität mit anderweitigen Prinzipien im Staatsleben beschreiben. Hierbei handelt es sich um Gesetze, die die Unverträglichkeit der miteinander in Beziehung gebrachten Prinzipien feststellen. Das Prinzip der Nationalität sei daher unverträglich, erstens, mit den Prinzipien von Freiheit und Gleichheit, welche Ausdruck von Liberalismus und Demokratie sind, zweitens, mit dem absoluten dynastischen Staat, drittens, mit der Existenz von auf übernationaler Ebene privilegierten gesellschaftlichen Gruppen und, viertens, mit dem Prinzip der Volksouveränität und demokratischer Mehrheitsbildung im Staatswesen. Bei Eötvös heißt es:

„Niemand zweifelt daran, daß das Bestehen privilegirter Klassen mit den Prinzipien der Gleichheit und Freiheit im Widerspruche steht. Und was ist wohl die Grundlage des Bestehens jeder privilegirten Klasse? Ohne Zweifel die Ueberzeugung von einer höhern Begabung und Berechtigung dieser Klassen! Und was ist ihr Zweck anderes als Herrschaft? wie man diesen Zweck, auch mit Erwähnung des allgemeinen Wohles, der größern Aufopferung für den Staat, und mit andern Gründen, für die sich so mancher Beweis in der Geschichte finden ließe, zu bemänteln trachtet. Die Ursache, warum man das Bestehen von privilegirten Klassen in einem auf den Grundsätzen der Gleichheit und Freiheit erbauten Staate für unzulässig hielt, war ja eben die, weil man überzeugt war, daß jede privilegirte Klasse, auch wenn sich ihre Vorrechte nicht direkt auf die Regierung des Staates beziehen, als Zweck nothwendig nach Herrschaft streben muß.“<693>

Wenn nun das Nationalbewußtsein der in einem Vielvölkerstaat integrierten Völkerschaften erwacht, so drängen diese nach einer Sprengung des allein durch dynastische absolute Herrschaft zusammengehaltenen Staatsverbandes. Neben Österreich sind hier auch die Türkei, Frankreich und die Schweiz beispielhaft anzuführen. Jedoch habe Eötvös, wie Voegelin befindet, auch erkannt, daß der absolute Staat zugleich die Staatsform ist, in welcher sich die Nationalitäten freier entfalten können, als sie es in einem liberalen und demokratischen Staat vermögen<694>.
Als Beispiel wird hier die Auflösung des absoluten Staates im Zuge der französischen Revolution angeführt, in deren Folge die nichtfranzösischen Völkerschaften Frankreichs durch die Franzosen assimiliert worden seien. Das Bekenntnis zu Freiheit und Gleichheit einerseits sowie zu einem Nebeneinander verschiedener Nationalitäten andererseits wird bei Eötvös als ein Spagat betrachtet, beides gleichzeitig läßt sich nicht erreichen, es gibt hier nur ein entweder oder, die Förderung des einen geht stets zu Lasten des anderen:


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„Praktisch hat sich der Gegensatz dieser Prinzipien später auch bei der französischen Revolution bewährt. Die Idee der Nationalität ist durch die Begriffe der Gleichheit und Freiheit zwar nie verdrängt worden, doch ist später das Gegentheil geschehen, und der Begriff nationeller Größe hat die Herrschaft Napoleons zur volksthümlichen gemacht, so sehr seine Regierung auch alle Grundsätze der Freiheit und Gleichheit verletzt hat.“<695>

Bei Eötvös findet sich die These, daß es im 18. Jahrhundert die Determination des Staatswesens durch ein Volk nicht mehr gegeben habe. Besonders das Christentum hätte zu einer Überwindung der Differenzierung in Völkerschaften beigetragen. Die „Nation“ hingegen sei eine neuartige Erscheinung, denn mit ihr verbunden sind, wie Voegelin hervorhebt, die Prinzipien der Volkssouveränität und der Herrschaft der Mehrheit des Volkes.
Durch das Nationalitätenprinzip werden die herkömmlichen Autoritäten im Staat aufgelöst. Voegelin weist darauf hin, daß Eötvös’ hohes Maß an Einsichten durchaus nicht diesem persönlich zuzuschreiben ist, sondern sich dessen vielmehr auch bei seinen Zeitgenossen fände und von daher Zeugnis über eine Staatstheorie ablegt, die sich insgesamt auf hohem Niveau bewegt und deren wichtigste ideengeschichtliche Quelle bei Montesquieu zu finden sei. Was es in Österreich nicht gab, war aufgrund seines Charakters als Vielvölkerstaat ein Nationalbewußtsein, bezogen auf die gesamte Monarchie. Wenn man sich völkerschaftlich überhaupt mit etwas identifizierte, dann waren es die Provinzen, aus denen sich die österreichische Monarchie zusammensetzte, darunter auch die Provinz Österreich in engerem Sinne.
Bei Eötvös wird zugleich von einer absoluten Monarchie eingefordert, daß diese die bürgerlichen Freiheitsrechte anerkennt und auf der lokalen Ebene das Prinzip der Selbstverwaltung zuläßt. Für Österreichs Einheit erachtet Eötvös die Einrichtung einer Verfassung als beste Garantie:

„Es ist eine Thatsache, daß sich in neuerer Zeit bei allen Völkern des westlichen Europa, besonders bei den Deutschen das lebhafteste Streben nach constitutionellen Einrichtungen gezeigt hat. Es würde zu weit führen, die Ursachen zu untersuchen, denen wir das Entstehen dieses Strebens zuschreiben müssen. Die wichtigste liegt jedenfalls in der Richtung, welche man in Hinsicht der innern Einrichtung des Staats in neuerer Zeit überall befolgt hat. In dem Maße, als man das Princip der Selbstregierung im Interesse der centralen Staatsgewalt beschränkt und die Gemeinden und Corporationen der Freiheit, die sie innerhalb eines gewissen Kreises früher besessen, beraubt hat, mußte auch das Begehren lebhafter werden, an jener einzigen Gewalt theilzunehmen, die nun alles regierte. Das Uebermaß der Centralisation, welches [...] in Frankreich zur Revolution geführt hat, mußte auch in andern Staaten wenigstens ein Streben nach constitutionellen Einrichtungen zur Folge haben.“<696>

In diesen Forderungen Eötvös’ finden sich Analogien zu entsprechenden Forderungen, die in Preußen seinerzeit der Freiherr von Stein erhoben hat. Sowohl Eötvös als auch von Stein haben, wie Voegelin resümiert, dasselbe politische Ziel gehabt, ersterer bezogen auf Österreich, letzterer bezogen auf Preußen,

„die Transponierung eines bloß gefühligen Politisierens, das Goethe so entsetzte, in eine feste staatsbürgerliche Haltung, und er [Eötvös] löst es ähnlich durch die Forderung weitgehender Selbstverwaltung, in der die Staatstreue sich allmählich durch die Teilnahme des Bürgers an Geschäften bilden soll, die seinem persönlichen und sachlichen Horizont gemäß sind.“<697>


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3.3.3 Die Verfassungsentwicklung zwischen der Revolution von 1848/49 und der österreichischen Staatsgründung von 1918/20

Bezüglich der verfassungstheoretischen Analysen und Forderungen des Barons Eötvös versucht Voegelin herauszufinden, mit welchen Erfahrungen während der Ereignisse der Revolution von 1848 diese untermauert werden können. Zu diesem Zwecke analysiert Voegelin diverse Verfassungsdokumente jener Zeit. Hinzuweisen ist darauf, daß die österreichische Monarchie nicht den Charakter einer absoluten Herrschaft in sich trug, sondern eher der mittelalterlichen Herrschaftsauffassung von einem Schutz- und Gefolgschaftsverhältnis zwischen Monarch und Untertanen entsprach. Im Gefolge der Ereignisse des Jahres 1848 wird eine Verfassung für den österreichischen Kaiserstaat verabschiedet. Diese Verfassung stellt jedoch nicht etwa ein durch die Volkssouveränität legitimiertes Dokument dar, sondern ist ein Oktroi seitens des Monarchen, die Einlösung des kaiserlichen Versprechens gegenüber dem Volk. In den Verfassungsdokumenten, die in die Zeit vom März bis zum Mai 1848 fallen, erkennt Voegelin vier Grundideen als wesensbestimmend.
Dies sei, erstens, eine revolutionäre Idee der Erneuerung der politischen Ordnung, hervorgerufen dadurch, daß das Volk als politischer Faktor in die Staatsordnung eintritt. Zweitens, tritt hervor eine ständisch-monarchische Idee, die von einem in mittelalterlicher Tradition stehenden Verhältnis gegenseitiger Schutz- und Treueverpflichtung zwischen Monarch und Ständen ausgeht, wobei die Stände nunmehr ersetzt werden durch andere historische Einheiten wie Völkern, Ländern und Nationen. Drittens, gehe aus den Verfassungsdokumenten hervor eine landesväterliche Idee, wonach der Herrscher um die Wohlfahrt seiner Untertanen besorgt ist. Viertens, schließlich hat man es mit der Idee des Oktrois zu tun, einer autoritären Idee, nach welcher die Rechte des Volkes vom Herrscher gewährt und ebenso wieder zurückgezogen werden können<698>. Die neue Verfassung Österreichs wurde schließlich durch ein Manifest vom 4. März 1849 oktroyiert<699>.
Diese als „Kremsierer Entwurf“ bezeichnete Verfassung wurde auch von Voegelins Zeitgenossen wie z. B. Ludwig Adamovich in den 1920er Jahren als verfassungsgeschichtlich bedeutsam angesehen, da diese eine Reihe von Parallelen zur der späteren Bundesverfassung von 1920 aufwies, wobei dieser Umstand nicht auf bewußte Anlehung an den Kremsierer Entwurf, sondern auf ähnliche Voraussetzungen zurückzuführen ist, unter denen beide Verfassungswerke entstanden<700>. So

„weist auch der Kremsierer Entwurf jene eigenartige Form der staatlichen Organisation auf, die der österreichischen Bundesverfassung ihr charakteristisches Gepräge gibt: Bewußte Betonung des föderalistischen Prinzips bei möglichster Zentralisation der Kompetenzen beim Oberstaate, hinter dessen Zuständigkeiten die Kompetenz der Länder weit zurückbleibt.“<701>

Für die politischen Umstände, die bei einer Betrachtung der Verfassungstheorie des Barons Eötvös und der Ereignisse während der Revolution von 1848 erkennbar werden, arbeitet Voegelin Merkmale heraus, die für die Situation als signifikant angesehen werden können. Charakteristisch ist zum einen das Aufkommen der Nationalidee. Dieses bleibt nicht ohne Konsequenzen auf die politische Ordnung. So wird vor allem die Herrschaft des Monarchen durch eine Verfassung eingeschränkt, der Staat in eine konstitutionelle Monarchie verwandelt. Was den Vielvölkerstaat Österreich betrifft, werden dessen Völkerschaften zu Bestandteilen des Staatsvolkes. Da sich diese vielen Völker zu Nationen entwickeln, kann sich ein Staatsvolk österreichischer Nation nicht bilden.
Diese vielen Völker wollen stets in ein unmittelbares Verhältnis zum Monarchen treten und dabei die von der Verfassung geschaffenen Einrichtungen des Staates umgehen, so daß in einem


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Vielvölkerstaat kaum von einer funktionierenden konstitutionellen Monarchie gesprochen werden kann. Vielmehr ähnelt dieses Herrschaftsverhältnis eher der mittelalterlichen Auffassungswelt. Bei einer Betrachtung der durch die Ereignisse von 1848 geschaffenen politischen Ordnung Österreichs stellt sich diese für Voegelin als Schwebezustand zwischen mittelalterlichem „Reich“ und modernem „Staat“ dar. Jede Entscheidung, welche die Entwicklung des liberalen Verfassungsstaates begünstigt, fördert zugleich die Entwicklung zum Nationalstaat und führt zu einem Untergang des Reiches mit seiner mittelalterlichen Herrschaftsstruktur eines Vielvölkerstaates. Derartigen Entwicklungen wird jedoch vorgebeugt mit einer reaktionären Stärkung der Staatsautorität. Diese Merkmale bleiben für die politische Ordnung Österreichs bis 1918 kennzeichnend<702>. Auch in der Zeit nach 1918 behält die österreichische Situation ihre eigenen Charakteristika. Bei Voegelin heißt es dazu:

„Ein Staatsgebilde wird in einer Zeit der Geltung extrem demokratischer Legitimierungsideen geschaffen, ohne daß ein Demos vorhanden wäre, der den Willen zum Staat hätte; der Staatsgründer ist eine zentrale Regierungsgewalt, die aber nicht selbst als Gründer des Staates auftreten darf und will, sondern sich so gebärden muß, als sei sie Vertreter eines Volkswillens. Es beginnt mit der Gründung der Republik eine Periode der demokratisch verschleierten undemokratischen Staatsführung.“<703>

Auch diese Situation versucht Voegelin in diversen Verfassungsdokumenten jener Zeit nachzuweisen<704>. Die Gründung der österreichischen Republik erfolgte in den Jahren 1918 bis 1920. Für das Ergebnis dieser Gründung stellt Voegelin folgende Merkmale als konstitutiv heraus. Zum einen ist das Gebiet des Staates Österreich ein Ergebnis des Vertrages von St. Germain, die nichtdeutschen Nationen schieden aus dem österreichischen Staat aus. Weiterhin ist das neugegründete Staatswesen nicht durch den politischen Willen eines Staatsvolkes zustande gekommen, letzteres gab es in Österreich nicht. Zudem existierte auch keine Staatsführung, welche sich die Urheberschaft für den neuen Staat in Anspruch nehmen konnte. „Die realen Mächte waren die aus der Monarchie freigewordenen Kronländer und die Parteien.“<705> Der neu entstandene Staat war somit eine parlamentarische Demokratie, welche sich 1920 eine formelle Verfassung gegeben hatte. Jedoch sieht Voegelin hier eine Staatsform und eine Verfassung, die eingerichtet worden sind, obwohl sie den existentiellen Voraussetzungen der politischen Kultur noch lange nicht entsprachen<706>.

3.4 Das Problem der autoritären Verfassung Österreichs von 1934

3.4.1 Voegelins Auseinandersetzung mit Kelsens „Reiner Rechtslehre“

3.4.1.1 Die Idee der „Reinen Rechtslehre“

Die von Voegelin postulierte Zielsetzung, die administrative Verfassungslehre Österreichs durch eine politische zu ersetzen, ist gleichbedeutend mit dem Versuch, das Paradigma der von Hans Kelsen geschaffenen „Reinen Rechtslehre“ zu überwinden, welche bis dato die theoretische Grundlage der „administrativen“ Verfassungslehre Österreichs darstellte. Was genau ist als „Reine Rechtslehre“ zu begreifen? In Kelsens grundlegendem Werk Reine Rechtslehre findet sich hierzu die folgende Definition:

„Wenn sie sich als eine ‚reine‘ Lehre vom Recht bezeichnet, so darum, weil sie nur eine auf das Recht gerichtete Erkenntnis sicherstellen und weil sie aus dieser Erkenntnis alles ausscheiden möchte, was nicht zu dem exakt als Recht bestimmten Gegenstande gehört. Das

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heißt: sie die Rechtswissenschaft von allen ihr fremden Elementen befreien. Das ist ihr methodisches Grundprinzip.“<707>

In seiner Allgemeinen Staatslehre postuliert Kelsen „(d)ie Einheit von Staat und Recht.“<708> Wenn also, wie es dort weiter heißt, akzeptiert wird,

„daß die Existenzsphäre des Staates normative Geltung und nicht kausale Wirksamkeit, daß jene spezifische Einheit, die wir in dem Begriff des Staates setzen, nicht in der Welt der Naturwirklichkeit, sondern in jener der Normen oder des Wertes liegt, daß der Staat seinem Wesen nach ein System von Normen oder der Ausdruck für die Einheit eines solchen Systems ist, dann ist damit die Erkenntnis, daß der Staat als Ordnung nur die Rechtsordnung oder der Ausdruck ihrer Einheit sein kann, eigentlich schon erreicht.“<709>

Dennoch genieße, so Kelsen, seine These einer Identität von Staat und Rechtsordnung deshalb keine allgemeine Anerkennung, weil der Staat selbst nicht als eine Ordnung angesehen werde. Ist man nämlich dazu bereit,

„dann bedeutet die Ablehnung der Identität den Dualismus zweier Normensysteme, von denen das eine die positive Rechtsordnung ist, das andere aber nur einen Komplex ethisch-politischer Normen bedeuten könnte.“<710>

Vom Staat bliebe also nicht mehr viel übrig, wenn er zur Rechtsordnung in Gegensatz gestellt wird.

„Ist der Staat ein Normensystem, kann er nur die positive Rechtsordnung sein, weil neben dieser die Geltung einer anderen Ordnung ausgeschlossen sein muß. Wäre der Staat ein anderes als das System der positiven Rechtsnormen, dann könnte man von ein und demselben Standpunkte innerhalb ein und derselben Erkenntnissphäre ebenso wenig behaupten, daß Staat und Recht nebeneinander oder miteinander existieren, wie der Jurist die Geltung der Moral, der Moralist die Geltung des positiven Rechtes behaupten kann.“<711>

Zusammengefaßt ist laut Voegelin unter dem Begriff der reinen Rechtslehre also zu verstehen „(d)ie Idee, daß das Wesen des Staates in seine Identität mit der Rechtsordnung, verstanden als ein Inbegriff von Normen zu setzen sei“<712>. Mit der Rechtsordnung ist hier, wie deutlich geworden ist, allein der Bereich des positiven Rechts gemeint, und allein darauf ist das Wesen des Staates zu reduzieren. Der Rechtspositivismus Kelsens postuliert „(d)as Ideal einer objektiven Wissenschaft von Recht und Staat“<713>. Ein solches Staatsverständnis, wie es der „Reinen Rechtslehre“ Kelsens zugrunde liegt, ist somit zugleich der Ausdruck einer positivistischen Metaphysik, die ja nun von Voegelin gerade bekämpft wird. Voegelin steht jedoch in der klassischen Metaphysiktradition von Sokrates und Platon und vertritt eine umfassende Ontologie, die über den positivistischen Horizont hinausgeht. Dementsprechend geht Voegelin auch von einem Staatsverständnis aus, welches als konstituierende Elemente des Wesens „Staat“ einiges mehr einschließt als nur den Bereich der Rechtsordnung. Zudem ist sich Voegelin der Bemühungen Carl Schmitts bewußt, gegen den Rechtspositivismus anzugehen<714>. Bei Schmitt heißt es kritisch zum rechtspositivistischen Ansatz Kelsens:

„Bei Kelsen [..] gelten nur positive Normen, d. h. solche, welche wirklich gelten; sie gelten nicht, weil sie richtigerweise gelten sollen, sondern ohne Rücksicht auf Qualitäten wie Vernünftigkeit, Gerechtigkeit usw. nur deshalb, weil sie positiv sind. Hier hört plötzlich das

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Sollen auf und bricht die Normativität ab; statt ihrer erscheint die Tautologie einer rohen Tatsächlichkeit: etwas gilt, wenn es gilt und weil es gilt. Das ist ‚Positivismus’.“<715>

Was die „Reine Rechtslehre“ Kelsens angeht, so steht diese in der Tradition des Neukantianismus<716>. Mit dieser Schultradition verbunden ist das Postulat der Methodenreinheit in der Wissenschaft. Hiermit wird folgende Sichtweise eingefordert: Die Seinsordnung an sich ist erkenntnistheoretisch nicht erfaßbar. Erfaßbar sind lediglich Ausschnitte der Seinsordnung, also bestimmte Seinsbereiche. Diese Seinsbereiche, und das ist das Charakteristikum der neukantianischen Methodenkritik, lassen sich jeweils aufgrund einer einheitlichen Methodenkategorie erkennen. Mit jeder Methode, wenn sie in ihrer „Reinheit“ angewendet wird unter Verzicht auf Synkretismus mit anderen Methoden, lassen sich Aussagen von theoretischer Relevanz über einen ganz bestimmten Bereich der Seinsordnung gewinnen. Mit dieser Betrachtungsweise wird die These bekämpft, wonach selbst zum Erfassen eines bestimmten Bereiches der Seinsordnung der Synkretismus verschiedener Methoden erforderlich ist<717>. In Voegelins Aufsatz Reine Rechtslehre und Staatslehre von 1925 heißt es:

„Die Erkenntnis bildet nicht einen in der Realität an sich gegebenen Gegenstand ab, sie kann nicht um einen solchen Gegenstand gleichsam herumgehen, wie um ein Raumding und in verschiedenen Wissenschaften seine mehreren Seiten erfassen, sondern apriorische, aller Erfahrung vorhergehende Formen bestimmen den Charakter der Urteile und damit der Gegenstandsstruktur, die sich in diesen Urteilen gibt. Jede Gruppe solcher apriorischer Formen, die Methode, erzeugt ihren eigenen Gegenstand“<718>.

Voegelins Kritik richtete sich, wie er später in seinen Autobiographischen Reflexionen betont, eigentlich nicht gegen Kelsens „Reine Rechtslehre“ selbst, sondern vielmehr gegen die ihr zugrunde liegende neukantianische Methodologie<719>:

„Meine Distanz zu Kelsen entstand aufgrund der ideologischen Komponenten der Reinen Rechtslehre, die der eigentlichen Logik des Rechtssystemes aufgepropft sind, deren Gültigkeit jedoch nicht schmälern. Sie können ausgeklammert werden, ohne daß sich dabei das Kernstück der Lehre verändert. Jene aufgepropfte Ideologie war die neokantianische Methodologie, welche den Gegenstandsbereich einer Wissenschaft bestimmte mittels der Methode, die bei der Erforschung angewandt wurde - in diesem Fall also durch die Logik des Rechtssystems. Da der Bereich, den Kelsen als Professor abdeckte, in der konventionellen Terminologie als Staatslehre bezeichnet wurde und da die Methodologie des Neokantianismus mit ihrer Methode die Logik des Rechtssystemes umschrieb, mußte nun die Staatslehre zwangsläufig zur Rechtslehre werden, und alles, was über den Bereich der Rechtslehre hinausging, konnte nicht länger Teil der Staatslehre sein.“<720>

Kelsen zufolge ist im Laufe der Entwicklung der Rechtswissenschaft eine Vermischung dieser mit Elementen der Disziplinen Psychologie und Soziologie eingetreten, was damit zusammenhängen mochte, daß die Gegenstandsbereiche dieser Disziplinen inhaltliche Bezüge zum Recht aufweisen. Dieses Zusammenhanges ist sich Kelsen durchaus bewußt, wenn er die Methodenreinheit in der Rechtswissenschaft fordert und den Methodensynkretismus ablehnt<721>. Vor allem wird auf den Synkretismus zwischen kausaler und normativer Methode abgestellt, der den Erkenntnisfortschritt in der Rechtswissenschaft systematisch behindert habe.


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„Die beiden Betrachtungsrichtungen laufen in der herrschenden Staatslehre durcheinander und erzeugen psychologistische Theorien von der Art der Imperativtheorie in ihren verschiedenen Schattierungen oder ‚zweiseitige‘ Staatsbetrachtungen und die Unterscheidung eines soziologischen Staates von einem juristischen, wie bei Jellinek oder Kistiakowski. An diesen Konstruktionen setzt Kelsens kritische Arbeit ein, um die normative Eigenart der rechtswissenschaftlichen Erkenntnis unter allen Beimengungen methodenfremder Elemente rein herauszuarbeiten.“<722>

Letztere Bemerkungen entstammen wiederum Voegelins Aufsatz Reine Rechtslehre und Staatslehre, der somit bereits im Jahre 1925, 11 Jahre vor Erscheinen des Autoritären Staates, einen ersten Versuch Voegelins darstellt, dem von Kelsen vorangetriebenen Bruch zwischen einer rechtspositivistischen und einer soziologischen Interpretation des Staatsbegriffes die Rechtfertigung zu entziehen<723>. Zum Neukantianismus kann man desweiteren bei Karl Larenz lesen:

„Gegenüber dem Positivismus hatte sich im letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts in der deutschen Philosophie der Neukantianismus durchgesetzt, der sich mit dem Positivismus zwar in der Ablehnung der Metaphysik einig war, gegenüber der restlosen Auslieferung der Erkenntnis an die sinnliche Wahrnehmung aber ihre relative Selbständigkeit und Eigengesetzlichkeit betonte. Er knüpfte an Kants Kritik der reinen Vernunft an, die er dahin verstand, daß Kant hier die Unmöglichkeit jeder Metaphysik nachgewiesen habe, auf der anderen Seite aber durch seine erkenntnistheoretische Untersuchung den Einzelwissenschaften erst die sichere Grundlage gegeben habe. Die Erfahrung, das ist die These, die der Neukantianismus dem Positivismus mit Recht entgegengesetzt hat, lehrt uns wohl gewisse Regelmäßigkeiten, aber keine strenge Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit.“<724>

Die Schule des Neukantianismus, auf die sich Kelsens „Reine Rechtslehre“ wiederum stützt, baut zwar selbst auf die ideengeschichtliche Tradition Immanuel Kants auf, ist jedoch mit dieser nicht identisch. Die von den Neukantianern aufgestellten Postulate galten zwar bereits bei Kant, wurden von diesem methodisch jedoch nur auf die (anorganischen) Naturwissenschaften angewendet. Für den gesellschaftswissenschaftlichen Bereich entwickelte Kant eine Metaphysik der Vernunft. Bei ihm gab es also zwischen Natur- und Gesellschaftswissenschaft grundlegende methodische Unterschiede. Im Gegensatz dazu werden im Neukantianismus die kantischen Methodikgrundsätze der Naturwissenschaften auch auf die Gesellschaftswissenschaften etc. übertragen. Diesem Prinzip, so Voegelin, habe sich auch Kelsen mit seiner „Reinen Rechtslehre“ verschrieben<725>.
Der Neukantianismus stellt, wie Larenz in seiner Rechts- und Staatsphilosophie der Gegenwart ausführt, die von Rudolf Stammler neubegründete deutsche Rechtsphilosophie dar<726>. Auch hier ist wiederum jenes Charakterikum der Neuzeit erkennbar, welches Voegelin als „System der naturwissenschaftlichen Superstition“ bezeichnet hat, denn im Bereich der Naturwissenschaften mag es, zumindest auf den ersten Blick, durchaus nachvollziehbar sein, daß die Ordnung der Natur, als ein Bereich der Seinsordnung, methodenrein erkennbar ist, das heißt erkennbar allein aufgrund der für die Naturwissenschaft typischen mathematisierenden Methoden ohne Berücksichtigung anderweitiger klassischer methodischer Traditionen:

„Was Kelsen mit dem Neukantianismus verbindet, ist vor allem der Gedanke, daß es lediglich eine Wirklichkeit gäbe, die durch die Kategorien der Natur konstituierte Welt des physischen und psychischen Seins. Diejenigen Wissenschaften, die es mit der Erforschung der Wirklichkeit zu tun haben, die Seinswissenschaften, verfolgen letztlich alle dieselbe Methode: sie suchen die Geschehnisse zu erklären, das heißt als Wirkungen auf Ursachen zurückzuführen, wobei es keinen Unterschied macht, ob eine Erscheinung auf eine Ursache oder auf einen Zweck zurückgeführt wird. Kausale wie teleologische Methode dienen also

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gleichermaßen der Erklärung des Wirklichen, womit Stammlers Gegenüberstellung von Naturwissenschaft und Zweckwissenschaft zurückgewiesen wird.“<727>

In Analogie zu den Forderungen der neukantianischen Schule entwickelt Kelsen das Postulat der Reinheit der Rechtswissenschaft. Die Rechtswissenschaft ist von allen nichtpositiv-rechtlichen Elementen zu reinigen, die „reine“ Rechtslehre Kelsens behauptet die alleinige Relevanz des positiven Rechts für die gesamte Rechtsordnung, mit der wiederum das Wesen „Staat“ zu identifizieren ist<728>. Voegelin an anderer Stelle:

„Die Übertragung des Prinzips der Methodenreinheit auf das Gebiet einer Geisteswissenschaft, wie der Staatslehre, ist meines Erachtens nicht durchführbar, weil das Sachgebiet, das den Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung abgeben soll, unabhängig vom Erkenntniszusammenhang der Wissenschaft Züge der Eigenkonstitution aufweist und die wissenschaftliche Gegenstandsbildung nicht selbständig nur nach ihren eigenen Prinzipien vollzogen werden kann, sondern ein Nach-Bild des Vor-Bildes im Stoffe zu sein hat.“<729>

Zu den paradigmatischen Effekten, die Kelsens „Reine Rechtslehre“ für die Rechtswissenschaft gehabt hat, gehört für Voegelin zudem die Ausgrenzung der Sollensproblematik aus der Rechtstheorie:

„Die Arbeit des Rechtsgelehrten besteht in der Feststellung der geltenden Rechtssätze, ihrer Auslegung, der Subsumtion von Fällen und der Verbindung der Sätze zu einem System und bezieht sich also auf Rechtsinhalte; was aber das Sollen sei, das eigentümlich Imperativische an den Rechtssätzen, braucht der Jurist, der seinem Stoff zugewandt ist, weder zu wissen noch zu fragen.“<730>

Eine solche Betrachtungsweise wird einer Rechtstheorie freilich nur dann gerecht, wenn diese nur als Theorie vom positiven Recht verstanden wird. Wenn der positivistische Horizont jedoch überschritten wird, dann stellt sich die Frage nach Grundlagen transzendenten Charakters, also nach der Herkunft und Legitimation des Rechts. Voegelin stellt die Frage nach dem „Sollen“ ausgehend von seinen bei Kelsen herausgearbeiteten Kritikpunkten und in Bezug auf den ideengeschichtlichen Ansatz von Immanuel Kant:

„Eine Analyse des Sollens gehört zur Grundlegung der Rechtstheorie im weiteren geisteswissenschaftlichen Sinne, aber sie wurde in der neueren Rechtstheorie, die vor allem Theorie der Rechtswissenschaft war, nicht ganz befriedigend gegeben und auch die Reine Rechtslehre neigt heute, nachdem und obwohl Kelsen sich so nahe an das Wesen des Sollens herangearbeitet hat, in einigen ihrer Vertreter sehr zur Einschränkung auf die Wissenschaftstheorie und zur Eliminierung der Frage nach dem Sollen.“<731>

3.4.1.2 Die Funktion von „Normen“ und „Akten“ - die Rolle der Soziologie

Wenn nun der Staat mit dem Recht zu identifizieren ist, bedeutet das jedoch nicht, daß dieser sich ausschließlich aus der Normenordnung konstituiert. An die Seite der „Norm“ tritt nunmehr der „Akt“ als zweites konstituierendes Element für den Staat<732>. In Voegelins Interpretation bedeutet das:


