In der individuellen Lebensführung ist die Organisation zweier normativ belegter Handlungsdimensionen von Relevanz: Arbeit und Zeit. ‚Arbeit‘ ist sowohl strukturell im Sinne der Einbindung des Individuums in Formen der Erwerbstätigkeit bedeutsam als auch normativ im Sinne der arbeitsethischen Norm von Sinnhaftigkeit und Leistungsorientierung. ‚Zeit‘ wird relevant hinsichtlich der Erwartung, in der alltäglichen Lebensführung als auch über die Lebensspanne Leerlauf in der individuell verfügbaren Zeit zu vermeiden. Diese klassische pflichtethische Aktivitätsmoral wird durch die altersgruppenübergreifend steigende Relevanz postmaterialistischer Einstellungen als auch veränderte strukturelle Lebensbedingungen entkräftet. Die vorliegende Arbeit nimmt sich diesem moralischen und strukturellen Wandel an und geht mittels einer qualitativen Untersuchung der Frage nach, wie und ob Menschen in der Nacherwerbsphase beschriebene Aktivitätsnormen wahrnehmen und in ihre Lebensführung integrieren. Es wird diskutiert, inwiefern sich die Etablierung einer Ruhestandskultur abzeichnet, die eine von der Erwerbsarbeitswelt verschiedene Aktivitätsethik ausbildet. Es werden sozialisatorische und (berufs-)biografische Kontext- und Einflussfaktoren berücksichtigt. Teil der Untersuchung ist eine Neubetrachtung des Busy-Ethic-Konzeptes von David J. Ekerdt (1986). Im Ergebnis haben sich insbesondere zum einen das Thema ‚Anerkennung‘, zum anderen das Konzept ‚Verantwortung‘ in unterschiedlichen Kontexten und lebensphasenübergreifend als relevante Kategorien herausgestellt. Die Befragten berichten darüber hinaus von erwerbsarbeitsbezogenen Belastungserfahrungen, die als Legitimation ihrer Einstellung zum Ruhestand fungieren. Dies unterstreicht die Bedeutung der Erwerbsarbeit als Sinnressource im Ruhestand, wobei die vorliegende Arbeit zur Dimensionierung der relevanten Merkmale der Erwerbsarbeit einen Beitrag leistet. Es werden auf Basis der Befunde Anzeichen einer Ruhestandskultur diskutiert.