Religious-Nationalist Security States : Ideologies and Narratives of Statehood in Pakistan and Israel

Pakistan und Israel wurden in der Literatur klassischerweise den new states/ nations zugeordnet, nachdem sie 1947 bzw. 1948 schrittweise in die Unabhängigkeit entlassen wurden. Die vorliegende Arbeit hat, unter Berücksichtigung des jeweils spezifischen kolonialen historischen Kontextes, das Element der Fremdherrschaft sowohl in der Selbstwahrnehmung der Staaten als auch im Prozess der Entwicklung einer „indigenen“ Kulturnation zur Sprache gebracht. Territorial-politisch war die Transformation hin zu einem souveränen Staat ein einschneidendes Ereignis und bleibt bis heute auf allen im Projekt untersuchten Vergleichsebenen ein zentraler Bezugsrahmen. Bereits vor der Staatsgründung hatten sich ethnische, religiöse und politische Gegensätze gewaltförmig geäußert und sich unmittelbar nach Staatsgründung in Form von Kriegen fortgesetzt. Im Falle von Pakistan hat sich mit der politischen und konfessionellen Teilung des indischen Subkontinents der pakistanisch-indische Gegensatz etabliert und dauerhaft gefestigt. Dieser vielbeschworene Antagonismus hat sich in der 65-jährigen Geschichte des Landes am deutlichsten in drei Kriegen und weiteren gewaltsamen Auseinandersetzungen sowie der nuklearen Mobilisierung in 1998 und 2001/02 geäußert. Israels Unabhängigkeitserklärung und die starke Polarisierung zwischen Unterstützer-Kräften der ersten Stunde auf der einen, und einem arabisch und nicht-arabischen Block feindlicher muslimischer Staaten hat sich im wesentlichen bis zum heutigen Tage erhalten.Der Kashmir-Konflikt als regelmäßig wiederkehrendes Epizentrum des IndoPak-Konflikts ist, ähnlich der Konfliktmenge zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarstaaten und dem israelisch-palästinensischem Komplex genuin ein Territorialkonflikt. Im Hinblick auf die untersuchten Aspekte der Staatsideologie beider Länder wurde die steigende Diskursfähigkeit alternativer Deutungsansätze sowie der gesellschaftspolitische Einfluss ihrer Repräsentanten herausgearbeitet. Das markanteste Narrativ bietet hier die genuin religiöse Interpretation des Territoriums, des Staates und der Nation. Beide Staatsgründungen stützten sich auf eine ähnliche Argumentation, wonach die Glaubens ­ gemeinschaft der Muslime auf dem indischen Subkontinent, ähnlich der zionistischen Bewe ­ gung mit ihrer Idee eines Judenstaates eine sichere Heimstätte und staatliche Souveränität so ­ wohl als Garant existentieller physischer Sicherheit als auch als Absicherung der eigenen wiederentdeckten kulturellen Tradition und ihrer neuen Elemente forderte. Diesem etablierten Narrativ sind die Beiträge neuerer Historiker und Soziologen kontrastiv gegenüberzustellen, da sie z.B. primär wirtschaftliche und politische Eliten als Hauptantriebskräfte hinter der Unabhängigkeit sehen. Deren insbesondere ethnische Zugehörigkeit habe, so das Alternativ-Narrativ, zukünftige Proporz- und Machtverhältnisse eingeleitet und etabliert. Die Rolle der Religion ist in beiden historischen Ereignissen der Staatsgründung zentral: Die Sakralisierung der Staatsidee, gefördert von der Gründungselite entgegen ihrer z.T. atheistischen Orientierung, sicherte die Unterstützung ehemals kritischer gesellschaftlicher Gruppen und insbesondere der religiösen traditionellen Eliten. Eines der Hauptproblemfelder beider Staaten ist im Spannungsverhältnis zwischen der Statusbestimmung der Religion in Opposition zu säkularer moderner Staatlichkeit zu sehen: Seit der Gründung wird dieser Konflikt am deutlichsten in der verfassungsrechtlichen Auseinandersetzung zwischen religiöser und säkularer Interpretation. Die religiöse Legitimation des Staates und ihre ideologische Integration wurde zur Arena eines Kulturkampfes, in der sich religiöse Parteien und Gruppen auf die Religion als Staatsreligion berufen und die Übereinstimmung staatlicher Gesetze mit den Prinzipien von Qur'an und Sunna bzw. der Torah fordern. Genauso trägt der Status der Verfassung maßgeblich zum „theologischen Dilemma“ beider Staaten bei. Verhandlungen