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„Der Rechtszusammenhang, der vorwissenschaftlich durch den ‚Staat’ begrenzt ist, wird zum Delegationszusammenhang, der sich von einem obersten rechtsetzenden Akt über eine kleinere oder größere Zahl zwischengeschalteter Normen und Akte, die von einer höheren Norm her als Rechtsakte verstehbar sind, bis zu letzten normanwendenden und -durchsetzenden Akten erstreckt.“<733>

Voegelin sieht hierbei einen Widerspruch zur neukantischen Forderung der Methodenreinheit, welche den Wissenschaftszusammenhang stets auf die Betrachtung nur eines Gegenstandes einschränkt. Bei „Norm“ und „Akt“ habe man es jedoch mit zwei verschiedenen Gegenständen in der Betrachtung zu tun. Zur Lösung dieses Problems, die in der Einführung des Begriffes der Soziologie gipfelt, muß erneut auf die positivistische Metaphysik Bezug genommen werden, die den Ansatz von Kelsen bestimmt. Im Sinne dieser Betrachtungsweise stellt das Recht als ein Inbegriff von Normen nichts Reales dar, sondern ist nurmehr der geistige Überbau des materiellen Bereiches der Seinsordnung. Wenn Kelsen das Recht dennoch als einen real existierenden geistigen Sinngehalt anerkennt, verhält er sich in dieser Hinsicht inkonsequent. Voegelin stellt neben der Erwähnung dieser Tatsache jedoch auch heraus, daß Kelsen sich dieser Inkonsequenz bewußt sei und dennoch beschließt, die Realexistenz des Rechtes anzunehmen, weil diese Annahme bereits seit Jahrtausenden überliefert und auf deren Basis die gesamte positivistische Rechtswissenschaft begründet worden sei.
Die Frage nach der ontologischen Klassifizierung des Rechtsphänomens führt nun zu einer systematischen Auseinandersetzung zwischen Natur- und Geisteswissenschaft. Nach Kelsen gibt es zwei mögliche Gegenstände der Verwissenschaftlichung, die Natur und die Gesellschaft. Während erstere für Voegelin einem „raumzeitlichen Sein“<734> entspricht, läßt sich letztere „als raum- und zeitloser Sinn“<735> begreifen. Kelsen dazu:

„Aber diese Gegenüberstellung von Natur und Gesellschaft ist nicht ohne weiteres möglich, da Gesellschaft, wenn als das tatsächliche Zusammenleben von Menschen verstanden, als Teil des Lebens überhaupt und somit als Bestandteil der Natur gedacht werden kann; und weil das Recht - oder was man zunächst als solches anzusprechen pflegt - zumindest mit einem Teil seines Wesens im Bereich der Natur zu stehen, eine durchaus natürliche Existenz zu haben scheint.“<736>

Gesellschaftswissenschaft und Geisteswissenschaft sind wohl als identisch anzusehen, beide Termini mithin als Gegenpol zur Naturwissenschaft zu betrachten. Der Geist wird bei Kelsen auf die Norm eingeschränkt, und in diesem Zusammenhang beginnt der Terminus „Soziologie“ eine Rolle zu spielen, der inhaltlich auf zweierlei, sogar widersprüchliche Weise anmuten mag. Einerseits ist Soziologie Gegenstück zur Naturwissenschaft und dient bei Kelsen dazu, die Rechtswissenschaft als eine Gesellschaftswissenschaft anzusehen und von den Naturwissenschaften abzugrenzen. Andererseits wird Soziologie zur Naturwissenschaft in Abgrenzung zu den Normwissenschaften Rechtsdogmatik und Theologie, wenn es darum geht, die Elemente einer Gesellschaftslehre auszugrenzen, die nicht Normen sind. Da nun auch die „Akte“ keine Normen sind, werden auch diese in die „Naturwissenschaft“ Soziologie verbannt.
An diesem Beispiel der wechselnden Bedeutung von Begriffsinhalten versucht Voegelin nun auch deutlich zu machen, wie sehr die Auseinandersetzungen in Methodenfragen von einer begrifflichen Instrumentalisierung zum Zwecke der Durchsetzung individueller, kontrovers diskutierter Metaphysiktraditionen bestimmt sein können. Für die Klassifikation des „Rechts“ kommt Voegelin zu folgenden Schlußfolgerungen. Zum einen stelle die Ordnung der Rechtsnormen für den Rechtsanwender und Rechtsdogmatiker den relevanten Betrachtungsgegenstand dar. Diese Normenordnung werde mit der gesamten positiven Rechtsordnung des Staates als identisch angesehen.
Zum anderen könne von einer Gesamtrechtsordnung des Staates nicht die Rede sein, stattdessen sei eine Vielzahl von Normenordnungen anzunehmen, die zwar vom positiven Recht des Staates integriert werden, jedoch zur Kommunikation untereinander der Einrichtung von Bindegliedern bedürfen. Diese werden mit den „Akten“ geschaffen, so daß die Rechtsordnung ihrem Wesen nach


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einen „Delegationszusammenhang“<737> darstellt. Die Einführung der „Akte“ an der Seite der „Normen“ widerspricht jedoch dem in positivistischer Metaphysiktradition stehenden neukantianischen Postulat der Methodenreinheit, wonach der Untersuchungsgegenstand einer Wissenschaft kategorial einheitlich zu sein habe. Die kategoriale Einheit der Normenordnung wird durch die Akte gestört, so daß letztere eliminiert werden müssen. Dies erfolgt durch die Definition des Begriffes der Soziologie als einer Naturwissenschaft, welche die „Akte“ zu Bestandteilen der Natur erklärt und die Normenordnung daher als einzige Geistrealität übrig läßt<738>. Bei Kelsen heißt es:

„Den spezifisch juristischen Sinn, seine eigentümliche rechtliche Bedeutung, erhält der fragliche Tatbestand durch eine Norm, die sich mit ihrem Inhalt auf ihn bezieht, die ihm die rechtliche Bedeutung verleiht, so dass der Akt nach dieser Norm gedeutet werden kann. Die Norm fungiert als Deutungsschema.“<739>

Das Verhältnis zwischen „Norm“ und „Akt“ interpretiert Voegelin als ein dynamisches. Durch einen ersten natürlichen Akt wird auf der Ebene des Geistes eine Norm gesetzt, welche wiederum auf der Ebene der Natur neue Akte provoziert, die ihrerseits wieder zur Ebene der Norm hinführen<740>. Ausgehend von diesem wechselseitigen Zusammenhang zwischen Normen und Akten gelangt Voegelin zu einer Theorie, die er als Lehre von der „Grundnorm“ bezeichnet<741>.
Aus der bisherigen Darstellung der Zusammenhanges von Norm und Akt, der zugleich einen Zusammenhang zwischen Geist und Natur darstellt, geht jedoch hervor, daß der Ursprung des Wechselspiels beider ein Akt sei, das Wechselspiel also von der Natur verursacht wird. Um das erkenntnistheoretische Problem zu lösen und zu einem Ergebnis zu gelangen, nach welchem der Ursprung des Rechtszusammenhanges nicht in der Natur, sondern im Geist zu suchen ist, wird nun dem ersten Akt wiederum eine Norm vorangestellt, die den wirklichen Auslöser des nachfolgenden Wechselspiels zwischen Akten und Normen, die einander jeweils hervorbringen, darstellen soll. Jene „Grundnorm“, welche den Ursprungsakt erzeugt, gibt es an sich nicht, sie wird vielmehr als fiktiv angenommen. Die Grundnorm ist nicht Bestandteil der positiven Rechtsordnung, sondern wird vom Erkenntnissubjekt selbst gesetzt. Obwohl die Normenordnung in der Betrachtungsweise der positivistischen Metaphysik Kelsens konsequenterweise auch nur eine Ideologie ist, genießt sie dennoch eine Sonderstellung, die, wie oben schon ausgeführt wurde, in der Tradition begründet ist.
Nach Voegelins Auffassung hat der Ansatz Kelsens zwar einen rationalen Kern, ist jedoch, wie bereits die von Kelsen selbst erkannte Inkonsequenz bezeugt, insgesamt nicht rational in sich schlüssig. Um seine positivistische Metaphysik gegen Angriffe zu verteidigen, findet sich bei Kelsen, wie Voegelin nachfolgend analysiert, ein „System der metaphysischen Kampfbegriffe“<742>, welches folgendermaßen zu charakterisieren sei. Erstens, ist die Normenordnung als einziger Rechtsgegenstand anzuerkennen, alle anderen etwaigen Gegenstände der Staatslehre sind mit Hilfe des Begriffes der Soziologie auszugrenzen. Zweitens, sind jene anderen, von der Reinen Rechtslehre ausgegrenzten Gegenstände, wenn sie dennoch auftreten, als Scheinprobleme zu klassifizieren. Sofern sich diese Scheinprobleme auf geistiges Sein beziehen, haben diese, drittens, den Charakter von Ideologien und sind als solche zu bekämpfen. Viertens, sind die „Scheinprobleme“ und „Ideologien“ als unwissenschaftlich anzusehen. Aus der Intoleranz der „Reinen Rechtslehre“ gegenüber allen von deren Dogma abweichenden Ansichten erklärt sich für Voegelin schließlich auch das hohe Maß an Widerspruch, welchen Kelsen mit seinem Konzept geerntet hat<743>.


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3.4.1.3 Die Konsequenzen der „Reinen Rechtslehre“ für die Rechtsordnung

Die Staatslehre, die unter dem Paradigma der „Reinen Rechtslehre“ betrieben wird, schließt die Staatswirklichkeit aus ihrer Betrachtung aus. So erschöpft sich etwa der Demokratiebegriff in dem Normengebäude, welches die Verfahren der Wahl von Volksvertretungen etc. regelt, Fragen, die sich hingegen damit auseinandersetzen, was man unter „Volk“ und unter „Herrschaft“ überhaupt versteht, sind für die „Reine Rechtslehre“ irrelevant.
Dieses rechtspositivistische Denken sollte nun auch für die Entwicklung des österreichischen Verfassungsrechts nicht ohne Folgen bleiben. Voegelin erkennt an, daß das Postulat der „Reinen Rechtslehre“, alle Inhalte der Staatswirklichkeit, welche den Norminhalt transzendieren, aus der Betrachtung auszuschließen, in sich durchaus schlüssig ist. Denn im Konzept Kelsens würden, so Voegelin, immerhin wesentliche theoretische Probleme angesprochen. Das hier wohl bedeutsamste theoretische Problem ist die Frage nach der Beziehung zwischen Rechtsnorm und Staatswirklichkeit. Rechtsnormen schreiben stets ein bestimmtes menschliches Verhalten vor, ein Tun oder Unterlassen. Zweck der Rechtsnormen ist es, die Staatswirklichkeit und somit einen Ausschnitt der Seinsordnung zu gestalten, ja überhaupt erst einmal eine solche Seinsordnung in wünschenswerter Gestalt herzustellen. Dieses theoretische Grundproblem wird bei Kelsen zudem mit einem metaphysischen Dogma verbunden, nämlich der These, daß der Mensch eine Naturerscheinung sei, so daß die Realität des menschlichen Geistes verneint oder als irrelevant angesehen wird, mithin eine etwaige Beziehung zwischen Geist und Natur nicht angesprochen zu werden braucht.
Die Seinsordnung wird infolgedessen als identisch mit den Akten angesehen, die der Umsetzung des Norminhaltes dienen, die Seinsordnung ist somit eine Wiederholung des Norminhaltes. So gesehen darf Kelsen sich von seinem metaphysischen Dogma ausgehend mit der Befassung des Norminhaltes begnügen, ohne sich außerdem noch der Substanz der Seinsordnung zuwenden zu müssen, andernfalls würde er sich ja mit ein und demselben Inhalt doppelt befassen. Dieses Konzept ist so sehr in sich schlüssig, daß es leicht fällt, diesem metaphysischen Irrtum zu erliegen, es erweckt, wie Voegelin bekennt, so sehr den Schein der Überlegenheit, „daß eine Erschütterung des Systems nur möglich ist, wenn man es in seinen Grundlagen, und das sind eben die metaphysischen, angreift.“<744>
Kelsen entwickelt zudem ein eigenständiges metaphysisches und politisches Programm, welches sich ebenfalls an dem theoretischen Problem der Ordnung des Seins orientiert. Dabei ist von folgenden Voraussetzungen auszugehen. Erstens, ist das Recht eine Normenordnung, an deren Spitze die Grundnorm steht. Von der Normenordnung ausgeschlossen sind die dem Bereich der Natur zugehörigen „Akte“. Zweitens, erschöpft sich das Problem der „Substanz“ in dem Inhalt, welcher die Normen ausfüllt, ein jenseits des Normeninhaltes aufscheinendes Substanzproblem ist irrelevant. Drittens, beziehen sich die Normen ausschließlich auf Akte von Menschen. Viertens schließlich, wird als Novum die Bestimmung getroffen, daß die Rechtsnorm als eine Zwangsnorm anzusehen sei.
Die Vielzahl der Rechtsnormen wird durch die Akte und den Delegationszusammenhang zur einheitlichen Gesamtrechtsordnung verbunden. Wenn es dieses Bindeglied nicht gäbe, bliebe als Element, welches die Einheit der Rechtsordnung konstituiert, lediglich der Sachzusammenhang des von der Rechtsordnung zu regelnden Seinsbereiches übrig. Insoweit muß auch die „Reine Rechtslehre“ nach dem Wesensinhalt einer einheitlichen Rechtsordnung fragen und gelangt dabei zu der Annahme, daß die Rechtsnorm eine zwangsanordnende Norm darstellt. Voegelin hebt hierbei zweierlei Einwände hervor, zum einen gegen die Frage nach dem Wesensinhalt einer Norm und zum anderen gegen die als Antwort fungierende Betrachtung der Rechtsnorm als zwangsanordnende Norm.
Gegen die Fragestellung wendet Voegelin ein, daß diese nur unter der Voraussetzung gestellt werden darf, daß die Rechtsordnung über Akte und Delegationszusammenhang hinaus auch eine materielle Einheit besitze. Gegen die Annahme der Rechtsordnung als zwangsanordnende Norm wiederum führt er an, daß es auch noch anderweitige Typen der Rechtsnorm gibt. Wenn nun ein Seinsbereich durch eine Ordnung zwangsanordnender Normen geregelt werden soll, müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein. Erstens, müssen die zu regelnden menschlichen Handlungsabläufe bestimmbar sein und dabei das Wesen des durch Regelungen betroffenen Lebensbereiches wahren. Zweitens, muß es eine Instanz geben, die zur Durchsetzung des Rechts autorisiert ist.
Das Zivil- und das Strafrecht, in geringerem Maße auch das Verwaltungsrecht, sind Gebiete, in denen die genannten Voraussetzungen für das Wirksamwerden zwangsanordnender Normen erfüllt sind. Ein Gebiet, wo es an beiden Voraussetzungen fehlt, ist das Verfassungsrecht. Im Verfassungsrecht stellen zwangsanordnende Normen daher eine Ausnahmeerscheinung dar. Wenn Kelsen also die


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Rechtsnorm generell als eine zwangsanordnende Norm ansieht, so handelt es sich hierbei um nicht mehr als ein Postulat. Kelsens politische Forderung will die Struktur des Zivil- und Strafrechtes auf den Bereich des Verfassungsrechts ausdehnen. Das heißt, die politischen Instanzen werden einer sanktionierenden Instanz untergeordnet und dadurch entpolitisiert. Die politischen Instanzen verlieren ihre Entscheidungsgewalt und sollen privatisiert werden<745>.
Infolgedessen sieht Voegelin bei Kelsen auch Vorstellungen darüber, wann ein durch Normen geordneter Seinsbereich vollkommen und wann unvollkommen ist. Um vollkommen zu sein, muß die sanktionierende Gewalt in dem betreffenden Seinsbereich von dem unter Sanktion gestellten Verhalten institutionell getrennt sein, darüber hinaus muß sich die Sanktion gegen menschliche Individuen richten, nicht jedoch lediglich gegen ein Kollektivum. Diese Vorstellungen Kelsens verbinden sich mit einer positivistischen Fortschrittsmetaphysik, wonach in der Menschheitsgeschichte ein Fortschreiten von anfangs primitiven zu allmählich immer komplexer werdenden, vollendeten Organisationsformen festzustellen ist. Der Anfangszustand ist durch eine Dezentralisation der Sanktionsgewalt gekennzeichnet, das heißt, das in seinem Recht verletzte Individuum nimmt die Sanktion selbst in die Hand und richtet diese nicht gegen den betreffenden Rechtsverletzer, sondern gegen das Kollektivum, welchem der Rechtsverletzer angehört.
Erst der moderne Staat stellt eine höher entwickelte Organisationsform dar, da er das Sanktionsmonopol an sich nimmt, und seine Sanktionen gegen den individuellen Rechtsverletzer richtet, wie es sich gerade auf den Gebieten des Zivil-, Straf- und Verwaltungsrechts nachweisen läßt. Das höchste Ziel in der Fortschrittsmetaphysik Kelsens ist dann, so Voegelin weiter, eine Weltrechtsordnung, in der es eine selbst Staaten übergeordnete Sanktionsinstanz gibt. Dieser Zustand stelle für Kelsen höchste Vollkommenheit dar<746>.

3.4.1.4 Die Souveränitätstheorie Dickinsons - ein Parallelentwurf zu Kelsens „Reiner Rechtslehre“

Es sei hier noch erwähnt, daß die Tradition der „Reinen Rechtslehre“ zwar in erster Linie mit dem Namen Kelsen verbunden ist, jedoch befaßte sich Voegelin Ende der 1920er Jahre mit einem amerikanischen Rechtstheoretiker, der ebenfalls ein Konzept der Reinigung des Rechts von nichtrechtlichen Elementen anstrebte. Zwar läuft diese von John Dickinson entwickelte Souveränitätstheorie nicht auf ein Postulat der Methodenreinheit hinaus, wohl aber kennzeichnet nach Voegelins Auffassung die Konzepte Dickinsons und Kelsens ein hohes Maß an Übereinstimmung<747>. Voegelin in seinem 1929 veröffentlichten Aufsatz Die Souveränitätstheorie Dickinsons und die Reine Rechtslehre zufolge

„hat nun Dickinson eine institutionalistische Theorie entwickelt, die sich durch das zielbewußte Bemühen auszeichnet, einen juristischen Souveränitätsbegriff aufzustellen, der frei sein soll von allen politischen, naturrechtlichen und psychologistischen Mißdeutungen. Er stellt ein Programm auf, das - und dies ist das Neue - in seiner Klarheit nahe Verwandtschaft mit deutschen Versuchen zu einer Reinigung der Rechtssphäre und der Rechtsbegriffe von nichtrechtlichen Elementen aufweist.“<748>

Daß Dickinson auf das Postulat der Methodenreinheit verzichtet, liegt nach Voegelins Auffassung an der fehlenden Unterrichtung Dickinsons in deutscher Methodologie. Dickinson nun entwickelt in zwei Aufsätzen unter dem Titel A Working Theory of Sovereignty einen Begriff der „Souveränität“, über den es in dessen erstem Aufsatz heißt:

Sovereignty in the legal sense is after all nothing more nor less than an logical postulate or presupposition of any system of order according to law. A system of law purports to be a body of general rules which produce like decisions in like cases, and are capable of being known with some degree of accuracy in advance. But if there is to be this uniformity in the rules applied

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throughout a whole community, then there must be a single final source of law which all inferior tribunals and officials within that community are content to recognize as speaking with ultimate authority, and to whose pronouncements they will therefore voluntarily conform, so far as they know how, their own seperate acts and decrees.“<749>

Die „Souveränität“, von der Dickinson spricht, ist, erstens, ein logisches Postulat, sie ist die Voraussetzung einer jeden Rechtsordnung. Das Postulat der Souveränität an sich wird ergänzt durch das Postulat der Einheit der Rechtsordnung. Letztere setzt jedoch voraus, daß an der Spitze der Normenhierarchie eine Rechtsquelle steht, aus der sich alle unter ihr stehenden Normen herleiten.

„It is therefore clear that as a condition of the existence of legal order in a community, there must be somewhere within the community not merely an organ or system of organs with supreme power to choose between competing rules of law and to place its stamp of validation upon the one which ist to be authoritative, but also a like agency for delimiting the boundaries between the competing jurisdictions of all inferior officials and tribunals.“<750>

Der obersten Rechtsquelle kommt als Funktion zweierlei zu: sie muß einerseits angeben, welche von verschiedenen Normen, die den Anspruch auf Geltung erheben, gültig sein sollen. Für diese Entscheidung hat sie die zugrunde liegenden Kriterien aufzustellen. Andererseits muß sie die Organkompetenzen definieren und untereinander abgrenzen. Die Geltung einer Norm wird nachgewiesen durch deren Delegation von der Rechtsquelle aus, die Rechtsquelle selbst ist „durch ihre Funktion der Unifizierung des Rechtssystems“<751> zu definieren.

„The legal sovereign ist the ultimate source of law, not in the sense of being an uncaused cause, or an unmotivated author, but in the sense that only that which passes through it has the force of law, and only after having passed through it and received its stamp of validity.“<752>

Das heißt die Norm muß als Voraussetzung für ihre Gültigkeit durch die oberste Rechtsquelle („ultimate source of law“) gegangen und von ihr den Stempel der Geltung empfangen haben. Zudem muß die Norm durch die Organe gesetzt worden sein, weshalb die Kompetenzdefinition und Kompetenzabgrenzung letzterer die zweite Funktion ist, die die oberste Rechtsquelle hat. Die Rechtsquelle des Normensystems ist also souverän, und hierin definiert sich der Souveränitätsbegriff bei Dickinson. „Juristic sovereignty denotes only the existence of a definite organ for drawing the line between what is and what is not law.“<753> Souveränität besteht also in der Eigenschaft eines Organs, die Grenze zu ziehen zwischen dem, was Recht ist, und dem, was nicht Recht ist. Der rechtspositivistische Impetus dieses Ansatzes ist auch für Voegelin unübersehbar:

„Die Sätze Dickinsons gehen so weit in ihrer Formulierung, daß sie kaum irgendwelcher Interpretation bedürfen, damit ihre Verwandtschaft mit den Erkenntnissen der Reinen Rechtslehre deutlicher wird.“<754>

Jedoch geht es Dickinson nicht nur um die Definition eines Begriffes der juristischen Souveränität. Wenn seine Abhandlungen den Titel A Working Theory of Sovereignty tragen, dann spiele, so Voegelin, hierbei auch das „Working“ eine Rolle:

„Das Wort ‚working’ ist im Deutschen nicht einfach wiederzugeben; es ist das pragmatische Grundattribut für jeden Gegenstand und bedeutet, daß man mit dem so ausgezeichneten Objekt, sei es ein Werkzeug oder eine Theorie, etwas ‚anfangen’ kann.“<755>


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Dieser praktischen Anwendung ist der zweite Aufsatz zu Dickinsons A Working Theory of Sovereignty gewidmet. Die Souveränitätstheorie etabliert ein Organisationssystem mit einem Gesetzgebungsorgan an der Spitze. Die Funktion dieses Rechtssystems ist zum einen Sicherheit, zum anderen jedoch auch Gerechtigkeit. Die Gerechtigkeitsforderung steht allerdings nicht mit der Rechtsetzung im Zusammenhang, sondern das Rechtssystem ist in sich geschlossen. Es sind vielmehr die Individuen, welche mit dem Anspruch auf Gerechtigkeit an die Organe der Rechtsordnung herantreten. Dabei spielt eine Vielzahl widerstreitender Interessen eine Rolle, und solange der Staat nicht unter dem Diktat einer bestimmten Interessengruppe steht, ist er in der Lage mit seiner Rechtsordnung auf Gerechtigkeit und Ausgleich hinzuwirken. In Dickinsons zweitem Aufsatz heißt es:

„Government, if it performs its function, is simply a great central coordinating agency from which these adjustments ultimately emerge“<756>.

Der Ausgleich der Interessen muß zwar nicht dem Ideal der Gerechtigkeit entsprechen, aber er soll die Rechtssicherheit erhöhen. Dickinson vermeidet auf diese Weise die Infragestellung des Gegensatzes zwischen Recht und Gerechtigkeit.

„Just as it is not necessary to say that sovereignty is founded on force, neither is it necessary to insist that laws must be regarded as primarily the sovereign‘s commands. It is sufficient to regard them as his pronouncements, or as dependent for their legal character upon his determinations.“<757>

Die Gesetze müssen nicht als Befehle des Souveräns angesehen werden, es reiche aus, sie als Verkündigungen zu betrachten. Ihr Charakter als Recht sei abhängig von der Entscheidung des Souveräns.

„The function of the sovereign is not to create laws arbitrarily ex nihilo, but to be the source or mouthpiece of final and authoritative pronouncements of the rules of conduct which are to be called laws.“<758>

Der Souverän hat die Gesetze nicht willkürlich aus dem Nichts her zu befördern, sondern er selbst ist die Quelle von Recht und Gesetz. Dabei ist es unvermeidlich, daß die vom Souverän erlassenen Gesetze immer den Geboten der Gerechtigkeit, dem abstrakten Recht, Genüge tun, zumal die Vorstellungen über Gerechtigkeit von Meinungsverschiedenheiten geprägt sein können. Von daher bedarf es eines anerkannten Organs welches als Souverän die Prärogative der Auswahl innehat. Letztere macht bei Dickinson die praktische Komponente des Souveränitätsbegriffes aus.

„That they [the pronouncements] should always exactly coincide with the dictates of abstract right is too much either to expect or demand, for the very reason which makes sovereignty indispensable to a regime of legal order: namely, that questions of right and wrong are not matters of absolute mathematical demonstration, but lie so frequently within the twilight zone of rational differences of opinion, and that there is therefore need for the exercise by some recognized organ of what Mr. Justice Holmes has aptly termed the ‚sovereign prerogative of choice.’ It is precisely the making of this choice which is the characteristic act of sovereignty“<759>.

Die Gesetze des Souveräns sind nicht das Ergebnis seiner Willkür, sondern er versucht mit seiner Gesetzgebung Wünschen, Interessen und Ideen nach zu kommen, welches Motiv dem Souverän dabei zugrunde liegt, ist gleichgültig. Entscheidend ist, daß Wünsche, Interessen und Ideen in eine Rechtsform gegossen werden, wobei es wiederum gleichgültig ist, welcher der widerstreitenden Forderungen mit einer rechtlichen Normierung nachgekommen wird.

