Kritische Theorien des Sozialen im DDR-Kontext : klinische und soziologische Aspekte

Die drei Publikationen dieser kumulativen Dissertation befassen sich mit politischer Traumatisierung in der DDR und mit der heutigen Situation Betroffener aus klinischer Perspektive. Es wird die These vertreten, dass diese klinischen Phänomene nicht ohne Einbeziehung gesellschaftlicher Kontexte zu verstehen sind. Die erste Publikation stellt einen Zusammenhang zwischen Traumatisierung durch staatliches Unrecht und lebensweltlicher Erfahrung in der DDR her. Dabei wird nachgezeichnet, dass politische Verfolgung weniger direkt Betroffener die Funktion hatte, auf breiter gesellschaftlicher Ebene Verhaltensnormen zu etablieren. Die DDR hat Unrechtsempfinden und gesellschaftlichen Protest allerdings nicht nur unterdrückt, sondern gleichzeitig in einer paradoxen Weise durch Propagieren höchster Ideale, die ihrem eigenen Handeln widersprachen, selbst produziert. Die zweite Publikation stellt das Magdeburger Beratungskonzept für Betroffene von SED-Unrecht vor. Die Beratungsarbeit wird veranschaulicht anhand von vier Beziehungsangeboten, denen Betroffene in der heutigen Gesellschaft begegnen. Diese finden sich automatisch auch im beraterischen Kontext und müssen reflektiert werden. Professionelles Beratungshandeln stellt sich demnach als immer wieder neu auszutarierende Balance zwischen Empowerment und Enttäuschung dar, unter Vermeidung von Missbrauch auf der einen und Überdistanzierung auf der anderen Seite. In der dritten Publikation wird an einem Fallbeispiel verdeutlicht, wie sich heute im Bereich Anerkennung gesundheitlicher Folgeschäden politischer Haft bei den Betroffenen Unrechtserleben aktualisieren kann, statt dass es reguliert wird. Im Beispiel geht es um ein Urteil des Landessozialgerichtes Sachsen-Anhalt mit der Ablehnung beantragter Ansprüche. Gestützt wurde diese zum einen durch ein völliges Fehlen der Einbeziehung historischer Forschungsergebnisse über traumatogene Aspekte der Haftbedingungen in der DDR und zum anderen durch eine weitgehende Nicht-Zurkenntnisnahme des aktuellen Forschungsstandes auf dem Gebiet der Psychotraumatologie, in Verbindung mit einer Diskreditierung der Glaubwürdigkeit des ehemaligen Haftopfers. Im Rahmentext wird der allgemeinere Beitrag herausgearbeitet, der darin besteht, klinische Gegenstände mithilfe soziologischer Modelle zu verstehen. Hierfür werden die Publikationen systematisch in kritische Theorien des soziologischen Faches eingebunden, die den Fokus auf zwischenmenschliche Interaktionen legen. Richtungsweisend sind hierbei Theorien in Tradition des Frankfurter Instituts für Sozialforschung, allerdings werden hier auch Foucault und Elias dem kritischen Grundanliegen zugerechnet, Sozialwissenschaften in ihrem Entstehungs- und Verwendungszusammenhang zu reflektieren. Weiterhin wird vorgeschlagen, diese kritischen Theorien des Sozialen nach dem jeweils zugrundeliegenden Menschenbild zwei kategorialen Modellgruppen zuzuordnen: einer „Repressionstheorie“ und einer „Theorie kommunikativer Widersprüche“.

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