über eine Verhältnisbestimmung der Religion in der Verfassung scheiterten angesichts der klaffenden Abweichungen zwischen säkularen und religiösen Entwürfen, die u.a. die Gottessouveränität einschlossen, bereits im Vorfeld der Staatsgründung. Israel verfügt über keine schriftlich fixierte Verfassung, einzelne Basic Laws sollen den Rahmen für eine spätere Ausarbeitung der Verfassung bilden. In Pakistan verlief der Kampf um eine demokratische Verfassung parallel zum politischen Machtkampf zwischen aufeinander folgenden Militärregimes und Versuchen der politischen Führung, ihre Autonomie zu wahren. Eigene Einrichtungen wachen in beiden Ländern über die Übereinstimmung staatlicher Gesetzgebung mit religiösem Recht und versuchen die Anforderungen des modernen öffentlichen Lebens mit den religiösen traditionellen Anforderungen zu harmonisieren. Innerhalb dieser staatlichen Institutionen macht sich seit den 1980er Jahren vermehrt ein sektiererischer Konflikt um die Partizipation unterschiedlicher Strömungen und die Deutungshoheit über die Rolle der Religion im Staat bemerkbar. Die Unterteilung des Rechtswesens in konkurrierende säkulare1434 und religiöse Gerichtsbarkeiten erweist sich vor allem in Personenstandsfragen als problematisch und birgt ein steigendes gesellschaftliches Konfliktpotential. Allgemein macht sich im Hinblick auf die Rolle und den Einfluss von Religion in Gesellschaft und Politik eine deutliche Abweichung bemerkbar: Während in der pakistanischen Öffentlichkeit die klassische Trennlinie zwischen dem Religiösen und dem Säkularen bereits vor der Gründung an der Überbetonung des Islam als zentraler Grundstein des pakistanischen Nationalismus an Schärfe verlor und durch innere und äußere Einflüsse spätestens seit den 1980er Jahren ein gesellschaftlicher Wandel hin zu einem öffentlichen religiösen Konservativismus erfolgte, weist Israel eine entgegengesetzte Entwicklung auf. Entgegen der fundamentalen Kritik am Säkularisierungsparadigma deutet der Querschnitt der verfügbaren Erhebungen an, dass sich eine deutliche Mehrheit der israelischen Gesellschaft nach ihrem Eigenverständnis als säkulare Juden sieht, welche zwar an kulturellen jüdischen Normen festhalten mag, jedoch eine öffentliche Rolle der Religion ablehnt. Allgemein weisen beide hochkomplexen Gesellschaften religiöse, ethnische und politische Fragmentierungen auf, welche Desintegration begünstigt. Trotz, oder gerade aufgrund staatlicher Integrationsbemühungen und ihrer Erstarrung in ideologischen Pfadabhängigkeiten, welche sich zunehmend immun gegen eine Anpassung an aktuelle Entwicklungen erweisen, werden die immanenten Interessengegensätze zunehmend über die Identitätspolitik alternativer nicht-staatlicher Anbieter und ihre Narrative artikuliert. In den institutionellen Rahmenbedingungen des modernen Staates liegen die Hauptunterschiede zwischen beiden Ländern: Pakistan weist eine der am schnellsten wachsenden und jüngsten Bevölkerungen der Welt auf mit derzeit rund 180 Millionen Menschen. Derzeit ist noch immer fraglich, ob sich die demokratisch legitimierte zivile Regierung bis zu den Wahlen im nächsten Jahr halten kann und damit als erste Regierung des Landes eine volle Legislaturperiode regieren wird. Politische Instabilität durch Militärinterventionen und Legitimationsdefizite der politisch-zivilen Elite ist in Pakistan endemisch. Starke Institutionen sind das Militär, die Zivilbürokratie sowie die landbesitzenden Feudaleliten. Dagegen verfügt Israel über eine Bevölkerung von knapp acht Millionen Einwohnern und hat trotz der starken Stellung des Militärs, welches vermehrt zu einem politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträger sowie gesellschaftlich zur Schule der Nation wurde, die Autonomie der politisch-zivilen Machtsphäre gewahrt. Die „Geburt im Krieg“, die anhaltende sicherheitspolitische Bedrohungslage und die staatliche Militarisierung (security state) sowie die Wehrhaftigkeit von Institutionen und Gesellschaft (securitization) weisen zudem signifikante Parallelen auf.

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