„The sovereign ist thus not so much a creative influence as an organ of final choice; the practical effectiveness of his choice in the form of the maintenance of legal order depends on

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the practical and factual question of whether his choice is or is not generally acquiesced in and accepted and obeyed.“<760>

Mit den Ausführungen über die Souveränitätstheorie Dickinsons verdeutlicht Voegelin, wie schon gesagt wurde, daß es neben dem Kelsenschen Ansatz noch weitere gibt, die dem Dogma des Rechtspositivismus verpflichtet sind. Außerdem werde, so Voegelin, gerade aus dem letzteren Aspekt bei Dickinson deutlich,

„daß unter dem ‚working’ seiner Theorie nicht ihre Brauchbarkeit für einen bestimmten politischen Zweck zu verstehen war, daß vielmehr Souveränität so in ihrer Wesenheit erkannt werden sollte, daß die Möglichkeiten und Ansatzpunkte zu einer ‚Verbesserung’ des Staates offenbar wurden, wobei es gleichgültig blieb, welches der konkrete Inhalt des Verbesserungsprogrammes war.“<761>

3.4.1.5 Die Rolle der „Reinen Rechtslehre“ in der österreichischen Staatslehre

Die von Kelsen angeführten Betrachtungen lassen sich in Voegelins Augen stets nur im Zusammenhang mit der positivistischen Metaphysik interpretieren, die der „Reinen Rechtslehre“ zugrunde liegt. Nach Voegelins Auffassung gibt es neben der positivistischen Metaphysik jedoch noch andere Zusammenhänge, in welche die „Reine Rechtslehre“ Kelsens eingeordnet werden kann und muß. Ein solcher Zusammenhang, der gerade für Voegelins Autoritären Staat eine wichtige Rolle spielt, ist die österreichische Staatslehre. Die hier dargestellten Prämissen der „Reinen Rechtslehre“, die Beschränkung des als wissenschaftlich relevant zu Erachtenden auf Normen und Normenordnungen, der Ausschluß von Fragestellungen, die den bloßen Normeninhalt transzendieren, spiegeln sich laut Voegelin auch in der Kelsens „Reiner Rechtslehre“ vorausgehenden Tradition der österreichischen Verfassungsgeschichte des gesamten 19. Jahrhunderts wider.
Hierbei stellt Voegelin zum Beispiel anhand der Untersuchungen eines Robert von Mohl fest, daß die österreichische Rechtswissenschaft zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Rahmen einer Studienreform von vermeintlich überflüssigen Teilgebieten wie Rechtsgeschichte und Staatsrecht „gereinigt“ wurde, so daß es lange Zeit eine österreichische Verfassungsrechtswissenschaft überhaupt nicht mehr gab. Stattdessen sei die Pflege der Verwaltungsrechtswissenschaft um so intensiver betrieben worden:

„Bezeichnend für die ganze staatsrechtliche Literatur Oesterreichs ist die reiche Bearbeitung des Verwaltungsrechtes bis in seine kleinsten Einzelnheiten und dagegen der Mangel aller Erörterungen über Verfassungsfragen; ferner die grosse, für die Benützung im täglichen Geschäftsleben berechnete Ausführlichkeit, bei der Vermeidung jedes Eingehens auf Grundsätzliches.“<762>

Die österreichische Staatsrechtslehre des 19. Jahrhunderts beschränkte ihren Horizont folglich auf die deskriptive Darstellung administrativer Fragen des Verwaltungsrechts. Als einen der Lehrbuchautoren dieser Zeit, welche für diesen administrativen Charakter der österreichischen Staatsrechtslehre beispielhaft sind, führt Voegelin den Namen Joseph Ulbrich an, bei welchem sich die Aussage findet:

„Eine wissenschaftliche Darstellung des Staatsrechts darf nicht ein trübes Gemenge philosophischer, historischer und statistischer Notizen sein; sie muss vielmehr in strenger Systematik ihren Stoff juristisch behandeln.“<763>

Diese Begründung, die auch Voegelin exemplarisch als Zitat heranzieht<764>, gibt Ulbrich für die Methodik der Darstellung in seinem Lehrbuch des Oesterreichischen Staatsrechts. Die Betrachtung


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des Staates wird bei Ulbrich ganz in der Tradition Kelsens auf die rein „juristische“ Dimension eingeschränkt, denn „(d)a alles wirkliche Recht positiv ist, so giebt [sic] es für den praktischen Bereich nur ein positives Staatsrecht.“<765> Ulbrich ist somit zurecht ein typischer Vertreter einer rechtspositivistisch verengten Staatsrechtslehre, die sich ausschließlich mit administrativ-rechtlichen Problemen auseinandersetzt<766>. In konsequenter Fortführung dieses Gedankens wird hierbei die Rolle des Verwaltungsrechts aufgewertet, das nunmehr zum Bestandteil von Ulbrichs Abhandlungen wird:

„Die Aufnahme des Verwaltungsrechts in das System des Staatsrechts rechtfertigt sich durch die Erwägung, dass das Verwaltungsrecht die Zwecke und Aufgaben des Staates in konkreter Weise feststellt, die öffentlichen Rechte und Pflichten bestimmt und die Grenzen zwischen öffentlichem und individuellem Leben determinirt [sic].“<767>

Das Verwaltungsrecht ist für Ulbrich ein unverzichtbarer Bestandteil des Staatsrechts, ohne dessen das Staatsrecht nur aus nutzlosen allgemeinen Erwägungen staatsphilosophischer Art bestehe und keine praktisch anwendbaren Regeln enthalte<768>. Ein Grund für die Beschränkung der österreichischen Staatsrechtslehre auf administrativ-juristische Probleme dürfte darin zu sehen sein, daß es dem Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn eines homogenen Staatsvolkes ermangelte, welches die Quelle politischer Impulse sein konnte<769>. Auch Ulbrich selbst hatte diese Problematik erkannt und in seinem Lehrbuch aus staatsrechtlich-administrativer Sicht erläutert<770>. Zudem sollten die Probleme, wie Rudolf Sieghart bekundet, mit dem Erwachen des Nationalbewußtseins der verschiedenen Völkerschaften erst Recht zu Tage treten:

„Im Augenblicke nun, wo das Nationalbewußtsein zuerst der geschichtlichen (Deutsche, Ungarn, Tschechen, Polen), dann der geschichtslosen Völker erwachte, erstarkte und das allgemeine Denken formte, hatte die Donaumonarchie als der eine Staat mit acht Nationen, von denen jede ihren Staat wollte, mit acht widerstreitenden Staatsvorstellungen zu tun. Das Staatswesen selbst war zum Probleme geworden.“<771>

Somit dürfte gerade in substanzieller Hinsicht die Motivation gering sein, sich im Rahmen einer Staatsrechtslehre mit Problemen zu befassen, die über den Horizont des positiven Rechts hinausgehen, der administrative Charakter der österreichischen Staatsrechtslehre ist somit auch als ein „Zeichen der politischen Resignation“<772> zu interpretieren<773>.
Ein weiterer Autor der österreichischen Staatsrechtslehre, der laut Voegelin die genannten paradigmatischen Grundzüge repräsentiert, ist Ludwig Gumplowicz. Dessen Ansatz ist mit dem Kelsens eng verwandt. Auch für Gumplowicz beschränkt sich der Gegenstandsbereich der Staatslehre auf die Normenordnung. Alles was den Inhalt der Normenordnung transzendiert, gehört hingegen in den Bereich der „Naturwissenschaft“ Soziologie, auf keinen Fall jedoch in die Staatslehre. Wie bereits Kelsen ist also auch Gumplowicz ein „positivistischer Metaphysiker und Ideologievernichter.“<774> Anders als Kelsen jedoch, der die Soziologie lediglich als Sammelbecken für alle das positive Recht transzendierenden Inhalte ansieht, sich mit ihr selbst aber nicht näher befaßt, wendet sich Gumplowicz in seinen Untersuchungen vor allem der Soziologie als Gegenstandsbereich zu.
Kelsen und Gumplowicz stehen somit auf demselben metaphysischem Standpunkt, widmen ihre


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nachfolgenden Untersuchungen dann aber ihrem jeweils sie selbst interessierenden Gebiet, welches für Kelsen die (gereinigte) Staatslehre und für Gumplowicz das Problem des Staates aus soziologischer Sicht darstellt. Wenn Gumplowicz von „Staatswissenschaft“ spricht, meint er den soziologischen Gegenstandsbereich des Staates:

„Mögen die Juristen darüber zetern, so viel sie wollen! Die Staatswissenschaft ist keine juristische Disziplin: sie ist eine reine Naturwissenschaft, die sich auf dem Gebiete der sozialen Erscheinungen bewegt. Denn der Staat ist ein Naturprozeß, eine Art jener Gattung von Prozessen, wie sie sich im Kreislauf der Sonnensysteme, in den chemischen, vegetabilischen und biologischen Vorgängen abspielen. Daß man aber in diesen Prozeß bisher keinen Einblick hatte, daß seine wirklichen Vorgänge in ihrem eigentlichen Wesen unbekannt blieben, das rührt daher, daß man die eigentlichen Elemente desselben übersah und ganz verkannte.“<775>

Gumplowicz entwickelt eine „sociologische Staatsidee“<776>:

„Als constitutive Elemente des Staates betrachtet sie nicht die ‚freien und gleichen‘ Individuen, sondern jene socialen Gruppen, deren gegenseitiges Verhältnis die Verfassung eines Staates ausmacht. Die sociologische Staatsidee fasst daher den Staat als eine Mehrheit über- und untergeordneter socialer Gruppen auf, deren gegenseitiges Ringen in erster Linie die Erhaltung des Staates, in zweiter Linie eine solche Entwicklung desselben fördert, dass die Daseinsbedingungen der einzelnen Gruppen mit den Daseinsbedingungen der Gesammtheit [sic] in Einklang gebracht werden.“<777>

Aus dem gegenseitigen Arrangement der gesellschaftlichen Gruppen eines Staates untereinander ergibt sich die Notwendigkeit rechtlicher Normierung. Das Recht ist somit kein originäres Produkt des Geistes, sondern die Folge, die sich aus dem Kampf der gesellschaftlichen Gruppen in einem Staat ergibt<778>. Für Gumplowicz macht die soziologische Sicht das eigentliche Wesen einer Staatslehre aus, so daß der Unterschied zwischen Kelsen und Gumplowicz besonders in der Verwendung des Begriffes der „Staatslehre“ zu sehen ist. Während Kelsen als „Staatslehre“ die Rechtslehre verstanden wissen will, versteht Gumplowicz darunter eine soziologische „Naturwissenschaft“ vom Staat. Beide stimmen jedoch darin überein, daß der Staat eine Erscheinung der Natur sei, und nicht Gegenstand einer Wissenschaft vom Staatsrecht sein könne<779>.
Voegelin sieht noch einen weiteren Unterschied zwischen Gumplowicz und Kelsen. Während Kelsen das Recht als geistigen Bereich ansieht und hierbei bezüglich der positivistischen Metaphysik inkonsequenterweise eine Ausnahme zuläßt, wird bei Gumplowicz selbst diese einzige Ausnahme nicht toleriert. Vielmehr ist das Recht, wie Voegelin resümiert, in Gumplowicz’ Augen ein „Ausdruck von Ereignissen in der naturalen Sphäre“<780>, eine Erklärung, die der Konsequenz positivistischer Metaphysik gerechter wird als die diesbezüglich gemachte Ausnahme bei Kelsen. Diese Konsequenz wird bei Gumplowicz weiter ausgeführt und mündet in eine Machtkampftheorie:

„Nicht Inidividualismus und nicht Sozialismus sind die richtigen Standpunkte zur Betrachtung des Staates, sondern einzig und allein - man verzeihe der Sache zu Liebe den barbarischen Ausdruck - der Gruppismus. Das ist der soziologische Standpunkt, von dem aus der Staat als ein Inbegriff sozialer, wechselseitig sich bekämpfender Gruppen angesehen wird, welche seine wahren Elemente bilden, deren ‚Antagonismus’ den Staat ins Leben rief und seine Entwicklung erzeugt. Dieser ‚Antagonismus’ der sozialen Gruppen bildet das eigentliche Leben des Staates, er bildet den Naturprozeß der staatlichen Entwicklung und ist die unvermeidliche Folge des Kontaktes heterogener sozialer Gruppen, ganz ebenso wie zwei in Kontakt gebrachte chemische Stoffe gegen einander reagierend, einen chemischen Prozeß einleiten müssen.“<781>


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Hierbei kommt Voegelin in seinem Autoritären Staat auf Probleme zu sprechen, die er bereits in seiner Untersuchung über Rasse und Staat abgehandelt hat. Die Geschichte ist nach Auffassung von Gumplowicz, wie bereits ausgeführt wurde, eine Abfolge von Rassenkämpfen, wobei es zur Eroberung einer minderwertigen durch eine höherwertige Rasse kommt, die sich später in den beiden sozialen Schichtungen Adel und Volk widerspiegelt. Verwiesen wird in diesem Zusammenhang auch auf Gobineau, mit dem sich Voegelin ebenfalls bereits in Rasse und Staat auseinandergesetzt hat<782>.

3.4.1.6 Die reformistischen Ansätze von Stoerk und Tezner

Zurückzukommen ist noch einmal auf die Problematik der österreichischen Staatsrechtslehre des 19. Jahrhunderts, deren administrativen Charakter und die ihr zugrundeliegende resignative Haltung. Hervorzuheben ist hierbei, daß es trotz dieser Umstände schon im 19. Jahrhundert Versuche gegeben hat, eine Verfassungslehre zu kreieren, die den resignativen Zustand und den administrativen Charakter der österreichischen Staatsrechtslehre überwindet. Voegelin geht hierzu auf die Versuche von Felix Stoerk und Friedrich Tezner ein, die er beide als die bedeutendsten österreichischen Autoren zu Methodenfragen einer Lehre vom Verfassungsrecht ansieht.
Stoerk befaßte sich mit seiner Abhandlung Zur Methodik des öffentlichen Rechts in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts, seine Zielsetzung war eine Auseinandersetzung mit der „Reinen Rechtslehre“. Auf Vertreter des positivistischen Dogmas jener Zeit, zum Beispiel Ulbrich und Gumplowicz, wurde bereits eingegangen. Bei Stoerk nun werde, so Voegelin, bezüglich der Reinheit der Methode ein anderer Weg beschritten als bei Kelsen. An die Stelle des neukantianischen Postulates der Methodenreinheit tritt nunmehr das Postulat eines induktiven Verfahrens, nach welchem, analog zu den Naturwissenschaften, abstrakte Rechtsbegriffe zu gewinnen seien<783>. Stoerk kommt mit seiner Kritik Voegelins eigenem Ansatz nahe, auch wenn er sie noch in einer anderen Terminologie ausdrückt:

Die Verdichtung einer Reihe von Einzelerkenntnissen und deren Verbindung zu einer systematischen Wissenschaft kann [..] unmöglich früher erfolgen, als bis der Weg hiezu mit Hilfe der richtigen Methode gefunden ist. Noch weniger aber könnte eine solche Ordnung als gedankenmässige erscheinen, bei welcher erst die Methode und dann das Stoffliche ihres Denkprocesses zur Ausgestaltung, zur geistigen Ausprägung gelangen sollte; denn das Sein wird nicht durch das Denken bestimmt, sondern umgekehrt das Denken muss sich durch das Sein bestimmen lassen, wie sich die Arbeit der Natur des Stoffes anpasst. Demnach kann auch für die wissenschaftliche Methode, welche doch nur das adäquate Verfahren ist, ein Object für die Erkenntniss zu vermitteln, die Beschaffenheit des wissenschaftlichen Objectes selbst nicht gleichgiltig sein.“<784>

Stoerk gelangt zu dem Ergebnis,

„dass auch die Vorannahme einer wissenschaftlichen Methode vor der bestimmten wissenschaftlichen Fixirung des Stoffes selbst undenkbar ist. Ein Ausweg aus dem Cirkel liegt für uns somit nur in der vermittelnden Erkenntniss, dass die Trennung von Methode und Stoffentwicklung im Sinne eines Principes der höheren Arbeitstheilung eine unvollziehbare Vorstellung bedeutet. Ich kann mir das geistige Thun nicht losgelöst vom bearbeiteten Materiale denken.“<785>

Die der „Reinen Rechtslehre“ zugrunde liegende positivistische Metaphysik wird in ihren Grundlagen abgelehnt, in dem die Möglichkeit, daß die Seinsordnung und ihre einzelnen Bereiche jeweils methodenrein erkennbar seien, verneint wird. Sowohl Stoerk als auch Voegelin selbst stimmen darin überein, daß nicht die Methode den Erkenntnisgegenstand abgrenze, sondern durch das erkennende Subjekt selbst. Auf den Erkenntnisgegenstand selbst seien alle Methoden anzuwenden, die über diesen etwas aussagen können<786>.


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Betreffend die methodische Herangehensweise kritisiert Stoerk die Ableitung von Allgemeinbegriffen anhand von vorliegendem empirischem Material. Hierbei sei festzustellen, daß die Bildung von Allgemeinbegriffen auf dem Wege der Abstraktion nicht in jedem Falle zu wertvollen Ergebnissen führen muß. Das Problem der Abstraktion besteht darin, daß sie immer ein Weglassen von konkreten Merkmalen erfordert, weil man sich auf übergeordnete Merkmale eines gemeinsamen Allgemeinbegriffes, unter den eine Vielzahl konkreterer Begriffe subsumiert werden soll, konzentriert. Das Abstrahieren bzw. Generalisieren an sich hat nach Stoerk durchaus seine Berechtigung und wird von der Sache nicht in Frage gestellt:

„An die Stelle einer combinirenden Verstandesthätigkeit wird [..] die abstrahirende treten müssen - die Gewinnung von Art und Gattungsbegriffen im Wege des Generalisationsprozesses. Nur darf derselbe nicht so verstanden werden, als liesse sich ohne weitere Rücksicht auf die Werthrelation der einzelnen Merkmale, durch die Weglassung irgend eines beliebigen Merkmales aus einem Begriff dadurch allein schon ein anderer allgemeiner, höherer herauswickeln. In jedem Begriff liegt ein unverlierbarer Kern, um den die specifischen Bestimmungen sich lagern, die Unterlage, auf der sie ruhen. Wenn ich aus dem Begriffe Gold das Merkmal Metall eliminire, so gibt es für den Rest überhaupt keinen Halt mehr.“<787>

Das Abstrahieren darf daher nicht einer Beliebigkeit der Entscheidung ausgesetzt werden, welche konkreten Merkmale eines Begriffes als Kriterium für die Zuordnung zu einem höheren Begriff relevant seien. Zu berücksichtigen sind daher in entscheidendem Maße die Wertrelationen der Merkmale eines Begriffes untereinander. Es dürfen daher keine elementaren Merkmale sein, die beim Abstrahieren eines Begriffes unter den Tisch fallen:

„Je einfacher die individuelle Erscheinung ist, um so leichter wird jenes übereinstimmende Merkmal aufgefunden werden können, welches unter allen speciellen ruhend die Zusammengehörigkeit einer Individuengruppe begründet, und je mehr eine Erscheinung unter der concentrischen Wirkung complicirter Kräfte steht, umso schwieriger ist es, jenen Punkt ausfindig zu machen, umso grösser ist die Gefahr, dass die abstrahirende Thätigkeit etwa ein elementares Merkmal getroffen. Im letzteren Falle wird die Erscheinung in ihrem begrifflichen Bilde denaturirt, wie sie bei Hervorkehrung eines nebensächlichen Momentes als Gattungsmerkmals in ihrem Wesen nicht erfasst wird.“<788>

Somit hat Stoerk das Problem der Wertauswahl bei der Bildung staatswissenschaftlicher Begriffe als existent erkannt und dabei die unzulängliche Rolle herausgestellt, die dabei das Erkenntnissubjekt, das heißt der Staatswissenschaftler, spielt. Dem Erkenntnissubjekt steht es nach Stoerk lediglich zu, die für die Bildung abstrakter Begriffe entscheidenden Merkmale auszuwählen. Die Entscheidung darüber, was dann aber wirklich relevant ist, fällt der Staatswirklichkeit zu. Die Auffassung von Stoerk wird von Voegelins Seite nicht nur geteilt, Voegelin nimmt zugleich eine Gegenüberstellung von Stoerk zu den Ansätzen Max Webers vor und unterstreicht dabei die Überlegenheit in Stoerks Ansatz<789>.
Als vorbildhaft für eine adäquate Begriffsbildung sieht Stoerk den Bereich des Zivilrechts an. Dessen geschlossenes System rechtlicher Begriffe sei von keinem anderen Rechtsgebiet qualitativ erreicht worden, und unter den Sozialwissenschaften sei lediglich die Nationalökonomie zu nennen, die ein System von Gesetzen entwickelt hat, dessen Begriffsbildung qualitativ mit dem Zivilrecht vergleichbar wäre. Für die Rechtswissenschaft wird hier eine Gegenüberstellung zwischen dem „zivilistischen“<790> und dem „publizistischen“<791> Bereich vorgenommen, wobei halt letzterer die Qualität rechtswissenschaftlicher Begriffsbildung nicht erreicht. Als Ursache dafür wird von Stoerk angesehen, daß der zivilistische Bereich im Verlaufe der Menschheitsgeschichte durch eine höheres Maß an Konstanz der herrschenden Normkonfigurationen gekennzeichnet sei als der publizistische. Bei letzterem wirken hingegen eine Vielzahl von Kräften mit, die eine Konstanz der Normkonfigurationen auf die Dauer unmöglich machen und diese vielmehr fortwährenden Änderungen unterwerfen. Es ist, wie es in der Diktion Voegelins heißt, der


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„Unterschied zwischen geschichtslosen, personsperipheren Beziehungen zwischen Individuen auf der einen Seite und geschichtszentralen politischen Gefügen auf der andern.“<792>

Voegelin korrigiert den Ansatz Stoerks insoweit, als er annimmt, daß sowohl im publizistischen als auch im zivilistischen Bereich jeweils Elemente der Konstanz und des Wandels anzutreffen seien. Er kommt Stoerk aber wiederum entgegen, indem er zugesteht, daß nicht alle Elemente auch relevant werden. So gesehen sind im Sinne Stoerks auch von Voegelin als relevante Elemente im zivilistischen Bereich die der Konstanz und im publizistischen Bereich die des Wandels anzusehen. Der im Grundsatz von Voegelin für richtig befundene Ansatz Stoerks hat Konsequenzen für die Einschätzung der Begriffsbildung in der Staatsrechtslehre. In der Bildung sehr allgemeiner Begrifflichkeiten wird eine solche Staatsrechtslehre zwar keine falschen Begriffe hervorbringen, möglicherweise aber welche, die keinen Anwendungsbereich haben und daher irrelevant sind<793>.
Der Ansatz von Stoerk ist gekennzeichnet durch ein Verständnis für Geschichtlichkeit. Bei Stoerk ist es nicht etwa so, daß die Gegenwart zwar auf dem Vergangenen aufbaut, dieses ansonsten jedoch hinter sich läßt, sondern vielmehr bleibt hier das Vergangene auch für die Gegenwart immanent. Folglich hat sich auch das Verfassungsrecht mit der Frage nach der historischen Genese seiner Inhalte zu befassen. Rechtswissenschaft hat also mehr zu sein als bloße Kenntnis des aktuellen positivrechtlichen Gefüges, sie muß darüber hinaus auch rekonstruieren, welche historische Entwicklung für die Entstehung des Rechts, wie es sich aktuell präsentiert, verantwortlich ist. Die methodischen Grundsätze von Felix Stoerk gelten auch für den Staatsrechtslehrer Friedrich Tezner, der diese auf das österreichische Staatsrecht anwendet. Laut Voegelin ist Tezner der einzige Staatsrechtslehrer, der diesen Versuch unternommen hat. Tezner:

„Bei der Behandlung des Stoffs ließ ich mich von jenen Gesichtspunkten leiten, die ich bei meiner bisherigen staatsrechtswissenschaftlichen Tätigkeit festgehalten habe und die am treffendsten durch den von Felix Stoerk aufgestellten methodischen Grundsatz gekennzeichnet werden, daß im Staatsrecht das Typische in den Hintergrund tritt und das Individuelle des nationalen, historischen, wirtschaftlichen Tatbestandes aus der Masse herausgegriffen zu werden verlange. Es gibt kaum ein Staatswesen, welches ein lehrreicheres Beispiel für die Richtigkeit dieses Satzes bietet, als die österreichisch-ungarische Monarchie, das Reich des staatsrechtlichen Helldunkels und der endlosen, sich mannigfaltig kreuzenden Verfassungskämpfe.“<794>

Was nämlich die Lehre von den Staatsformen angeht, welche Typen wie Republik, Bundesstaat, Realunion und sonstige umfaßt, so leitet diese Tezner zufolge ihre Begriffe nicht auf empirischem und induktivem Wege her, sondern begreift sie als Modelle per se. Hierin spiegeln sich die Entwicklungen im Staate wider, jedoch ist der historische Charakter der Staatsmodelle zu berücksichtigen, um nicht den Fehler zu machen, diese zur Doktrin zu erheben:

„Den doktrinären Typen des Bundesstaats und Staatenbunds, der Real- und Personalunion kann selbst in dem sehr beschränkten Umfange, in welchem in der Wissenschaft Einigkeit über ihr Wesen besteht, für die Erklärung eines so verwickelten Gebildes keine weitere Bedeutung beigelegt werden, als den Kampf der ihnen zu Grunde liegenden Ideen aufzuweisen, der das politische Leben der Monarchie beherrscht und zu einer staatsrechtlichen Entwicklung geführt hat, die aus dem Gesetzesrecht nicht herausgelesen werden kann.“<795>

Die Erkenntnisse führen bei Tezner zur Entwicklung eines staatsrechtlichen Verständnisses für die Probleme der österreichisch-ungarischen Monarchie, das auch nach Voegelins Befinden richtungweisend ist. Tezners Ansatz ist eine Kritik an der Staatslehre von Georg Jellinek. Letztere beeinhaltet im besonderen die Lehre von den drei Staatselementen Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt<796>. Selbst bei einer Beschränkung der Betrachtung auf die österreichische Reichshälfte ist das Fehlen eines österreichischen Volkes auszumachen. Nach Tezner muß das österreichische


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Staatsproblem unter Abweichung von den gängigen Begrifflichkeiten der Allgemeinen Staatslehre unter seinen eigenen historischen Voraussetzungen betrachtet werden. Sowohl die Rolle des österreichischen Kaisers als auch das Problem der Nationalitäten, die zu selbständigen staatlichen Organisationsformen nicht in der Lage waren, sind Überbleibsel aus dem Mittelalter, die das österreichische Staatsproblem charakterisieren:

„Ihren tieferen Grund hat die eigenartige staatsrechtliche Bildung, welche nicht schablonenhaft mit dem doktrinären Typus der Real- oder Personalunion zusammengeworfen werden darf, darin, daß keine der beiden Ländergruppen der Monarchie seit dem Zeitpunkte ihrer Zusammenfassung durch die Herrschaft des Hauses Österreich infolge ihrer nationalen und ethnischen Zusammensetzung sich zu einem festgeschlossenen, zur selbständigen Existenz fähigen, wahrhafte Souveränität besitzenden Staatswesen zu entwickeln vermochte und daß ihr Fortbestand nur durch die Zusammenfassung aller zu einer Einheit gesichert werden konnte, eine Erkenntnis, für welche die Anerkennungserklärungen der nichtungarischen Landstände und der ungarischen pragmatischen Sanktion den bedeutsamsten staatsrechtlichen Ausdruck bilden.“<797>

Die Ansätze von Stoerk und Tezner ordnet Voegelin in weiterem Sinne dem Historismus zu. Es handele sich um Bemühungen, eine den positivistisch verengten Horizont der herrschenden Staatslehre überschreitende österreichische Staatslehre sui generis zu kreieren<798>.

3.4.1.7 Voegelins Fazit zur „Reinen Rechtslehre“

Voegelin schließt seine im Autoritären Staat angestellten Ausführungen über die „Reine Rechtslehre“ Hans Kelsens und das Problem einer österreichischen Staatslehre mit einer zusammenfassenden Betrachtung ab, in welcher er auch seine eigene Position noch einmal deutlich werden läßt. Folgende Punkte werden dabei als wesentlich erachtet. Ausgangspunkt der Betrachtung ist die in der Tradition des Neukantianismus stehende These, daß es verschiedene, nebeneinander stehende Gegenstände der Erkenntnis gibt, welche jeweils methodenrein, das heißt jeweils aufgrund nur einer Methodenkategorie, erfaßt werden können. Der Synkretismus verschiedenartiger Methodenkategorien bei der Untersuchung eines Erkenntnisgegenstandes wird hierbei abgelehnt.
Für die unter dem neukantianischen Paradigma betriebene „Reine Rechtslehre“ heißt das, der Gegenstand der Rechtswissenschaft sei die Ordnung der Rechtsnormen, welche als ein System von Zwangsnormen aufgefaßt wird. Für die Betrachtung des Rechtsgegenstandes „Staat“ wird dieser als identisch mit der Rechtsordnung angesehen. Daß es auch noch andere Aspekte des Staates gibt, wird zwar nicht bestritten, jedoch werden diese in der Rechtswissenschaft als irrelevant erachtet und als Gegenstandsbereich in die „Naturwissenschaft“ Soziologie verbannt. Voegelin dagegen möchte den positivistischen Trend der Rechtswissenschaft korrigieren „und den Inhalt der Normen des Verfassungsrechtes in seiner Fülle restituieren.“<799>
Dabei knüpft er an den Ausgangspunkt der These Kelsens an, die Betrachtung eines Nebeneinanders verschiedener Erkenntnisgegenstände, deren auf jeweils einer Methodenkategorie beruhende, also „methodenreine“, Erkennbarkeit behauptet wird. Dieser Betrachtungsweise hält Voegelin die Behauptung entgegen, daß dieses Nebeneinander verschiedener Erkenntnisgegenstände nicht existiert. Vielmehr stellt er fest, daß die von Kelsen in den Bereich der Soziologie verbannten Erkenntnisgegenstände dennoch dem positiven Recht angehören, da sie den Inhalt einer Norm in umfassendem Sinne mit ausmachen. Das Attribut „rein“ trage die „Reine Rechtslehre“ Kelsens zu Unrecht, denn in Wirklichkeit gehe es ihr nicht um die reine Auslegung des positiven Rechts, sondern darum einen von dessen Teilinhalten zu interpretieren<800>.
Diese Beschränkung ist von einem willkürlichen metaphysischen Dogma diktiert, welches sich um so mehr als irrational erweist. Nunmehr muß es darum gehen, den umfassenden Inhalt der Normenordnung wiederherzustellen. Der Inhalt der Normenordnung besteht regelmäßig darin, Verhaltensweisen des Menschen zu regeln mit dem Ziel, einen bestimmten Bereich des menschlichen Seins zu ordnen. Dabei muß jedoch Klarheit über Sinn und Bedeutung der Termini vorzuschreibender


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Verhaltensweisen bestehen. Dieses ergibt sich jedoch nicht aus der Norm selbst, sondern aus übergeordneten Zusammenhängen.
In der „Reinen Rechtslehre“ Kelsens wird der Norminhalt offensichtlich als unproblematisch angesehen und in seiner Erkennbarkeit einem mechanischen Akt gleichgesetzt, so daß sich sowohl bei der „Norm“ als auch bei deren Umsetzung in Form der „Akte“ die Frage nach der Bedeutung nicht stellt, da es eine solche in Gestalt verschiedener Interpretationsmöglichkeiten nicht gibt. Die Norm wird inhaltlich als auf naturale Akte und Wirkungen bezogen angesehen. Daß ihr darüber hinaus auch ein geistiger Sinngehalt zukommt, wird Voegelin zufolge von der „Reinen Rechtslehre“ als nicht relevant erachtet.
Beispielhaft führt Voegelin die Frage an, ob etwa ein Parlamentsabgeordneter, der seine Partei verläßt, auch seines Sitzes im Parlament verlustig gehe. Soweit ein solcher Fall nicht bereits positivrechtlich geregelt sei, müsse nun nach Sinn und Zweck der Stellung eines Abgeordneten sowie weiteren hiermit in Zusammenhang stehenden Begrifflichkeiten gefragt werden, und diese seien nicht in den Normen zu finden, sondern aufgrund „einer historische Typen bildenden Staatswissenschaft“<801> zu ermitteln. An dieser Stelle kann jedoch eingewendet werden, daß die Rechtswissenschaft auch unter dem Paradigma des Rechtspositivismus Kelsenscher Prägung ein System juristischer Auslegungsmethoden entwickelt hat, ohne ausdrücklich eine Voraussetzungswissenschaft der beschriebenen Art einzubeziehen.
Der positivistisch-rechtsdogmatische Jurist kennt neben der wörtlichen Auslegung und weiteren Methoden unter anderem auch die teleologische Deduktion, die Auslegung nach Sinn und Zweck einer Rechtsnorm, in deren Zusammenhang ohnehin nach der historischen Genese der betreffenden Norm gefragt wird. Dennoch vermeint Voegelin in der Entscheidungsfindung, wie sie praktiziert wird, immer nur eine Zufälligkeit zu erblicken, die in der Zugehörigkeit des Juristen zu einer bestimmten Schultradition, deren metaphysischen Hintergrund sowie der politisch-weltanschaulichen Sicht des Interpreten begründet liegt:

„Interpretiert wird also auf jeden Fall auf Grund irgendwelcher vorausgesetzter Sinnzusammenhänge - es handelt sich nur darum, ob sie naiv oder kritisch-wissenschaftlich ausgewählt werden.“<802>

Die Gegenüberstellung „naiver“ und „kritisch-wissenschaftlicher“ Auswahl korrespondiert durchaus mit dem Gegenüber der Termini „doxa“ und „episteme“, also „Meinungen“ und „Wissenschaft“. Erstere sind regelmäßig das Produkt individueller, subjektiver Sichtweise, bedingt durch Erziehung, Bildung, möglicherweise auch Interessen, mit Sicherheit sind sie jedoch nicht für eine eine „kritische Wissenschaft“ tauglich. Diese setzt, um sich mit Recht das Attribut einer „episteme“ zueignen zu können, eine die Ebene von „Meinungen“ überschreitende Betrachtung normativer Objektiva voraus. Letzteres ist Sinn der von Voegelin postulierten Voraussetzungswissenschaft. Diese Problematik, aufgegriffen in seinem Autoritären Staat, sollte für Voegelin auch später noch einen der Motivationsgründe für die Abfassung seiner Neuen Wissenschaft der Politik liefern<803>.
Im Zusammenhang mit Kelsens „Reiner Rechtslehre“ spricht Voegelin schon 1925 in seinem Aufsatz Reine Rechtslehre und Staatslehre von einer „historischen Destruktion des Problemkomplexes“<804>, an deren Ende die „Reine Rechtslehre“ stehe und von wo aus nunmehr die „Rekonstruktion der vollständigen Wissenschaft vom Staat beginnen“<805> müsse<806>. Letztlich löst er dieses Vorhaben in den 1950er Jahren mit seiner Neuen Wissenschaft der Politik ein<807>.
Es dürfte deutlich werden, daß die Kritik Voegelins an der „Reinen Rechtslehre“ Kelsens der Ausgangspunkt eines eigenständigen, wiederum von einer umfassenderen Metaphysik und Ontologie als der positivistischen geleiteten Versuchs ist, eine originäre Verfassungslehre zu kreieren. Zugleich lassen sich sowohl in den Untersuchungen Voegelins zum Rassenproblem als auch im Autoritären


