Resilienz als protektiver Faktor in Zeiten von COVID-19

  • Wissenschaftlicher Rahmen und Hintergrund: Psychologische Resilienz wird im Allgemeinen als die Fähigkeit verstanden, Belastungen ohne längerfristige Schäden erfolgreich zu bewältigen. Trotz der starken Verbreitung des Begriffes fehlt eine einheitliche Definition und es herrscht Uneinigkeit zwischen unterschiedlichen Forschungsrichtungen darüber, ob es sich um eine dynamische Eigenschaft im Sinne eines „States“ oder ein stabiles „Trait“-Merkmal handelt. Infolgedessen konnte sich bisher kein Goldstandard zur Messung der Resilienz etablieren. Vielmehr existiert eine Vielzahl an Fragebögen auf Basis verschiedener Konzepte von Resilienz. In verschiedenen Studien konnte eine positive Korrelation zwischen Resilienz und psychischem Wohlbefinden sowie erfolgreicher Adaptation in Krisensituationen gezeigt werden. Hierbei ist jedoch umstritten, ob Resilienz einen eigenständigen Einflussfaktor darstellt oder nur eine bestimmte Konstellation günstiger anderer Faktoren beschreibt, welche bereits durch Konzepte wie Persönlichkeitseigenschaften (z.B. die „Big Five“) erfasst werden. Insbesondere im Erwachsenenalter fehlen longitudinale Beobachtungen zur Stabilität von Resilienz und die Abgrenzung zu anderen psychologischen Konstrukten.
  • Fragestellung und Ziele: In dieser Arbeit werden verschiedene Fragestellungen zum Resilienzbegriff und dessen Operationalisierung untersucht. Es werden verschiedene Messinstrumente untersucht, welche auf einem dynamischen „State“- oder einem stabilen „Trait“-Konzept von Resilienz basieren, und bezüglich ihrer Stabilität bei wiederholter Messung verglichen. Als eine alle Befragten betreffende Belastung dient die SARS-CoV-2-Pandemie, die während der Datenerhebung ins Leben der Befragten getreten ist. Es wird untersucht, ob Resilienz mit geringerer psychischer Belastung in der Pandemie assoziiert ist und ob sich eine stärkere Änderung der Resilienz zeigt, wenn zusätzliche kritische Ereignisse zwischen den Messungen eintraten. Zur Prüfung der Konstruktvalidität wird geprüft, wie die verschiedenen Resilienzskalen mit den Dimensionen der Big Five und der Selbstwirksamkeit korrelieren und ob sich die Trait- hierbei von den State-Messinstrumenten unterscheiden. Ein weiteres zentrales Ziel ist die Beurteilung des Zusatznutzens von Resilienz in den unterschiedlichen Konzeptualisierungen zur Prädiktion psychischer Belastung in der Pandemie über Persönlichkeitseigenschaften hinaus.
  • Methodik: Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine prospektive, longitudinale Beobachtungsstudie mit drei Messzeitpunkten vor, während und nach der ersten Phase der starken Kontaktbeschränkungen im Rahmen der SARS-CoV-2-Pandemie. Mittels deutschsprachiger Onlinesurveys wurden bei erwachsenen Personen die Resilienz mit vier verschiedenen validierten Messinstrumenten, Persönlichkeitseigenschaften der Big Five, subjektiv empfundene Beeinträchtigung durch körperliche und psychische Symptome als Marker für das psychische Wohlbefinden, potenziell traumatische Lebensereignisse, Selbstwirksamkeit und pandemiebezogene Einschätzungen erfasst. Am dritten Messzeitpunkt wurden ergänzend entnommene Haarproben auf ihre Cortisol- und Cortisonspiegel als objektivierende Stressparameter untersucht und der subjektive Stress erfragt. Die Auswertung erfolgte mittels R und SPSS. Einschlusskriterium war das vollständige Ausfüllen mindestens eines Resilienzfragebogens zu zwei Zeitpunkten.
  • Ergebnisse und Diskussion: In einer Stichprobe von N = 521 Teilnehmenden konnte gezeigt werden, dass die verschiedenen Resilienzfragebögen unabhängig von ihrem theoretischen Hintergrund ein ähnliches Merkmal erfassen. Dieses scheint einen stabilen Kern zu haben, sobald die Belastung einen Schwellenwert überschreitet jedoch eine dynamische Komponente zu offenbaren, die zur Zunahme der Resilienz im Sinne einer positiven Adaptation durch erfolgreiche Bewältigung führt. Resilienz zeigte sich als protektiver Faktor für psychisches Wohlbefinden bei Konfrontation mit potenziellen Stressoren und hatte - trotz hoher Assoziation mit konzeptionell ähnlichen psychologischen Konstrukten – einen eigenständigen Erklärungswert. In den Haarproben ließ sich kein signifikanter Zusammenhang zwischen Stress und Resilienz messen. Auffällig war hier, dass sich unter Pandemiebedingungen Extraversion im Kontrast zu vorherigen Studien als ein Risikofaktor für eine erhöhte Stressbelastung erwies.
  • Schlussfolgerungen: Resilienz stellt einen unabhängigen protektiven Faktor für die psychische Gesundheit in Belastungssituationen dar. Trotz unterschiedlicher theoretischer Konzepte unterscheiden sich die Messinstrumente nur geringfügig in Hinblick auf die Stabilität der Resilienz und ihre Konstruktvalidität. Resilienz zeigte sich als geeignetes Konzept zur Identifizierung vulnerabler Individuen und offenbart somit Potenziale, diesen gezielt adäquate Unterstützungsmöglichkeiten zur Krisenbewältigung zukommen zu lassen. Um eine einheitliche Resilienzdefinition zu finden und einen Goldstandard zur Erfassung zu etablieren, sind insbesondere weitere Longitudinalstudien notwendig, die zeitlich genauer die Zusammenhänge zwischen Resilienz, Stressoren und psychischer Belastung erfassen.

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