Die Praxis der Erinnerung : Gedenkstättenbewegung und Geschichtspolitik in der Bundesrepublik

Gedenkstätten haben sich in der Bundesrepublik als zentrale Orte der Erinnerung an die NS-Verbrechen etabliert. Aus welchen gesellschaftlichen und politischen Diskussionen Gedenkstätten hervorgegangen sind, untersucht diese Arbeit in vier Fallstudien. Am Beispiel des frühen Konzentrationslagers Oberer Kuhberg in Ulm, den Emslandlagern im westlichen Niedersachsen, der Wewelsburg bei Paderborn und der Alten Synagoge in Essen werden geschichts- und erinnerungspolitische Konflikte, Lernprozesse und Zäsuren auf lokaler und regionaler Ebene nachgezeichnet. Der Schwerpunkt liegt auf den 1970er und 1980er Jahren, in denen sich jüngere Generationen der Aufarbeitung widmeten und im Zuge der sogenannten Gedenkstättenbewegung neue Formen der Erinnerung entwickelten. So entstanden Lernorte mit Dauerausstellungen und historisch-politischer Bildungsarbeit, die sich von traditionellen Konzepten eines „stillen“ Gedenkens und musealer Repräsentation abgrenzten. Die Studie beleuchtet die Akteure, Praktiken und Reaktionen und das sich wandelnde Verhältnis zwischen Gedenkstätteninitiativen, öffentlicher Verwaltung, Politik und Bevölkerung. Sie zeigt, dass die Durchsetzung und Institutionalisierung von Gedenkstätten nicht geradlinig verlief, sondern im dynamischen Wechselspiel von gesellschaftlichem Engagement und staatlicher Anpassung. Für die staatliche Anerkennung spielten öffentliche Gedenktage und eine wachsende Empathie für NS-Opfer eine wichtige Rolle. Dabei entwickelte sich die Erinnerungskultur seit den 1980er Jahren auch auf lokaler Ebene zu einem eigenständigen Politikfeld, so dass sich die Parteien in die Etablierung von Gedenkstätten aktiv einschalteten. Die vorliegende Arbeit erweitert das Verständnis der heutigen Gedenkstättenlandschaft, die inzwischen als Vorbild für eine Aufarbeitung von Diktaturen gilt.