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Staat Denkzüge nachweisen, die bereits den politiktheoretischen Ansatz des späteren Voegelin erkennen lassen.
Zunächst dienen Voegelin diese Erkenntnisse aber vor allem, um Kelsens „Reine Rechtslehre“ hinsichtlich ihrer wissenschaftlichen Unzulänglichkeit, ihrer horizontalen Verengung, zu überführen. Die von der „Reinen Rechtslehre“ postulierte Abgrenzung von „soziologischer“ und „juristischer“ Staatslehre ist von daher abzulehnen, sie ist für Voegelin der Ausdruck einer „naiven“, nicht jedoch kritisch-wissenschaftlichen Dogmatik des Rechts. Die Schwierigkeiten, die jedoch einer Entlarvung der metaphysischen Thesen der „Reinen Rechtslehre“ entgegenstehen, erblickt Voegelin darin, daß diese bei der Normeninterpretation durchaus zu handfesten Schlüssen gelangen und aufgrund ihrer nüchternen Beschränkung des Inhaltes auf das positive Recht den Schein von besonderer streng wissenschaftlich vorgehender Objektivität zu repräsentieren wissen. Voegelin stellt hierbei die These auf, daß der Normentext an sich keinen Inhalt haben könne, dieser ergebe sich in jedem Falle erst durch Interpretation, jedoch werde dieser Sachverhalt von der positivistischen Rechtswissenschaft leicht übersehen.
Voegelin versucht diese These am Beispiel des Demokratiebegriffes zu unterstreichen. Um etwa festzustellen, ob eine Verfassung demokratisch ist, reiche es nicht aus, deren positivrechtlichen Inhalt zu studieren. Was Demokratie ist, muß zunächst einmal, rein vom Begriffe ausgehend, unabhängig vom Verfassungstext geklärt werden, ehe man sich dann der Untersuchung zuwendet, ob die politische Ordnung, der das Verfassungswerk zugrunde gelegt werden soll, in ihrem Selbstverständnis auch eine demokratische ist. Wenn eine Verfassung demokratisch gestaltet ist, bedeutet es nicht zwangsläufig, daß die politische Ordnung, die dann im Ergebnis der Verfassungsgeltung entsteht, in ihrem Bewußtsein die Demokratie verinnerlicht hat. Zeitgeschichtlicher Hintergrund für diese Ansicht Voegelins ist die politische Ordnung Österreichs nach dem Inkrafttreten der Bundesverfassung von 1920. Die Verfassung selbst mag demokratisch strukturiert gewesen sein, die politische Ordnung, die mit ihr hervorgebracht wurde, war es nach Voegelins Auffassung nicht<808>.
Diese Problematik bleibt erkenntnismäßig verschlossen, wenn man die Betrachtung des Demokratieproblems in rechtspositivistischer Manier auf den formellen Verfassungstext verengt. Bei der Interpretation einer Norm sind daher mit Voegelin drei Sinngehalte zu berücksichtigen, die einer Norm zugeordnet werden müssen. Erstens, besitzt die Norm selbst eine „Formensprache“<809>, die sich durch den Text der Rechtsnorm ausdrückt. Zweitens, kommt dieser Formensprache eine typische Funktion zu, die in verschiedenen politischen Ordnungen sich wiederholen kann. Drittens schließlich, hat die Formensprache einer Norm eine sehr konkrete Funktion, nämlich die Regelung der Verfassungs- und Rechtsordnung eines ganz bestimmten Staates.
Voegelin fordert für eine Verfassungsanalyse die Berücksichtigung aller drei Sinngehalte einer Norm ein. Hingegen beschränke sich die „Reine Rechtslehre“ nur auf die erste Komponente des Sinns einer Norm, auf die Formensprache, während die beiden anderen Sinngehalte als Gegenstandsbereiche der Soziologie aus der Rechtswissenschaft ausgegrenzt werden. Für Voegelin bleibt es übrig, seine Betrachtungen zu Kelsens „Reiner Rechtslehre“ mit dem Hinweis abzuschließen, daß die Verengung des wissenschaftlichen Horizontes durch den rechtspositivistischen Ansatz Kelsens sich auch bei der Errichtung der autoritären Verfassung im Österreich der Jahre 1933/34 widerspiegeln sollte<810>.

3.4.2 Das Werden der autoritären Verfassung 1933/34

3.4.2.1 Kontinuität und Diskontinuität des Rechts

In Bezug auf das Werden der österreichischen autoritären Verfassung in den Jahren 1933/34 stellt sich für Voegelin die Frage, inwieweit die Kontinuität der innerstaatlichen Rechtsordnung (das völkerrechtliche Problem der fortdauernden Identität des Staates sei hier außen vor gelassen) fortbesteht, wenn es zu einer grundlegenden Änderung der Verfassung kommt, durch die sich auch die Staatsform ändern soll. Hierbei werde, so Voegelin, in der „Reinen Rechtslehre“ die Auffassung


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vertreten, daß die Kontinuität gegeben ist, wenn sich die Verfassungsänderungen innerhalb des von der Verfassung vorgesehenen Rahmens bewegen, wenn also die Verfassungsänderungen auch im Rahmen der bisherigen Verfassung rechtmäßig sind.
Eine Monarchie kann sich also zur Republik und eine Demokratie sich in eine Diktatur wandeln, ohne daß die Kontinuität der Rechtsordnung unterbrochen wird, solange sich dieser Vorgang in von der geltenden Verfassung legitimierten Formen abspielt. Erfolgt dieser Verfassungswandel jedoch illegal, liegt ein Bruch der Rechtsordnung vor, im Verständnis der Rechtslogik kann von einer Revolution gesprochen werden. Von Diskontinuität kann dann jedoch begrifflich nicht die Rede sein,

„der Begriff des Diskontinuums ist orientiert am Bild einer Geraden, die an einer Stelle eine Lücke aufweist; einer Geraden, die bis zu einem bestimmten Punkt führt, an ihm eine Unterbrechung erfährt, um jenseits als die ‚selbe’ Gerade weiterzulaufen.“<811>

Wenn jedoch ein Bruch der Rechtsordnung vorliegt, so ist die neue Rechtsordnung, welche die alte ersetzt, nicht mit einer Fortführung der selbigen alten Geraden zu vergleichen, sondern der Beginn einer neuen. Insofern scheidet aus Voegelins Perspektive die Möglichkeit der Diskontinuität der Rechtsordnung aus. Um von Diskontinuität der Rechtsordnung zu sprechen, wäre nämlich noch eine Voraussetzung erforderlich, die jedoch das System der „Reinen Rechtslehre“ verbietet,

„denn das Urteil über die ‚Selbigkeit’ der Geraden, die jenseits der Unterbrechung weiterläuft, kann nur begründet werden im Rückgriff auf jene Substanzfragen (z. B. Identität von Volk und Gebiet, des Kulturzusammenhanges, des gesamten unterhalb der Verfassungsstufe liegenden Bestandes an Rechtsnormen usw.), die als solche kein zulässiger Gegenstand rechtswissenschaftlicher Betrachtung sind.“<812>

Im System der „Reinen Rechtslehre“ könne es von daher per definitionem keine Revolution oder ein Bruch des Rechts geben, weil zwischen alter und neuer Rechtsordnung kein positivrechtlicher Zusammenhang besteht, stattdessen liegt hier ein zusammenhangloses Nebeneinander zweier Rechtsordnungen vor. Trotz dieser theoretisch-logischen Unmöglichkeit wird, so Voegelin weiter, in der „Reinen Rechtslehre“ jedoch auch in dieser Frage eine Ausnahme gemacht, die sich nur mit einer politischen Entscheidung begründen läßt, so daß man nun doch von einem die aufeinanderfolgenden Rechtsordnungen übergreifenden substanziellen Begriff des Staates ausgeht. Ziel dieser Betrachtungsweise ist es, Akte der neuen Rechtsordnung auch vom Standpunkt der alten Rechtsordnung bewerten zu können. Wenn nämlich die neue Rechtsordnung durch Revolution und Bruch der alten zustande gekommen ist, sind alle Akte der neuen Rechtsordnung vom Standpunkt der vorherigen als Unrecht zu qualifizieren.
Diese Betrachtungsweise ist durch die politische Forderung motiviert, daß sich Verfassungsänderungen stets in den von der alten Rechtsordnung vorgeschriebenen Formen abzuspielen haben, so daß diese gewahrt wird. Zugleich wird mit vorgenannter Betrachtungsweise das Problem der Legalität angesprochen. Die Begründung einer neuen Verfassung ist nach der „Reinen Rechtslehre“ nicht aus gegebenen politischen Rahmenbedingungen herzuleiten, sondern streng rechtspositivistisch auf die ursprüngliche „Grundnorm“ zurückzuführen. Wenn man dann noch die Frage danach stellt, warum eine Norm, die ja lediglich aus der ihr zugrundeliegenden Grundnorm abgeleitet wird, befolgt werden soll, so sieht Voegelin das Problem, daß eine Antwort auf diese Frage nicht möglich ist<813>.
Voegelin spricht hiermit ein grundsätzliches Problem an, welches später in der Neuen Wissenschaft der Politik für sein Konzept einer Politischen Wissenschaft im Sinne einer „kritischen Wissenschaft von menschlicher und sozialer Ordnung“ Bedeutung hat: die theoretische Begründung politischer Ordnung, die Begründung für die Ordnung der Existenz des Menschen in Gesellschaft. Diese theoretische Begründung ist die normative Grundlage, die für die Gestaltung politischer Ordnung vorbildhaft zu sein hat. Der Rückzug des Begründens auf positives Recht, im besonderen einer positivrechtlichen „Grundnorm“, kann nicht überzeugen, da die theoretische Begründung den Horizont des positiven Rechtes überschreiten muß, diese Begründung zielt vielmehr, wie es in Voegelins späterem Werk hervortritt, auf eine durch die Gesellschaft vertretene transzendente Wahrheit ab<814>.


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3.4.2.2 Legalität und Legitimität

Soweit, wie gerade im letzten Absatz in Bezug auf seine Neue Wissenschaft der Politik resümiert wurde, geht Voegelin in seinem Autoritären Staat noch nicht, er beschränkt sich hier auf die Feststellung der Unzulänglichkeit des in der „Reinen Rechtslehre“ Kelsens vertretenen Rechtspositivismus’:

„Das Problem des Rechtskontinuums löst sich für die reine Rechtslehre in die Forderung auf, daß eine ‚Norm’ befolgt werden soll; die ‚Norm’ wird zu einem Fetisch - und wir stehen vor der Aufgabe, diesem anscheinend unbegreiflichen Fetischismus einen Sinn abzugewinnen.“<815>

Der Legalität wird im Rechtspositivismus Vorrang eingeräumt gegenüber Fragen der Legitimität, dieser Umstand ist es, den Voegelin als Fetischismus stigmatisiert<816>. Hierbei handelt es sich jedoch um eine Legalität aus Prinzip, denn die Alternative zur Herrschaft des Rechts, des „Nomos“, wäre ein Chaos. Ein völliger Bruch der Rechtsordnung, eine Revolution, ist jedoch mit der Unterbrechung des Nomos durch ein zeitweiliges Chaos zu vergleichen. Diese theoretische Konsequenz des Rechtspositivismus gilt es jedoch in der „Reinen Rechtslehre“ zu durchbrechen. Zu diesem Zweck wird hier die Theorie von der Diskontinuität der Rechtsordnung eingeführt, jenes Bild einer Geraden entworfen, die zwar unterbrochen, dann aber als die selbige Gerade fortgeführt wird. Hierbei stehen also auch zwei durch Rechtsbruch getrennte, aufeinanderfolgende Verfassungsordnungen nicht zusammenhanglos nebeneinander, sondern werden durch die übergreifende Substanz des Staates zu einer zwar diskontinuierlich sich verhaltenden, aber immer dieselbige bleibenden Rechtsordnung verknüpft. Voegelin nimmt nunmehr noch auf zwei weitere bedeutende Staatsdenker seiner Zeit Bezug, die sich ebenso mit den Problemen der Legalität und der Legitimität befaßt haben. Zu nennen sind hier Max Weber und Carl Schmitt<817>. Max Webers Herrschaftssoziologie spielt für Voegelin insofern eine Rolle, als sich Weber hier mit einer Typologie verschiedener Legitimitätsformen befaßt:

„Es gibt drei reine Typen legitimer Herrschaft. Ihre Legitimitätsgeltung kann nämlich primär sein:
1. rationalen Charakters: auf dem Glauben an die Legalität gesatzter Ordnungen und des Anweisungsrechts der durch sie zur Ausübung der Herrschaft Berufenen ruhen (legale Herrschaft), - oder
2. traditionalen Charakters: auf dem Alltagsglauben an die Heiligkeit von jeher geltender Traditionen und die Legitimität der durch sie zur Autorität Berufenen ruhen (traditionale Herrschaft), - oder endlich
3. charismatischen Charakters: auf der außeralltäglichen Hingabe an die Heiligkeit oder die Heldenkraft oder die Vorbildlichkeit einer Person und der durch sie offenbarten oder geschaffenen Ordnungen [ruhen] (charismatische Herrschaft).“<818>

Ersteres ist hierbei die interessanteste Variante. Die Legalität als Möglichkeit der Legitimierung eines Staates ist nach Weber von folgenden Vorstellungen bestimmt. Erstens, wird von der immerwährenden Möglichkeit rationaler Rechtsetzung beliebigen Inhaltes ausgegangen. Das bedeutet,

„daß beliebiges Recht durch Paktierung oder Oktroyierung rational, zweckrational oder wertrational orientiert (oder: beides), gesatzt werden könne mit dem Anspruch auf Nachachtung mindestens durch die Genossen des Verbandes, regelmäßig aber auch: durch Personen, die innerhalb des Machtbereichs des Verbandes (bei Gebietsverbänden: des Gebiets) in bestimmte von der Verbandsordnung für relevant erklärte soziale Beziehungen geraten oder sozial handeln“<819>.


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Zweitens, wird das Recht wesensmäßig als ein Abstraktum angesehen, welches eine Ordnung von Regeln darstellt. Diese auf den Einzelfall anzuwenden, obliegt der Rechtspflege. Ebenso haben sich Verwaltung und Interessenvertreter innerhalb der Grenzen des Rechts zu bewegen. Das heißt,

„daß jedes Recht seinem Wesen nach ein Kosmos abstrakter, normalerweise: absichtsvoll gesatzter Regeln sei, die Rechtspflege die Anwendung dieser Regeln auf den Einzelfall, die Verwaltung die rationale Pflege von, durch Verbandsordnungen vorgesehenen, Interessen, innerhalb der Schranken von Rechtsregeln, und: nach allgemein angebbaren Prinzipien, welche Billigung oder mindestens keine Mißbilligung in den Verbandsordnungen finden“<820>.

Drittens, hat auch der Herrscher sich der Rechtsordnung zu unterwerfen und sich bei seinem Regieren an diese zu halten,

„daß also der typische legale Herr: der ‚Vorgesetzte’, indem er anordnet und mithin befiehlt, seinerseits der unpersönlichen Ordnung gehorcht, an welcher er seine Anordnungen orientiert“<821>.

Viertens, hat sich der Gehorsam der Untertanen ausschließlich auf das Recht zu beziehen, „daß - wie man dies meist ausdrückt - der Gehorchende nur als Genosse und nur ‚dem Recht’ gehorcht.“<822> Das fünfte Merkmal der Legalität faßt die Merkmale drei und vier im Grunde genommen noch einmal zusammen. Es gilt

„die Vorstellung, daß die Verbandsgenossen, indem sie dem Herrn gehorchen, nicht seiner Person, sondern jenen unpersönlichen Ordnungen gehorchen und daher zum Gehorsam nur innerhalb der ihm durch diese zugewiesenen rational abgegrenzten sachlichen Zuständigkeit verpflichtet sind.“<823>

Wenn die Untertanen also dem Herrscher gehorchen, so tun sie das nur innerhalb der Zuständigkeit, die das Recht dem Herrscher verleiht. Das heißt, im Prinzip gehorchen die Untertanen nicht dem Herrscher, sondern dem Recht. Unter den genannten fünf Merkmalen der Legalität als Form der Legitimierung eines Staates spielen aus Voegelins Sicht die beiden erstgenannten die wichtigste Rolle: „es sind ‚Vorstellungen’ der Verbandsgenossen vom Wesen der Herrschaft, der sie unterworfen sind.“<824> Die Typologie Webers ist zwar durchaus brauchbar, jedoch befindet Voegelin, daß die Problematik der Legitimierung selbst ungeklärt bleibt. Zu Recht stellt Voegelin die Frage, ob nicht auch Webers Theorie der Legitimierung durch Legalität als fetischistisch charakterisiert werden muß.
Auch bei Carl Schmitt wird die Problematik des Glaubens an die Legalität abgehandelt. Der Glaube daran, daß die gesetzte generelle und abstrakte Rechtsnorm verbindlich sei, setzt voraus, daß zwischen Recht und Gesetz, zwischen Gerechtigkeit und Legalität sowie zwischen Sache und Verfahren ein Verhältnis der Harmonie und Kongruenz besteht:

„Die prästabilierte und präsumierte Kongruenz und Harmonie von Recht und Gesetz, Gerechtigkeit und Legalität, Sache und Verfahren beherrscht das Rechtsdenken des Gesetzgebungsstaates bis in jede Einzelheit hinein. Nur dadurch wurde es möglich, daß man sich der Herrschaft des Gesetzes gerade im Namen der Freiheit unterwarf, das Widerstandsrecht aus dem Katalog der Freiheitsrechte entfernte und dem Gesetz jenen unbedingten Vorrang zubilligte, der in der Unterwerfung des Richters unter das Gesetz eine Garantie der richterlichen Unabhängigkeit erblickte, in der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung den wichtigsten Schutz vor Mißbrauch staatlicher Macht fand und alle in der Verfassung gewährleisteten Grundrechte unbedenklich dem Gesetzgeber zur Verfügung stellte, der kraft des ‚Vorbehalts des Gesetzes’ nach seinem Ermessen in sie eingreifen durfte.“<825>

Diese Harmonie ist nur dann möglich, wenn man auf einen gerechten und vernünftigen Gesetzgeber sowie auf ebenso gerechte und vernünftige Instanzen beim Gesetzgebungsverfahren vertrauen darf.


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Gerechtigkeit und Vernunft sind Eigenschaften, die unter den Bedingungen einer Demokratie vom Volk erfüllt werden müssen:

„Alle Würde und Hoheit des Gesetzes hängt ausschließlich und unmittelbar, und zwar mit unmittelbar positiv-rechtlicher Bedeutung und Wirkung, an diesem Vertrauen auf die Gerechtigkeit und Vernunft des Gesetzgebers selbst und aller am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Instanzen. Alle rechtlichen Garantien und Sicherungen, aller Schutz gegen Mißbrauch, sind in die Person des allmächtigen Gesetzgebers oder in die Eigenart des Gesetzgebungsverfahrens verlegt.“<826>

In einer nationalen Demokratie ist die Homogenität des Volkes gegeben und somit zugleich eine Voraussetzung für den Glauben an einen gerechten und vernünftigen Gesetzgeber in Gestalt eben dieses homogenen Volkes:

„Denn nach demokratischer Voraussetzung hat das in sich homogene Volk alle Eigenschaften, die eine Garantie der Gerechtigkeit und Vernünftigkeit des von ihm geäußerten Willens enthalten. Keine Demokratie besteht ohne die Voraussetzung, daß das Volk gut ist, und sein Wille infolgedessen genügt.“<827>

Im pluralistischen Parteienstaat jedoch zerfällt das Volk in partikuläre Gruppen, welche um die Herrschaft konkurrieren. Der Legalitätsglaube kann jetzt nur noch solange funktionieren, wie für alle Parteien die gleiche Chance besteht, die Regierung zu übernehmen. Wenn jedoch eine der Parteien nach immerwährender Herrschaft trachtet und diese auf legalem Wege erreicht, dann beginnt das Modell der Legitimität durch Legalität zu zerfallen. Wenn Voegelin nun ein Resümee zu den Thesen von Kelsen, Weber und Schmitt zieht, so interpretiert er sowohl die Bemühungen von Weber als auch die von Kelsen als Rationalisierungsversuche, um den Verfall des Legalitätsglaubens zu erklären. Bei Weber werde die Legalität als ein Typus der Legitimität angesehen, das eigentliche Problem jedoch außen vor gelassen. Bei Kelsen sei das Problem der Schaffung von Rechtsnormen auf das Erfordernis reduziert, daß die Akte sich auf den von den Rechtsnormen vorgezeichneten Bahnen zu bewegen haben.
Das Modell von Schmitt wiederum bewertet Voegelin als noch leistungsfähiger gegenüber denjenigen Webers und Kelsens, da Schmitt im Gegensatz zu den anderen Modellen das Legalitätsproblem unter dem institutionellen Aspekt beleuchte. Voegelin wendet allerdings kritisch ein, daß auch Schmitt das Problem von Legitimität und Legalität nicht in seinen Prinzipien erörtert hat, sondern nur auf das spezifische Problem der Entwicklung eines Gesetzgebungsstaates zu einem pluralistischen Parteienstaat und weiter zu einem autoritären, aber plebiszitär gerechtfertigten Staat Bezug nimmt. Voegelin geht es jedoch um eine Beleuchtung der Prinzipien, die durch das Problem von Legitimität und Legalität zu Tage treten sowie um eine Bezugnahme auf die spezifisch österreichische Situation. Hierzu werden nun einige Ideen von Maurice Hauriou aufgegriffen.
So präsentiert Voegelin die These, daß die Verfassungsnorm an sich keinerlei Bedeutung hat und erst durch ihre Rolle „als Grundgesetz einer Institution“<828> an Bedeutung gewinnt. Diese These entspricht Voegelins Kritik an der „Reinen Rechtslehre“ Kelsens, das heißt, der Text einer Rechtsnorm ist an sich inhaltslos, sein sprachlicher Inhalt läßt sich nur durch Interpretation gewinnen. Die Norm muß zu ihrer Interpretation in einen größeren Sinnzusammenhang eingeordnet werden, der als Institution bezeichnet wird. Als Institution wird ein gesellschaftliches Gebilde angesehen, das durch folgende Elemente konstituiert wird.
Erstens, ist das Vorhandensein einer Macht erforderlich, die eine Gruppe von Menschen beherrschen will mit Hilfe von Ordnung und Recht. Zweitens, ist diese Ordnung Bestandteil des politischen Willens der Gesellschaft, der sich freiheitlich konstituiert. Drittens, wird die Idee wirksam, es bildet sich eine Organisation von Herrschaftsinstitutionen, die im Ergebnis sachlich von den eigentlichen Trägern der Macht getrennt wird. Letztere werden den Herrschaftsinstitutionen unterstellt, diese gewinnen somit einen unpersönlichen Charakter. Schließlich stellt Voegelin noch ein viertes Merkmal heraus:


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„die Herrschaftsorganisation wird zur Institution, wenn die dauernde Organisation bei den Herrschaftsunterworfenen eine weitgehende gewohnheitsmäßige Zustimmung findet, den Consentement coutumier.“<829>

Die Legitimierung der Herrschaft ergibt sich aus der Idee des Staates. Aus der Notwendigkeit, die Institutionen der Herrschaft einer Ordnung zu unterwerfen, ergibt sich die Legitimierung der Verfassungsnormen. Desweiteren haben die Institutionen des Staates dauerhaften Charakter, sie überdauern somit das Leben von Herrscher und Untertanen. Durch diese Dauerhaftigkeit legitimieren sich die Normen, welche die Übertragung der Herrschaft regeln. Bei langandauernder Herrschaftsausübung und Übertragung der Macht von einem Herrscher auf den nächsten kann sich das Legitimierungsbewußtsein wandeln, mit der Folge, daß sich die Normen nicht mehr aufgrund des Staates und seiner Institutionen, sondern nunmehr aufgrund ihrer eigenen langandauernden Geltungskraft legitimieren. Der Sinn der Legitimierung wird nun also umgekehrt, und es wird verständlich, wie es dazu kommt, die Legalität als Quelle der Legitimität anzusehen.
Zugleich wird jedoch deutlich, daß die These der Legitimierung durch Legalität jeder sachlichen Grundlage entbehrt. Eine Herrschaft muß, um legitim zu sein, eine Institution repräsentieren, der Herrscher selbst ist es, der die herrschaftliche Rechtsordnung erläßt. Von daher kann er nicht umgekehrt erst durch die Rechtsordnung legitimiert werden. Die These von der Legitimierung durch Legalität ist ein rechtspositivistisches Dogma, dessen Entstehung sich nachvollziehbar erklären läßt. Diese Erkenntnis entspricht den Schlußfolgerungen Voegelins zum Problem von Legalität und Legitimität:

„Die Forderung der ‚Legalität’ ist ein - psychologisch wohl erklärbares - Mißverständnis der Legitimierungsvorgänge. Die Behauptung, daß Akte der Verfassungsänderung, die sich nicht den Regeln über Verfassungsänderung fügen, Unrechtsakte seien, ist nicht das Ergebnis einer ‚juristischen’ Theorie, die man einer ‚soziologischen’ gegenüberstellen könnte, sondern sie ist eine erfahrungs- und wesenswissenschaftlich falsche Beschreibung des Verfassungsphänomens.“<830>

3.4.3 Der autoritäre Charakter der Verfassung von 1934

3.4.3.1 Grundzüge

Im folgenden geht es darum, die Charakteristika der von der österreichischen Bundesregierung per Verordnung vom 24. April 1934 erlassenen autoritären Verfassung<831> aus der Sicht Voegelins darzustellen. Dabei beschreibt Voegelin ein Phänomen, welches diese neue Verfassung kennzeichnet und das er als „Anonymität der Macht“<832> bezeichnet. Will man nun die neue österreichische Bundesverfassung charakterisieren, so fällt in erster Linie, wie gesagt, der autoritäre Grundzug auf. Voegelin verweist hierzu auf seine an bereits früherer Stelle gemachten Ausführungen zu Hauriou und Dollfuß. Zwischen dem erstgenannten Theoretiker und dem letztgenannten Praktiker, dem damaligen österreichischen Bundeskanzler, gebe es laut Voegelin viele Parallelformulierungen, die darauf hinaus laufen, „daß Österreich der nahezu reine Fall einer autoritären Herrschaft im Sinne der Legitimierung


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der Herrschaft durch die urheberschaftliche Leistung für die Institution des Staates sei.“<833>
Die „urheberschaftliche Leistung für die Institution des Staates“ ist zugleich die einzige Legitimationsquelle dieser autoritären Herrschaft, eine demokratische, plebiszitäre oder dynastische Variante der Legitimation scheiden hier aus. Die Gründe hierfür sind historischer Natur, denn ein Volk, eine Nation im politischen Sinne, kennt der österreichische Staat nicht. Im Gegensatz zu anderen westeuropäischen Staaten, in denen die Bildung der Nation der Entstehung des modernen Staates vorausgegangen ist, stellt Österreich, wie bereits festgestellt wurde, eine Besonderheit dar.
Was jedoch die Phase des Überganges von der parlamentarisch-demokratischen zur autoritären Verfassung angeht, meint Voegelin jedoch auch eine „autoritär-demokratische Doppeldeutigkeit“<834> zu erblicken, welche auch die neue autoritäre Verfassung von 1934 weiterhin kennzeichnet. Das heißt, die Verfassung ist zwar in ihrer Substanz autoritär, in ihrer äußeren Symbolik hingegen weniger. Um diese These zu untermauern, streicht Voegelin eine Reihe von Merkmalen heraus, die die Verfassung von 1934 charakterisieren. Erstens, sei der Prozeß der österreichischen Verfassungsentwicklung zyklischer Natur. Dieser beginnt zunächst mit der Entwicklung in Richtung einer Demokratie, führt dann aber zurück zur autoritären Verfassungsform. Diesen Prozeß sieht Voegelin in der österreichischen Verfassungsgeschichte seit 1848 realisiert. Durch diese zyklische Gestalt mit der wechselweisen Rückkehr demokratischer und autoritärer Elemente erklärt sich für Voegelin, daß die autoritäre Verfassung am Ende des Zyklus’ Konzessionen hinsichtlich einer zusätzlichen demokratischen Legitimierung macht<835>.
Zweitens, ist der Wesenszug der autoritären Verfassung in dem unpersönlichen Charakter der Herrschaft zu sehen. Die Autorität bezieht sich nicht auf eine konkrete Herrscherperson, sondern auf die abstrakte Herrschaftsinstitution. Wenn hiervon abweichend die Herrscherperson dennoch eine besondere Rolle spielen sollte, so legitimiert sich diese nicht etwa aus ihrer repräsentativen Funktion für die Herrschaftsinstitution, sondern aufgrund einer besonderen persönlichen Legitimation, die dann meist über einen sakralen Charakter verfügt. Einen solchen sakralen Charakter besitzt etwa das mittelalterliche Königtum. Wenn die besondere persönliche Legitimation allerdings fehlt und ledigliche eine repräsentativ-institutionelle Rechtfertigung der Herrschaft einer Person gegeben ist, dann tendiert die Herrschaft zu einem anonymen Charakter.
Drittens, wird der anonyme Charakter der Herrschaftsausübung durch den weltlichen Charakter der autoritären Verfassung von 1934 verstärkt. Die sakrale Legitimierungsform war lange Zeit Bestandteil der christlichen Staatsidee, und als solche konnte sie daher nicht in die „weltliche“ Verfassung von 1934 Eingang finden. Viertens, findet sich in den von Voegelin aufgezählten Charakteristika der Verfassung von 1934 der oben schon erwähnte „administrative“ Charakter des österreichischen Verfassungsrechts, der sich in der neuzeitlichen Verfassungsgeschichte Österreichs zu deren Signum entwickelt hat. Der administrative Stil findet sich im 20. Jahrhundert schließlich auch in der parlamentarisch-demokratischen Verfassung von 1920 sowie in der autoritären Verfassung von 1934<836>.
Der administrative Stil der Herrschaftsausübung ist für Voegelin das wohl wichtigste Merkmal der Verfassung von 1934, es wirkt jedoch mit anderen Merkmalen zusammen und bringt auf diese Weise das Phänomen der Anonymität der Macht hervor. Diese Anonymität drückt sich bereits in der Präambel der Verfassung von 1934 aus:

„Im Namen Gottes, des Allmächtigen, von dem alles Recht ausgeht, erhält das österreichische Volk für seinen christlichen, deutschen Bundesstaat auf ständischer Grundlage diese Verfassung.“<837>

Allgemein enthält eine Präambel zu einer Verfassung drei Bestandteile. Dazu zählen die Benennung der Macht, welche die Verfassung erlässt, eine Aufzählung der Verfassungsgrundsätze sowie „den Gegenstand der verfassungsgebenden Fürsorge.“<838> In seinen Ausführungen gibt Voegelin ebenfalls ein Zitat der Präambel der Verfassung von 1934 wider, um festzustellen, daß in der Präambel eines


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der drei genannten Elemente fehlt: die Benennung der die Verfassung erlassenden Macht. Hierin spiegelt sich die Anonymität der Macht wider. Aber auch in der Aufzählung der Verfassungsgrundsätze findet sich eine Besonderheit: das autoritäre Prinzip der Verfassung wird als solches nicht ausdrücklich erwähnt. Auch in der Struktur der Verfassung insgesamt tritt das Prinzip des autoritären Staates nicht hervor. Lediglich was den Abschnitt über die Verwaltung betrifft, so werden dieser „Notrechte“ eingeräumt, welche aber wiederum auch nur eine Ausnahme vom Regelfall beschreiben und daher normalerweise der Verwaltung nicht zustehen. Überhaupt sind es bundesstaatliche und rechtsstaatliche Verfassungsprinzipien, die das Wesen der Verfassung von 1934 ausmachen<839>.
Die Verfassung von 1934 selbst ist jedoch nicht die einzige relevante Quelle bei der Untersuchung der Eigenheiten des autoritären Staates. Ferner trat noch nicht die gesamte Verfassung sogleich in Kraft, sondern wurde teilweise vorübergehend ersetzt durch ein Verfassungsübergangsgesetz vom 19. Juni 1934<840>. Zudem ist hier bereits von dem zyklischen Charakter der österreichischen Verfassungsgebung seit 1848 die Rede gewesen. In allen Phasen der österreichischen Verfassungsgeschichte seit 1848 finden sich neben dem jeweils dominierenden demokratischen bzw. autoritären Gehalt auch Überreste mit entsprechend anderem Gehalt, die aus anderen Phasen der Verfassungsgeschichte herrühren. Diese Bigotterie setzt sich, wie schon festgestellt wurde, auch unter den Voraussetzungen der Verfassung von 1934 fort<841>.
Voegelin erblickt im österreichischen Verfassungsleben seit 1848 eine Besonderheit, die darin besteht, daß die Verfassungen Österreichs nicht nur Regelungen für den Normalfall der Staatspraxis vorsahen, sondern darüber hinaus auch stets ein Provisorium mit Dispositionen für künftige Ausnahmefälle enthielten<842>.
Das Wesen der autoritären Verfassung von 1934 und deren Beziehung zu der vorangehenden parlamentarisch-demokratischen Verfassung von 1920/29 faßt Voegelin selbst in wenigen Sätzen präzise zusammen. Aus dieser Zusammenfassung geht zudem noch einmal hervor, wie sehr sich auch die Verfassungen von 1920/29 und 1934 in den Gesamtkontext des zyklischen Charakters der österreichischen Verfassungsgebung seit 1848 einfügen:

„Man dringt in den autoritären Sinngehalt der Verfassung 1934 am besten ein, wenn man von der Promesse der Auflockerung des extrem regierungautoritären Staates ausgeht. Die Machtkonzentration soll nicht so weit aufgelockert werden, daß nicht ein autoritärer Staatskern bestehen bliebe, der völlig in sich geschlossen ist; dort, wo die zentrale Autorität anderen Autoritäten einen größeren oder geringen Einfluß einräumt, tut sie es unter solchen Kautelen, daß die reale Macht des Kernes dadurch kaum berührt wird. In dieser Beziehung ist der autoritäre Kern ein musterhaft durchgearbeitetes Gegenstück zu dem parlamentarisch-demokratischen Kern des B.-VG. 1920 vor seiner Novellierung im Jahre 1929.“<843>

Anders ausgedrückt bedeutet dies: In der Verfassung von 1934 ist der autoritäre Kern von einer demokratisch-plebiszitären Peripherie umgeben, in der vorangegangenen hingegen verhielt es sich genau umgekehrt<844>.

3.4.3.2 Der autoritäre Charakter am Beispiel der Exekutivorgane

Um diesen Sachverhalt zu illustieren, geht Voegelin auf die Verfassungsstruktur im einzelnen ein und untersucht das Verhältnis der Verfassungsorgane zueinander, wie es vor und nach dem Inkrafttreten der Verfassung von 1934 aussah. Was den Zustand vor 1934 betrifft, die Zeit der Geltung der Verfassung von 1920/29, so trug diese die typischen parlamentarisch-demokratischen Strukturen


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einer bundesstaatlich verfassten Republik in sich. Staatsoberhaupt ist ein auf begrenzte Zeit demokratisch gewählter Bundespräsident. Ihm steht die vom Nationalrat als Parlament gewählte und diesem verantwortliche Bundesregierung mit dem Bundeskanzler als Regierungschef gegenüber. In der Verfassung von 1934 nun wird der Bundespräsident mit einer größeren Machtfülle ausgestattet, als ihm vorher zustand. Nicht mehr dem Nationalrat sind Bundeskanzler und Bundesregierung verantwortlich, sondern dem Bundespräsidenten. Der Parlamentarismus wird also ersetzt durch ein Präsidialsystem<845>. Adolf Merkl schreibt in seinem Grundriß über Die ständisch-autoritäre Verfassung Österreichs:

„Das einzige soziologisch bedeutsame Gegengewicht gegen die Machtfülle des Bundespräsidenten ergibt sich nur daraus, daß die, wenn auch nur gewissermaßen prekaristisch - auf beliebigen Widerruf des Bundespräsidenten - verliehenen Kompetenzen der Bundesregierung, insbesondere ihre Verfügung über den ganzen Vollzugsapparat des Bundes, ihr eine Machtfülle geben, die den Bundespräsidenten tatsächlich an der restlosen Auswertung seiner Kompetenzen, ja selbst an der Entlassung einer dissentierenden Regierung hindern kann.“<846>

Die Bundesregierung ist also nicht völlig vom Bundespräsidenten abhängig,

„denn die neue Verfassung läßt den Bundespräsidenten und die Bundesregierung weit über die Verwaltung hinauswachsen, gibt insbesondere der Bundesregierung den Hauptteil der gesetzgebenden und verfassunggebenden Gewalt, und macht sie dieserart zu den tragenden Pfeilern des neuen Staatsgebäudes. An ihren Kompetenzen gemessen, könnte man die Kooperation von Bundespräsident und Bundesregierung geradezu als Symptom eines Duumvirates deuten, wenn dem Bundespräsidenten ein Einzelorgan zur Seite stünde.“<847>

Da es sich bei Österreich um einen Bundesstaat handelt, spielen auch in dessen Gliedstaaten, den Bundesländern, deren Verfassungsorgane bei Voegelins Analyse eine Rolle. Deshalb geht er auch auf die Bedeutung des Landeshauptmannes, des Regierungschefs eines Bundeslandes, und der Landesregierung ein<848>. Voegelin sieht die neue Verfassung hinsichtlich des Bundesstaatsprinzips in einem Spannungsfeld zwischen der Legitimierung des autoritären Staatscharakters einerseits und der Legitimierung des Föderalismus andererseits. Erstere hatte zur Folge, daß der Bundesstaat Österreich stärker unitarisch ausgelegt wurde, als er es vorher war, letztere zog eine gewisse plebiszitär-demokratische Abschwächung der autoritären Verfassung nach sich. Die Landesregierung wurde durch die Verfassung von 1934 in ihrer Zusammensetzung gestrafft, die Ernennung des Landeshauptmannes nahm der Bundespräsident auf der Grundlage eines Vorschlages des Landtages und unter Gegenzeichnung des Bundeskanzlers vor<849>.
In dieser Regelung widerspiegelt sich der unitarische Zug der Verfassung, der Landeshauptmann wird fast zu einem Bundesorgan, die bundesstaatliche Regelung der Verfassung läßt die Tendenz zum dezentralisierten Einheitsstaat erkennen. Daß hierbei der Landtag dreifach vorschlagsberechtigt war, mag den Sinn gehabt haben, dieser Unitarisierung entgegenzuwirken. Es ließen sich hier noch etliche weitere Regelungen anführen, welche die unitarisierende Tendenz der Verfassung von 1934 dokumentieren<850>.


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Eine weitere Ebene, auf die sich die autoritäre Neuordnung des Staates auswirkte, ist die der Kommunen. Bis auf einige Reste ist die demokratische Selbstverwaltung weitgehend aufgelöst worden<851>. Insofern gibt es auch gemeindliche Organe der Selbstverwaltung<852>. Dazu gehören der Bürgermeister, der Gemeindetag sowie der aus höchstens fünf Mitgliedern bestehende Gemeinderat, wobei letzterer zwar vorhanden sein kann, aber nicht muß. Bürgermeister und Gemeinderat werden vom Gemeindetag gewählt. Sowohl der Gemeinderat als auch der gewählte Bürgermeister sind jedoch gleichzeitig Mitglied im Gemeindetag, so daß dieser sich faktisch in seiner Bedeutung auflöst<853>. Der Bürgermeister ist in seiner Tätigkeit von den Entscheidungen der Exekutive des Bundeslandes abhängig. Sowohl bei der Wahl der Bürgermeister hat die Landesexekutive mitzureden, als auch bei der Tätigkeit des Bürgermeisters besteht ein hohes Maß an Weisungsgebundenheit gegenüber Bundes- und Landesorganen<854>. Auf diese Weise werden auch die Bürgermeister in das autoritäre Wesen des Staates eingegliedert<855>.
In diesem Zusammenhang ist auch noch die Wahl des Bundespräsidenten anzumerken, bei der die Bürgermeister eine wichtige Rolle spielen. Die aus dem Staatsrat, dem Bundeskulturrat, dem Bundeswirtschaftsrat und dem Länderrat bestehende Bundesversammlung ist bei der Wahl des Staatsoberhauptes vorschlagsberechtigt, die Wahl selbst führen dann die Bürgermeister durch<856>. Ein wichtiges Prinzip in der Konstruktion des österreichischen autoritären Staates drückt sich in der Wahl des Bundespräsidenten durch Bürgermeister aus. „Die oberste Stufe wird mit der untersten Stufe der Exekutivorgane zu einem Kreis geschlossen.“<857>

3.4.4 Das Kammersystem der autoritären Verfassung

3.4.4.1 Ständegesellschaft und Ständestaat - die Ansätze von Seipel und der Enzyklika „Quadragesimo anno“

Im Zusammenhang mit den „autoritären Kammern“<858> der Verfassung von 1934 geht es Voegelin zunächst einmal um die Einführung zweier Begriffe. Es handelt sich um die „Ständegesellschaft“<859> und den „Ständestaat“<860>:

„Unter einer ständisch geordneten Gesellschaft soll eine Gesellschaft verstanden werden, deren Glieder in berufsständischen Körperschaften mit einem geringeren oder größeren Ausmaß von Selbstverwaltungsrechten organisiert sind. Ständestaat soll in diesem Zusammenhang ein Staat heißen, dessen Gesellschaft ständisch geordnet ist, und in dem Vertreter der Stände an der staatlichen Willensbildung auf der obersten Stufe, vor allem an der Gesetzgebung teilnehmen.“<861>

Voegelin sieht in der ständischen Ordnung des Staates einen politisch integrativen Effekt. Bereits die 1929 erlassene Novelle der Verfassung von 1920 habe diesem Ansinnen Rechnung getragen. Voegelin führt zwei Problempunkte an, deren Lösung eine ständische Ordnung anstreben mußte. Zum einen hatte die Idee des Klassenkampfes das Volk gespalten. Durch eine Erneuerung der ständischen


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Ordnung sollte diese Spaltung überwunden werden. Zum anderen hat diese Spaltung infolge des Klassengedankens auch zu einer Funktionsunfähigkeit des Nationalrates geführt, der seine parlamentarischen Aufgaben nicht mehr zufriedenstellend wahrnehmen konnte. Die ständische Neuordnung mußte auch hierin Abhilfe schaffen.
Zu der Problematik der ständischen Neuordnung führt Voegelin als Autor den Namen des österreichischen Politikers und zeitweiligen Bundeskanzlers Ignaz Seipel an. Seipel geht in seinem am 16. Juli 1929 in Tübingen gehaltenen Vortrag zunächst von den Kritiken aus, die zu seiner Zeit an Parlament und Parteienherrschaft geübt werden:

„Eine erste Gruppe der Kritiker sieht alle Mängel vom Wahlrecht und von der Wahlordnung herkommen, ohne daß sie an der parlamentarischen Demokratie an sich etwas Besonderes auszusetzen hat. Die zweite Gruppe geht weiter; sie erwartet das Heil von einer ständischen Vertretung an Stelle des jetzigen, aus allgemeinen Wahlen hervorgehenden Parlaments. Die dritte wendet sich gegen die Parteienherrschaft in und neben den Parlamenten. Ich selbst messe der bloßen Reform des Wahlrechtes und der Wahlordnung keine allzu große Bedeutung bei; ich erwarte mir von einem sogenannten Ständeparlament keine wesentliche Besserung, wenigstens nicht von ihm allein; ich sehe die Wurzel des Übels in der Art der Parteienherrschaft, wie sie sich in den Zeiten der konstitutionellen Monarchie entwickelt hat und nach Wegfall der monarchischen Korrektur ungehemmt in die Halme geschossen ist. Nach meiner Ansicht rettet jener die Demokratie, der sie von der Parteienherrschaft reinigt und dadurch erst wiederherstellt.“<862>

Seipel bezweifelt die Möglichkeit der Problemlösung durch die Einrichtung eines Ständeparlamentes, er erblickt das Hauptübel in der Herrschaft der politischen Parteien. Diese müsse beseitigt und anstelle der Parteienherrschaft die Staatsautorität wiederhergestellt werden. Dennoch meint Voegelin bei Seipel im Gegensatz zu anderen Autoren eine weitgehende Vorurteilsfreiheit zu erkennen, obgleich Seipel seine indirekte Forderung nach Stärkung der Staatsautorität durch ein Bekenntnis zur Demokratie zu verschleiern sucht<863>.
Daß die eine der genannten Staatsformen besser sei als die andere, könne laut Seipel nicht behauptet werden. Je nach dem, welche Bedingungen charakteristisch sind, können alle Staatsformen gut oder schlecht sein. Als dafür ausschlaggebende Bedingungen werden Pietät, Amtsgewalt und Autorität angesehen. Nur wenn diese Bedingungen gut sind, dann ist auch die Staatsgestaltung, gleichgültig welchen Grundtyps, in Ordnung. Die Bedingungen sind dann wiederum gut, wenn zwei Voraussetzungen vorliegen. Einerseits müssen die Grundlagen der drei genannten Bedingungen wirklich existieren und dürfen nicht nur vorgetäuscht werden, andererseits müssen die Angelegenheiten der Allgemeinheit auch in der öffentlichen Hand verbleiben und dürfen nicht zum Privatanliegen verkommen<864>.
Der Ständebegriff, mit dem Seipel sich befaßt, orientiert sich am modernen Staat der Neuzeit. Während im Mittelalter die Stände ein Ausdruck für Grundherrschaften waren, werden mit dem neuzeitlichen Ständebegriff Seipels Berufsgruppen gemeint. Und in Bezug auf die moderne Gegenüberstellung der Kategorien „Staat“ und „Gesellschaft“ seien die Stände Bestandteil der Gesellschaft und stehen somit dem Staat gegenüber:

„Ungleich größere Bedeutung kommt dem Gedanken des Ständeparlaments zu. Ich fürchte aber, es liegen ihm mancherlei Mißverständnisse zugrunde. Mit einer Wiederbelebung des Ständestaates der Vergangenheit hat er keinesfalls etwas zu tun, daher dürfen sich seine Verfechter auch nicht auf bewährte Traditionen berufen. Die Stände der vorkonstitutionellen Zeiten waren nicht Berufsstände, sondern die Grundherren.“<865>

Ein Parlament, daß nicht politische Parteien, sondern solche gesellschaftlichen Stände repräsentiert, kann zwar manche Probleme des legislativen Prozesses beilegen, jedoch wird das Hauptproblem, die Sinnordnung des politischen Kernbereiches des Staates, hierdurch nicht gelöst<866>. Festzuhalten ist


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weiterhin, daß die ständische Ordnung der Gesellschaft, zu der Zeit, als Seipel seine These entwickelt, nur ein Postulat darstellt, jedoch nicht der realen Situation entspricht. Es gibt zwar mannigfach Berufsgruppen, nur sind diese nicht zu Ständen organisiert. Es sind lediglich drei Berufsgruppen, denen Seipel bereits jetzt den Charakterzug von Ständen zuerkennt, da diese nicht in gesellschaftliche Klassen gespalten sind. Als Stände sieht Seipel die Geistlichkeit, die Soldaten und die Gelehrten an. Die Bauern hingegen stellen keinen Stand dar, weil sie durch die Klassenspaltung desintegriert sind.
Ständegesellschaft und Klassengesellschaft repräsentieren bei Seipel somit zwei mögliche, jedoch sich widersprechende und einander ausschließende Formen der Gliederung einer Gesellschaft. Die Ständegesellschaft offenbart sich hierbei als vertikale, die Klassengesellschaft als horizontale Gliederung. Zu einer gesellschaftlichen Klasse gehören diejenigen, die sich in ihren Einkommens- und Lebensbedingungen entsprechen, ganz gleich welchen Berufsgruppen sie auch angehören mögen. Zu einem gesellschaftlichen Stand hingegen zählen, genau umgekehrt, die Angehörigen ein und derselben Berufsgruppe, unabhängig davon, wie weit sie untereinander in ihren Einkommens- und Lebensbedingungen voneinander differieren. Die Ständegesellschaft ist der erwünschte Zustand, jedoch wird diese durch die Klassengegensätze zerrissen und unmöglich gemacht<867>.
An dieser Problematik im Denken Seipels knüpfen auch die Ideen der bereits genannten Enzyklika Quadragesimo anno an. Auch für die Enzyklika ist der Ausgangspunkt die Zersetzung der Gesellschaft aufgrund der sozialen Klassengegensätze:

„In Auswirkung des individualistischen Geistes ist es so weit gekommen, daß das einst blühend und reichgegliedert in einer Fülle verschiedenartiger Vergemeinschaftungen entfaltete menschliche Gesellschaftsleben derart zerschlagen und nahezu ertötet wurde, bis schließlich fast nur noch die Einzelmenschen und der Staat übrig blieben, - zum nicht geringen Schaden für den Staat selber.“<868>

Als Weg zu deren Überwindung erblickt auch die Enzyklika eine ständische Neuordnung der Gesellschaft<869>:

„Erneuerung einer ständischen Ordnung also ist das gesellschaftspolitische Ziel. Bis zur Stunde dauert ja der unnatürlich-gewaltsame Zustand der Gesellschaft fort und ermangelt infolgedessen der Dauerhaftigkeit und Festigkeit; ist doch die heutige Gesellschaft geradezu aufgebaut auf der Gegensätzlichkeit der Interessenlagen der Klassen und damit auf dem Gegensatz der Klassen selbst, der allzuleicht in feindseligen Streit ausartet.“<870>

Das bedeutet,

„daß wohlgefügte Glieder des Gesellschaftsorganismus sich bilden, also ‚Stände’, denen man nicht nach der Zugehörigkeit zur einen oder andern Arbeitsmarktpartei, sondern nach der verschiedenen gesellschaftlichen Funktion des einzelnen angehört. Denn genau, wie die nachbarschaftliche Verbundenheit die Menschen zur Gemeinde zusammenführt, so läßt die Zugehörigkeit zum gleichen Beruf - gleichviel ob wirtschaftlicher oder außerwirtschaftlicher Art - sie zu Berufständen oder berufständischen Körperschaften sich zusammenschließen.“<871>

Wie auch Voegelin hervorhebt, dienen zur Begründung dieser Auffassung in der Enzyklika die Ansichten des Thomas von Aquin, zu denen es in der Enzyklika heißt:

„Ordnung bedeutet, wie der hl. Thomas meisterhaft ausführt, Einheit in wohlgegliederter Vielheit. Eine rechte gesellschaftliche Ordnung verlangt also eine Vielheit von Gliedern des Gesellschaftskörpers, die ein starkes Band zur Einheit verbindet. Die Kraft eines solchen Einheitsbandes besitzen einmal die Güter und Dienstleistungen, deren Erzeugung bzw.

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Darbietung die Angehörigen des gleichen Berufstandes, gleichviel ob Arbeitgeber oder Arbeitnehmer, obliegen, zum andernmal das Gemeinwohl, zu dem sämtliche Berufstände, jeder zu seinem Teil, mitzuwirken und beizutragen haben.“<872>

Neben den Gemeinsamkeiten zwischen den Ideen der Enzyklika und der Gedankenwelt Seipels sieht Voegelin jedoch auch Unterschiede. So sei die Ständeidee der Enzyklika wesentlich konservativer als die Seipels. Während sich die Enzyklika auf das Gegenüber von Unternehmern und Arbeitern beschränke, sieht Voegelin bei Seipel darüber hinaus die Forderung, daß der Einzelne gesellschaftlich aufsteigen könne, ohne jedoch, daß er von einer gesellschaftlichen Klasse in eine andere übertritt. Dies komme sogar kommunistischen Vorstellungen nahe<873>. Das Problem der Ständegesellschaft ist jedoch nicht das einzige, welches bei Seipel eine Rolle spielt. Seine Idee ist, wie schon festgestellt wurde, verbunden mit einer bestimmten Vorstellung über die Staatsorganisation. Voegelin zieht zum Beleg hierzu Äußerungen Seipels in dessen Eigenschaft als zeitweiliger Regierungschef heran, als dieser während der Generaldebatte des Nationalrates über den Bundesvoranschlag am 18. Januar 1929 das Wort ergriff:

„Wir stehen bei der Erörterung der Fragen der Demokratie. Der Redner der Opposition hat gestern fast im unmittelbaren Anschluß an sein Eintreten für eine Erweiterung der Demokratie gegen die Regierung den Vorwurf erhoben, daß sie eine wichtige wirtschaftspolitische Frage in Konventikeln bespreche. Ich muß mich sehr dagegen verwahren, daß man etwa vonseiten des Parlaments oder vonseiten der parlamentarischen Opposition ein Veto dagegen einlegt, daß die Regierung ohne Vermittlung des Parlaments mit dem Volk, mit den einzelnen Wirtschaftsgruppen, mit denen redet, die sich selbst zum Worte melden.<874>

Aus Seipels Äußerungen geht eine Kritik am Parlamentarismus hervor, die in dem Vorwurf gipfelt, daß das Parlament nicht seiner Rolle als Vertretung des Volkes gerecht werde, weil es von den Parteien beherrscht sei. Dies rechtfertige das direkte in Kontakt Treten der Regierung mit den Vertretern der Wirtschaft ohne Vermittlung dieses Kontaktes durch das Parlament:

„Die immer wiederholten Angriffe der Sozialdemokraten gegen jeden Versuch der Regierung, mit irgendwem, der nicht die parteipolitische Marke, trägt, zu verhandeln oder ihn auch nur um Rat zu fragen, ist eine Hauptursache, warum das Verlangen nach einem ‚Stände‘staat oder ‚Stände‘parlament so lebhaft wurde. Die Wirtschaftskreise sind erbittert darüber, daß sofort mit Schimpfworten wie ‚Konventikel’ herumgeworfen wird, wenn die Regierung einmal mit ihnen allein spricht, und sie kehren naturgemäß den Spieß um und bekämpfen das Parteienparlament an sich.“<875>

Die Vertreter der Wirtschaft erscheinen hier als wahrhaftigere Vertreter des Volkes anstelle des Parlamentes, so daß Seipel das Vorgehen seiner Regierung unter Umgehung des Parlamentes als einer „wahren Demokratie“ gemäß rechtfertigt, womit er sein Konzept autoritärer Herrschaft schließlich verschleiert. Wenn es nun darum geht, in der Staatsorganisation eine sinnvolle Hierarchie der Autoritäten festzulegen, so handelt es sich im vorliegenden Fall um ein Konzept, in welchem zweierlei Ideen zusammenfließen. Einerseits sind es die Reformideen des Parlamentarismus, andererseits ist es eine von der schon genannten Enzyklika postulierte christliche Idee über den Aufbau der Gesellschaft. Letztere ist entscheidend für das Postulat einer Ständegesellschaft, es handelt sich bei dieser Idee um das Subsidiaritätsprinzip. Das, was der Einzelmensch zu leisten in der Lage ist, darf ihm nicht durch über ihm stehende Gemeinschaften entzogen werden. Genauso dürfen Kompetenzen, welche von kleineren Gemeinschaften zur Zufriedenheit wahrgenommen werden können, nicht von übergeordneten Gemeinschaften an sich genommen werden.
Subsidiarität stellt die Nachrangigkeit der oberen gegenüber unteren Ebenen dar. Dieses Prinzip trägt nach Auffassung der Enzyklika stets zur Festigung politischer Herrschaft bei. Ausgelöst ist die in der Enzyklika enthaltene Forderung nach Subsidiarität durch den Eindruck von einer Gesellschaft, in welcher ein allmächtiger Staat einer zur Vermassung tendierenden Gesellschaft gegenüber steht. Diese Allmacht des Staates soll durch die Partizipation untergeordneter Gemeinschaften der


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Gesellschaft, konkret der beruflichen Stände, an der Staatsorganisation geschwächt werden. Im Ergebnis dieser Forderungen ist also auf der Ebene der Staatsorganisation eine Vertretung der beruflichen Stände einzurichten.
Diese Reform kann jedoch auch das Ergebnis von Bestrebungen sein, die aus einer genau entgegengesetzt wirkenden Richtung stammen. Hierfür steht das Beispiel Seipels, wo die Forderung nach Einrichtung eines Ständeparlaments nicht die Schwächung der Allmacht des Staates, sondern die Beseitigung der durch Parteienherrschaft charakterisierten parlamentarischen Demokratie und die Errichtung eines autoritären Staates bezweckt<876>.

3.4.4.2 Ständestaat und Ständegesellschaft als Signum der neuzeitlichen Verfassungsgeschichte

Voegelin stellt heraus, daß es sich bei der Problematik von Ständegesellschaft und Ständestaat um ein Problem der neuzeitlichen Verfassungsgeschichte handelt und somit Konnotationen mit der Verfassungsgeschichte des Mittelalters ausschließt. Die strukturellen Wandlungsprozesse, welche den Übergang vom mittelalterlichen zum neuzeitlichen Staatsverständnis beschreiben, schaffen geradezu die Voraussetzung für die genannte Problematik einer an Berufsständen orientierten Struktur der Staatsorganisation. Ein solcher Wandlungsprozeß ist die Einebnung der Herrschaftshierarchie des mittelalterlichen Personenverbandsstaates durch die Herstellung des den neuzeitlichen institutionellen Flächenstaat kennzeichnenden staatlichen Machtmonopols.
Der institutionelle Flächenstaat der frühen Neuzeit ist somit zunächst charakterisiert durch den Gegensatz zwischen dem Machtmonopol und der Allmacht des Staates einerseits sowie der entmachteten, politisch nivellierten Gesellschaft andererseits. Diesen Gegensatz zu mildern, bemüht sich dann die Forderung nach Partizipation der Gesellschaft an der Staatsorganisation. Die Einlösung dieser Forderung erfolgt im Ergebnis einer langen Entwicklung mit der konstitutionell beschränkten Herrschaft als Zwischenstufe durch die Einrichtung einer Volksvertretung. Was die politische Situation im österreichischen Staate zur Zeit der parlamentarischen Demokratie in den 1920er und frühen 1930er Jahren betrifft, so stellt sich diese Volksvertretung als Parteienparlament dar, welches seiner Funktion einer zufriedenstellenden Repräsentation des Volkes nicht gerecht wird.
Von diesen Voraussetzungen ausgehend wird die Problematik von Ständegesellschaft und Ständestaat entworfen, welche dann auf die politische Forderung nach Errichtung eines Parlamentes der Berufsstände hinausläuft, die das Ziel hat, eine Verfassung zu kreieren, in welcher die Gesellschaft einerseits in Gestalt ständischer Repräsentation eine angemessene Partizipation an der politischen Macht erfährt, andererseits jedoch nicht in eine parteienpluralistische parlamentarische Demokratie ausartet. Dieses Ziel ist ein Charakteristikum des österreichischen autoritären Staates, der somit eine Mittelstellung zwischen den Extrempolen parlamentarischer Demokratie auf der einen und totalitärer Herrschaft auf der anderen Seite einnimmt<877>.

3.4.4.3 Die Bedeutung der englischen Verfassungsgeschichte für das Kammersystem

Die vorstehend zusammengefaßte Problematik findet Voegelin nun auch am Beispiel der Verfassungsgeschichte Englands belegt<878>. Dabei wird zunächst die Eigenständigkeit der Entwicklung Englands im Vergleich zu den verfassungspolitischen Bestrebungen auf dem europäischen Kontinent hervorgehoben. Während es in Frankreich noch im 19. Jahrhundert darum ging, die Macht eines absoluten Monarchen einzuschränken und die Herrschaft des Volkes durchzusetzen, war dieses Bestreben in England bereits längst in die Tat umgesetzt worden. In England gab es nunmehr eine andere, auf die Herrschaft des Volkes als Voraussetzung bereits aufbauende Zielsetzung: die Neuordnung der Organisation des Parlamentes, da die bisherige Form der Repräsentation des Volkes nicht zufriedenstellend funktionierte. Hier ist die Parallele zur österreichischen Situation in den Jahren um 1933/34 erkennbar. Georg Wilhelm Friedrich Hegel befaßte sich mit dieser Situation in England in seiner 1831 entstandenen Schrift Über die englische Reformbill, in welcher es heißt:


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„Die dem englischen Parlamente gegenwärtig vorliegende Reformbill beabsichtigt zunächst, in die Verteilung des Anteils, welchen die verschiedenen Klassen und Fraktionen des Volks an der Erwählung der Parlamentsglieder haben, Gerechtigkeit und Billigkeit dadurch zu bringen, daß an die Stelle der gegenwärtigen bizarrsten, unförmlichsten Unregelmäßigkeit und Ungleichheit, die darin herrscht, eine größere Symmetrie gesetzt werde. Es sind Zahlen, Lokalitäten, Privatinteressen, welche anders gestellt werden sollen; aber es sind zugleich in der Tat die edeln Eingeweide, die vitalen Prinzipien der Verfassung und des Zustandes Großbritanniens, in welche jene Veränderung eindringt.“<879>

Hegel ist der Befürworter einer Interessenvertretung, jedoch ist das Problem von ihm noch nicht eindeutig formuliert, da die Typen des mittelalterlichen Ständestaates, des Parlamentes als Volksvertretung und einer künftigen Gliederung der Gesellschaft in Stände noch nicht hinreichend voneinander differenziert werden. Hegel sieht nicht unbedingt eine Trennung zwischen mittelalterlichem und neuzeitlichem Ständebegriff, er interpretiert stattdessen die ständische Neugliederung der Gesellschaft mit den Vorstellungen über die Reichs- und Landstände des Mittelalters. Andererseits erkennt Voegelin Hegel zu, daß ihm durch diese Interpretation die Sicht für die Problematik der englischen Interessenvertretung nicht verstellt wird. Hegel wisse zudem, daß durch die Öffnung der Interessenvertretung gegenüber bis dato nicht vertretenen Schichten und Ständen diese nicht einfach nur erweitert wird, sondern daß damit die Herrschaft der bislang regierenden Schicht grundsätzlich hinterfragt wird, das bestehende Herrschaftssystem möglicherweise sogar vernichtet werden kann. Insofern wird durch die Reformbill nicht einfach nur eine systemimmanente Reform des Parlaments angestrebt, sondern die Gesamtverfassung des Staates in ihrer Grundstruktur wird revolutionären Veränderungen unterworfen<880>.
Ein anderer Autor, den Voegelin zu dem vorgenannten Problem anführt, ist Henry George Earl Grey. Greys Konzept wird wie das von Hegel vor dem Hintergrund entwickelt, daß England sich vom konstitutionellen zum parlamentarischen Staat entwickelt hat. Wenn jedoch hier von einem parlamentarischen Staat gesprochen wird, so liegt hier, wie Voegelin hervorhebt, ein anderes Verständnis zu Grunde, als das, welches man heute mit diesem Terminus verbindet. Wenn bei Grey von einem parlamentarischen Staat die Rede ist, dann meint er damit nicht etwa eine parlamentarische Demokratie im heutigen Sinne. Stattdessen ist eine Staatsform gemeint, bei welcher die Regierung dem Parlament die Geschäftsführung diktiert, während letzteres lediglich die öffentliche Meinung und die im Volk vorhandenen verschiedenen Interessen widerspiegeln soll. Bei Grey heißt es hierzu:

„Die vollziehende Gewalt und die gesetzgebende Gewalt sind bei dieser Einrichtung wesentlich in denselben Händen vereinigt, aber beide sind beschränkt; die vollziehende Gewalt durch das Gesetz, und die gesetzgebende Gewalt durch die Nothwendigkeit, die Zustimmung des Parlamentes zu den beabsichtigten Massregeln zu erlangen, so dass selbst die stärksten Regierungen es nicht wagen, Gesetze vorzuschlagen, denen die öffentliche Meinung entschieden widerstrebt.“<881>

Die Reformbill von 1832 strebte Veränderungen in der demokratischen Richtung an, in dem das Wahlrecht sich nun auf noch weitere Teile des Volkes erstrecken sollte, als es bis dato der Fall war. Nach Grey bestand der Vorteil des Parlaments, genauer gesagt des „Unterhauses“ als der direkten Vertretung des Volkes, darin, daß es sich inhomogen zusammensetzte. Es sind in ihm Abgeordnete von Wahlkreisen mit sehr unterschiedlichen Bevölkerungsanteilen vertreten. Von daher finden sich im Unterhaus drei Gruppen von Abgeordneten. Dies sind, erstens, kompetente Abgeordnete, die jedoch unpopuläre Ansichten zu vertreten haben, zweitens, Abgeordnete, denen die Aufgabe zufällt, die miteinander konkurrierenden Standpunkte verschiedener gesellschaftlicher Klassen auszutragen, sowie, drittens, Abgeordnete, welche die verschiedenen Interessen der Nation zu artikulieren haben. Grey:

„Bestünden nicht Einrichtungen, welche fähigen Männern von unpopulären Ansichten eben sowohl als Gliedern, welche die widersprechenden Meinungen der mannigfachen Gesellschaftsclassen, und der vielen verschiedenen, in der Nation bestehenden Interessen

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ausdrücken, so würden die Debatten sehr an Interesse verlieren, und noch mehr an ihrem Werthe als Mittel den Volksgeist aufzuklären und die herrschenden Irrthümer allmälig zu berichtigen.“<882>

Neben diesem Vorteil der Inhomogentität, der die Eigenheiten der althergebrachten Interessenrepräsentation mit einer nunmehr stärkeren Repräsentation des Volkes verbindet, wittert Grey jedoch auch Gefahren, die sich bei einer Fortführung der angedeuteten demokratischen Entwicklung auftun. Als den größten Fehler der Reformbill von 1832 erachtet Grey,

„dass gegen die Gefahr, mit der Beseitigung von Missbräuchen nebstbei den Einfluss der Regierung im Parlamente zu sehr zu vermindern, keine angemessene Fürsorge getroffen wurde. Es ist oft, und mit Recht gesagt worden, dass die schlechteste Verwaltung, die wir unter unserer gegenwärtigen Verfassung haben können, eine schwache Verwaltung sei. Einem schwachen Ministerium fehlt die Macht recht zu handeln; es ist genöthiget, nicht die Massregeln, die es durchzusetzen hoffen kann, vor das Parlament zu bringen; es kann nicht wagen, die Regierungsgewalt nach eigenem Ermessen zu handhaben; es ist fortwährend der Versuchung ausgesetzt, in ungebührlicher Weise um die Volksgunst zu buhlen und die jeder Parteiregierung anklebenden Fehler dadurch zu steigern, dass es bei all’ seinen Massregeln mehr auf die Förderung der Interessen seiner Partei als der der Nation bedacht ist.“<883>

Grey fürchtet vor allem den Autoritätsverlust der Regierung, den diese erleidet, wenn sie in ihrer Tätigkeit vom Vertrauen des Parlaments abhängig gemacht wird und somit keine unabhängige Autorität mehr besitzt. Eine im Vertrauen von einem demokratisch gewählten Parlament abhängige Regierung ist für Grey instabil, da er dem Volk die Kompetenz des Regierens nicht zutraut. Es fehlt Grey vor allem die Garantie dafür, daß eine Regierung, die vom Willen der Mehrheit einer demokratischen Volksvertretung abhängt, auch wirklich eine gute Regierung sei.
Durch diese Bedenken veranlaßt ergeben sich für Grey die Vorschläge zu einer Reform, durch welche die durch die Reformbill geschaffenen Neuerungen mit den Traditionen des alten Parlamentarismus verbunden werden sollen. Dazu zählt, erstens, die Einführung des Verhältniswahlrechts, da durch das bis dato gehandhabte Mehrheitswahlrecht eine Vertretung von Bevölkerungsminderheiten, hierbei besonders des besitzenden Bildungsbürgertums, im Parlament nicht genügend gewährleistet war. Das Verhältniswahlrecht soll die Mannigfaltigkeit der Repräsentation verschiedener Bevölkerungsteile im Parlament wiederherstellen.
Zweitens, beugt Grey sich der Erkenntnis, daß als Abgeordnete eines Parlaments nur Menschen besonderer charakterlicher Eignung in Frage kommen, diese jedoch nicht unbedingt auch eine Eignung für einen der Wahl vorausgehenden Wahlkampf besitzen. Um geeigneten Persönlichkeiten ins Parlament zu verhelfen, bietet das Verhältniswahlrecht keine Garantie. Daher müßten, besonders von der Ebene der Universitäten aus, besondere Wahlgremien geschaffen werden, die über die Entsendung von Abgeordneten ins Parlament befinden. Drittens, sollte eine solche Einrichtung von Wahlgremien auch auf der Ebene der Berufsgruppen stattfinden, so daß alle Berufsgruppen im Parlament angemessen vertreten werden.
Viertens, ist der Gefahr vorzubeugen, daß Abgeordnete, die unpopuläre Meinungen vertreten müssen, bei der nächsten Wahl ihren Sitz verlieren. Dies soll dadurch geschehen, daß das Unterhaus bestimmte Abgeordnete auf Lebenszeit ernennen darf. Eine fünfte Maßnahme sollte der Wiederherstellung der Autorität der Regierung gegenüber dem Parlament dienen. Das Parlament sollte eine bestimmte Zahl seiner Abgeordneten selbst ernennen können, so daß praktisch die stärkste Partei diese Ernennung in ihrem Sinne vornimmt und insoweit das Einvernehmen mit der Regierung wiederhergestellt wird<884>.
Voegelin sieht eine Parallele zwischen Greys Reformvorschlägen und denjenigen von Renan, wenngleich Greys Abhandlung einige Probleme mehr berücksichtigt als Renan. Das Parlament, so Voegelin, ist nun von zwei Seiten her als autoritär zu charakterisieren, einmal „von unten“ und zum anderen „von oben“. Ersteres bedeutet, daß die Abgeordneten des Parlaments teilweise nicht demokratisch gewählt, sondern auf nichtdemokratischem Wege bestimmt werden und somit selbst


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einen autoritären Charakter repräsentieren. Letzteres heißt, daß das Funktionieren des Parlaments abhängig ist von der Regierung, die ihrerseits ebenfalls eine autoritäre ist. Diese zwei Seiten hängen untrennbar zusammen<885>.
Voegelin widmet sich desweiteren den Organen der Legislative und dabei insonderheit deren Konstituierung. Dabei spielt nun, wie gesagt, nicht nur eine Rolle, daß die Legislativorgane selbst autoritär sind, sondern auch, daß die übergeordnete autoritäre Exekutive bei der Konstituierung der Legislative Einfluß ausübt. Voegelin führt nun einige, den Ansätzen Renans und Greys entsprechende Merkmale an, welche die politische Situation kennzeichnen, unter deren Voraussetzung ein Organ der Gesetzgebung geschaffen werden soll.
Erstens, ist das Volk in einem Maße politisiert worden, daß eine angemessene Beteiligung dessen an der Politik zwingend notwendig erscheint. Zweitens, kam mit der industriellen Revolution die Arbeiterschaft als neue soziale Schicht auf, die nun nach einer Repräsentation ihrer Interessen drängt. Diese Repräsentation ist aber bis dato nicht gegeben. Drittens, würde jedoch ein Wahlrecht für das gesamte Volk im Ergebnis zu einer Repräsentation nur der zahlenmäßig stärksten Gruppen führen, die schwachen jedoch unberücksichtigt lassen. Folglich muß, viertens, das Ziel der Neuorganisation des Parlaments darin bestehen, bisher von der Volksvertretung ausgeschlossene Bevölkerungsteile angemessen zu repräsentieren, dabei jedoch gleichzeitig ein Vertretungsmonopol der zahlenmäßig stärksten Bevölkerungsgruppe zu verhindern.
Um die genannten Probleme zu lösen, sind drei Varianten denkbar: ein Mehrkammersystem, ein Zweikammersystem oder eine gemischte Kammer. Für ein Mehrkammersystem wären interessengelenkte Wahlgremien erforderlich, die je eine Kammer wählen. Beim Zweikammersystem steht neben dem autoritär konstituierten House of Lords ein Unterhaus, das entweder, nach den Vorstellungen Renans, demokratisch gewählt wird oder sich aber, nach den Vorstellungen Greys, aus einer Kombination autoritärer und demokratischer Verfahren konstituiert. Bei einer Entscheidung für eine gemischte Kammer hingegen würde diese als einzige Kammer fungieren. Sie würde entweder rein autoritär oder autoritär-demokratisch zustandekommen<886>.

3.4.4.4 Das österreichische Kammersystem

Die Auffassungen Voegelins über die Kreation der Legislativorgane und deren Verhältnis zur Exekutive unter den Voraussetzungen einer ständisch strukturierten Gesellschaft beziehen sich zunächst auf das Beispiel Englands. Dieser Vergleich soll es aber ermöglichen, die durch die österreichische autoritäre Bundesverfassung von 1934 geschaffene Institutionenordnung sachgerecht zu bewerten. Daher geht Voegelin dazu über, die österreichische Variante der Repräsentation einer Ständegesellschaft im Lichte der Verfassung von 1934 zu erläutern. Zuvor hebt er jedoch noch einmal auf eine theoretische Grundsatzfeststellung ab, indem er noch einmal auf eine an früherer Stelle gewonnene Erkenntnis hinweist. Es ist die Feststellung,

„daß die staatswissenschaftliche Begriffsbildung immer vor dem Problem steht, die symbolischen Ausdrücke der politischen Sphäre auf das Begriffssystem der Wissenschaft zu beziehen. Dabei kann und wird es sich häufig ereignen, daß die Sinngehalte der Symbole aufgelöst werden müssen. In dieser Situation befinden wir uns bei der wissenschaftlichen Bearbeitung der österreichischen Lösung des Problems, ein gesetzgebendes Kollegium zu schaffen.“<887>

Ausgangspunkt der Betrachtungen ist der Begriff des Ständestaates, der als politisches Symbol fungiert. Diesen gilt es anzustreben, soll er doch die Klassengegensätze im Volk überwinden helfen. Die Legislative soll die Ständegesellschaft repräsentieren, damit den Gefahren eines Vertretungsmonopols der zahlenmäßig stärksten Bevölkerungsgruppe und der Massendemokratie überhaupt entgegenwirken. Andererseits stellt die Ständeidee jedoch nicht nur eine Opposition zur Massendemokratie, sondern aufgrund des durch sie repräsentierten Subsidiaritätsprinzips auch eine Opposition zum totalitären Staat dar. Es sind somit drei Anliegen, welche die ständestaatliche Idee mit ihrem politischen Kampf verbindet, erstens, die Idee des Klassenkampfes zu überwinden, zweitens, gegen die Gefahren anzugehen, die mit der Massendemokratie und dem Vertretungsmonopol


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verbunden sind, sowie, drittens, die Idee des totalen Staates zu bekämpfen<888>.
Abgesehen von diesen klar ersichtlichen Grundsätzen weist Voegelin jedoch auch darauf hin, daß die Verfassung von 1934 nur teilweise die Idee des Ständestaates repräsentiert. Das Wesen des Ständestaates besteht darin, daß die beruflichen Stände der Gesellschaft an der Willensbildung des Staates teilhaben, damit also Vertreter in das entsprechende Gesetzgebungsorgan entsenden. Im österreichischen Parlament sitzen jedoch nicht nur Vertreter der Berufsstände, sondern auch ein großer Teil von Abgeordneten, die aufgrund anderweitiger Wahlverfahren ins Parlament gelangen.
Das österreichische Kammersystem gliedert sich in vier vorberatende Kammern und eine beschließende Kammer. Diese Struktur kann als Kompromiß zwischen Ein- und Mehrkammersystem angesehen werden. Die beschließende Kammer ist der Bundestag, die vier vorberatenden Kammern sind der Staatsrat, der Bundeskulturrat, der Bundeswirtschaftsrat und der Länderrat<889>. Die vorberatenden Kammern sind Interessenvertretungen, ihre Aufgabe ist es, gutachterliche Stellungnahmen für den Bundestag zu dessen Gesetzgebung zu erarbeiten, um auf diese Weise die eigenen Interessen gewahrt zu wissen<890>. Die zustimmenden oder ablehnenden Stellungnahmen haben jedoch, wie es etwa in einem echten Mehrkammersystem der Fall wäre, für den Bundestag keine bindende Wirkung, sondern werden von diesem im eigenen Ermessen berücksichtigt.
Im folgenden ist kurz auf die Konstitution der insgesamt fünf Kammern einzugehen. Entsprechend den genannten vier vorberatenden Kammern werden die Interessen der Staatshoheit, der Kultur, der Wirtschaft und der Länder vertreten. Die Berufsstände haben ihre Interessenvertretung im Bundeswirtschaftsrat. Hierzu werden Vertreter aus den Bereichen Land- und Forstwirtschaft, Industrie, Bergbau, Gewerbe, Handel, Verkehr, Geld-, Kredit und Versicherungswesen, aus freien Berufen und aus dem öffentlichen Dienst in den Bundeswirtschaftsrat entsendet<891>. Den Bundeswirtschaftsrat wertet Voegelin als ein Zugeständnis gegenüber den Tendenzen zur Massendemokratie, wobei jedoch durch die Ordnung der Gesellschaft nach Leistungsgruppen die Gefahren vermieden werden, die mit der Massendemokratie ansonsten verbunden sind<892>.
Der Bundeskulturrat setzt sich aus Vertretern der Kirchen, Religionsgesellschaften, des Schul-, Erziehungs- und Volksbildungswesens, der Wissenschaft und Kunst zusammen. Im Gegensatz zum Bundeswirtschaftsrat, dessen Vertreter entsendet werden, handelt es sich bei Konstituierung des Bundeskulturrates um eine Berufung von dessen Mitgliedern. Das heißt, hier spielt der Einfluß der Exekutive eine stärkere Rolle als bei der Konstituierung des Bundeswirtschaftsrates<893>.
Der Staatsrat, dessen Angelegenheit, wie schon gesagt, die Belange der Staatshoheit sind, setzt sich aus Mitgliedern zusammen, die vom Bundespräsidenten mit Gegenzeichnung des Bundeskanzlers auf befristete Zeit ernannt werden<894>. Der Länderrat vertritt die Bundesländer und die bundesunmittelbare Stadt Wien mit jeweils zwei Vertretern, dem Landeshauptmann bzw. Wiener Bürgermeister und dem für die Finanzen zuständigen Mitglied der Landesregierung bzw. der Wiener Stadtverwaltung<895>. Das beschließende Organ, der Bundestag, setzt sich aus einem Teil der Mitglieder aller vier vorberatenden Kammern zusammen<896>.
Was die Gesetzgebungs- bzw. Willensbildungsorgane in den Bundesländern, in der bundesunmittelbaren Stadt Wien und in den Gemeinden betrifft, gelten ähnliche Grundsätze wie auf der Bundesebene, wenn auch hier mancherlei Verkleinerungen und Vereinfachungen auszumachen sind. Im Gegensatz zur Bundesebene herrscht hier das Einkammersystem vor, das heißt, Gesetzgebung bzw. Willensbildung erfolgen hier in den Landtagen, in der Wiener Bürgerschaft und in den Gemeindetagen.
Die Mitglieder der Landtage und der Wiener Bürgerschaft repräsentieren lediglich die Berufsstände

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und die Institutionen der Kultur, entsprechen in ihrer Zusammensetzung also dem Bundeswirtschaftsrat und dem Bundeskulturrat. Landtage und Wiener Bürgerschaft sind also in stärkerem Maße eine Ständevertretung als der Bundestag, da in diesem ja außerdem noch Mitglieder von Staatsrat und Länderrat zu finden sind, wofür es auf Landesebene keine Entsprechung gibt, die noch eine Vertretung in den Landtagen und der Wiener Bürgerschaft beanspruchen würde. Analog zur Zusammensetzung der Landtage und der Wiener Bürgerschaft verhält es sich schließlich auch mit der Konstituierung der Gemeindetage<897>.

3.4.5 Die Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen Legislative und Exekutive

Aus der bisherigen Darstellung über die Struktur der autoritären Kammern kann nun übergeleitet werden zu dem Problem des Verhältnisses zwischen Exekutive und Legislative. Dabei stellt Voegelin noch einmal die Charakteristika der bisher gewonnen Erkenntnisse zu diesem Problem zusammen, wobei besonders auch der Exkurs in die Verfassungsgeschichte Englands sich als hilfreich erweist:

„Der charakteristische Zug des englischen Parlamentarismus, der in den Reformvorschlägen Greys festgehalten wurde, war die Verbindung der autoritären Staatsführung mit einem Parlament, das trotz des autoritären Aufbaues eine Quelle politischer Willensbildung blieb. Die Verfassung 1934 gestaltet das Verhältnis der Exekutive zum gesetzgebenden Organ derart, daß dieses nicht mehr Quelle politischer Willensbildung sein kann.“<898>

So ist es nicht erlaubt, daß sich spezielle Willensbildungskollegien wie etwa Parteien und Fraktionen bilden dürfen. Wenn man unter einem Parlament also ein Gesetzgebungsorgan versteht, das vom Volk gewählt wird und dessen Gesetzgebung das Resultat eines Willensbildungsprozesses ist, so stellt das System der autoritären Kammern, das die österreichische Verfassung von 1934 kennzeichnet, kein Parlament dar. Selbst dann, wenn man bereit sei, so Voegelin, den Begriff eines Parlamentes großzügiger auszulegen, so daß dieser auch eine autoritäre Kammer umfaßt, so könne man im Falle des Kammersystems der Verfassung von 1934 nicht mehr von einem Parlament sprechen, da es hier keinerlei politisch wirksames Potential mehr gebe. Andererseits macht Voegelin jedoch auch eine Einschränkung des nichtparlamentarischen Charakters bezüglich des autoritären Kammersystems deutlich. Trotz dieser Einrichtung in der österreichischen Verfassung von 1934 sei die Tradition des parlamentarischen Verfassungsrechtes so stark „daß im Ergebnis das Verhältnis der Exekutive zum Organ der Bundesgesetzgebung eine Mischung aus alten parlamentsrechtlichen und neuen, der autoritären Problematik angepaßten Formen darstellt.“<899>
Sowohl der Staatsrat als auch der Länderrat sind permanent bestehende Organe. Deren Mitglieder werden einzeln ernannt und entlassen, eine Ernennung oder Entlassung der gesamten Mitgliedschaft jedes dieser beiden Organe ist hierbei nicht möglich. Nicht permanent bestehend sind Bundeskulturrat und Bundeswirtschaftsrat, diese haben ähnlich wie ein Parlament eine befristete Dauer und werden danach neu konstituiert. Die Nichtpermanenz dieser beiden Organe stellt eine Ausnahme vom Prinzip der autoritären Kammern dar, in deren Sinne es sicherlich gelegen hätte, auch diese beiden Kammern so wie den Staatsrat und den Länderrat als permanente Organe einzurichten. Eine weitere parlamentarische Eigenheit ist das Auflösungsrecht des Bundespräsidenten, daß dieser gegenüber Bundeskulturrat und Bundeswirtschaftsrat besitzt, in deren Folge es dann zu einer Neukonstituierung dieser Kammern kommen muß<900>.
Als eine Problematik für das Staatsorganisationsrecht stellt sich für Voegelin die Frage dar, ob der Bundestag, zu dessen Mitgliedern auch Teile von Bundeswirtschaftsrat und Bundeskulturrat gehören, noch rechtmäßig während der Zeitspanne besteht, in welcher die beiden Kammern vom Bundespräsidenten aufgelöst, die beiden Kammern in neukonstituierter Form jedoch noch nicht


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zusammengetreten sind. Diese juristische Frage soll hier jedoch nicht weiter vertieft werden<901>.
Das Zusammenwirken der Legislativorgane des Bundes mit den entsprechenden Exekutivorganen stellt ebenfalls eine Kombination parlamentarischer mit autoritären Elementen dar. Bei der Bundesgesetzgebung spielen die Legislativorgane eine relativ geringe Rolle, während der Exekutive hierbei ein großer Einfluß zukommt. So ist die Gesetzesinitiative ausschließlich der Bundesregierung vorbehalten<902>. Die Organe der Bundesgesetzgebung sind nurmehr autoritäre Hilfsorgane im Gesetzgebungsprozeß, die parlamentarische Kontrolle der Gesetzgebung ist nur noch rudimentär vorhanden.
Der Charakter der vorberatenden Kammern als autoritäres Hilfsorgan der Gesetzgebung ergibt sich zum einen aus der autoritären Konstituierung des gesamten Kammersystems und zum anderen aus der obligatorischerweise beratenden Funktion der Kammern gegenüber den Gesetzesvorlagen der Regierung, welche die Regierung jedoch zu nichts bindet. Die rudimentären Züge einer parlamentarischen Kontrolle der Gesetzgebung offenbaren sich in einer gewissen Kontrollfunktion der Kammern, insbesondere des Vetorechtes des Bundestages. Jedoch sind diese Vorgehensmöglichkeiten der Legislative gegenüber der Exekutive in ihrer Wirksamkeit nicht zu überschätzen<903>. Ähnlich verhält es sich bei der Mitwirkung der Legislativorgane an der vollziehenden Gewalt des Bundes<904>.
Im Ergebnis seiner im Autoritären Staat angestellten Ausführungen über das Verhältnis zwischen den Organen der Legislative und der Bundesexekutive in der Verfassung von 1934 stellt sich Voegelin die Frage, ob die beschriebenen Konstruktionen wirklich eine glückliche Lösung darstellten. Schwierigkeiten in der Beurteilung ergeben sich daraus, daß zu dem Zeitpunkt, an dem Voegelin seine Untersuchung des Problems anstellt, die neue Verfassung erst kurze Zeit und auch noch nicht im vollen Umfang in Kraft ist. Dies selber in Rechnung stellend gelangt Voegelin zu einer differenzierenden Einschätzung der Verfassungssituation. Im Mittelpunkt steht hierbei die Beurteilung der Organisation beruflicher Interessen in Form von Ständen und deren Repräsentation in der Legislative. Die Frage nach der Zweckmäßigkeit der Einrichtung einer Ständevertretung anstelle der Volksvertretung bejaht Voegelin angesichts des Umstandes, daß die in den Ständen organisierten beruflichen Interessen im Gegensatz zu einem österreichischen politischen Volk tatsächlich existieren<905>.
Jedoch gibt er zu bedenken, daß hierbei auch erheblicher Mißbrauch der Interessenwahrnehmung durch Produzentenvertreter möglich ist. Als Autoren, die sich mit diesem Problem der Vertretung beruflicher Interessen in Gesetzgebungsorganen befassen, werden hierbei erneut die Namen Seipel und Hauriou angeführt. Mit Blick auf Frankreich finde sich etwa bei Hauriou die Warnung vor einer Umwandlung der Volksvertretung in eine Vertretung der Produzentenvertreter. Was jedoch in Österreich 1933/34 geschieht, ist nicht eine solche Umwandlung, wie sie als kommende Bedrohung für Frankreich angenommen wird. Das Ergebnis der befürchteten Metamorphose der französischen Volksvertretung in eine Vertretung beruflicher Interessen entspricht vielmehr der Situation, wie sie in Österreich unter Geltung der Verfassung von 1920/29 tatsächlich bestand. In Österreich geht es nicht einfach um die Überführung einer Volksvertretung in eine berufliche Interessenvertretung, „sondern die Umgestaltung einer mit politischer Macht ausgestatteten und darum staatsgefährlichen beruflichen Interessenvertretung zu einer neuen, unter den österreichischen Verhältnissen funktionsfähigen Vertretung.“<906>
Was die beschließende Kammer in der Verfassung von 1934, den Bundestag, betrifft, so präsentiert dieser in seiner ausgewogenen Zusammensetzung aus Mitgliedern der vier vorberatenden Kammern nach Voegelins Auffassung eine gelungene Konstruktion<907>.
Voegelin geht auch auf das Verhältnis zwischen den Legislativ- und den Exekutivorganen der Länder ein. Hierbei ergeben sich jedoch keine für das Problem des autoritären Staates relevanten, prinzipiell neuen Erkenntnisse, da die Beziehungen zwischen Legislativ- und Exekutivorganen auf Landesebene

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analog, jedoch entsprechend verkleinert zu denen auf Bundesebene geregelt sind<908>. Der politischen Ordnung als autoritärer Staat entsprechend hat dabei die Bundesexekutive eine Reihe von Kontrollrechten<909>.

3.4.6 Das System der Notrechte

Das zehnte Hauptstück der Verfassung von 1934, das sich der Problematik der Notrechte der Verwaltung und deren Kontrolle widmet, stellt so etwas wie eine außerordentliche Verfassung innerhalb der ordentlichen Verfassung dar. „In dieser Einrichtung“, so Voegelin, „hat die demokratisch-autoritäre Mehrdeutigkeit des Verfassungssystems ihren klarsten Ausdruck gefunden.“<910>
Mit den „Notrechten der Verwaltung“ sind Rechte der Gesetzgebung gemeint, die im Falle der Funktionsunfähigkeit der Legislative vorübergehend an die Exekutive übertragen werden, bis der Ausnahmezustand wieder behoben ist. Es entspricht somit der Erfahrung aus der Zeit seit Gründung der Republik Österreich, an die Seite der ordentlichen Verfassung eine im Falle des Ausnahmezustandes in Kraft tretende außerordentliche Verfassung zu stellen<911>. Jenes 10. Hauptstück der Verfassung von 1934 enthält im Kern die außerordentliche Verfassung, die sich jedoch in Abgrenzung zu systemfremden Bestandteilen des 10. Hauptstückes, welche der ordentlichen Verfassung zuzuordnen sind, auf zwei Artikel beschränkt. In Gestalt des Norverordnungsrechts kann die Gesetzgebungskompetenz nach Art. 147 auf die Bundesregierung und nach Art. 148 auf den Bundespräsidenten übergehen, letzterer kann auf Vorschlag der Bundesregierung Verordnungen erlassen<912>.
Die von Bundesregierung und Bundespräsident im Ausnahmefall durchgeführte Gesetzgebungstätigkeit in Gestalt des Erlasses von Verordnungen ist Kontrollen unterworfen. So besteht eine Mitteilungspflicht an den Bundestag, desweiteren kann der Bundesgerichtshof als Verordnungsprüfungsgerichtshof tätig werden sowie die Verantwortlichkeit von Bundesregierung und Bundespräsident ihm gegenüber in seiner Eigenschaft als Staatsgerichtshof einfordern<913>.

3.4.7 Die plebiszitären Elemente und die Institutionen des Rechtsstaates

In einem letzten Kapitel von Voegelins Autoritärem Staat geht es um das Institut der Volksabstimmung und die rechtsstaatlichen Einrichtungen. Bezüglich der Rolle beider handelt es sich um Regelungen der Verfassung von 1934, die zwar kein Wesensbestandteil der autoritären Verfassung sind, „die aber das autoritäre Legitimierungssystem in einigen wesentlichen Punkten berühren“<914>. Die Volksabstimmung ist ein Institut, daß zunächst den Eindruck des Widerspruchs gegenüber der autoritärstaatlichen Ordnung aufkommen läßt, wird aber so in die autoritäre Verfassung eingeordnet, daß sowohl einer Gefahr der Legitimierung politischer Macht durch den Volkswillen vorgebeugt wird als auch daß die Regierung die Möglichkeit hat, „unter Umständen ihre Grundlage im consentement coutumier zu verdeutlichen und durch den Akt einer Massenabstimmung rechtsförmlich sichtbar zu


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machen.“<915> Ein Volksbegehren ist hingegen nicht vorgesehen. Die Bundesregierung kann Vorlagen und Fragen dem Volk zur Entscheidung vorlegen. Die Volksabstimmung muß dann vom Bundespräsidenten angeordnet werden<916>. Zentraler Kritikpunkt Voegelins an der Einrichtung der Volksabstimmung ist, wie auch bisher, das Fehlen eines österreichischen Volkes<917>.
In Bezug auf die rechtsstaatlichen Einrichtungen stellt Voegelin heraus, daß sich deren Sinn und Zweck im Laufe der Verfassungsgeschichte mehrfach gewandelt hat. Unter den Bedingungen der konstitutionellen Monarchie nahmen diese ihren Ausgangspunkt und hatten das Ziel, die Macht des Monarchen durch demokratisch legitimierte Einrichtungen zu kontrollieren. Dieser Zweck wandelte sich beim Übergang dieser Staatsform zur parlamentarischen Demokratie. Unter den Bedingungen des Grundsatzes der Gewaltenteilung geht es nunmehr um die eher technische Kontrolle der vollziehenden Gewalt bei der Durchführung der Tätigkeiten, zu welchen diese durch die demokratisch autorisierte Legislative ermächtigt wird. Beim Übergang dieser Verfassungsform zum autoritären Staat erfolgt ein abermaliger Wandel von Sinn und Zweck der rechtsstaatlichen Einrichtungen.
Im autoritären Staat, wie ihn Österreich mit seiner 1934 geschaffenen Verfassung darstellt, verfügt die Regierung über die Verfassungs- und Gesetzgebung, die autoritären Kammern stellen hierzu lediglich Hilfsorgane dar. Die rechtsstaatlichen Einrichtungen können nicht die Staatsführung an sich kontrollieren, sie werden vielmehr zu einem Instrument derselbigen. Die Beurteilung der Verfassung von 1934 fällt für Voegelin hierbei nicht sonderlich positiv aus, da aufgrund terminologischer Wendungen, welche sich noch an das parlamentarische System anlehnen, Einrichtungen des Rechtsstaates entstanden seien, die sich im Widerspruch zur autoritären Verfassung befinden. So ist es widersprüchlich, wenn während des bereits angesprochenen Staatsnotstandes Maßnahmen der Exekutive, welche die Setzung einer vorübergehend geltenden außerordentlichen Verfassung anstelle der ordentlichen Verfassung betreffen, einer gerichtlichen Kontrolle unterliegen, so als ob sie Verwaltungsakte seien, obwohl es sich um originäre Akte der Staatsführung handelt. Hierbei besteht laut Voegelin ein Widerspruch rechtsstaatlicher Einrichtungen zur autoritären Verfassung<918>.

3.5 Zusammenfassung und Fazit zu Voegelins Autoritärem Staat

Zeitgeschichtlicher Hintergrund für Voegelins Schrift Der autoritäre Staat von 1936 war das Ende der parlamentarischen Demokratie und der autoritäre Staatsumbau in Österreich, der sich in den Jahren ab 1933 unter den Bundeskanzlern Dollfuß und Schuschnigg vollzog. Voegelin befaßt sich mit den theoretischen und strukturellen Voraussetzungen, die zum autoritären Staatsumbau geführt haben und diesen zugleich staatstheoretisch legitimierten. Zu diesen theoretischen Voraussetzungen gehört auch die „Reine Rechtslehre“ von Voegelins Lehrer Hans Kelsen.
Hiermit wird die zweite der am Anfang dieser Arbeit gestellten drei Fragen berührt, die nach der Kritik Voegelins an Kelsens „Reiner Rechtslehre“. Grundthese der „Reinen Rechtslehre“ ist die Auffassung, daß sich das Wesen des Staates in seiner Rechtsordnung erschöpft. Die „Reine Rechtslehre“ steht in der Tradition des Neukantianismus. Mit dieser Schultradition verbunden ist das Postulat der Methodenreinheit in der Wissenschaft. Das heißt: Die Seinsordnung an sich ist erkenntnistheoretisch nicht erfaßbar. Erfaßbar sind lediglich Ausschnitte der Seinsordnung, also bestimmte Seinsbereiche. Diese Seinsbereiche lassen sich jeweils aufgrund einer einheitlichen Methodenkategorie erkennen. Mit jeder Methode, wenn sie in ihrer „Reinheit“ angewendet wird, unter Verzicht auf Synkretismus mit anderen Methoden, lassen sich Aussagen von theoretischer Relevanz über einen ganz bestimmten Bereich der Seinsordnung gewinnen. Mit dieser Betrachtungsweise wird die These bekämpft, wonach selbst zum Erfassen eines bestimmten Bereiches der Seinsordnung der Synkretismus verschiedener Methoden erforderlich ist.
Im Gegensatz zur „Reinen Rechtslehre“ Kelsens steht Voegelin jedoch in der klassischen Metaphysiktradition von Sokrates und Platon und vertritt eine umfassende Ontologie, die über den rechtspositivistischen Horizont der „Reinen Rechtslehre“ hinausgeht. Dementprechend geht Voegelin auch von einem Staatsverständnis aus, welches als konstituierende Elemente des Wesens „Staat“ einiges mehr einschließt als nur den Bereich der Rechtsordnung.
Die Auseinandersetzung Voegelins mit der „Reinen Rechtslehre“ Kelsens hat deshalb so große


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Bedeutung, da letztere den Geist der österreichischen Verfassungslehre im 19. Jahrhundert widerspiegelt, wenn man in Österreich überhaupt von einer „Verfassungs“lehre sprechen konnte. Voegelin geht auf eine Reihe Autoren von Lehrbüchern zum österreichischen Staatsrecht ein, die sich, wie etwa Joseph Ulbrich, aus „juristischen“ Gründen darauf beschränken, nur rechtstechnische Fragen abzuhandeln, Probleme der Rechts- und Staatsphilosophie hingegen außen vor zu lassen.
In den österreichischen Abhandlungen zum Problem „Staat“ dominierte das Verwaltungsrecht, während man verfassungsrechtlichen Fragen kaum Bedeutung beimaß. Ein Grund für die Beschränkung der österreichischen Staatsrechtslehre auf administrativ-juristische Probleme dürfte darin zu sehen sein, daß es dem Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn eines homogenen Staatsvolkes ermangelte. Somit dürfte gerade in substanzieller Hinsicht die Motivation gering sein, sich im Rahmen einer Staatsrechtslehre mit Problemen zu befassen, die über den Horizont des positiven Rechts hinausgehen. Der österreichischen Staatsrechtslehre war Voegelin zufolge ein „administrativer“ Charakter zu bescheinigen.
Was jedoch den autoritären Staatsumbau in den Jahren ab 1933 angeht, so handelt es sich nicht nur um den Ersatz eines alten Verfassungsrechts durch ein neues unter Beibehaltung des administrativen Stils. Vielmehr sei, so Voegelin, eine Staatswerdung Österreichs im existentiellen Sinne erfolgt, der bis dato geübte „administrative“ Stil sei durch einen „politischen“ ersetzt worden, so daß es Voegelin nunmehr als lohnenswert und notwendig erachtet, die Tradition einer administrativ ausgerichteten österreichischen Staatsrechtslehre durch die Schaffung einer politisch ausgerichteten zu durchbrechen.
Unter Heranziehung von Carl Schmitt grenzt Voegelin den Begriff des „autoritären“ Staates vom „totalen“ Staat ab. Bei Schmitt werde eine dreistufige Entwicklungslinie gezeichnet, die dialektischer Natur ist. Sie beginnt mit dem absoluten Staat und führt über den neutralen Staat zum totalen Staat. Das agierende Element ist hierbei die Gesellschaft. Diese beginnt im „absoluten“ Staat zu erstarken, führt somit zu einer konstitutionellen Selbstbeschränkung des absoluten Staates und zu einem Gleichgewicht zwischen Staat und Gesellschaft, dem „neutralen“ Staat. Das weitere Erstarken der Gesellschaft geht dann über zum Prinzip der Volkssouveränität, die zur Zerstörung der alten Staatsautorität führt, während sich der neue Staat als „totaler“ Staat manifestiert.
Die Lehre Schmitts hatte seinerzeit nicht nur Bedeutung für die Wissenschaft, sondern auch eine politische Funktion, sie diente der Überwindung der Verfassungsprobleme im 19. Jahrhundert, die in der Lösung der dialektischen Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft gipfelten. Voegelins Postulat läuft jedoch auf eine Berücksichtigung von Aspekten in der Problematik des totalen Staates hinaus, die eben nicht in der für das 19. Jahrhundert paradigmatischen Dialektik von Staat und Gesellschaft gründen. Um solche alternativen Ansätze zu ergründen, widmet sich Voegelin dem Staatsdenken eines Lorenz von Stein und Maurice Hauriou.
Infolge der von Voegelin herausgearbeiteten zwei Aspekte, die bei einer Betrachtung des Begriffes vom totalen Staat zu unterscheiden sind, dem politischen und dem wirtschaftlichen Aspekt, macht es sich nun erforderlich, deren weitere Untersuchung zu verfolgen. Zu betrachten sei daher zum einen das wirtschaftliche Element in der Realität des totalen Staates. Dieses ist in engem Zusammenhang zu sehen mit dem Aufkommen der kommunistischen Bewegung, die eine Folge der Entstehung des Proletariats als gesellschaftlicher Klasse ist.
Ein weiteres Problem ist die Totalität der Weltanschauung. Das heißt, eine ganze Gesellschaft wird von einer einheitlichen Idee, einer einheitlichen seelischen und geistigen Anschauung durchdrungen. Eine solche totale Idee ist die des Nationalsozialismus. Hierzu verweist Voegelin auf die Untersuchungen zur Totalität der Idee, wie sie in der Literatur von Ernst Rudolf Huber angestellt wurden. Eine weitere totale Idee ist die des italienischen Faschismus eines Benito Mussolini. Auch hier stellt der Staat die sittliche und geistige Macht dar, die das gesamte, einschließlich das intellektuelle, Leben der Menschen durchwirkt. Voegelin befindet hierbei zwischen deutschem Nationalsozialismus und italienischem Faschismus eine charakteristische Übereinstimmung, die jedoch nicht verwunderlich ist.
Ein Staat ist „total“, wenn er den Anspruch erhebt, über das menschliche Individuum in der Steuerung aller seiner Lebensbereiche von der Wiege bis zur Bahre zu verfügen. Nationalsozialismus und Kommunismus sind Musterbeispiele dieser Konzeption. Verzichtet ein Staat hingegen auf derartige Ansprüche und übt lediglich eine Herrschaft aus, die sich nicht demokratisch, sondern durch obrigkeitstreue Begründungen der Machtausübung der unterschiedlichsten Art legitimiert, so ist der Staat seinem Charakter nach nicht „total“, sondern „autoritär“.
Ein „autoritärer“ Staat ist somit auch nach Voegelins Auffassung keine Tyrannei, in welche ein „totaler“ Staat mit Regelmäßigkeit ausarten würde. Im Gegenteil, Voegelin hält den autoritären Staat für eine gelungene Konstruktion, insbesondere im Hinblick auf die Situation im Österreich der 1920er und frühen 1930er Jahre, wo sich der „parlamentarisch-demokratische“ Staat ähnlich wie in der Weimarer Republik des Deutschen Reiches offenbar nicht bewährte.

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Bezüglich eines autoritären Staates wirft Voegelin eine Frage auf, die das Problem der Erziehung des Volkes betrifft. Für die Rechtfertigung einer autoritären Herrschaft ergeben sich folgende drei Möglichkeiten. Zum einen kann die Phase der Erziehung des Volkes durch eine Elite ein einmaliger Akt der Geschichte sein. Während dieser Zeit muß durch die Elite eine autoritäre Herrschaft über das Volk ausgeübt werden. Erst wenn die Erziehung des Volkes abgeschlossen, wenn also das Volk auf das Niveau der bisherigen Elite hin erzogen ist, dann ist die autoritäre Staatsform durch eine radikale Demokratie zu ersetzen. Eine zweite Möglichkeit besteht in dem Fall, wo die Erziehung des Volkes niemals ihr endgültiges Ziel erreicht. Hierbei wird die autoritäre Staatsform zu einem permanenten Erfordernis werden. Drittens, kann es aber auch sein, daß der Prozeß der Erziehung zwar als endliche, ihr Ziel erreichende Phase angesehen wird, daß deshalb jedoch die Staatsform dennoch nicht zu einer radikalen Demokratie wie bei erstgenannter Möglichkeit führen muß.
Desweiteren stützt Voegelin sich auf Theorien der Autorität, wie sie in institutionalistischer Form etwa von Maurice Hauriou vertreten wird. Im Zentrum stehen dabei die Institutionen des Staates. Denen gehört die erstrangige Autorität. Der Herrscher oder die Regierung des Staates besitzt die abgeleitete Autorität der Institutionen. Die institutionalistische Autorität verleiht dem Herrscher die Macht, der Herrscher ist Repräsentant der Institutionen, der Herrscher besitzt die Autorität somit nicht per se, also nicht kraft eigener Legitimation, sondern stets vermittelt durch die Institutionen des Staates. Die Persönlichkeit des Herrschers spielt somit keine Rolle mehr, er kann beliebig ersetzt werden, die Konstante der Herrschaft besteht in der Permanenz der Institutionen.
In die österreichische Staatrealität der Jahre ab 1934, die Ära Dollfuß und die sie prägende autoritäre Verfassung von 1934, fand die institutionalistische Lehre von der Autorität Eingang. Den Begriff der autoritären Herrschaft hat der ab 1934 amtierende österreichische Bundeskanzler Dollfuß in diversen Reden und Schriften bekräftigt.
Voegelin gibt sich prinzipiell damit zufrieden, daß seine Untersuchung der Probleme des totalen und autoritären Staates kaum umfassende Vollständigkeit für sich beanspruchen kann, da es sich beim autoritären und totalen Staat nicht etwa nur um singuläre Elemente handelt, die diesen von anderen Staatsformen unterscheiden, sondern es um Grundprobleme der Existenz des Staates schlechthin geht. Nicht zuletzt stellt die Erscheinung des totalen Staates möglicherweise eine Vorstufe zur Auflösung des Nationalstaates dar. Dennoch vermeint Voegelin noch auf ein weiteres Merkmal des totalen Staates hinweisen zu müssen, die in seiner Untersuchung auf keinen Fall fehlen dürfe. Der Aktivismus macht nämlich ebenfalls ein unverzichtbares Element in der Wirklichkeit des totalen Staates aus.
Voegelin gelangt zu dem Schluß, daß die Termini „total“ und „autoritär“ lediglich politische Symbole, nicht jedoch wissenschaftliche Kategorien sind. Diese Symbole seien aus einem spezifisch historischen Erfordernis geboren worden, aus der politischen Notwendigkeit, einen Zustand anarchischer Zersplitterung durch die Errichtung einer Staatsautorität zu beenden. Totale und autoritäre Elemente sind prinzipiell Merkmale des modernen Staates, die teils mehr, teils weniger stark ausgeprägt sind.
Nachdem Voegelin seine Untersuchung zunächst auf der Ebene der Allgemeinheit durchgeführt hat, geht es darum, die Problematik im Hinblick auf die Verfassung des österreichischen Staates zu konkretisieren. Betrachtet man hierbei die österreichische Verfassungsgeschichte, gibt es einen ganz konkreten Zeitpunkt, von dem an diese Problematik relevant wird. Voegelin läßt seine Ausführungen zum österreichischen Verfassungsproblem mit dem Revolutionsjahr 1848 beginnen. Voegelin bezieht sich in seiner Untersuchung zunächst auf Baron Joseph Eötvös und der von diesem entworfenen Verfassungslehre für den österreichischen Staat.
Im Anschluß an seine historischen Ausführungen über den Werdegang der Verfassungen Österreichs von 1848 an über den Fall der Monarchie 1918 und die parlamentarisch-demokratische Verfassung von 1920/29 bis hin zur autoritären Verfassung von 1934 kommt Voegelin auf letztere selbst zu sprechen. In der Verfassung von 1934 wird der Bundespräsident mit einer größeren Machtfülle ausgestattet, als ihm vorher zustand. Der Parlamentarismus wird ersetzt durch ein Präsidialsystem. Desweiteren sieht Voegelin die neue Verfassung hinsichtlich des Bundesstaatsprinzips in einem Spannungsfeld zwischen der Legitimierung des autoritären Staatscharakters einerseits und der Legitimierung des Föderalismus andererseits.
Ein weiterer Punkt in der Verfassung von 1934 sind die autoritären Kammern. Orientiert sind diese an einem Ständestaat bzw. einer Ständegesellschaft. Voegelin sieht in der ständischen Ordnung des Staates einen politisch integrativen Effekt. Zu der Problematik der Neuordnung der Gesellschaft nach Berufsständen führt Voegelin als Autor den Namen Seipel an. Dieses Postulat findet sich auch in der Enzyklika Quadragesimo anno, die Voegelin als weitere Quelle anführt. Darüber hinaus zieht er zum Vergleich aus der englischen Verfassungsgeschichte die Ideen zu einer Reform des Parlaments von Henry George Earl Grey heran. Mit Ausführungen über die rechtstechnischen Besonderheiten der Verfassung von 1934 schließt Voegelin seine Untersuchung über den Autoritären Staat ab.

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Bedauerlicherweise endet diese umfangreiche Studie ohne eine abschließende Zusammenfassung und Würdigung des Gesamtproblems. Dies gilt um so mehr, da Voegelin dem Werk eine umfangreiche Einleitung voranstellt, in welcher er eine Reihe interessanter Problemstellungen aufwirft. Insbesondere erklärt er, wie gesagt, die Absicht, mit seiner Untersuchung eine politische Verfassungslehre zu kreieren, nachdem er der herrschenden österreichischen Verfassungslehre einen lediglich „administrativen“ Charakter attestiert hat.
Stattdessen geht Voegelin im letzten großen Abschnitt seiner Untersuchung nurmehr auf staatsorganisationsrechtliche Einzelheiten der Verfassung von 1934 ein und kommt auf die umfangreichen theoretischen Erwägungen, welche die vorangehenden Abschnitte kennzeichen, nicht wieder zurück. Somit endet Der autoritäre Staat im luftleeren Raum, und es bleibt dem Leser überlassen zu prüfen, ob Voegelin mit seiner Untersuchung die erklärte Zielsetzung erreicht hat<919>. Wenn man allerdings bedenkt, mit welcher Intensität in der Behandlung des Stoffes Voegelin besonders im ersten Teil der Schrift die geistigen Grundlagen der österreichischen Verfassung zu erhellen versucht, sollte man eher dazu geneigt sein, festzustellen, daß Voegelin sein Ziel durchaus erreicht.
Dabei lassen sich in diesem Vorhaben Voegelins, anstelle einer administrativen Verfassungslehre eine politische zu kreieren, Inhalte ausmachen, die sich zwanzig Jahre später, in seiner Neuen Wissenschaft der Politik, wiederfinden. Eben dort kommt Voegelin auf das Problem der „Repräsentation“ zu sprechen und unterscheidet dabei unter anderem die „Repräsentation im despriptiven Sinn“<920> von der „Repräsentation im existentiellen Sinn“<921> als zwei von insgesamt drei wesentlichen Formen<922>.
Ein Kennzeichen der politischen Ordnungen in Westeuropa und Amerika sind die sogenannten repräsentativen Institutionen. Parlamente werden durch das Volk gewählt, in einigen Fällen auch Staatsoberhäupter. Regierungen gehen dann aus der Wahl durch das Parlament hervor. Der hierbei zugrunde liegende Repräsentationsbegriff berührt allerdings nicht die „Selbstinterpretation der Gesellschaft“<923>. Um die vorgenannte Bedeutung von „Repräsentation“ gegenüber anderen Inhalten abzugrenzen, wird diese Form von Voegelin als „deskriptiver Typus“<924>, als „Repräsentation im deskriptiven Sinn“, bezeichnet<925>.
In diesem Zusammenhang ist „die Artikulierung einer Gesellschaft“<926> bedeutsam. Handlungsfähige politische Gesellschaften sind das Ergebnis eines langen Prozesses, an dessen Ausgangspunkt zunächst einzelne Menschen als unorganisierte Vielzahl stehen. Während dieses Prozesses der Artikulierung stellen sich Herrscher an die Spitze der Gesellschaft. Diese Herrscher handeln dann im Namen der Gesellschaft, sie haben die Autorität, durch welche ihre Befehlsakte und allgemeinen Vorschriften stets befolgt werden, sie sind Repräsentant der Gesellschaft<927>. Dieser Repräsentationstypus wird nunmehr von Voegelin als „Repräsentation im existentiellen Sinn“ bezeichnet<928>. Das heißt, Voegelin entwickelt die These, daß eine Regierung, will sie wirksam herrschen können, weniger der „Repräsentation im deskriptiven Sinn“, sondern vor allem der „Repräsentation im existentiellen Sinn“ genügen muß:

„Wenn eine Regierung lediglich im konstitutionellen Sinn [d. h. im deskriptiven Sinn] repräsentativ ist, wird ihr früher oder später durch einen repräsentativen Herrscher im

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existentiellen Sinn ein Ende bereitet; und sehr wahrscheinlich wird der neue existentielle Herrscher nicht allzu repräsentativ im konstitutionellen Sinn sein.“<929>

In dieser Weise läßt sich nun auch die in den Jahren 1933/34 in Österreich erfolgte Ablösung der parlamentarisch-demokratischen Verfassung durch eine autoritäre interpretieren. Wenn Voegelin hierbei im Autoritären Staat von einem Schritt in der politischen, sprich existentiellen, Staatswerdung Österreichs und der Ablösung des „administrativen“ Stils von Herrschaft durch einen „politischen“ spricht, so ist dies gleichbedeutend damit, daß der neue autoritäre Staat Österreichs in stärkerem Maße der „Repräsentation im existentiellen Sinn“ entspricht und der „Selbstinterpretation der Gesellschaft“ gerecht wird, als es der vorangegangene parlamentarisch-demokratische Staat vermocht hat.
Kritisch ist gegen Voegelins Autoritären Staat einzuwenden, daß die Untersuchung zwar den historischen Werdegang beleuchtet, der in Österreich zur autoritären Verfassung führt, jedoch mögliche Alternativentwicklungen außer Acht läßt. Voegelin stellt zwar fest, daß die republikanische Verfassung nicht der Tradition der deutsch-österreichischen politischen Kultur entspricht, läßt aber außer Acht, daß eine solche Verfassung durchaus Rückwirkungen auf die politische Kultur haben und diese allmählich empfänglich für den neuen Verfassungstyp werden kann. Insoweit bleiben eine Reihe von Fragen unbeantwortet<930>.
Das wichtigste Element im Autoritären Staat ist jedoch in Voegelins Auseinandersetzung mit Kelsens „Reiner Rechtslehre“ zu sehen. Diese ist, wie Dietmar Herz herausstellt, nur ein Ausgangspunkt, um sich dem eigentlichen Ziel zu nähern:

„die Rekonstruktion der vollständigen Wissenschaft vom Staat, die sich aus fünf Aufgaben zusammensetzt: (1) der Entwicklung einer Lehre von den Elementen und (2) den Symbolen, (3) der Theorie der Symbole (4) und der Lehre von den Ideen, sowie (5) einer abschließenden Verankerung der Staatslehre in der Ideenlehre. Ein solches Vorgehen würde die Staatslehre zu einer Wissenschaft von der Politik erweitern.“<931>

Dieses Vorhaben, welches Voegelin bereits 1925 in seinem Aufsatz Reine Rechtslehre und Staatslehre angedacht hatte, formuliert er 1959 in seinem Vorwort zur Neuen Wissenschaft der Politik aus. Ziel sei

„die Wiederherstellung des Sinnes von Wissenschaft (episteme) im Gegensatz zu Meinungen (doxai). [...] Ihre Gültigkeit ist von Zeit und Ort unabhängig; ihre Wiederherstellung ist [...] die theoretische conditio sine qua non der Politischen Wissenschaft. Der Rückgriff betrifft also die theoretische Grundlegung der Wissenschaft von menschlicher und gesellschaftlicher Ordnung“<932>.

Der autoritäre Staat stellt somit ein weiteres Bindeglied dar, welches Voegelins methodisches Denken in Fragen von Staat und Gesellschaft von seinen Schriften in den frühen 1920er Jahren ausgehend über seine Untersuchungen zur Rassenproblematik hinweg fortspinnt bis zu den Politischen Religionen und darüber hinaus<933>.


Fußnoten:

<603>

Vgl. Henkel, Michael: Zum 100. Geburtstag von Eric Voegelin, S. 750 f.

<604>

Vgl. ebd. S. 751, Anmerkung 10 sowie Weiss, Gilbert: Editor‘s Introduction, in: Voegelin, Eric: The Authoritarian State. An Essay on the Problem of the Austrian State (The Collected Works of Eric Voegelin, Volume 4), Columbia - London 1999, S. 1 - 9 (S. 3 f.).

<605>

Siehe hierzu Voegelin, Eric: Autobiographische Reflexionen, S. 56 ff. Zu den historischen Bedingungen der Schrift Voegelins ausführlich Weinzierl, Erika: Historical Commentary on the Period, in: Voegelin, Eric: The Authoritarian State. An Essay on the Problem of the Austrian State (The Collected Works of Eric Voegelin, Volume 4), Columbia - London 1999, S. 10 - 38.

<606>

Gebhardt, Jürgen: Eric Voegelin: Leben und Werk, S. 315.

<607>

Voegelin, Eric: Autobiographische Reflexionen, S. 59.

<608>

Vgl. ders.: Der autoritäre Staat, S. 2.

<609>

Ebd. S. 4.

<610>

Ebd., vgl. Chignola, Sandro: „Fetishism with the Norm“ and Symbols of Politics, S. 49 ff.

<611>

Vgl. Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 1 ff.

<612>

Siehe Schmitt, Carl: Der Hüter der Verfassung (Beiträge zum öffentlichen Recht der Gegenwart; 1), Tübingen 1931.

<613>

Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 8.

<614>

Kuhn, Helmut: Das Problem einer Philosophischen Historiographie, S. 120, vgl. ebd.

<615>

Vgl. Schmitt, Carl: Der Hüter der Verfassung, S. 79.

<616>

Ebd. S. 73.

<617>

So ebd. S. 78.

<618>

Ders.: Staatsgefüge und Zusammenbruch des zweiten Reiches. Der Sieg des Bürgers über den Soldaten (Der deutsche Staat der Gegenwart, Heft 6), Hamburg 1934, S. 9 f., siehe die Abhandlung insgesamt.

<619>

Ders.: Staat, Bewegung, Volk. Die Dreigliederung der politischen Einheit (Der deutsche Staat der Gegenwart, Heft 1), Hamburg 1933, S. 11 f., siehe die Abhandlung insgesamt.

<620>

So Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 11.

<621>

Schmitt, Carl: Der Hüter der Verfassung, S. 84.

<622>

Ders.: Legalität und Legitimität, München - Leipzig 1932, S. 33, näher dazu ebd. S. 30 ff.

<623>

Vgl. ders.: Der Hüter der Verfassung, S. 79. Siehe hierzu Jünger, Ernst: Die totale Mobilmachung, 2. Auflage, Berlin 1934, besonders S. 8 ff.

<624>

Jünger, Ernst: Der Arbeiter (Sämtliche Werke, Zweite Abteilung. Essays II, Band 8), Stuttgart 1981, S. 159.

<625>

Ebd. S. 161, siehe ebd. S. 159 ff.

<626>

Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 13, vgl. ebd. S. 8 ff.

<627>

Ebd. S. 13.

<628>

Stein, L(orenz von).: Geschichte der socialen Bewegung in Frankreich von 1789 bis auf unsere Tage. Zweiter Band: Die industrielle Gesellschaft. Der Socialismus und Communismus Frankreichs von 1830 bis 1848, Leipzig 1850, S. 14, vgl. ebd. S. 5 ff.

<629>

Siehe das von Voegelin angeführte, dem Verfasser nicht zugängliche

Werk: Hauriou, Maurice: Precis de droit constitutionnel, 2. ed., Paris 1929.

<630>

Vgl. Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 13 ff.

<631>

Pius XI. Papst: Über die gesellschaftliche Ordnung. Ihre Wiederherstellung und ihre Vollendung nach dem Heilsplan der Frohbotschaft zum 40. Jahrestag des Rundschreibens Leo‘s XIII. Rerum Novarum“ (De ordine sociali instaurando et ad evangelicae legis normam perficiendo in annum XL post editas Leonis XIII litteras encyclicas „Rerum Novarum“), in: Gundlach, Gustav (Hg.): Die sozialen Rundschreiben Leos XIII und Pius XI. Text und deutsche Übersetzung samt systematischen Inhaltsübersichten und einheitlichem Sachregister im Auftrag der Sektion für Wirtschafts- und Sozialwissenschaft, 3. Auflage, Paderborn 1960, S. 64 - 161. Die Abhandlung besteht aus einer synoptischen Gegenüberstellung von lateinischem und deutschem Text.

<632>

Ebd. S. 125, bzw. ebd. S. 124: „Potentatus successit liberae competitioni“.

<633>

Ebd. S. 125, Rdnr. 105.

<634>

Vgl. ebd. S. 127, Rdnr. 108.

<635>

Huber, Ernst Rudolf: Die Gestalt des deutschen Sozialismus (Der deutsche Staat der Gegenwart, Heft 2), Hamburg 1934, S. 5.

<636>

Vgl. Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 16 ff.

<637>

Mussolini, Benito: Die politische und soziale Doktrin des Faschismus, Leipzig o. J., S. 8. Zu den folgenden Ausführungen vgl. ebd. S. 5 ff. insgesamt.

<638>

Ebd. S. 10 f.

<639>

Vgl. Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 24.

<640>

Ebd. S. 22.

<641>

Ebd. S. 24.

<642>

Vgl. ebd. S. 22 ff.

<643>

Mussolini, Benito: Die politische und soziale Doktrin des Faschismus, S. 12 f., siehe auch ebd. S. 13 die Feststellung: „Die Nation als Staat ist eine ethische Realität, welche existiert und lebt insoweit sie sich fortentwickelt.“

<644>

Vgl. Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 28.

<645>

Vgl. ebd. S. 25 ff.

<646>

Vgl. ebd. S. 29 ff. sowie Chignola, Sandro: „Fetishism with the Norm“ and Symbols of Politics, S. 53 ff.

<647>

Siehe im folgenden die von Voegelin angeführten, dem Verfasser nicht zugänglichen Werke von Martial, Rene: La race francaise, 4. ed., Paris 1934 sowie erneut Hauriou, Maurice: Precis de droit constitutionnel.

<648>

Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 34 f.

<649>

Vgl. ebd. S. 31 ff., besonders S. 33 ff.

<650>

Ebd. S. 35, vgl. ebd.

<651>

Siehe ders.: Der Sinn der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789, in: Zeitschrift für öffentliches Recht, Bd. VIII (1969, unveränderter Neudruck der Ausgabe 1929), S. 82 - 120 (S. 95): “Bedeutender - in der Literatur wohl mit übertriebener Bedeutung behandelt - ist die Rede von Creniere am 1. August. Creniere wird als Rousseau-Anhänger genannt, und die Bezeichnung ist auch richtig, wenn man darunter nicht verstehen will, dass er die strenge Rousseausche Theorie vom Sozialvertrag vertritt, sondern nur dass seine Ideen in ihrer Formung an Rousseau geschult sind.“ Vgl. ebd. S. 95 ff. und 105 ff.

<652>

Vgl. Rousseau, Jean-Jaques: Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des Staatsrechts, Stuttgart 1986, Zweites Buch, 12. Kapitel, S. 59 f.

<653>

Ebd. S. 60.

<654>

Ebd.

<655>

Vgl. Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 35 ff.

<656>

Vgl. ebd. S. 37.

<657>

Vgl. ebd. S. 37 f.

<658>

Ebd. S. 38 f.

<659>

Ebd. S. 39.

<660>

Vgl. ebd. S. 38 f.

<661>

Siehe hierzu Blanqui, Louis-Auguste: Der Kommunismus, die Zukunft der Gesellschaft, in: ders.: Schriften zur Revolution, Nationalökonomie und Sozialkritik. Herausgegeben von Arno Münster, Hamburg 1971, S. 120 - 142.

<662>

Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 40.

<663>

Blanqui, Louis-Auguste: Der Kommunismus, die Zukunft der Gesellschaft, S. 120 f.

<664>

Ebd. S. 136. Siehe ebd. die Feststellung: „Denn die Regierung von Paris ist die Regierung des Landes durch das Land, ist also die einzig gesetzliche. Paris ist keine Munizipalstadt, verrannt in seine persönlichen Interessen, es ist eine wirkliche nationale Vertretung.“

<665>

Vgl. Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 42 sowie Blanqui, Louis-Auguste: Der Kommunismus, die Zukunft der Gesellschaft, besonders den Katalog unmittelbarer Maßnahmen, ebd. S. 135 f.

<666>

Vgl. Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 40 ff.

<667>

Ebd. S. 42.

<668>

Vgl. ebd. S. 42 ff., siehe das dem Autor nicht zugängliche Werk von Renan, Ernest: La Reforme intellectuelle et morale, Bruxelles 1990.

<669>

Siehe hierzu Hauriou, Maurice: Die Theorie der Institution und der Gründung (Essay über den sozialen Vitalismus), in: Schnur, Roman (Hg.): Die Theorie der Institution und zwei andere Aufsätze von Maurice Hauriou (Schriften zur Rechtstheorie, Heft 5), Berlin 1965, S. 27 - 66.

<670>

Dollfuß, Engelbert: Wir wollen das neue Oesterreich, in: Dollfuß an Oesterreich. Eines Mannes Wort und Ziel. Herausgegeben von Hofrat Edmund Weber (Sonderschriften der Berichte zur Kultur- u. Zeitgeschichte, X. Band), Wien - Leipzig 1935, S. 19 - 45.

<671>

Ebd. S. 30 f.

<672>

Ders.: Oesterreichs Weg in die neue Zeit, in: Dollfuß an Oesterreich. Eines Mannes Wort und Ziel. Herausgegeben von Hofrat Edmund Weber (Sonderschriften der Berichte zur Kultur- u. Zeitgeschichte, X. Band), Wien - Leipzig 1935, S. 50 - 57.

<673>

Ebd. S. 52 f.

<674>

Vgl. ders.: Wir wollen das neue Oesterreich, S. 31 f.

<675>

Ders.: Der 1. Mai 1934, in: Dollfuß an Oesterreich. Eines Mannes Wort und Ziel. Herausgegeben von Hofrat Edmund Weber (Sonderschriften der Berichte zur Kultur- u. Zeitgeschichte, X. Band), Wien - Leipzig 1935, S. 223 - 242.

<676>

Ebd. S. 236 f.

<677>

Vgl. Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 47 ff.

<678>

Vgl. ebd. S. 50 f.

<679>

Ebd. S. 52.

<680>

Vgl. ebd.

<681>

Vgl. ebd. S. 51 ff.

<682>

Vgl. Henkel, Michael: Eric Voegelin zur Einführung, S. 56 ff.

<683>

Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 53.

<684>

Vgl. ebd. S. 53 f. Siehe auch ders.: Autobiographische Reflexionen, S. 71.

<685>

Vgl. ders.: Der autoritäre Staat, S. 55.

<686>

Redlich, Josef: Das österreichische Staats- und Reichsproblem. Geschichtliche Darstellung der inneren Politik der habsburgischen Monarchie von 1848 bis zum Untergang des Reiches. I. Band: Der dynastische Reichsgedanke und die Entfaltung des Problems bis zur Verkündigung der Reichsverfassung von 1861. 1. Teil: Darstellung. 2. Teil: Exkurse und Anmerkungen, Leipzig 1920.

<687>

Srbik, Heinrich Ritter von: Metternich. Der Staatsmann und der Mensch, Bände I & II, 2. Auflage, Darmstadt 1957. Siehe im besonderen Srbiks einleitende Ausführungen über die Aufgabe der Geschichtsschreibung, Band I, S. 3 - 50, sowie dessen Ausblick und Rückblick, Band II, S. 517 - 568.

<688>

Eötvös, Baron Joseph: Der Einfluß der herrschenden Ideen des 19. Jahrhunderts auf den Staat. Erster Theil, Leipzig 1854, S. 49, fast identisch (ders.) N. N.: Ueber die Gleichberechtigung der Nationalitäten in Oesterreich, Pest 1850, S. 15.

<689>

Vgl. Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 56 f.

<690>

Eötvös, Baron Joseph: Der Einfluß der herrschenden Ideen des 19. Jahrhunderts auf den Staat. Erster Theil, S. 50 f., fast identisch (ders.) N.N.: Ueber die Gleichberechtigung der Nationalitäten in Oesterreich, S. 17.

<691>

Ders.: Der Einfluß der herrschenden Ideen des 19. Jahrhunderts auf den Staat. Erster Theil, S. 53, Vgl. (ders.) N.N.: Ueber die Gleichberechtigung der Nationalitäten in Oesterreich, S. 21 f.

<692>

Vgl. Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 57.

<693>

Eötvös, Baron Joseph: Der Einfluß der herrschenden Ideen des 19. Jahrhunderts auf den Staat. Erster Theil, S. 53, fast identisch (ders.) N.N.: Ueber die Gleichberechtigung der Nationalitäten in Oesterreich, S. 21.

<694>

Vgl. Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 61 f.

<695>

Eötvös, Baron Joseph: Der Einfluß der herrschenden Ideen des 19. Jahrhunderts auf den Staat. Erster Theil, S. 58 sowie (ders.) N.N.: Ueber die Gleichberechtigung der Nationalitäten in Oesterreich, S. 32. Vgl. ders.: Der Einfluß der herrschenden Ideen des 19. Jahrhunderts auf den Staat. Erster Theil, S. 49 ff. sowie (ders.) N.N.: Ueber die Gleichberechtigung der Nationalitäten in Oesterreich, S. 15 ff.

<696>

Ders.: Die Garantien der Macht und Einheit Oesterreichs, Leipzig 1859, S. 44.

<697>

Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 70, vgl. ebd. S. 55 ff.

<698>

Vgl. ebd. S. 79.

<699>

Vgl. ebd. S. 70 ff., siehe dazu Redlich, Josef: Das österreichische Staats- und Reichsproblem, I. Band, 1. Teil, S. 59 ff. und S. 323 ff.. Siehe dazu desweiteren den „Entwurf der Konstitutionsurkunde für die österreichischen Staaten. Beschluß des Verfassungs-Ausschusses des Reichstages zu Kremsier vom 4. März 1849“, in: Redlich, Josef: Das österreichische Staats- und Reichsproblem, I. Band, 2. Teil, S. 215 - 226.

<700>

Vgl. Adamovich, Ludwig: Der Kremsierer Entwurf und die österreichische Bundesverfassung, in: Zeitschrift für öffentliches Recht, Bd. VI (1969, unveränderter Neudruck der Ausgabe 1927), S. 561 - 571 (besonders dessen auf S. 561 f. wiedergegebene Bewertung).

<701>

Ebd. S. 562.

<702>

Vgl. Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 82 f.

<703>

Ebd. S. 89.

<704>

Siehe ebd. S. 90 ff.

<705>

Ebd. S. 100.

<706>

Vgl. insgesamt ebd. S. 89 ff. sowie auch Henkel, Michael: Eric Voegelin zur Einführung, S. 54 f.

<707>

Kelsen, Hans: Reine Rechtslehre. Mit einem Anhang: Das Problem der Gerechtigkeit, 2. Auflage, Wien 1960, S. 1.

<708>

Ders.: Allgemeine Staatslehre, Berlin 1925, S. 16.

<709>

Ebd.

<710>

Ebd. S. 16 f.

<711>

Ebd. S. 17, vgl. ebd S. 16 f.

<712>

Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 102.

<713>

Vgl. Herz, Dietmar: Das Ideal einer objektiven Wissenschaft von Recht und Staat, S. 7 ff.

<714>

Vgl. Voegelin, Erich: Die Verfassungslehre von Carl Schmitt.

<715>

Schmitt, Carl: Verfassungslehre, 4. Auflage, Berlin 1965, S. 9.

<716>

Vgl. Herz, Dietmar: Das Ideal einer objektiven Wissenschaft von Recht und Staat, S. 10 ff.

<717>

Zum Neukantianismus siehe Kaufmann, Erich: Kritik der neukantischen Rechtsphilosophie. Eine Betrachtung über die Beziehungen zwischen Philosophie und Rechtswissenschaft, Neudruck der Ausgabe Tübingen 1921, Aalen 1964, zu Kelsen besonders ebd. S. 20 ff.

<718>

Voegelin, Erich: Reine Rechtslehre und Staatslehre, S. 80.

<719>

Zum Verhältnis zwischen Voegelin und Kelsen siehe Winkler, Günther: Geleitwort zu: Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat (Ausgabe 1997), S. XXI ff. sowie ders.: Die Reine Rechtslehre Kelsens als Dekonstruktionismus? Geistesgeschichtliche Notizen zu einer grundlegenden Kontroverse zwischen Kelsen und Voegelin.

<720>

Voegelin, Eric: Autobiographische Reflexionen, S. 39.

<721>

Vgl. Kelsen, Hans: Reine Rechtslehre, S. 1.

<722>

Voegelin, Erich: Reine Rechtslehre und Staatslehre, S. 80 f., vgl. ebd.

<723>

Vgl. Chignola, Sandro: „Fetishism with the Norm“ and Symbols of Politics, S. 13 f. Siehe auch Voegelin, Eric: Autobiographische Reflexionen, S. 40.

<724>

Larenz, Karl: Rechts- und Staatsphilosophie der Gegenwart, 2. Auflage, Berlin 1935, S. 25.

<725>

Vgl. Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 105.

<726>

Siehe hierzu Larenz, Karl: Rechts- und Staatsphilosophie der Gegenwart, S. 25 ff.

<727>

Ebd. S. 40, zu Kelsen vgl. ebd. S. 39 ff.

<728>

Vgl. Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 102 ff., Chignola, Sandro: „Fetishism with the Norm“ and Symbols of Politics, S. 56 f. sowie Herz, Dietmar: Das Ideal einer objektiven Wissenschaft von Recht und Staat, S. 13.

<729>

Voegelin, Erich: Die Verfassungslehre von Carl Schmitt, S. 90 f.

<730>

Ders.: Das Sollen im System Kants, S. 136.

<731>

Ebd., vgl. ebd. S. 136 f. sowie Chignola, Sandro: „Fetishism with the Norm“ and Symbols of Politics, S. 46.

<732>

Vgl. Kelsen, Hans: Reine Rechtslehre, S. 1 ff. sowie Herz, Dietmar: Das Ideal einer objektiven Wissenschaft von Recht und Staat, S. 22 ff.

<733>

Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 112, vgl. ders.: Rechtslehre, S. 5.

<734>

Ders.: Der autoritäre Staat, S. 114.

<735>

Ebd.

<736>

Kelsen, Hans: Reine Rechtslehre, S. 2.

<737>

Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 111.

<738>

Vgl. ebd. S. 110 ff.

<739>

Kelsen, Hans: Reine Rechtslehre, S. 3.

<740>

Vgl. Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 115.

<741>

Vgl. hierzu Kelsen, Hans: Reine Rechtslehre, S. 196 ff., Chignola, Sandro: „Fetishism with the Norm“ and Symbols of Politics, S. 57 sowie Herz, Dietmar: Das Ideal einer objektiven Wissenschaft von Recht und Staat, S. 26 ff.

<742>

Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 116.

<743>

Vgl. ebd. S. 115 ff. sowie insgesamt Winkler, Günther: Geleitwort zu: Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat (Ausgabe 1997), S. VIII ff., besonders S. XV ff. Zum soziologischen und juristischen Staatsbegriff siehe ferner Kelsen, Hans: Allgemeine Staatslehre, S. 19 ff.

<744>

Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 121, vgl. ebd. S. 118 ff.

<745>

Vgl. ebd. S. 126.

<746>

Vgl. ebd. S. 122 ff.

<747>

Darüber hinaus gibt es jedoch noch weitere Ansätze einer „reinen“ Rechtslehre. Siehe hierzu etwa Walz, Gustav Adolf: Kritik der phänomenologischen reinen Rechtslehre Felix Kaufmanns. Aphorismen zur Rechtstheorie, Stuttgart 1928, zum Einfluß Kelsens im besonderen ebd. S. 6.

<748>

Voegelin, Erich: Die Souveränitätstheorie Dickinsons und die Reine Rechtslehre, S. 413 f.

<749>

Dickinson, John: A Working Theory of Sovereignty I, in: Political Science Quarterly, Vol. 42 (1927), S. 524 - 548 (S. 525).

<750>

Ebd. S. 526 f.

<751>

Voegelin, Erich: Die Souveränitätstheorie Dickinsons und die Reine Rechtslehre, S. 416.

<752>

Dickinson, John: A Working Theory of Sovereignty I, S. 534.

<753>

Ebd. S. 533.

<754>

Voegelin, Erich: Die Souveränitätstheorie Dickinsons und die Reine Rechtslehre, S. 416, vgl. ebd. S. 413 ff.

<755>

Ebd. S. 429.

<756>

Dickinson, John: A Working Theory of Sovereignty II, in: Political Science Quarterly, Vol. 43 (1928), S. 32 - 63 (S. 41).

<757>

Ebd. S. 45.

<758>

Ebd. S. 46.

<759>

Ebd.

<760>

Ebd. S. 47.

<761>

Vgl. Voegelin, Erich: Die Souveränitätstheorie Dickinsons und die Reine Rechtslehre, S. 429 ff. sowie die zitierten Abhandlungen Dickinsons insgesamt.

<762>

Mohl, Robert von: Die Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften. In Monographieen dargestellt, Zweiter Band, Erlangen 1856, S. 337.

<763>

Ulbrich, Joseph: Lehrbuch des Oesterreichischen Staatsrechts. Für den akademischen Gebrauch und die Bedürfnisse der Praxis, Wien 1883, S. V, Vorwort.

<764>

Siehe Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 130.

<765>

Ulbrich, Joseph: Lehrbuch, S. 72.

<766>

Vgl. Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 130 f.

<767>

Ulbrich, Joseph: Lehrbuch, S. V f., Vorwort.

<768>

Vgl. ebd.

<769>

Vgl. Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 131 f.

<770>

Vgl. Ulbrich, Joseph: Lehrbuch, S. 110 ff.

<771>

Sieghart, Rudolf: Die letzten Jahrzehnte einer Großmacht. Menschen, Völker, Probleme des Habsburger-Reichs, Berlin 1932, S. 365.

<772>

Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 132.

<773>

Vgl. ebd. S. 127 ff.

<774>

Ebd. S. 132.

<775>

Gumplowicz, Ludwig: Sozialphilosophie im Umriss, Neudruck der Ausgabe Innsbruck 1910, Aalen 1969, S. 35.

<776>

Ders.: Die sociologische Staatsidee, 2. Auflage, Innsbruck 1902.

<777>

Ebd. S. 52.

<778>

Vgl. ebd. S. 51 f.

<779>

Vgl. Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 133.

<780>

Ebd.

<781>

Gumplowicz, Ludwig: Sozialphilosophie im Umriss, S. 36.

<782>

Vgl. Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 132 ff.

<783>

Vgl. ebd. S. 136 f.

<784>

Stoerk, Felix: Zur Methodik des öffentlichen Rechts, Wien 1885, S. 8.

<785>

Ebd. S. 9.

<786>

Vgl. Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 137.

<787>

Stoerk, Felix: Zur Methodik des öffentlichen Rechts, S. 42.

<788>

Ebd.

<789>

Vgl. Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 138.

<790>

Ebd. S. 139.

<791>

Ebd.

<792>

Ebd., siehe hierzu Stoerk, Felix: Zur Methodik des öffentlichen Rechts, S. 33 ff.

<793>

Vgl. Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 139.

<794>

Tezner, Friedrich: Der Kaiser, Wien 1909, Vorwort, S. III.

<795>

Ebd. S. III f.

<796>

Vgl. Jellinek, Georg: Allgemeine Staatslehre, 3. Auflage, Bad Homburg v. d. Höhe - Berlin - Zürich 1966, S. 394 - 434.

<797>

Tezner, Friedrich: Der Kaiser, S. 246.

<798>

Vgl. Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 136 ff.

<799>

Ebd. S. 144.

<800>

Vgl. ebd.

<801>

Ebd. S. 146.

<802>

Ebd. S. 147.

<803>

Siehe Voegelin, Eric: Die neue Wissenschaft der Politik, Vorwort zur deutschen Ausgabe, S. 11 - 16, besonders S. 12 f.

<804>

Ders.: Reine Rechtslehre und Staatslehre, S. 131.

<805>

Ebd.

<806>

Siehe ebd. S. 126 ff.

<807>

Vgl. Winkler, Günther: Die Reine Rechtslehre Kelsens als Dekonstruktionismus?, S. 115 f.

<808>

Vgl. Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 148 f.

<809>

Ebd. S. 149 f.

<810>

Vgl. ebd. S. 143 ff. Siehe ferner ders.: Kelsen‘s Pure Theory of Law, in: Political Science Quarterly, Vol. 42 (1927), S. 268 - 276, zur österreichischen Verfassung besonders S. 274 ff. Summarisch zur Rolle von Kelsens Rechts- und Staatslehre in Voegelins Autoritärem Staat vgl. Henkel, Michael: Eric Voegelin zur Einführung, S. 59 ff.

<811>

Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 151.

<812>

Ebd. S. 151 f.

<813>

Vgl. ebd. S. 150 ff.

<814>

Siehe hierzu Voegelin, Eric: Die neue Wissenschaft der Politik, S. 81 ff.

<815>

Ders.: Der autoritäre Staat, S. 153.

<816>

Vgl. Chignola, Sandro: „Fetishism with the Norm“ and Symbols of Politics, S. 59 f.

<817>

Vgl. Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 155.

<818>

Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, 5. Auflage, Tübingen 1976, S. 124. Auch der Zusatz in eckigen Klammern stammt von Weber selbst. Zu Max Weber siehe auch Voegelin, Erich: Über Max Weber, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, III (1925), S. 177 - 193.

<819>

Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft, S. 125.

<820>

Ebd.

<821>

Ebd.

<822>

Ebd.

<823>

Ebd.

<824>

Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 155.

<825>

Schmitt, Carl: Legalität und Legitimität, S. 22.

<826>

Ebd. S. 24.

<827>

Ebd. S. 27 f., vgl. ebd. S. 20 ff.

<828>

Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 158.

<829>

Ebd. S. 158 f.

<830>

Ebd. S. 159 f., vgl. ebd. S. 153 ff. sowie insgesamt auch Chignola, Sandro: „Fetishism with the Norm“ and Symbols of Politics, S. 60 ff.

<831>

Verordnung der Bundesregierung vom 24. April 1934, BGBl. Nr. 239, über die Verfassung des Bundesstaates Österreich. Auf Grund des Gesetzes vom 24. Juli 1917, RGBl. Nr. 307, wird verordnet: Die Bestimmungen der in der Anlage kundgemachten Verfassungsurkunde bilden die Verfassung des Bundesstaates Österreich. Enthalten in: Schuschnigg, Kurt (Hg.): Die Verfassung des Bundesstaates Österreich. Auf Grund der Kundmachung der Bundesregierung vom 1. Mai 1934, B.G.Bl. Nr. 1, und des Bundesverfassungsgesetzes betreffend den Übergang zur ständischen Verfassung (Verfassungsübergangsgesetz 1934) vom 19. Juni 1934, B.G.Bl. Nr. 75 (Die neue Bundesverfassung für Österreich samt Übergangsverfassung). Herausgegeben und erläutert von Dr. Kurt Schuschnigg., Leipzig - Wien - Berlin 1936, S. 95 - 151.

<832>

Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 183.

<833>

Ebd.

<834>

Ebd. S. 184.

<835>

Vgl. ebd.

<836>

Vgl. ebd. S. 185 f.

<837>

Bundesverfassung Österreichs 1934, Präambel, S. 95.

<838>

Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 186.

<839>

Vgl. ebd. S. 183 ff.

<840>

Bundesverfassungsgesetz vom 19. Juni 1934, betreffend den Übergang zur ständischen Verfassung (Verfassungsübergangsgesetz 1934). B.G.Bl. Nr. 75 vom 23. Juni 1934. Enthalten in: Schuschnigg, Kurt (Hg.): Die neue Bundesverfassung für Österreich samt Übergangsverfassung, S. 155 - 171.

<841>

Vgl. Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 188 f.

<842>

Vgl. ebd. S. 187 ff.

<843>

Ebd. S. 189.

<844>

Vgl. ebd. S. 189 f.

<845>

Vgl. ebd. S. 190 ff. Siehe hierzu Artt. 73 - 80 der Bundesverfassung Österreichs 1934, S. 118 - 120. Die Verantwortlichkeit des Bundeskanzlers und der Bundesregierung gegenüber dem Bundespräsidenten ergibt sich aus der Bestimmung von Art. 82 I 1, 2, ebd. S. 120: „Der Bundeskanzler und auf seinen Vorschlag die übrigen Mitglieder der Bundesregierung werden vom Bundespräsidenten ernannt. Zur Entlassung des Bundeskanzlers oder der gesamten Bundesregierung ist ein Vorschlag und eine Gegenzeichnung nicht erforderlich; die Entlassung einzelner Mitglieder der Bundesregierung erfolgt auf Vorschlag des Bundeskanzlers.“

<846>

Merkl, Adolf: Die ständisch-autoritäre Verfassung Österreichs. Ein kritisch-systematischer Grundriß, Wien 1935, S. 85.

<847>

Ebd. S. 83.

<848>

Siehe hierzu Siebentes Hauptstück. Verwaltung in den Ländern. Artt. 114 - 122 der Bundesverfassung Österreichs 1934, S. 126 - 132.

<849>

Vgl. ebd. Art. 114 IV 1, 2, S. 126 f.

<850>

Vgl. Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 199 ff.

<851>

Vgl. ebd. S. 203.

<852>

Siehe hierzu Achtes Hauptstück. Verwaltungsbezirke, Ortsgemeinden und Ortsgemeindenverbände. Artt. 123 - 135 der Bundesverfassung Österreichs 1934, S. 132 - 135.

<853>

Vgl. ebd. Art. 126, S. 133.

<854>

Vgl. ebd. Artt. 130 - 132, S. 134 f.

<855>

Vgl. Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 204.

<856>

Vgl. Art. 73 i. V. m. Art. 52 der Bundesverfassung Österreichs 1934, S. 118 und 112.

<857>

Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 205, vgl. ebd. S. 203 ff.

<858>

Ebd. S. 206.

<859>

Ebd.

<860>

Ebd.

<861>

Ebd.

<862>

Seipel, Ignaz: Die Tübinger Kritik der Demokratie., in: ders.: Der Kampf um die österreichische Verfassung, Wien - Leipzig 1930, S. 177 - 188 (S. 181 f.).

<863>

Vgl. Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 207.

<864>

Vgl. Seipel, Ignaz: Die Tübinger Kritik der Demokratie., S. 179.

<865>

Ebd. S. 183.

<866>

Vgl. Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 209.

<867>

Vgl. Seipel, Ignaz: Was sind „Stände“?, in: ders.: Der Kampf um die österreichische Verfassung, S. 199 - 204 (besonders S. 202 ff.). Hierbei handelt es sich um einen von Seipel in der „Reichspost“ geschriebenen Artikel vom 19. Oktober 1929.

<868>

Pius XI. Papst: Über die gesellschaftliche Ordnung, S. 111, 113, Rdnr. 78.

<869>

Hierzu relevant ist ebd. der Abschnitt „’Ordinum’ mutua conspiratio“ („Berufständische Ordnung“), S. 112 - 117, Rdnrn. 81 - 87.

<870>

Ebd. S. 113, 115, Rdnr. 82.

<871>

Ebd. S. 115, Rdnr. 83.

<872>

Ebd. Rdnr. 84.

<873>

Vgl. Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 210 f.

<874>

Seipel, Ignaz: Aus der Budgetdebatte 1929., in: ders.: Der Kampf um die österreichische Verfassung, S. 135 - 143 (S. 140 f.).

<875>

Ebd. S. 142, Anmerkung 1. Vgl. insgesamt ebd. S. 135 ff.

<876>

Vgl. Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 206 ff.

<877>

Vgl. ebd. S. 214.

<878>

Vgl. im folgenden Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Über die englische Reformbill (1831), in: ders.: Politische Schriften. Nachwort von Jürgen Habermas, Frankfurt am Main 1966, S. 277 - 321.

<879>

Ebd. S. 277.

<880>

Vgl. Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 214 ff.

<881>

Grey, (Henry George) Earl: Die parlamentarische Regierungsform betrachtet im Hinblick auf eine Reform des Parlamentes, Prag 1863, S. 4.

<882>

Ebd. S. 61.

<883>

Ebd. S. 85.

<884>

Vgl. Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 218 ff. Siehe allerdings Grey, (Henry George) Earl: Die parlamentarische Regierungsform, wo im sechsten Kapitel, S. 110 ff., zwar von „Erwägungen bezüglich einer neuen Reformbill“ die Rede ist, die von Voegelin diesbezüglich aufgezählten Punkte aber mit diesem Inhalt, insbesondere die Einführung des Verhältniswahlrechts, nicht auftauchen.

<885>

Vgl. Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 223 f.

<886>

Vgl. ebd. S. 224 ff.

<887>

Ebd. S. 226.

<888>

Vgl. ebd. S. 227.

<889>

Vgl. Art. 44 der Bundesverfassung Österreichs 1934, S. 109.

<890>

Vgl. ebd. Art. 45.

<891>

Vgl. ebd. Art. 48, S. 110 f.

<892>

Vgl. Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 228 f.

<893>

Vgl. Art. 47 der Bundesverfassung Österreichs 1934, S. 110.

<894>

Vgl. ebd. Art. 46, S. 109 f.

<895>

Vgl. ebd. Art. 49, S. 111.

<896>

Vgl. ebd. Art. 50 sowie insgesamt Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 226 ff.

<897>

Vgl. in der Bundesverfassung Österreichs 1934 betreffend die Landtage Art. 108, S. 124 f., die Wiener Bürgerschaft Art. 140, S. 136 f., die Gemeindetage Art. 127, S. 133. Vgl. insgesamt Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 236 f.

<898>

Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 237.

<899>

Ebd. S. 238.

<900>

Vgl. Art. 55 der Bundesverfassung Österreichs 1934, S. 112.

<901>

Vgl. Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 237 ff.

<902>

Vgl. Art. 51 lit. 1 und 2 der Bundesverfassung Österreichs 1934, S. 111.

<903>

Vgl. Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 245 f.

<904>

Vgl. ebd. S. 248 ff. sowie Artt. 68 und 69 der Bundesverfassung Österreichs 1934, S. 116 f.

<905>

Vgl. Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 252.

<906>

Ebd. S. 255.

<907>

Vgl. ebd. S. 251 ff.

<908>

Zur Mitwirkung der Landtage bei bei der Landesgesetzgebung siehe Artt. 109 - 113 der Bundesverfassung Österreichs 1934, S. 125 f. zur bundesunmittelbaren Stadt Wien siehe ebd. Art. 141, S. 137.

<909>

Vgl. Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 257 ff. i. V. m. Artt. 114 - 122, S. 126 - 132: Siebentes Hauptstück. Verwaltung in den Ländern. Zur Gesetzgebung und Verwaltung in der bundesunmittelbaren Stadt Wien siehe ebd. Neuntes Hauptstück, Artt. 136 - 146, S. 135 - 138.

<910>

Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 259.

<911>

Vgl. ebd.

<912>

Vgl. ebd. S. 261 ff.

<913>

Vgl. ebd. S. 264 ff. sowie Zehntes Hauptstück. Notrechte der Verwaltung.

Artt. 147 - 148 der Bundesverfassung Österreichs 1934, S. 138 - 140.

<914>

Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 281 f.

<915>

Ebd. S. 282.

<916>

Vgl. Art. 65 der Bundesverfassung Österreichs 1934, S. 115 f.

<917>

Vgl. Voegelin, Erich: Der autoritäre Staat, S. 281 ff.

<918>

Vgl. ebd. S. 284 ff.

<919>

Kritisch hierzu auch Mayer, Hans: Rezension zu „Der autoritäre Staat“ von Erich Voegelin, in: Zeitschrift für Sozialforschung, Jg. VI (1937), S. 226 - 227.

<920>

Voegelin, Eric: Die neue Wissenschaft der Politik, S. 5.

<921>

Ebd.

<922>

Eine dritte Form ist die „Repräsentation im transzendenten Sinn“, ebd. S. 7.

<923>

Ebd. S. 49.

<924>

Ebd. S. 57.

<925>

Vgl. ebd. S. 55 ff.

<926>

Ebd. S. 61.

<927>

Vgl. ebd. S. 61 f.

<928>

Vgl. auch Nida-Rümelin, Julian: Das Begründungsproblem bei Eric Voegelin, S. 388 f.

<929>

Voegelin, Eric: Die neue Wissenschaft der Politik, S. 77, vgl. ebd.

<930>

Vgl. Henkel, Michael: Eric Voegelin zur Einführung, S. 56.

<931>

Herz, Dietmar: Das Ideal einer objektiven Wissenschaft von Recht und Staat, S. 34.

<932>

Voegelin, Eric: Die neue Wissenschaft der Politik, S. 13., vgl. Herz, Dietmar: Das Ideal einer objektiven Wissenschaft von Recht und Staat, S. 34 f.

<933>

Vgl. Henkel, Michael: Eric Voegelin zur Einführung, S. 73.


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